Mein Gedächtnisprotokoll vom 04.04.2009 in Straßburg. Schilderung der
Ereignisse im Straßburger Hafenviertel aus meiner Sicht mit
persönlichen Kommentaren und Meinungen.
Am Morgen des 04.04.2009 war früh aufstehen angesagt. Unser Bus
startete um 7:30 Uhr in Saarbrücken. Bei der Anreise nach Saarbrücken
hörten wir im Radio schon dass es in den frühen Morgenstunden
Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten/innen
gegeben hat. Ein leichtes Gefühl der Unsicherheit und Angst breitete
sich schon jetzt unter uns aus.
Mit einer halben Stunde
Verspätung startete der Bus. Geplant waren zwei Busse, einer erschien
jedoch aus organisatorischen Gründen nicht. Der räumlichen Nähe zu
Frankreich wegen fuhr der Bus direkt vom Saarland aus über die
deutsch-französische Grenze. Wenige hundert Meter vor der Grenze und
nach wenigen Minuten Fahrt wurde unser Bus auch schon von einem
schwarzen Mercedes aus dem Verkehr für eine Kontrolle gezogen. Kurz
darauf trafen auch mehrere Polizeibusse mit weiteren Einheiten am Ort
ein. Bei sämtlichen Personen wurden die Ausweise kontrolliert und das
Gepäck in der Gepäcklade des Busses wurde überprüft. Anscheinend hatte
die Polizei etwas an einer Fahnenstange aus Metall auszusetzen die an
der oberen Seite spitz auslief. Diese frühzeitige Repressalie führte zu
einer leichten verbalen Auseinandersetzung. Auch das Fotografieren
wurde uns - äußerst unfreundlich und unter Androhung von Konsequenzen -
untersagt. Zu dem wurden wir das Gefühl nicht los dass uns die Polizei
schon vom Startplatz aus verfolgt und beobachtet hatte.
Die
weitere Fahrt nach Straßburg durch Frankreich verlief ohne einen
Zwischenfall. In Straßburg sollte der Bus eigentlich, wie alle anderen
Busse auch, uns an der Rue de Havre absetzen und auch wieder abholen.
Weil Demonstranten/Innen und Polizisten/Innen die Zufahrtsstraßen dort
hin blockierten und wir keinen Weg hinfanden, suchten wir kurzerhand
einen geeigneten Platz in der Nähe des Hafenviertels um die Fahrgäste
abzuladen und später auch wieder einzuladen. Als wir um ca. 12:00 Uhr
aus dem Bus ausstiegen lag gleich der Duft von Tränengas in der Luft,
welcher wohl über der gesamten Stadt lag und von überall aus der Stadt
und dem Hafenviertel hörte man die explodierenden Schockgranaten der
Polizei. Mehrere, wahrscheinlich bis zu zehn Helicopter kreisten über
das Gebiet. Es kam mir vor als würde ich mich in einem Kriegsfilm
befinden, die optische und akustische Kulisse war jedenfalls
authentisch. Nach ca. einer viertel Stunde Fußmarsch trafen wir auf
einen Mob aus mehreren tausend Personen der aus Richtung Straßburg von
einer Brücke zur Europabrücke unterwegs war. Meine Freunde und ich
trennten uns von der Gruppe aus dem Bus die unterwegs zur Kundgebung
war und wir schlossen uns der Bewegung in Richtung Europabrücke an.
Auf
dem Weg zur Europabrücke sahen wir auch die ersten Akte der Gewalt,
welche an einer Tankstelle, mehreren Werbeschildern, Telefonzellen und
etlichen weiteren Gegenständen welche einem auf der Straße begegnen,
ausgeübt wurden. Zu diesem Zeitpunkt stand ich dem Schauspiel noch
skeptisch gegenüber und hielt die Randale für fragwürdig. Auf dem Weg
zur Brücke kamen wir auch an einem Platz vorbei auf dem eine große
Bühne aufgebaut war und an dem auch die Kundgebung stattfinden sollte.
Der Platz war schätzungsweise so groß wie vier oder fünf Fußballfelder.
Da der Platz noch ziemlich leer und unbelebt aussah folgten wir dem Mob
in Richtung Europabrücke.
Schon vom weiten hörten wir das
Klirren von Fensterscheiben und das Knallen von aufschlagenden Steinen.
