Spanien zeigt der Regierung die rote Karte beim erfolgreichen Generalstreik

Das geräumte Aktionszentrum

Während der Focus wieder einmal auf die Krawalle in Barcelona gerichtet wird, vergessen die Berichte auf der einen Seite, dass die Gewalt in Barcelona von den Sicherheitskräften ausging und die Gründe für den berechtigten Unmut fallen auch unter den Tisch. Deshalb soll es hier nur am Rand um die Randale gehen, sondern darum, dass Millionen gegen die Regierung und in den meisten Fällen, gegen ihre Regierung demonstriert und gestreikt haben. Die UGT übt inzwischen Selbstkritik, sich nicht am Streik der Basken beteiligt zu haben und baut eine Brücke für eine zukünftige Zusammenarbeit.

 

Denn trotz der Spaltung der Gewerkschaften hat Spanien gestern einen erfolgreichen Generalstreik erlebt. So konnten die regierungstreuen Gewerkschaften erklären: "Es ist ein Erfolg für die Demokratie und der Beteiligung". So kommentierte der Chef der spanischen Arbeiterunion (UGT) die ersten Zahlen über die Streikbeteiligung am Mittwoch. Mit roten Fahnen, Trillerpfeifen und Spruchbändern bewaffnet, zogen Hunderttausende durch die Städte, um ihre Wut über die Politik der sozialdemokratischen Regierung auf die Straße zu tragen. "So nicht!", erklärten sie und forderten die Rücknahme des Arbeitsmarktdekrets. Das Ziel war, mit einem Generalstreik Spanien lahm zu legen.

Das gelang nicht, dass muss gesagt werden und auch die Zahlen zur Beteiligung (70%) sind deutlich übertrieben. Trotz allem haben die Gewerkschaften mit dem ersten Generalstreik gegen den Sozialdemokraten José Luis Rodríguez Zapatero Stärke gezeigt. Sehr stark waren die Streiks im südspanischen Andalusien und in Katalonien. In beiden Regionen, wie in Madrid, sendete auch der öffentlich rechtliche Rundfunk nur ein Notprogramm. Der Bahn- und Flugverkehr fiel weitgehend aus. Zum Teil sind auch Busse und Bahnen blockiert worden und dabei kam es zum Teil zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, die in Getafe (Madrid) sogar scharf geschossen hat. Angeblich nur in Luft, weil Streikposten die Polizisten bedroht hätten. Eine unglaubliche Eskalation und angesichts der Bilder aus Barcelona kann es als Witz bezeichnet werden, wenn die Regierung betont, der Streik sei ohne größere Zwischenfälle verlaufen.

 

Dort kam es nach der Räumung des ehemaligen Sitzes der Banesto-Bank im Herzen von Barcelona zu Straßenschlachten, an denen sich Hunderte beteiligt haben. (Siehe Video danke an den Leser). Daraus entwickelte sich eine stundenland Straßenschlacht und in einem anderen Video zeigt sich, wie die Polizei in die Demonstration des Systemgegner vordringen wollten und abgewehrt wurden und wie daraufhin ein Polizeiauto abgebrannt wird. Die Sicherheitskräfte gingen auch hier mit unglaublicher Brutalität vor, weshalb es zu vielen Verletzten kam. Insgesamt ließen sich aber auch in Barcelona Hunderttausende nicht davon abschrecken und gingen gegen die Arbeitsmarktreform und die Einschnitte ins Sozialsystem auf die Straße. Ignacio Fernández Toxo, Generalsekretär der großen Arbeiterkommissionen (CCOO), geht davon aus, dass Zapatero einlenken wird.


Lange hatten sie sich die großen spanischen Gewerkschaften in den Sozialpaktgesprächen "verarschen" lassen, wie der Chef der Arbeiterunion (UGT) Cándido Méndez inzwischen einräumt. Auf das Einfrieren der Renten und die geplante Erhöhung des Renteneintrittsalters hatten sie nur mit Demonstrationen reagiert und sich dem Streik der Sektorengewerkschaft angeschlossen. Die fühlte sich aber von der UGT und CCOO instrumentalisiert, weshalb sie nicht zum Generalstreik aufrief, weshalb im öffentlichen Dienst die Beteiligung weit entfernt von der im Automobilsektor (fast 100%, wie auch die Regierung zugab) lag.

 

Nachdem aber die Regierung schließlich noch auch eine Arbeitsmarktreform per Dekret erlassen hat, ist auch ihnen der Kragen geplatzt. In zehn Regionen haben sie zudem damit gedroht, die verordneten Minimaldienste nicht einzuhalten, weil in Gesprächen keine Abkommen zustande kamen. Das gilt zum Beispiel für die Hauptstadt Madrid. Hier hat die ultrakonservative Regionalregierung der Volkspartei (PP), in deren Kompetenz der öffentliche Nahverkehr fällt, Minimaldienste von 50% zu den Stoßzeiten verfügt. Es sollten also genau doppelt so viele Busse und Metro, und Nahverkehrszüge fahren, wie sie zum Beispiel für Katalonien vereinbart worden war. Von "Missbrauch" sprechen deshalb die Gewerkschaften. José Ricardo Martínez, Chef der Arbeiterunion (UGT) in Madrid, erklärte: "Für die Konsequenzen sind wir nicht verantwortlich", die aus den Auseinandersetzung entstehen könnten, die daraus rühren.


