Boaventura de Sousa Santos: “Der Imperialismus ist zurück und zeigt es in Honduras”

Boaventura de Sousa Santos

Ende August 2010 war Dr. Boaventura de Sousa Santos zu Besuch in Costa Rica. Der Soziologe sprach über die Herausforderungen für die verschiedenen sozialen Bewegungen und über die Schwierigkeiten im Kampf gegen den Kapitalismus, den Kolonialismus unter anderen Themen. Die Zeitung  "Semanario Universidad" der Universidad de Costa Rica führte  ein Interview mit Sousa Santos und das Komunikationszentrum Voces Nuestas zeichnete einen Teil der Rede auf, die Sousa Santos in der Universität hielt.

 

An dieser Stelle werden die von Voces Nuestras dokumentierten Ausschnitte dokumentiert. Die Übersetzungen ist ein bisschen kürzer als das spanisches Original.

 

Voces Nuestras:  Der Soziologe Dr. Boaventura de Sousa Santos steht für die Idee ein, dass starke soziale und zivile Bewegungen essenziell wichtig sind für die demokratische Kontrolle der Gesellschaft und für die Einführung von Elementen der partizipativen Demokratie. Außerdem ist er Mitbegründer der 1996 gegründeten Asociación Cívica Pro Urbe (Coimbra).

Seine näher zurückliegenden Aktivitäten sind stark verbunden mit dem Weltsozialforum und der Koordination einer gemeinschaftlichen Forschungsreihe unter dem Titel "Reinventar la emancipacion social"  (Die soziale Emanzipation neu erfinden).

 

Boaventura de Sousa Santo:  Heutzutage bekommen wir auf unsere starken Fragen nur schwache Antworten. Nach der Kriese zum Beispiel heist es  wir müssen die Menschrechte und die Demokratie stärken. Wir haben heute keine stärkeren Antworten.

 

Es ist eine schwache Antwort weil die Menschrechte eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einer weltweiten sozialen Gerechtigkeit sind. Die Menschrechte wurden dazu benutzt um eine soziale Ungerechtigkeit aufzuzwingen. Die Menschenrechte wurden benutzt um den Genozid an Indigenen auf diesem Kontinent zu produzieren. Kann dieses Instrument das auf diese Weise missbraucht wurde eine Antwort sein?

 

Das selbe passierte mit Demokratie. Wir müssen gut definieren was wir unter Demokratie verstehen. Die Demokratie wurde vom Neoliberlismus wohlwollend angenomemn. Wir wissen zum Beispiel, dass die Demokratie eine Bedingung ist um Kredite der Weltbank zu bekommen - es ist die schwächste Form des legitimen Staates den die Weltbank noch heute vorschlägt.

 

Wie kann also eine Demokratie, die von der Weltbank prpagiert wird die abgrungtiefen Ungerechtigkeiten auf dieser Welt bekämpfen? Diese Diskrepanz zwischen sehr starken Fragen und sehr schwachen Antworten ist etwas was uns vereint, beunruhigt und zu einem rebellischeren Denken zwingt. Ein Denken, das ein bissen kompetenter ist als die vergangenen Rebellionen.

 

Ich glaube das wir in der Soziologie, in den Geisteswissenschaften und in den Universitäten sehr lange sehr konformistisch und oft genug zu inkompetent waren. Ich glaube es ist an der Zeit kompetente Rebellen zu formen. Um kompetente Rebellen zu formen ist es notwendig bei uns und den Theorien die wir lehren anzufangen.

 

Diese beiden großen Fragen (Demokratie und Menschenrechte) öffnen uns den Weg um die Schwierigkeiten zu sehen, die wir haben unsere Beunruhigung zu lösen. Die Schwierigkeiten sind so groß weil die Schwierigkeiten, Schwierigkeiten der politischen Vorstellung und der epistimologischen Vorstellung sind.

 

 

Voces Nuestras:  In dem Seminar sprach Dr. Boaventura de Sousa Santo über die Gründe warum es so schwirig ist gegen den Kapitalismus und den Kolonialismus die die Welt arm gemacht haben zu kämpfen.

 

Boaventura de Sousa Santo:  Die Machtbeziehungen in den Wissensstrukturen zerstörten oder veramten die Welt. Die Welt wurde auf eine drastische Weise durch den Kolonialismus und den Kapitalismus verarmt.

 

Der Kampf gegen den Kolonialismus und den Kapitalismus ist so schwierig weil uns die Substantive fehlen. Das ist die Entwicklung der kritischen Theorie des 21. Jahrhunderts. Es gab eine Zeit in der die kritische Theorie eigene Substantive hatte. Kommunismus, Sozialismus, Entfremdung, Klassenkampf, etc. Die Älteren unter uns erinnern sich vieleicht noch. Wenn wir früher ein Buch aus der Soziologie oder der Philosophie lasen wussten wir schon nach der ersten Seite was die Ansichten des Autors oder der Autorin sind. Durch die Substantive die benutzt wurden.