Wir befanden uns in der Nähe der alten Grenzstation und kamen auf die
Blockade auf der Brücke zu. Zu diesem Zeitpunkt quollen schon leichte
Rauchwolken aus dem Inneren der Zollstation hervor. Wir hielten uns die
meiste Zeit neben der Brücke am Rheinufer auf und beobachteten das
Schauspiel. Nach einiger Zeit fiel uns die riesige Rauchwolke direkt in
unserer Nähe auf und wir bemerkten dass sich das Feuer im Grenzgebäude
voll entfacht hatte. Die Atmosphäre war die ganze Zeit über entspannt
und ich nutzte die Situation um ein paar Fotos der Szenerie mit meinem
Handy zu machen. Hinter der Blockade der Brücke auf der deutschen Seite
war eine Blockade von Polizisten, Wasserwerfern und einigem anderen
Polizeimaterial. Vereinzelte Demonstranten/Innen versammelten sich
verteilt auf der Brücke zwischen den beiden Blockaden. Im Fluss um die
Brücke waren etliche Boote die die Szenerie vom Wasser aus
begutachteten. Ich konnte aus der Ferne starke Truppenbewegungen der
Polizei auf den anderen Brücken und auf der anderen Uferseite
wahrnehmen. Vereinzelt sah ich einige Fahnen von Demonstranten/Innen,
dass sich hinter der Polizeiblockade noch mehrere tausend
Aktivisten/Innen befanden hat wohl niemand der dort Anwesenden bemerkt.
Beim Blick in die Richtung aus der wir kamen fiel mir auf das weiter
hinten weitere Rauchschwaden in den Himmel empor stiegen, ich dachte zu
erst das die "Idioten" die Tankstelle noch angezündet hatten, was aber
glücklicherweise nicht der Fall war. Die Blockade auf unserer Seite
löste sich mit der Zeit auf und auch wir beschlossen wieder in Richtung
Kundgebungsplatz zu laufen. Dass das Grenzgebäude niederbrannte hatte
einen starken symbolischen Charakter, und da es sowieso seit Jahren
ungenutzt war, fand ich, war es eine gelungene Aktion der Autonomen ein
Zeichen zu setzen. Ein Zeichen das die Prominenz wohl auch noch von
ihren gut gesicherten Tagungsorten aus sehen konnten, die Besprechungen
sollten einen bitteren Beigeschmack für die Staatschefs haben.
Auf
dem Weg zum Kundgebungsplatz (die Kundgebungen hatten wir wohl
anscheinend verpasst) veränderte sich die Atmosphäre plötzlich. Wir
bemerkten dass nicht die Tankstelle brannte sondern ein Gebäude in dem
Wohnviertel. Wir dachten zuerst es handelte sich um eine Kirche, dann
ein Wohnhaus, erst am Abend erfuhren wir dass es sich bei dem
brennenden Gebäude um ein Hotel handelte. Mehrere Hundertschaften der
französischen Polizei befanden sich auf einer Wiese vor dem brennenden
Hotel. Erste Fragen gingen herum warum keine Feuerwehr von irgendeiner
der beiden Städte eintraf um das Feuer zu löschen. Auch wusste
anscheinend niemand warum das Gebäude brannte, oder was für ein Gebäude
es war. Es lag deutlich Aggressivität in der Luft. Vereinzelt wurden
die Menschen die unterwegs zur Kundgebung waren und sich zu Hunderten
vor dem Schauspiel versammelten mit Tränengas bearbeitet und
zurückgewiesen. Einen größeren Zwischenfall gab es jedoch nicht - noch
nicht.