Die Scheinwerfer waren besonders auf Madrid gerichtet. Die Metropole wollten die Gewerkschaften wie Barcelona weitgehend lahm legen. Mit den regionalen öffentlich rechtlichen Fernsehkanälen in Katalonien, Madrid und Andalusien ist das schon gelungen, die entweder ein Notprogramm oder gar nichts ausstrahlen. Stark eingeschränkt sendet auch nur TVE. In Industriegebieten um die katalanische Metropole Barcelona ging zum Teil nichts mehr und ähnlich sah es auch in Madrid aus. Doch gelang es trotz brutalen Einsätzen der Polizei, Busdepots und Großmärkte zu blockieren. Insgesamt haben die Gewerkschaften ihre wesentliches Ziel erreicht, denn sowohl die konservative Regionalregierung in Madrid, wie auch die Zentralregierung wollten so tun, als finde praktisch kein Streik statt. Dass es aber nicht zum vollständigen Verkehrschaos kam, wie beim Metrostreik gegen die Lohnkürzungen im Juni, lag daran, dass auch die Beschäftigten der Metro sich nicht so massiv wie damals am Streik beteiligen. Viele Beschäftigte dort sind enttäuscht, dass die großen Gewerkschaften den Streik der Metro-Beschäftigten nicht unterstützt hatten. 

Das war im Baskenland ähnlich. In weiten Teilen war der Generalstreik hier praktisch nicht existent, wo mit Streiks nicht selten das Land weitgehend lahm gelegt wird, wie zuletzt am 29. Juni. Die baskischen Gewerkschaften haben schon zwei starke Generalstreiks gegen die Politik der spanischen Regierung durchgeführt und halten es für verspätet, erst heute im Rahmen des Aktionstags des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB) zu reagieren. In den baskischen Innenstädten war aber, außer bei den Mittagsdemonstration, von einem Streik praktisch nichts zu spüren. Nicht einmal als die Demo vorbeizog, ließen Banken, Bars und Geschäfte die Rollläden runter, so zaghaft war der Protest.

So hofft auch Modesto Martínez, der den Marsch in der baskischen Stadt Donostia-San Sebastian angeführt hat, dass demnächst gemeinsam im Baskenland gestreikt wird. Zufrieden waren die spanischen hier mit der Beteiligung ganz und gar nicht. Nur in Industriegebieten blieben einige Firmen geschlossen. Allerdings liefen bei Volkswagen in Pamplona keine und bei Mercedes in Vitoria-Gasteiz nur wenige Autos vom Band. Allerdings warnt auch er, dass dies erst der Anfang eines heißen Herbstes ist, wenn Zapatero nicht nachgebe. "Wenn die Regierung das Dekret nicht zurücknimmt, werden wir den Kampf fortsetzen". Er hofft, dass dies dann geeinter geschieht, denn die großen baskischen Gewerkschaften haben sich gestern nicht beteiligt, weshalb der Streik im Baskenland extrem schwach war. Doch vom Verantwortlichen der UGT in der Provinz Gipuzkoa kommt nicht nur Kritik an ELA und LAB, sondern auch Selbstkritik am eigenen bisherigen Verhalten. "Es war ein Fehler, nicht zum Streik am 29. Juni aufzurufen", erklärte er. Da es sich dabei um eine historische Aussage handelt hänge ich das Video an. "In solch elementaren Punkten sollte eine Gewerkschaftseinheit bestehen", erklärte Modesto und macht damit deutlich, das es in der UGT-Führung einen Schwenk gegeben hat. Bisher bezeichnen sie vor alle LAB, aber unterschwellig auch ELA, als Unterstützer der ETA, der verbotenen Partei Batasuna oder beiden, weshalb eine Aktionseinheit unmöglich war. Ganz abgesehen, dass die UGT vor allem, die CCOO aber auch, mit der Politik des Sozialpakts die Rechte der Beschäftigten mit beschnitten hat. 

Auch für Gewerkschaftler, die beide Streiks mitgemacht haben, kommt allerdings dieser Generalstreik zu spät. Erklärten Vertreter von ESK, CGT, CNT. Zu lange haben CCOO und UGT in den Gesprächen mit den Unternehmern und der Regierung gesessen, die Zapatero nun wieder anbietet, und haben sich über den Tisch ziehen lassen. Während die Banken mit Milliarden gestützt werden, ist die Arbeitslosigkeit auf über 20 Prozent gestiegen, die Löhne im öffentlichen Dienst sind gekürzt, die Renten eingefroren und die Arbeitsmarktreform schon in Kraft.

