Dortmund: Das Karbidkommando - Interview Andreas Müller

Das Karbidkommando (Cover)

Im Juni 2016 erschien der Comic „Das Karbidkammando – Edelweisspiraten gegen Miesmolche“ im AV-Verlag. Es ist die Neuauflage eines Comic über die Dortmunder Edelweisspiraten aus dem Jahr 1987. Gezeichnet wurde der Comic von dem Dortmunder Künstler Günter Rückert. Beraten wurde er bei seiner Arbeit durch Prof. Hans Müller von der Dortmunder Geschichtswerkstatt und dem ehemaligen Edelweisspiraten Kurt Piehl.


Als Herausgeber der Neuauflage fügte ich dem Comic mehrere aktuelle Interviews an. Hier das Interview mit Andreas Müller von der Geschichtswerkstatt.

 

Interview Andreas Müller

 

Heiko Koch: Herr Müller, bitte stellen Sie sich vor.

 

Andreas Müller: Ich heiße Andreas Müller, bin Sozialarbeiter und lebe hier in Dortmund. Ich bin Mitglied der Geschichtswerkstatt seit ihrer Gründung am Anfang der 80er Jahre, habe dort das Archiv mit aufgebaut und viele andere inhaltliche und strukturelle Sachen für die Geschichtswerkstatt gemacht.

 

Die Geschichtswerkstatt gibt es seit 1983 als eingetragenen Verein. Die Initiative zu ihrer Gründung aber schon seit 1981. Die Initiative hatte sich gebildet um der Jubelfeier der Stadt Dortmund zu ihrem 1100 jährigen Bestehen im Jahr 1982 etwas entgegen zu setzen. Also der Geschichtsauffassung der Historikerzunft, die nur Kaiser, Könige und Oberbürgermeister behandelt. Die Initiative arbeitete an einer eigenen Veröffentlichung zu der Geschichte Dortmund. Diese erschien später als das „Dortmunder Lesebuch“. Ihren Mitgliedern war es wichtig, dass man die eigene Geschichte aufschreibt, erforscht und weitergibt - um eine eigene Identität zu bekommen. Die Spanne der betrachteten Zeitraums ging dabei vom Mittelalter bis heute. Von der Geschichte der Hexenverfolgung, der Industrialisierung des Ruhrgebiets, die Geschichte der Arbeiterbewegung, die Proteste gegen den 1. Weltkrieg, die Weimarer Republik, der Nationalsozialismus und der Widerstand dagegen. Von der Geschichte der MigrantInnen in Dortmund, zur Roten Punkt-Aktion in den 70er Jahren, den Hausbesetzungen der 80er Jahre. Aber statt der Geschichte von „denen da Oben“, die von „denen uns unten“. Und dazu findest Du auch vieles in unserem großen Archiv.

 

Und natürlich haben wir zu den Edelweisspiraten geforscht. Besonders mein Vater, der Professor für Geschichte an der PH-Dortmund war und zu den Gründern der Geschichtswerkstatt gehörte. Er hat sich schon in den 70er Jahren Geschichte aus einer anderen Perspektive angeschaut. So z. B. die Geschichte der Siedlerbewegung in Dortmund, der Frauen, der Jugendlichen. Das waren Themen mit denen er sich schon damals beschäftigte. Und so kam er Ende der 70er Jahre zu dem Thema der Edelweisspiraten. Der Widerstand aus der normalen Bevölkerung und von den Jugendlichen, das hat ihn interessiert.

 

H.K.: Also ihr Vater forschte schon vor der Geschichtswerkstatt zu den Edelweisspiraten?

 

A.M.: Ja, schon einige Jahre zuvor. Erst im Allgemeinen. Schon im Dezember 1979 hielt er an der Bochumer Universität einen Gastvortrag zu den Edelweisspiraten. Dann, im Februar 1980, erschien ein Aufruf von ihm in der Lokalzeitung, dass er Menschen sucht, die ihm etwas konkret zu den Dortmunder Edelweisspiraten erzählen könnten. Daraufhin haben sich gut ein Dutzend ehemaliger Edelweisspiraten gemeldet. Mit diesen Männern hat er sich getroffen und Interviews gemacht. Über ihre Motivation, warum sie dabei gewesen waren, was sie vorher und nachher gemacht haben, usw.. Auf Grund der Zeitzeugenberichte konnte er die Bewegung der Edelweisspiraten in Dortmund sehr gut einschätzen und fand viele spannende Details heraus. Das sie lockere, informelle Gruppen waren, ohne Anführer, keine einheitliche Organisation, sie sich seit Kindheitsbeinen aus der Schule oder der Siedlung kannten, sie allesamt keinen Bock auf Staatsjugend hatten und ihre Freizeit selber gestalten wollten, usw.

 

H.K.: Welche Quellen nutzte Hans Müller noch?