Einige Augenblicke später hörte man Demonstranten/Innen
rufen dass der Demonstrationszug startete und die Menschenmassen
begaben sich nun zum Treffpunkt. Wir liefen zu Tausenden auf den Platz
der Kundgebung, dieser war fast komplett mit Menschen gefüllt, darunter
Kinder und ältere Frauen und Männer. Die Masse, und wir mit, bewegte
sich auf einen kleinen Tunnel zu der unter den Eisenbahnschienen
durchführte. Es waren nirgends Polizeieinheiten zu sehen. Als wir uns
mitten auf dem Platz befanden, umgeben von Menschenmassen, flogen
plötzlich über die Bäume, welche rechts vom Platz in Richtung
brennendes Hotel standen, mehrere Cluster-Tränegas-Kartuschen und
landeten mitten in der Menschenmenge. Es stand schon kurz vor der
Eskalation, eine *leichte* Panik brach aus und die Massen rannten durch
die Tränengaswolken in Richtung des kleinen Tunnels. Um mehr Platz für
die in Panik geratenen Menschen zu schaffen wurde mehrere Zäune und
Absperrungen die den Weg versperrten niedergerissen. Auf der anderen
Seite der Bahngleise standen mehrere Polizeibusse, um die die ganzen
Demonstranten/Innen herum flüchteten. Wütende Demonstranten/Innen
fingen an die Busse mit Steinen zu bearbeiten. Unzählige Steine flogen
in Richtung der Polizeiwagen. Die Menschen waren so voller Aggression
dass sie in ihrem Hass und Wahn auf die Polizei völlig vergaßen dass
sich um die Polizeiwagen noch Demonstranten/Innen befanden. Einige
Querschläger und Vorbeiwürfe trafen wohl auch Menschen und verletzten
diese leicht. Besonnene Autonome versuchten verzweifelt die
Steinewerfer davon abzuhalten die Busse zu bewerfen während sich noch
Menschen darum befanden. Die Szenerie war für mich eine Katastrophe,
verursacht durch die Polizei. Hätte diese die Menschen nicht mit
Tränengas attakiert wären die Polizeibusse mit Sicherheit wohl nicht
"gesteinigt" worden. Da die Polizei, laut ihren Aussagen und denen der
Medien, eigentlich immer gut informiert sein soll und die Umgebung auch
aus der Luft beobachten konnte und auf jeden Fall gewusst hat was
passiert wenn sie die Menschen mit Gas bombadieren würde (was sich bei
einem umfassenden Informationsstand, über den die Polizei definitiv
verfügte, jedes Kleinkind denken konnte), muss ich der Polizei hier
ganz klar und deutlich eine Provokation vorwerfen. Dieses Vorgehen war
absolut UNVERANTWORTLICH und hätte wirklich sehr leicht zu schwer
Verletzten oder Toten führen können. Glücklicherweise ist nichts
Gravierendes geschehen und wir konnten uns dem Demonstrationszug
anschließen.
Der weitere Verlauf der Demonstration verlief
ohne Zwischenfall. Die Menschen tanzten zu der Musik aus den Wagen,
riefen Parolen und zeigten Transparente. Jedoch auch hier war die
Atmosphöre gedrückt. Des Öfteren hörte man Klagen darüber dass man die
Demonstration nur im Hafenviertel zu ließ, dort wo so und so niemand
etwas davon mitbekommen würde. Nach zwei mal rechts abbiegen mit dem
Zug befanden wir uns in der Straße in der es gerade aus zum brennenden
Hotel ging, anscheinend verlief die Route des Zugs genau an diesem
Gebäude vorbei. Auf der Brücke zu dieser Straße befanden sich
Wasserwerfer der Polizei, hunderte Polizeieinheiten und weiteres Gerät.
Einige Demonstranten versuchten vergebens über die Brücke zu kommen um
in die Innenstadt zu gelangen. Plötzlich platzten wieder
Tränengas-Kartuschen. Der Zug hielt die Fassung, da der Angriff nicht
wirklich schlimm war. Von einem mitfahrenden Bus, auf dem übrigens eine
richtig coole Band spielte, wurden kleine Ampullen mit Augentropfen
gegen das Tränengas verteilt.
Vor der Straße in der das
brennende Hotel stand, war wieder eine Unterführung unter den
Eisenbahngleisen. Der Zug stoppte dort und staute sich die komplette
Straße entlang. Über eine halbe Stunde lang stand der Zug still. Meine
Freunde befanden sich mit mir etwa im hinteren dritten Viertel des
Zugs. Ich machte mit ihnen aus dass ich mich nach vorne begeben würde
um herauszufinden warum der Zug stoppte. Vorne angekommen traf ich auf
eine Menschenkette die vor dem Zug stand, ich wurde angepöbelt dass ich
hier nicht weiter könne, und ein Deutscher erklärte mir auf höchst
unfreundliche Art und Weise dass der Zug hier so lange hält bis die
Feuerwehr das Feuer im Hotel unter Kontrolle gebracht hätte. Ich
erklärte dass ich nur hier vorne sei um mehr zu erfahren und begab mich
wieder nach hinten zu meinen Leuten. In der Mitte des Zugs angekommen
sah ich am Ende des Zugs wieder weiße Wolken. Die Menge wurde wieder
leicht panisch und ich wusste dass die Polizei den Zug von hinten
wieder mit Tränengas bombadierte. Ich rannte schnell zum Treffpunkt mit
meinen Freunden und wir begaben uns mit der Menge weiter nach vorne, wo
jedoch weiterhin blockiert wurde. Da es in der Straße, bzw. in dem Teil
der Straße keine Seitenstraßen gab in die die Menschen hätten flüchten
können fühlten sich etliche Menschen wieder unnötig provoziert und
antworteten auf die Repressalie. Es flogen Steine auf eine dort
ansässige Gas-Industrie-Firma. Nach dem die ersten Steine flogen,
meinte mein Freund zu mir ich solle mich darauf gefasst machen das hier
wohl gleich hunderte mitmachen werden. So war es auch: Scheiben wurden
mit Steinen zerschmissen, Euro-Paletten umgeworfen und auf einen Haufen
geworfen (wahrscheinlich zum anzünden, jedoch waren die Leute schlau
genug um zu erkennen dass es sich um eine Firma handelte die mit Gasen
arbeitete) und Zäune wurden niedergerissen. Die Blockade am Kopf des
Zugs löste sich auf und die Menschen begaben sich auf einen Rasen (ca.