 

Was ist in den letzten 30 Jahren passiert? Die kritische Theorie verlor die Substantive. Heute hat sie Adjektive. Die konventionelle Theorie der Bourgeoisie spricht von Entwicklung - wir sprechen von alternativer, nachhaltiger oder demokratischer Entwicklung also mit Adjektiven. Die konventionelle Theorie der Bourgeoisie spricht von Demokratie und wir sprechen von partizipativer Demokratie oder radikaler Demokratie. Die konventionelle Theorie der Bourgeoisie spricht von Menschenrechten und wir sprechen von kollektiven, radikalen oder interkulturellen Menschenrechten. Wir sprechen in Adjektiven nicht in Substantiven.

 

Das ist für sich gesehen nichts schlechtes. Ich glaube nicht, das Substantive eine unveräußerlich Eigenschaft des konventionellen Denkens ist - im Gegenteil. Die großen Veränderungen auf diesem Kontinent war die Aneignung der dominanten Konzepte durch die einfachen Leute (orig: clases populares). Ein Beispiel hierfür ist das Konzept der Demokratie. Es ist an dieser Stelle wichtig die Möglichkeiten und Einschränkungen dieser Aneignung zu kennen.

 

Es ist aber unbestreitbar, das die Substantive den Horizont der Debatte markieren. Sie definieren was auszusprechen ist, was glaubhaft ist, was legitim ist. Die Substantve bestimmen deshalb auch was illegitim, unglaubwürdig und unaussprechlich ist. Wir sind in einer politischen Entwicklung in der die Adjtektive die Feinheiten unserer Zukunft bestimmen.

 

Voces Nuestras:  Doktor Sousa Santo schlägt drei Herausforderungen vor mit denen sich die unterschiedlichsten sozialen Bewegungen in ihren Kämpfen beschäftigen sollten. In drei Wörtern ausgedrückt: Dekolonialisierung, Demokratisierung und Demerkantilisierung.

 

Boaventura de Sousa Santo: Es ist genau so schwierig sich das Ende des Kapitalismus vorzustellen wie sich vorzustellen das er kein Ende hat. Heute ist für viele nicht die Frage im Mittelpunkt ob der Kapitalismus überleben wird sondern ob wir den Kapitalismus überleben werden! Das Model des Kapitalismus ist nämlich nicht nur ungerecht sondern auch zerstörerisch. Ausgehend von dieser Frage entsteht eine zivilisatorische Debatte in die alle Umweltgruppen, indigene Gruppen, Menschenrechtsgruppen, Feministinnen mit einbezogen werden können.

 

Ich behaupte, dass wir in diesem Kontext drei große Herausforderungen haben.

 

Drei einfach Worte: Dekolonisierung, Demokratisierung  und Demerkantilisierung!

 

Dekolonisierung: Die westliche Moderne ist nicht nur kapitalistisch sondern auch kolonialistisch. Es gibt in unseren Gesellschaft sehr starke kolonialistische Tendenzen aber auch starke anti-kolonialistische Bewegungen. An erster Stelle die Indigenen und Mulatten.

 

Es gibt zwei große Blöcke im heutigen Kolonialismus auf diesem Kontient sowie auch weltweit.

 

Das eine ist die Frage nach dem Zugang zu Land. Die Landkonzentration hier in Lateinamerika sowie auch in Afrika ist direkte Konsequenz des Kolonialismus. In Südafrika, Zimbabwe als auch in Namibia gehören große Teile des Landes einer weißen Minderheit.

 

Der andere große Block ist der Rassismus. der Rassismus wurde auf diesem Kontient auf keine Weise eliminiert. Im Gegenteil - heute gibt es eine diverse und unterschwellige Form des Rassisums überall auf dem Kontinent. Dieser unterschwellige, latente Rassimus wird oft nicht annerkannt.

Ich kenne mich mit der Situation in Costa Rica nicht gut aus aber schaut euch doch einfach mal hier im Auditorium um. Achtet auf die Hautfarbe der Anwesenden. Mir kann niemand erzählen, dass es in Kolumbien, Brasilien, Bolivien oder Peru keinen Rassismus gäbe.

 

Wir müssen also gut darauf achten was die indigenen Gruppen und Mulatten für Kämpfe führen. Auch die Bewegung der Landlosen ist sehr wichtig in diesem Kampf.

 

Demokratisierung:

Demokratisierung bedeutet an dieser Stellte die Demokratie zu demokratisieren. Die heutige Demokratie ist eine Insel in einem Archipel von Despotismus. Despotismus in den Fabriken, bei der Landfrage, in den Straßen oder in den Familien. Wir müssen eine radikaler Form finden. Außerdem müssen wir unser Konzept des politischen erweitern. An dieser Stelle hat die feministische Bewegung eine großartige Arbeit geleistet indem sie das private, das familiäre politisert hat. Auch das private Leben ist politisch und kann deshalb demokratisiert werden.

