Doppelter Generalstreik im spanischen Staat

Gewerkschaftsdemo in Bilbo am 12.06.2010

Die Sparpläne, gespickt mit Arbeitsmarkt- und Rentenreform, bringt die sozialistische spanische Minderheitsregierung in Bedrängnis. Nachdem die baskischen Gewerkschaften am Samstag auf einer Demonstration zum Generalstreik am 29. Juni aufgerufen haben, schloss sich nun die größte spanische Gewerkschaft an, weshalb an diesem Tag im Baskenland alle Räder stillstehen dürften. Das ist eine Geste an die baskischen Gewerkschaften, die ohne Arbeiterkommissionen (CCOO) und Arbeiterunion (UGT) schon im Mai 2009 einen Generalstreik gegen die Politik aus Madrid durchgezogen hatten. Die CCOO kann wohl an der Basis im Baskenland den Kurs gegen die baskischen Gewerkschaften nicht mehr erklären, an der nun nur noch die UGT festhält, die nahe an den regierenden Sozialisten (PSOE) steht. Die CCOO wollen offenbar mit der Geste auch die Basken animieren, sich am Generalstreik im spanischen Staat zu beteiligen, der gestern von den spanischen Gewerkschaften für den 29. September festgelegt wurde.

 

Dem spanischen Regierungschef José Luis Rodríguez Zapatero stehen zum Ende der EU-Präsidentschaft die schwierigsten Tage bevor. Auf Druck aus Brüssel musste Zapatero inzwischen zwei Sparpakete beschließen, um das Haushaltsdefizit zu verringern, das 2009 auf 11,2 Prozent explodiert war. Spanien lag damit hinter Irland und Griechenland, allerdings ließe die geringe Staatsverschuldung von nur 55% des Bruttoinlandsprodukts eine andere Politik zu. Das Land liegt deutlich unter dem EU-Durchschnitt und diese Sparpläne darf man getrost angesichts der Rekordsarbeitslosigkeit von 20% als Rezept für ein Desaster ansehen. Denn bei der Quote wird es angesichts der Sparpläne wohl nicht bleiben und die steigende Arbeitslosigkeit wird noch größere Löcher in die Kassen reißen. Deshalb spricht sogar der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman nun schon davon, dass "Verrückte an der Macht" seien.

 

Doch Spanien lässt sich von den Stimmen treiben, wonach das Land vor einer Pleite steht und diese Stimmen wollen nicht verstummen. Dass sie vor allem in Deutschland stark sind, hat damit zu tun, dass deutsche und französische Banken zwei Drittel aller Kredite an spanische Banken vergeben haben. Bei den von der EU forcierten Spar- und Reformanstrengungen handelt es sich also um eine präventive Bankenrettung. Aus der EU werden die Reformen damit begründet, dass strukturellen Problemen begegnet werden müsse. Neben der Rentenreform wird dem Land deshalb nun auch eine Arbeitsmarktreform verordnet. Die hat zum definitiven zum Bruch mit seinen bisherigen Verbündeten gekommen - den großen spanischen Gewerkschaften - die Zapateros unsoziale Politik in den letzten fünf Jahren weitgehende mitgetragen haben, aber nun wegen Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst schon zu einem warnenden Streik gegen die Regierung aufgerufen hatten.

 

Angesichts der Tatsache, dass die "Sozialisten" (PSOE) nun heute per Dekret die Arbeitsmarktreform beschließen wollen, bevor am Donnerstag über die spanischen Reform- und Sparpläne auf dem EU-Gipfel beraten wird, ist auch CCOO und UGT der Kragen geplatzt. Sie hatten am 1. Mai die Sozialdemokraten deutlich davor gewarnt. Schließlich hatte Zapatero mit dem Spardekret sein Wort erneut gebrochen, die Veränderung im Sozialpakt im Konsens zu beschließen. Schließlich wurden mit dem Spardekret nicht nur Sozialleistungen gestrichen, sondern sogar gerade geschlossene Tarifverträge gebrochen. Schon damit hatte er sein Sozialpaktmodell beerdigt und den Gewerkschaften blieb nichts mehr anderes übrig, als zu Kampfmaßnahmen zu greifen. Am 1. Mai hatte ihm sogar "seine" UGT dem Ministerpräsidenten vorgeworfen, "Überzeugungskraft verloren zu haben und von den Finanzmärkten eingeschüchtert zu sein". Dabei hatten CCOO und UGT auch "weit reichende Arbeitskämpfe" angekündigt, würden Sozialleistungen gekürzt.