2 Fußballfelder groß) vor dem Tunnel der zur Straße führte in der das
Hotel stand. Auch hier wieder ein unverständliches und beschissenes
Verhalten der Polizei.
Hier spielte sich wohl auch der "finale
Showdown" des Tages ab. Wieder flogen plötzlich
Cluster-Tränengas-Kartuschen auf den Platz in die Menge rein (vom
weitem denkt man die landen irgendwo, bis sie dann doch ein paar Meter
vor einem einschlagen -.-). Auf den Gleisen über dem Tunnel waren
vereinzelt Stoßtrupps der Polizei zu sehen, diese wurden von wütenden
Demonstranten mit Steinen beworfen. Wieder flog Tränengas zu uns rüber,
darüber hinaus warf die Polizei auch Steine zurück. So habe ich gesehen
wie ein Kurde von einem Stein aus der Richtung der Polizei am Kopf
getroffen wurde und zu Boden ging. Hilfsbereite Demonstranten halfen
dem Mann auf und führten ihn, unter Gefährdung ihrer eigenen
Gesundheit, aus der gefährlichen Zone heraus. Es war tatsächlich wie
mitten in einem Krieg. Ja, Krieg, anders kann ich das nicht mehr
beschreiben. An dieser Stelle entschieden wir uns, zum einen der Gefahr
wegen und zum anderen weil wir uns in ca. einer Stunde am Bus hättem
treffen müssen, dazu die Szenerie zu verlassen, das war so um ca. 17:10
Uhr.
Von der Orientierung her hatten wir keine Probleme
gehabt, es gab genügend Anhaltspunkte, wie etwa einen rot-weißen
Sendeturm, an dem wir uns orientieren konnten. Jedoch wurde der Weg
zurück zu unserem Bus (das war der Weg in dem kurz vorher der
Demonstrationszug blockiert wurde) von Polizeikräften versperrt, so
dass wir nur noch dem dortigen Rhein-Nebenkanal folgen konnten. Dieser
führte jedoch in eine Sackgasse und schließlich befanden wir uns nur
noch geschätzte 500 Meter Luftlinie von unserem Treffpunkt entfernt -
jedoch war keine Brücke in Sicht mit der wir das andere Ufer hätten
erreichen können. Wir mussten das Risiko eingehen und wieder zurück
laufen. Telefonisch meldete ich unsere Probleme eine viertel Stunde vor
Trefftermin der Busorganisation und ich schätzte wir würden ca. eine
viertel bis halbe Stunde später eintreffen, was sogar realistisch war.
Mir wurde gesagt dass wir dann sogar noch unter den ersten am
Treffpunkt wären. Zurück am Platz an dem sich vor weniger als einer
Stunde noch eine Schlacht abspielte hatte sich die Lage wieder
beruhigt. Ein Trupp Polizisten stand noch an der Kreuzung die in unsere
Straße führte. Wir hatten Angst dort entlang zu laufen, jedoch hatte
die Polizei nicht viel Interesse an uns und wir schätzten uns schon
glücklich da wir dachten es endlich zum Bus zu schaffen. In der zuvor
mit Demonstranten/Innen voll besetzten Straße erwartete uns ein Anblick
der sich ebenfalls nur mit Krieg assoziieren ließ. Die Euro-Paletten
der Gas-Firma waren auf der Straße gestapelt, Zäune verwüstet,
Telefonzellen und Bushaltestellen zertrümmert, eine Poststelle (oder
etwas Ähnliches) wurde stark beschädigt und wir erfrischten uns an
einem aufgebrochenen Hydranten und füllten unsere Wasserflaschen.