 

Wir wissen jedoch nicht wie die Oligarchie auf diese ausgeweiteten Konzepte der Demokratie reagiert.  Die Demokratie gleitet ihnen aus den Händen. Die Ergebnisse der Demokratie fängt an ihre Interessen zu bedrohen. Bis zu welchem Punkt ist noch nicht absehbar aber die neuen Verfassungen von Ecuador und Bolivien definieren große Fortschritte in diesem Sinne. Die Demokratie zu demokratisieren ist eines der festgeschrieben Ziele unsere sozialen Bewegungen in Lateinamerika und das ist neu.

 

Vor noch nicht allzu langer Zeit sagten immer alle: "Demokratie ist liberales Gedankengut - wir sollten uns nicht darauf einlassen." Ich erinnere mich an Diskussionen mit dem MST vor 20 Jahren als die Ideen viel mehr in Richtung Revolution gingen und nichts mit der Demokratie zu tun haben wollten. Jetzt ist die Erkenntnise geboren, das die Demokratie ein hegemoniellen Instrument ist, dass gegen die Hegemonie verwendet werden kann. In den 90er Jahren war es meiner Ansicht nach eine der größten Erfolge seitens der kritischen Theorie, zu zeigen, dass die paritzipative Demokratie und die repräsentative Demokratier komplementär sind. Die repräsentative Demokratie ist nicht schlecht weil sie falsch ist sondern weil sie zu wenig demokratisch ist.

 

Die repräsentative Demokratie beruht auf zwei Fundamten: Der Autorisierung, also den Wahlen und die Rechenschaftspflicht nach der Amtszeit. Das zweite Fundament existiert praktisch nicht in unserer Demokratie. Die selben korrupten Typen  werden wiedergewählt weil sie die Massenmedien manipulieren.

In Brasilien haben wir es in den 90ern geschafft die Komplementarität von partizipativer und repräsentativer Demokratie zu artikulieren. Die Verfassung von Bolivien geht hierbei noch einen Schritt weiter. Dort gibt es drei verschiedene Arten von Demokratie: Repräsentative Demokratie, partizipative Demokratie und komunale Demokratie - die Demokratie der Indigenen. Diese funktioniert durch Abstimmung im Konsens und dem gehorchend befehleh (original: "mandar obedeciendo"). Wir wussten in der Theorie das diese Elemente fehlten aber haben nie den Schritt gemacht sie zu definieren. Die Indigenen in Bolivien haben den Schritt getan und deshalb gilt für uns die "teoria de la retaguardia". (Kann ich nicht übersetzen - Hilfe Willkommen!)

 

 

Demerkantilisierung:

Demerkantilisierung der Universität - eine öffentliche Universität erhalten. Die Demerkantilisierung der Universität ist einer von vielen Kämpfen den wir in diesem Block führen müssen und der in vielen Ländern Lateinamerikas heute gekämpft wird. Die Idee von öffentlichen Gütern. In Uruguay, Bolivien und Ecuador ist der öffentliche Charakter des Wassers in der Verfassung festgeschrieben. Öffentliche Güter die explizit außerhalb des Marktes stehen.

 

Das neoliberale Modell ist nich einfach nur die Ökonomie des Marktes, es ist die Verschmutzung des Marktes. Es ist die Idee das alles verkauft und alles gekauft werden kann. Alles was gegen diesen Grundtenor des Neoliberlismus kämpft hilft bei dessen Umsturz. Der Neoliberlismus hat sich immer auf zwei Märkte gestützt. Einen Markt von Werten, die keinen Preis haben wie die Politik oder die Religion und einen Markt von Werten die einen Preis haben - die Waren. Was wir heute erleben ist, dass die Grenzen verschwimmen. Alles wird gekauft - von der politischen Überzeugung bis zu den Stimmen bei der Wahl. Deswegen gibt es eine Notwendigkeit für eine Demerkantilisierung zu kämpfen.

 

Es gibt heute eine Vielzahl von alternativer und soliarische Ökonomie aber diese wurden lange Zeit nicht wahrgenommen weil das Ziel immer ein der große Staatsbetrieb war. Heute gibt es neue Formen von Besitz und Eigentum. In den Verfassungen von Bolivien und Ecuador gibt es vier -  ja sogar fünf Formen von Besitz. Privat, staatlich, öffentlich, komunal, kooperativ und assoziativ. Dabei geht es um eine Diversifizierung und Ausweitung des Konzepts von Besitz. Diese Kämpfe werden auch in Afrika und Indien ausgetragen.

 

Diese drei Wörter: Dekolonisierung, Demokratisierung  und Demerkantilisierung, fassen meine "Botschaft" an euch zusammen.

 

Dekolonisierung, Demokratisierung  und Demerkantilisierung sind starke Ideen, vieleicht starke Fragen und die Antworten sind noch schwach. Vieleicht gibt es in nächster Zeit auch keine stärkeren Antworten aber wir müssen mit diesen Schwächen leben und uns deren bewust sein. Eine Schwäche die uns keine Angst macht sondern uns Mut bereitet.

 

Vielen Dank!