 

Letztlich gesteht die CCOO mit dem Aufruf, sich am 29. Juni am Generalstreik im Baskenland zu beteiligen ein (auch mit ihrem Aufruf zum Generalstreik für den 29. September), dass die Kritik der Basken richtig war. Die werfen CCOO und UGT seit Jahren vor, sich von der PSOE in den Sozialpaktgesprächen an der Nase herumführen zu lassen. Die baskischen Gewerkschaften ELA, LAB, ESK, STEE-EILAS, EHNE und Hiru, die die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten im Baskenland vertreten, haben angesichts der Politik aus Madrid stets auf die soziale Konfrontation gesetzt, weil sonst die einfache Bevölkerung für die Krise zur Kasse gebeten werden. Das hatte sich ohnehin, trotz anderslautender Versicherungen der PSOE-Regierung schon frühzeitig angekündigt.

 

Gegen den Willen der Basken, hatten CCOO und UGT in den Sozialpaktgesprächen in den letzten Jahren schon Einschnitten bei den Renten und im Kündigungsschutz zugestimmt, ohne dafür die erwarteten Gegenleistungen zu bekommen, wie eine Beschränkung der ausufernden befristeten Beschäftigung. Dieses System war die Grundlage dafür, dass die Arbeitslosigkeit schnell auf über 20% steigen konnte. Inzwischen können die spanischen Gewerkschaften aber ihrer Basis nicht mehr vermitteln, warum die Kosten für die Krise und die Bankenrettung allein auf die einfache Bevölkerung abgewälzt werden. Im zweiten Sparplan, der die Ausgaben 2010 und 2011 um weitere 15 Milliarden kürzt, werden die Gehälter im öffentlichen Dienst durchschnittlich um fünf Prozent verringern. Danach werden sie eingefroren und das gilt auch für Renten. Doch für die Bankenrettung wurden etwa 100 Milliarden veranschlagt.

Dazu kommen die Mehrwertsteuererhöhung um 2 auf 18 Prozent, die Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre und anderes aus dem ersten Paket, mit dem ebenfalls schon Geringverdiener besonders belastet wurden. Und weder die Renten- noch die Arbeitsmarktreform trägt etwas dazu bei, das dritthöchste Haushaltsdefizit in der EU bis 2013 zu verringern. Dazu denkt die Regierung über eine "Amnestie für Steuersünder" nach, wenn die ihr nicht versteuertes Vermögen angeben und spanische Staatsanleihen kaufen. Als "Strafe" sollen sie nur einen niedrigeren Zinssatz bezahlen. Damit will Madrid die hohen Finanzierungskosten für steigende Staatsschulden senken. Das bisher versteckte Geld solle danach versteuert werden.

Doch daraus können kaum Steuereinnahmen geschöpft werden. Schließlich hatten die Sozialdemokraten doch erst 2008 mit Beginn der Krise die Vermögenssteuer abgeschafft und die soll auch im zweiten Sparpaket nicht reaktiviert werden. Es wird zudem weder eine Reichen- oder Börsentransaktionssteuer eingeführt - wie es Portugal vorgemacht hat und sogar Frankreich anstrebt - noch die sehr niedrige Steuerpauschale auf Kapital- oder Börsengewinne erhöht. Statt einer Strafe wäre es sogar ein Geschäft, das Geld in spanischen Staatsanleihen anzulegen. 

Denn Kapital- und Börsengewinne werden in Spanien nicht zum Einkommen oder zum Firmengewinn hinzugerechnet, womit die Steuerprogression ausgehebelt wird. Auf sie werden nur pauschal 18% Steuern gezahlt. Das gilt auch für Finanzgesellschaften (Sicav) in denen Finanzkapital geparkt wird. "Sicavs" werden nicht einmal wie Firmen besteuert, die 30 % zahlen müssen. Sie dienten oft nur dazu, den Reichtum einzelner Familien vor dem Fiskus zu schützen, meint Francisco de la Torre Díaz, Sprecher der Abteilung für Steuerhinterziehung der Finanzbehörden. Doch die Regierung befürchtet "Kapitalflucht", weshalb sie diese Gesellschaften nicht angehen will, sondern lieber darüber nachdenkt Steuersünder zu belohnen und bei Geringverdienern und am sozialen Netz die Schere ansetzt.

 

Weil die Sparmaßnahmen so krass unausgewogen sind, hat die Regierung nun sogar ein großes Problem mit ihren die Gewerkschaften. Dass diese zum Generalstreik am 29. September antreten, zeigt, dass sie einigermaßen ernst meinen und sich Zeit zur Mobilisierung nehmen, um die aufgebaute Kraft nicht mit den Sommerferien zusammenbrechen lassen wollen. Tatsächlich bleibt ihnen angesichts dieser Arbeitsmarktreform kaum eine andere Möglichkeit, denn die ist noch weitergehender als die, welche die Postfaschisten der Volkspartei (PP)  2002 ebenfalls dekretiert haben. Auch damals kam es zum Generalstreik, mit dem sie weitgehend gekippt wurde.