Die
französische Polizei sperrte dann sämtliche Zufahrtsstraßen zu unserer
ab, worunter sich natürlich auch die Straßen befanden die zu unserem
Bus führten. Wir wurden an keiner Straße durch gelassen. Dann sahen wir
2 Fahrradfahrer die die Polizei durch ließen, wir wollten auch durch,
aber uns lies man nicht durch die Absperrung. Erklärungsversuche warum
wir dort durch mussten brachten nichts, man forderte uns nur dazu auf
in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Wir informierten die
Busorganisation darüber, jedoch konnte diese auch nur wenig helfen zu
diesem Zeitpunkt. Wir versuchten außen herum zu laufen um irgendwie
über die Innenstadt zu unserem Treffpunkt zu kommen. So langsam wurde
es sehr dringlich, der Busfahrer musste spätestens (aus irgendwelchen
gesetzlichen Gründen, so wurde es uns gesagt) um 19:30 losfahren. Wir
beschlossen uns wieder zu dem Punkt zurück zu begeben an dem wir nicht
mehr weiter durch kamen, denn die Busorganisation teilte uns
telefonisch mit dass diese Unterwegs zu diesem Punkt sei um uns dort
einzuladen. Jedoch war die Polizeiblockade nun plötzlich vorverlegt
worden, so dass wir nicht mal mehr dort hin kamen. Und zu all dem
Unglück wollte die Frau am Telefon von der Busorganisation einfach
nicht verstehen dass wir uns nicht dort befanden und auch nicht mehr
dort hin kommen. Es war unglaublich schwer verständlich zu machen dass
wir uns nicht auf der Brücke befanden, welche wenige Stunden zuvor noch
von Polizeigerät zugestellt war, sondern eine Brücke weiter. Dadurch
entstand ein "kommunikatives Chaos" und auch wir haben uns dann erstmal
in die falsche Richtung bewegt.
Um Punkt 19:30 hatten wir es
dann fast geschafft. Wir sahen den Bus der auf der zuvor besetzten
Brücke hielt und auf uns wartete. Wir rannten so schnell es ging in die
Richtung, da uns gesagt wurde dass der Bus gleich wegfährt da er nicht
mehr warten kann. Dummerweise gerieten wir dann noch in eine
Polizeikontrolle vor der Polizeiblockade die wir dann sowieso noch
hätten überwinden müssen. Ich versuchte zu erklären dass wir zu dem Bus
müssen der sichtbar in ca. 500 Meter Entfernung auf der Brücke stand
und das dieser gleich wegfährt. Ich hätte mir gleich denken können dass
es unnötig ist viel zu reden - wir mussten erstmal unsere Rucksäcke
ausleeren und die Ausweise zeigen ... währenddessen konnten wir zusehen
wie unser Bus davon fuhr.
Nach einem kurzen Lagecheck und
einer Neuplanung beschlossen wir - da der Zugang zum Straßburger
Bahnhof ebenfalls versperrt wurde - über die Europabrücke nach Kehl zu
gelangen. Auf dem Weg dort hin wurden wir weitere zwei mal von
französischen Polizisten kontrolliert und durchsucht. Die Lage
entspannte sich, wir akzeptierten unser Schicksal und waren sogar dazu
aufgelegt mit den Polizisten die uns schikanierten ein wenig
rumzublödeln ("It's a new record, three police checks in a half hour
... "). An der Europabrücke angekommen hatte dann die deutsche Polizei
das Sagen. Dort versammelten sich schon mehrere Hände voll Menschen die
über die Brücke wollten vor einer Sperre. Die Polizisten dort
behandelten uns recht human. Wir wurden über die Brücke eskortiert und
in der Mitte der Brücke wurden einige noch mals durchsucht und jeder
musste sich ausweisen. In Kehl angekommen mussten wir dann noch bis
23:04 Uhr auf unseren Zug warten.
So gegen 04:00 Uhr fiel ich endlich in mein Bett und war heil-froh unversehrt wieder zu Hause gelandet zu sein ...
Was
das Hotel angeht kann ich mir absolut nicht erklären warum das jemand
aus unseren Reihen anstecken sollte. Unter den Autonomen waren sehr
viele, zwar gewaltbereite, aber vernünftige Leute. Das Hotel
anzustecken - egal wie scheiße der Konzern dahinter ist, oder wie viele
Polizisten/Innen sich darin befanden - war meiner persönlichen Meinung
nach ein "Inside-Job" gewesen. Eigentlich wusste niemand der
Demonstranten/Innen warum das Gebäude brennt und wie es dazu kam. Auch
bei meinen Recherchen habe ich eigentlich nichts konkretes darüber
gefunden. Und angesichts der Tatsache dass der Brand in dem Hotel dazu
geführt hat den Demonstrationszug aufzulösen sehe ich darin nur
Vorteile für die Polizei. Als ich dort ankam war das Gebäude nur von
Polizeieinheiten umzingelt. Drei Möglichkeiten: Die Polizei war es,
damit sie den Zug gewaltsam auflösen kann und damit die Presse stimmt,
es handelt sich um Versicherungsbetrug, oder es waren wirklich Personen
aus unseren Reihen. Version 1 und 2 halte ich irgendwie am
realistischsten, aber verlasst euch nicht auf mich, dieser Eindruck
beruht nur auf meine subjektiven Erfahrung die ich an diesem Tag
gemacht habe.