 

A.M.: Die Erforschung der Edelweisspiraten stand gerade am Anfang. Es gab einige Aufsätze und Artikel zu den Kölner Edelweisspiraten. Und ein erstes Buch von Anno Klönne. Mein Vater ging in die Archive. Das Hauptstadtarchiv, das Staatsarchiv und wendete sich schließlich an die Gerichte. Über die Interviews hatte er von zwei großen Prozessen gegen die Dortmunder Edelweisspiraten gehört und nach langem und zähen Ringen konnte er endlich in diese 40 Jahre alten Akten einsehen. Dies war ihm erst aus Datenschutzgründen verwehrt worden. Aber seine Position als Professor und Wissenschaftler half ihm schließlich dabei, diese Akten doch einlesen zu können.

 

HK: Eine Kerngeschichte des Comic basiert auf den Erinnerungen von Kurt Piehl. Wie kam der Kontakt zu Kurt Piehl zu Stande? Und was war Kurt Piehl für ein Typ?

 

A.M.: Kurt Piehl meldete sich beim ersten Aufruf. Mit all den anderen, die wie er Haft- und Foltererfahrung durch die GeStaPo hatten.

Er war Eisenflechter und Betonbauer. Ein Mann vom Bau. Aufgewachsen in den armen und rauhen Verhältnisse des Dortmunder Nordens. Seine Eltern waren geschieden und er wuchs bei seiner Mutter, einer Anarchosyndikalistin, auf. Sein Vater wurde 1933 von den Nazis in ein KZ eingesperrt. Schon als 5 Jähriger bekam er 1932 die legendäre Schlacht am Dortmund Nordmarkt mit. Den Dortmunder Norden hat er als Kind in sich aufgesogen. Er hatte seine Straßengangs und tat sich wie viele seiner AltersgenossInnen aus dem Norden mit der Hitler-Jugend schwer. Die HJ war ab 1933 der einzige und staatliche Jugendverband. Seit 1939 gab es die gesetzlich geregelte „Jugenddienstpflicht“. Die betraf alle Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren. Kurt und viele andere hatten keinen Bock auf diesen Zwangsdienst. Und wie sich damals im Dortmunder Norden die Kids auseinandersetzten hieß das „willst wat, kriegste wat vor den Kopp“. Erst einmal wurden Differenzen mit den Fäusten ausgetragen. Die HJ drangsalierte die Jugendliche und die schlugen zurück. So entwickelte sich der Konflikt. Und aus einer anfangs normalen und unpolitischen Gegnerschaft entwickelte sich ein politisch-sozialer Widerstand. Kurt und seine FreundInnen machten Erfahrung mit dem nationalsozialistischen Repressionsapparat, mit Schlägen, Folter, mit hohen Haftstrafen und der Abkommandierung in Strafbatallione, wo viele von ihnen bei „Himmelfahrtskommandos“ eingesetzt wurden und starben. Das hat ihn geprägt.

Nach dem Krieg ging sein abenteuerliches Leben weiter. Später lebte er in Berg-Kamen, mit Frau und Kind. War Bauarbeiter, Gewerkschaftsmitglied und Betriebsratsvorsitzender. Ich glaube er hat zum Teil sozialistische Gedanken übernommen, diese aber da umgesetzt wo er arbeitete und lebte.

Sein Leben als Edelweisspirat hat er nie an die große Glocke gehängt. Erst über die Diskussionen mit meinem Vater wurde anscheinend dieser Teil seiner Geschichte von einem persönlichen zu einem politisch-öffentlichen Teil seines Lebens.

Kurt Piehl war wirklich kein Mann der großen Worte. Als mein Vater ihn in Berg-Kamen interviewt hatte und fast schon aus der Tür war, fragte Kurts Frau aus der Küche heraus, ob Kurt dem Herrn Professor denn schon seine Bücher gezeigt hätte. Hatte Kurt Piehl eben nicht und meinte „das sei nicht so wichtig“. So war Kurt Piehl. Er stapelte eher tief, als hoch. Aber von wegen nicht wichtig. Kurt Piehl hatte seine ganze Geschichte für seine Tochter in den 60er Jahren in vielen Kladden per Hand aufgeschrieben. Mein Vater bekam solche Augen, als Kurt ihm einen ganzen Koffer voller Manuskripte zeigte. Den durfte er mit nach Hause nehmen. Mein Vater war begeistert von dem Schreibstil und was Kurt Piehl alles erlebt und zu erzählen hatte. Das war wirklich eine Überraschung.