 

Die jetzige Reform geht weit auf die Arbeitgeber zu. Der Kündigungsschutz wird weiter aufgeweicht, der in Spanien nur aus einer Abfindung besteht, um deren Höhe vor allem gestritten wird. Noch vor einem Jahr hatte Zapatero die Forderungen folgendermaßen abgelehnt. "Die Vorschläge der Unternehmer sind unannehmbar für eine verantwortliche Regierung". Sie bedeuteten einen direkten Angriff auf den Sozialstaat und auf die Arbeitsbeziehungen, war er noch vor einem Jahr überzeugt.

 

Bisher wird pro gearbeitetes Jahr als Abfindung meist der Lohn von 45 Tagen bezahlt. Das ist zwar mehr als in Deutschland, doch sie hat auch eine andere Funktion. Mit dem Geld müssen sich viele Menschen nach Ablauf des Arbeitslosengeldbezugs über Wasser halten, weil es keine Sozialhilfe gibt. Bei einer "zulässigen" Kündigung sollen demnächst aber nur noch 20 Tage bezahlt werden, kann ein Betrieb nachweisen, dass er seit sechs Monaten rote Zahlen schreibt. Beim "unzulässigen" Rauswurf, wird der Betroffene auch in Zukunft nicht wieder eingestellt und bei Neuverträgen sollen die Geschassten zukünftig nur noch mit 33 Tagen abgefunden werden. Ein Teil des Geldes soll sogar aus der Staatskasse kommen, um unbefristete Vertragsverhältnisse zu fördern. Doch nun fragen sich auch die spanischen Gewerkschaften, was ein solcher Festvertrag bringt, wenn die Beschäftigten jederzeit, billig und staatlich subventioniert gekündigt werden können. Auflagen, um die unzähligen Zeitverträge zu begrenzen, gibt es nur wenige.

 

Zapatero kann die Reform zwar dekretieren. Doch der folgende Generalstreik könnte die ohnehin schwache Regierung stürzen. Dazu kommt, dass das Verfassungsgericht schon einen Riegel vorgeschoben hatte, um derlei tiefe Eingriffe im Schnellverfahren zu beschließen. Deshalb greift Zapatero nun zum Trick. Die Reform wird zunächst als Dekret abgesegnet, aber dann als normales Gesetz noch einmal im Parlament behandelt und damit werden Veränderungen möglich. Das hat auch damit zu tun, dass bisher keine Partei diese Reform mittragen will. Doch sogar das Dekret kann noch im Parlament scheitern. Die Linksparteien lehnen sie ab und den konservativen katalanischen Nationalisten (CiU) geht die Reform ohnehin nicht weit genug. Dabei braucht Zapatero, wie beim Sparpaket, eine teilweise Unterstützung durch die CiU. Deren Parlamentarier müssten sich wenigstens enthalten. Sollten sie am 22. Juni mit der konservativen Volkspartei (PP) gegen die Reform stimmen, wäre es das Ende von Zapatero, auf das die PP seit fünf Jahren hinarbeitet.

 
Zapatero könnte aber auf die Stimmen der Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) setzen, um sich über die Reform zu retten und um damit an der Macht zu bleiben. Doch die PNV ist nur bereit, Zapatero zu stützen, wenn er im Gegenzug dafür die absurde Regierungskoalition mit der PP im Baskenland platzen lässt. Die PNV war stärkste Partei und die Sitzmehrheit (von einer Stimmenmehrheit im Baskenland sind die spanischen Nationalisten weiterhin weit entfernt), erlangten PSOE und PP nur über die Verbote aller Parteien der linken Unabhängigkeitsbewegung und die Besonderheiten bei der Sitzverteilung aus den drei Provinzen. Zapatero müsste die PNV zurück an die Fleischtöpfe im Baskenland lassen. Das ist zwar unwahrscheinlich, aber angesichts der baskischen Friedensbemühungen auch nicht undenkbar, denn ein Friedensprozess mit der PP ist unmöglich und die trommelt außerhalb des Baskelandes ohnehin zum Sturz der PSOE. Eine unbefristete und von internationalen Beobachtern überprüfte Waffenruhe der ETA, wie sie kürzlich von Friedensnobelpreisträgern gefordert wurde, steht wohl unmittelbar bevor und sie wird Zapatero auch an dieser Stelle unter Druck bringen.

 

Ralf Streck, den 16.06.2010