Hotelbrand
Vermummte haben vor einem Hotel nahe der Europabrücke eine als sinnfrei zu bezeichnende brennende Barrikade aus dem Inventar eines Hotels errichtet. Zunächst wurden die Scheiben eingeschlagen, Tische und Stuhle auf der Straße aufgetürmt. Offenbar wurde im Inneren des Gebäudes Feuer gelegt, so wie auch in einem gegenüber gelegenen (leerstehenden) Zollgebäude. Die französische Polizei ist dann rasch eingeschritten und hat den Platz aus einer Seitenstrasse mit Tränengas eingedeckt. Kräfte mit Flashball-Werfern haben den flüchtenden nachgesetzt und die Umgebung gesichert. Die Brandstifter haben in Kauf genommen, dass das Feuer sich auf unmittelbar angrenzende Gebäude ausbreiten konnte. Dort leben nahezu ausschließlich Migranten, welche zum Teil mit weinenden Kindern aus Ihren Wohnungen geflohen sind.
Die einzige freie Zufahrtstrasse war mit Polizeifahrzeugen nahezu verstopft, außerdem bildete eine Eisenbahnunterführung dort eine Engstelle. So dauerte es mehr als 30 Minuten, bis ein Feuerwehrfahrzeug herbeigeführt wurde. Auf der dem Hafen abgewandten Seite Versuchte gleichzeitig, die Großdemo in Richtung Innenstadt zu gelangen. Der Weg hätte über eine Brücke geführt, welche aber mit Wasserwerfern und hohen, mobilen Gittern abgesperrt war.
Diese Brücke bzw. die von dort aus zur Eisenbahnunterführung führende Straße wäre die einzig (?) freibleibende Zufahrtsstraße für Feuerwehr- und Rettungsfahrzeuge gewesen. Der Demozug mit vielen Vermummten, die zuvor bereits an sehr schweren Auseinandersetzungen mit der Polzei beteiligt waren, ist an der Brücke dann in Richtung der brennenden Gebäude abgebogen. Zu diesem Zeitpunkt rauchte bereits das Dach des mindestens fünfstöckigen Hotelgebäudes.
Zu hoffen bleibt, dass es der Feuerwehr gelingt, ein Übergreifen auf die Wohngebäude zu verhindern.
Let´s start a riot -Über
Let´s start a riot
-
Über Massenmilitanz, ihre Chancen und Bedingungen
Wenn am 3. und 4. April 2009 in Straßbourg und Baden-Baden mehrere zehntausend NATO-Gegner auf mehrere zehntausend Bullen treffen, wird es knallen. Es wird zu Riots kommen, es wird eskalieren. Und immer wenn die Lage eskaliert, Steine fliegen, Barrikaden brennen, ist die bürgerliche Presse und die etablierte Politik von links bis rechts schnell mit ihrem Urteil zur Stelle. Hirnlose „Chaoten“ seien da am Werk und handelten in reiner Zerstörungswut ohne Ziel, ohne Hemmungen und letztlich ohne Grund. „Gewalttätige Randalierer“ nutzten einen eigentlich berechtigten Protest für ihren unreflektierten Hass auf „das System“ und schadeten somit der „Sache“, heißt es von Seiten friedlicher Demonstranten.
Nun, das ist Bullshit. Militanz im Rahmen diverser Gipfeltreffen, sei das nun bei der NATO, dem IWF, der Weltbank, dem Weltwirtschaftsforum in Davos oder dem jährlichen Treffen der G8 oder G20 hat ihre Tradition und ihren Sinn. Sie ist weder unpolitische Randale noch Schädigung einer guten Sache aus jugendlichem Übermut und fehlender politischer Weitsicht heraus. Allerdings ist diese Militanz auch keine bloße Abwehrreaktion den Cops gegenüber. „Die haben angefangen!“ ist kein Argument. Wir müssen uns nicht entschuldigen, oder angeblich von uns begangenes Unrecht mit dem viel größeren, von der Gegenseite tagtäglich begangenem Unrecht (Stichwort: Strukturelle Gewalt) rechtfertigen. Wir wollen es knallen lassen, und wir haben auch allen Grund dazu.