 

Damit wurde der Kündigungsschutz praktisch beseitigt und das wirkte nun als Drohung gegen Streikwillige. Die Berichte häufen sich, dass Beschäftigten mit der Kündigung gedroht wurde, wenn sie streiken. Denn nun kann gekündigt werden, wenn der Betrieb einen "Rückgang des Gewinns" verzeichnet. Zudem wird der Rauswurf jetzt deutlich billiger. Gezahlt wird nun eine Abfindung von 20 Tagen pro gearbeitetes Jahr, bisher waren 45 Tage die Regel.

 

So richtete sich ist der erste Generalstreik gegen den Sozialdemokraten José Luis Rodríguez Zapatero, dem die beiden großen spanischen Gewerkschaften nahe stehen, gegen die gesamte Sparpolitik, auch wenn sie ihn an der Arbeitsmarktreform zur Umkehr bringen wollen, bevor wieder verhandelt wird. Nur vordergründig geht es bei dem Generalstreik jetzt um die Arbeitsmarktreform, die längst auch als Gesetz das Parlament passiert hat. Insgesamt wird gegen den Sparkurs der Regierung protestiert, die ständig weitere Sozialleistungen kürzt. Mit der von der Bundeskanzlerin Angela Merkel gelobten Arbeitsmarktreform (ähnliches wird wohl auch in Berlin geplant) ist der ohnehin schwache Kündigungsschutz praktisch beseitigt worden. Betriebe können sich künftig der Beschäftigten entledigen, wenn ein "Rückgang des Gewinns" verzeichnet wird. Dann soll sogar nur noch eine Abfindung von 20 Tagen pro gearbeitetes Jahr gezahlt werden. Bisher waren 45 Tage die Regel. Dazu kam mit den Sparplänen ein einseitiger Bruch gerade geschlossener Tarifverträge. Die Löhne der Staatsbediensteten wurden um durchschnittlich 5% gekürzt und sie sollen für weitere zwei Jahre eingefroren werden. Das soll auch für die schmalen Renten gelten, die im Durchschnitt bei 760 Euro liegen. Hier soll die Berechnungsgrundlage geändert werden. Statt des Durchschnittslohns der letzten 15 Arbeitsjahre sollen 25 Jahre vor Renteneintritt angewendet werden, was eine Rentenkürzung von 2% bedeuten wird, schätzen Experten. Dazu soll eine Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 kommen. Anders als bei den Konservativen in Großbritannien (<>) bleiben in Spanien die verschont, die besser verdienen oder riesige Vermögen in den Boomjahren angehäuft haben.

 

Insgesamt ist es der siebte Generalstreik seit dem Tod des Diktators 1975. Meist ging es dabei um Arbeitsmarktreformen. So hatten 2002 auch die postfaschistischen Vorgänger eine Reform dekretiert. Doch die PP musste nach einem Generalstreik ihre Reform fast vollständig zurücknehmen, den es den Generalstreik nach ihrer Lesart praktisch nicht gegeben haben soll. Die PP saß aber, im Gegenteil zur PSOE heute, bis 2004 aber mit absoluter Mehrheit fest im Sattel. Die PSOE-Minderheitsregierung ist aber wegen der schweren Wirtschaftskrise aber schwer angeschlagen. Zapatero sollte deshalb nicht vergessen, dass der Generalstreik 2002 zur Abwahl der Konservativen 2004 führte. Als die Gewerkschaften 1994 gegen die Arbeitsmarktreform des Sozialdemokraten Felipe González bliesen, wurde er ebenfalls zwei Jahre danach abgewählt.

 

Die Arbeiterkommissionen (CCOO) und UGT sind deshalb überzeugt, dass auch Zapatero einlenken wird, dessen Kurs sie als "politischen Suizid" bezeichnen Ein "Selbstmord" wäre es nach Einschätzung des früheren PSOE-Wirtschaftsministers Carlos Solchaga aber, wegen des Streiks einzulenken. Er glaubt, der Generalstreik ist irrelevant, ob er befolgt wird oder nicht, weil die Regierung ihre Politik nicht ändern wird. Zapatero hat sich erfolgreich in eine Zwickmühle manövriert, indem er auf Geheiß aus Brüssel quasie seine Gewerkschaften zum Streik gegen seine Regierung geprügelt hat. Lenkt er ein, wie sein konservativer Vorgänger nach dem Generalstreik gegen dessen Arbeitsmarktreform 2002, wird die Volkspartei (PP) auf die geschwächte Regierung einprügeln und der Ruf nach Neuwahlen genaus lauter werden, wie Refinanzierungskosten noch stärker in die Höhe schießen werden, wie man das schon an Irland sehen kann. Bleibt er stur, wird das Land an jedem Reformpunkt erschüttert werden. Demnächst dann wohl unter Beteiligung der kämpferischen baskischen Gewerkschaften und der Sektorengewerkschaften im öffentlichen Dienst und im Gesundheitsbereich. Dann wird wohl auch das Ziel erreicht, das Land lahm zu legen.


© Ralf Streck, Donostia den 30.09.2010

 

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danke für den artikel!

"san sebastian"

 

für leute die die stadt nicht auf der "landkarte" finden...

"Donostia-San Sebastian"