Da entstand die Idee aus den Aufzeichnungen die drei Bücher zu machen, die Kurt dann herausgab. Zwei davon über die Nachkriegszeit - von denen Kurt sagte, dass diese ihm fast noch wichtiger waren als „Latscher, Pimpfe“ und GeStaPo“. Sein Edelweisspiraten-Roman erschien 1983 das erste Mal im „Extrabuch Verlag“. Kurz nachdem die ersten großen Veröffentlichungen zu den Edelweisspiraten erschienen und die Auseinandersetzung begann, ob die Edelweisspiraten Widerstandskämpfer oder Kriminelle waren. Und in einer Zeit als mit den Hausbesetzungen und Punks auch wieder eine neue Generation unangepasster Jugendlicher mit ihren Bedürfnissen und Aktionen auf sich aufmerksam machten. Wie die Hellweg-Bummelanten zum ersten Weltkrieg, die so genannten Halbstarken in den 50er, oder eben die Edelweisspiraten.

 

H.K.: Aus alten Zeitungsartikeln geht hervor, dass sie Geschichtswerkstatt auch Veranstaltungen mit Kurt Piehl machte.

 

A.M.: Ja, aber nicht nur mit Kurt Piehl. Auch mit Rudi Grützner und anderen Edelweisspiraten. Mein Vater wollte aus dem Widerstand der Edelweisspiraten kein Akademikerwissen machen. Sondern das Wissen ans Volk geben, um im Gegenzug dann auch wieder mehr zu erfahren, Zeitzeugen kennenzulernen, Einschätzungen zu hören, usw.. 1980 hielt es Vorträge in der Auslandsgesellschaft. Später kamen Veranstaltungen in Kneipen in verschiedenen Stadtteilen hinzu. Zu denen kamen sehr viele Menschen aus den Vierteln und der Nachbarschaft. Diese Kneipenlesungen wurden zum Aushängeschild der Geschichtswerkstatt. Schließlich organisierten wir noch zu den Edelweisspiraten Stadtrundgänge durch Hörde und der Nordstadt.

 

H.K.: Wie kam es zum Comic?

 

A.M.: Unser Anspruch war es kein Elfenbeinturm-Wissen anzuhorten. Wir wollten die Menschen selber zu Wort kommen lassen, ihnen helfen sich ihre eigene Geschichte anzueignen.

Wir machten uns Gedanken, wie man heutigen Jugendlichen etwas über die Jugend der Vergangenheit vermitteln kann. Wie man widerspenstigen Jugendlichen aufzeigen kann, dass sie in einer Tradition stehen. Auf die sie auch stolz sein können. Diese Jugendliche lesen keine wissenschaftlichen Abhandlungen. Die Idee war es ein Alltagsmedium zu nehmen was Jugendliche antörnt, das witzig und unterhaltend ist. Mit hohem Wiedererkennungswert.

Die Idee bekam Hannes, glaube ich, von SchülerInnen einer Hauptschule erzählt, als er sie fragte, wie sie denn am liebsten etwas über die Edelweisspiraten lesen würden. Daraufhin sprach er Günter Rückert an. Und so entstand der Comic. Hannes lieferte mit zwei Seiten noch etwas zu dem historischen Hintergrund des Karbidkommandos. Das war`s.

 

H.K.: Wie steht es um die Geschichte der Dortmunder Edelweisspiraten heute?

 

A.M.: Generell ist das Interesse abgeebbt. Präsent ist die Geschichte der Edelweisspiraten noch über die Steinwache, dem ehemaligen Gestapo Gefängnis. Bis 1980/81 diente das alte Gefängnis als Obdachlosenasyl, dann sollte es abgerissen werden. Mein Vater kämpfte für den Erhalt der Steinwache und der Einrichtung einer Ausstellung zum NS. Er fand dafür viele Mitstreiter. Jugendverbände, z.B. Falken, und andere. Sie haben sich damals schwer ins Zeug gelegt. Heute kann man in der Steinwache eine ständige Ausstellung zur Geschichte des NS in Dortmund und den Widerstand dagegen besuchen. In einer alten Zelle gibt es eine spezielle Ausstellung zu den Edelweisspiraten, die auf den Unterlagen meines Vaters basiert. Du kannst dir ein Interview mit Kurt Piehl anhören, usw. usf.. Manchmal wollen auch Schulen noch Material, das ist aber sehr abhängig von einzelnen LehrerInnen.

 

H.K.: Was denken Sie zu einer Neuauflage des Comic „Das Karbidkommando“?

 

A.M.: Es ist schön das wieder an die Edelweisspiraten erinnert wird. Die Geschichte der Edelweisspiraten geht weit über sie hinaus und sie stellen einen wichtigen Anteil in der Geschichte des Widerstands aus der Bevölkerung dar. Und auch das Thema des spontanen Widerstands ist so aktuell wie je. Die Geschichte der Edelweisspiraten in dieser Comicform ein weiteres mal an Interessierte weiterzugeben – eine Geschichtspädagogik ohne erhobenen Zeigefinger zu betreiben – das macht Spaß. Kurt Piehl, der am 2. Januar 2001 in Stockelsdorf bei Lübeck verstarb, hät`s gefreut.

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Den Comic bekommt ihr natürlich auch im Anarchistischen Buch- und Kulturzentrum - Black Pigeon in Dortmund - http://blackpigeon.blogsport.eu/