Wenn in Straßbourg am 4. April Steine auf behelmte und gepanzerte Schlägerbullen fliegen, Straßen durch brennende Mülltonnen und Barrikaden versperrt werden, dann ist das in erster Linie Ausdruck einer unversöhnlichen antagonistischen Haltung der NATO und den von ihr geschützten Strukturen des Kapitalismus gegenüber. Der demonstrative Angriff auf das Gewaltmonopol des Staates macht die Radikalität und Kompromisslosigkeit unserer Systemkritik sichtbar. Wir akzeptieren eure Regeln nicht, wir akzeptieren eure Autorität nicht. Wir wählen die Formen unseres politischen Handelns selbst, und wir scheißen auf einen Dialog mit euch, wir wollen uns nicht in euer Spiel einbinden lassen. The medium is the message: Ein Stein kann mehr als tausend Worte sagen, und im richtigen Kontext mehr Inhalte transportieren als ein ganzer Ostermarsch.
Ein anderer Punkt sind die Medien. Als 1999 in Köln der G8-Gipfel unter Vorsitz des Basta-Kanzlers Schröder stattfand, fanden sich zwar um die 35000 Menschen zu einer großen Demo ein, laut Massenmedien passierte allerdings nichts. Der Gipfel verlief störungsfrei, die Kölner Innenstadt war hermetisch abgeriegelt und in den Mainstream-Medien wurden die Proteste weitgehend ausgeblendet. Auch innerhalb der linken Szene wurden die Proteste nicht Ausgangspunkt weiterer Aktivitäten: erfolgreiche Proteste sahen anders aus. Wenig später fand in Seattle die Tagung der WTO statt. Die Proteste wurden dort auch militant geführt und das WTO Treffen stark in seiner Durchführung beeinträchtigt. Dieser Erfolg trug weltweit zum Aufbruch der kapitalismus-kritischen Globalisierungsbewegung mit ihren vielen Facetten bei, und bescherte deren Anliegen ein großes Podium. Um überhaupt in den Massenmedien, und somit auch im Bewusstsein des Großteils der Bevölkerung vor zukommen, braucht es Action. Und erst mal mit zu bekommen, dass es Leute gibt, die sich radikal gegen dies und jenes richten, ist eine der Grundvoraussetzungen dafür, selbst mal die Option linker Organisierung und Aktivitäten wahrzunehmen.
„Moment,“ wendet da der friedliche Attacist ein: „Durch die Krawalle gehen doch unsere Inhalte völlig unter, das schadet doch der Sache“. Nun ja, wer tatsächlich glaubt, dass bürgerliche Medien, die von Anzeigen und Auflagen abhängig sind, wirklich neutral über irgendwelche unserer Inhalte berichten, der glaubt auch an die Soziale Marktwirtschaft.
Sie tun es ja meist nicht mal korrekt bei friedlichen Aktionen, wenn diese denn überhaupt Erwähnung finden. Davon abgesehen ist es auch eine Sache der Methodik: Agieren oder Reagieren wir? Sollen wir unsere Politik und Aktionsformen nach dem Willen von SPIEGEL, Springer und Co ausrichten?
Und nebenbei bemerkt: Eigentlich ist es oftmals ja gar nicht so schlecht, wenn staatsfetischistisches Gelaber über „Kasino-Kapitalismus“ und ähnlicher Quark vom Tränengasnebel und dem dumpfen Geräusch auf Wannen prasselnder Steine überlagert wird...
Natürlich sollte nicht verschwiegen werden, dass die Motivation zum Angriff bei vielen nicht aus theoretischen Überlegungen gewachsen ist, sondern aus dem Gefühl der Ohnmacht und Wut heraus. Sei es aus Wut über die menschenverachtende Kriegspolitik der NATO-Staaten oder über die letzte Demo, bei der mensch wieder in vollem Spalier laufen musste, permanent ab gefilmt und schikaniert wurde. Mensch ist von Deutschland im neuen Jahrtausend gewöhnt, dass wir uns kaum gegen Bullenübergriffe schützen können und deren Willkür völlig ausgeliefert sind, sei es bei konkreten politischen Aktionen oder auch ganz alltäglichen Kontakten mit unserem „Freund und Helfer“.
Und so kann der Steinwurf eine überaus befreiende Wirkung haben, für den Werfenden persönlich, aber auch für die ganze Bewegung. Großes Rambazamba kann unglaublich motivierend sein, von dem Gefühl „es den Bullen mal so richtig gezeigt zu haben“ kann mensch zehren, und es kann gegen die Gefahr der Resignation helfen, wenn es die Bullen uns mal wieder so richtig gezeigt haben.
Bei all der Lobhudelei auf Bambule sollten aber einige Sachen auch nicht vergessen werden, denn wir sind eben keine gewaltgeilen Hooligans die besoffen einfach Bock auf Krawalle haben. Zu sinnvoller Massenmilitanz gehört das Bewusstsein der Verantwortung für sich und andere, genauso wie der Respekt vor den Mitdemonstranten: D. h. keine Steinwürfe aus der 12. Reihe oder ähnliche unüberlegte Aktionen, die andere gefährden. Dazu gehört auch, dass Nicht-Militanten Gelegenheit zum Rückzug gegeben wird, bevor mensch den Sturm der Bullen provoziert.
All dies gilt natürlich in besonderem Maße für Unbeteiligte. Auch sollten sich einige Menschen mal darüber Gedanken machen, welchen Sinn es macht Privatwagen anzuzünden oder einfach mal die Scheibe der Bushaltestelle einzuschlagen, wo es doch genügend Polizeikarren bei solchen Anlässen gibt. Darüber muss diskutiert werden, denn gerade so was erschwert die Vermittelbarkeit dieser Aktionsform. Klar gibt es Ausnahmen, und im Einzelfall muss nach der Verhältnismäßigkeit bestimmt werden, ob mensch wirklich den Fiat Panda als brennende Barrikade braucht oder ob es nicht die große Mülltonne auch tut. Aber viel zu oft werden solche Überlegungen unserer Meinung nach eben noch nicht angestellt.
Neben den Mitdemonstranten und den Unbeteiligten gibt es bei den meisten Riots ja auch noch die Bullen, welche einen Sonderstatus einnehmen, was die Rechtmäßigkeit körperlicher Gewalt angeht.
Das in einer symbolischen und trotzdem handfesten Auseinandersetzung dem einen oder anderen trotz massiver Panzerung mitunter weh getan wird, liegt in der Natur der Sache. Schön ist das nicht, und es sollte auch kein Ziel sein Bullen zu verletzen, aber unser Mitleid für Leute, die auf Befehl und für den schnöden Mammon andere Leute mit dem Knüppel auf´s Maul hauen, hält sich in Grenzen.
Denn: Es ist eine politische Entscheidung, sich zum Werkzeug zu machen, für die jeder einzelne Cop die Verantwortung übernehmen muss.
Zum Schluss noch ein ganz wichtiger Punkt: Woran es – insbesondere bei der deutschen Linken – noch massiv hapert, ist die Vermittlungsfähigkeit des HalliGalli. Unsere Motivation sollte zwar in erster Linie uns selbst klar sein, aber um politisch etwas bzw. andere zu bewegen, müssen wir uns auch anderen erklären können, deutlich machen, dass Riots eben keine unpolitische Randale (was z. B. durch das Abfackeln des Privatbesitzes Unbeteiligter sehr erschwert wird) sind. Es ist nicht damit getan, dass wir wissen wie richtig Riots sind. Dies kann durch Texte, Flugis usw. geschehen, durch Diskussionen auf Plenas, im Freundes- und Bekanntenkreis, in Internetforen, aber auch z. B. durch Interviews für Medien nach großen Auseinandersetzungen. Und mindestens genauso wichtig ist der Ausbau unserer eigenen Medienstrukturen wie Indymedia und Freie Radios, Stadtteilzeitungen und Info-Hefte. In diesem Sinne:
Den NATO-Gipfel in Straßbourg und Baden-Baden zum Desaster machen!
Let´s start a riot!
Anna & Arthur
März 2009
Steine gegen Demonstranten
In Straßbourg flogen Steine (nicht vereinzelt sondern ein regelrechter Hagel) gegen Polizeiautos, die von Leuten umringt waren, die versuchten vom Tränengas verseuchten Platz runterzukommen! Ich hatte neben der Sorge um meinen eigenen Kopf noch alle Hände voll damit zu tun zwei alte Leute (70+)in Sicherheit zu bringen und jemanden, der vor Panik fast kollabiert wäre.
Nicht auszudenken, wir hätten einen Arzt gebraucht. Wie auch immer man zu militanten Widerstandsformen steht, das darf nicht passieren und widerspricht auch allen Ankündigungen/Absprachen, dass die gewählte Aktionsform nicht zur Gefährdung der Gesundheit anderer Demonstranten führen darf. Sonst haben wir alle ein Problem, wenn nur noch die Leute auf die Straße gehen, die sich eine militante Schlacht zutrauen bzw. gutheißen. Wir brauchen doch alle. Auch die Omas und Opas haben ein Recht darauf nicht als Schwerstpflegefall nach Hause zu kommen.
Eine Spaltung durch eine verbale Distanzierung von solchen Aktionen auf der einen Seite und die Verunmöglichung am Widerstand durch die Gefahr einer Steinigung zum Opfer zu fallen auf der anderen????
Sehr ungünstig!