Unsere schönen tollen Gesellschaften
Nach dem Attentat von Paris: Hört auf, euch in ein „Wir“ zwängen zu lassen, dem ihr gar nicht angehört.
Es wurden empörend viele dumme Texte in einer erstaunlich raschen Abfolge produziert, nachdem eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in Paris über 100 ZivilistInnen tötete. Die meisten dieser Dokumente fortschreitender Verblödung müsste man nicht einmal kommentieren, wenn sie nicht trauriger Weise sogar funktionieren würden. „Funktionieren“ tun sie, weil sie gar nicht geschrieben sind, um einen wie auch immer gearteten Erkenntnisgewinn zu produzieren. Vielmehr wollen sie die nun panisch vor Angst nach Halt suchenden Monaden der kapitalistischen Metropolen gerne einfangen und in ein Kollektiv pressen, das – je nach Schreiberling – ganz eigene Zwecke erfüllt.
Eine oberflächlich betrachtet harmlose Variante dieses Versuchs, präsentiert uns die Guardian-Autorin Suzanne Moore. Sie hat endlich alles durchschaut. Der „Islamische Staat“ hat es auf unseren „Joy“, unsere Lebensfreude und unseren Spaß, abgesehen. „Die Angreifer von Paris können die eine Sache, die sie am meisten hassen, nicht umbringen: Den Spaß.“ Die liebenswert blöde Moore weiß sodann auch schon, wie der „Widerstand“ zu organisieren ist. Am Tag nach dem Attentat war sie nämlich Kuchenessen mit ihrer Familie. Sicher, so viel kann auch sie verstehen, durch „Kuchen alleine“ werden sie nicht besiegt, die bärtigen Spaßverderber. „Aber ich denke schon, dass gutes Leben eine Form des Widerstands ist und Paris das am besten von allen Orten verkörpert.“
Nimmt man der Erklärung ihre kindische Ausformulierung ist sie eine der gängigen: „Wir“ haben eine supertollen Lebensstil, der von „Liebe und Leben“ (Moore) geprägt ist, und das können die Terroristen halt einfach nicht ertragen, weil die mögen lieber den Tod. Das Problem an dieser Erklärung ist: Das „Wir“ mit dem supertollen Lebensstil existiert nicht. Und das ist etwas, dass sich in Paris wirklich gut darstellen lässt. Denn während die „award winning“ Guardian-Kolumnistin ihren Kuchen frisst, sitzt man in den Banllieus schon an der ganz dünnen Wassersuppe. Ob die „Kritik“ Moores an der Todesliebe der Dschihadisten zutrifft oder nicht: Das vermeintlich klassenlose „Wir“, das im „Westen“ ein so gutes Leben führt und das sie gerne verteidigen will, existiert so nicht.
Die politisch dezidiertere Form dieses „Wir“ findet sich dann auch bei jenen Autor_innen, die uns gerne für dieses „Wir“ nicht an den Kuchen, sondern zu den Waffen rufen wollen. Bei Julian Reichelt von der Bild etwa. Ob man jemanden, dessen „Kommentare“ grade mal die Länge einer SMS haben, Journalisten nennen kann, ist unklar, aber wenn er einer ist, dann ruft „uns“ dieser Journalist auf: „Die Wahrheit ist unbequem: Der Kampf gegen ISIS erfordert Opferbereitschaft.“ Opferbereitschaft für „unsere Gesellschaft in ihren weltoffenen und freiheitsliebenden Grundfesten“. U serious? Die weltoffene „Festung Europa“, an deren Weltoffenheit jährlich tausende zerschellen? Das „freiheitsliebende“ Europa, in dem Millionen von working oder non-working poor die Freiheit genießen, nicht zu wissen, wie man nächste Woche über die Runde kommt?
Ihr eigenes „Wir“ wollen uns nun auch die Rattenfänger von „Identitären“ über Front National bis Pegida ans Herz legen. In dieser vom rechtliberalen Mainstream zwar verschiedenen, aber nicht grundsätzlich anderen Version des nun zu verteidigenden „Wir“ sind „wir“ vor allem die, die nicht islamisch sind. „Was nun vonnöten ist, ist die Betonung der Werte von Souveränität, Leitkultur, Staat, Nation und Familie, verbunden mit einer entsprechenden konkreten politischen Praxis der Grenzschließung und Remigration“, heißt es in einem Debattenbeitrag der Identitären.
Das Gros der bürgerlichen Autor_innen ist bemüht, eine einfache Dichothomie aufzumachen. Hier ein „Wir“, dem der Multimilliardär genauso angehört wie der darbende Habenichts, der Massenmörder Oberst Klein genauso wie der Hippie-Friedensaktivist, der Flüchtlingshelfer genauso wie Markus Söder. Und dort die anderen, die dieses entweder als „Nation“ oder „Europa“ oder „westliche Wertegemeinschaft“ bestimmte „Wir“ gefährdet.
Dabei gerät aus dem Blick, dass der „Islamische Staat“ nicht das völlig Andere ist, das aus einem nicht bestimmbaren Außen auf die kapitalistische Moderne kam. „Der IS stellt somit gewissermaßen ein Nebenprodukt der krisenhaften kapitalistischen Globalisierung dar. Hierbei handelt es sich gerade nicht um eine autochthone, traditionalistische und aus den regionalen Sippenverbänden und 'Stämmen' hervorgegangene Aufstandsbewegung, sondern um eine im höchsten Maße globalisierte Besatzungsarmee, die sich in den sozioökonomischen und politischen Zusammenbruchsregionen des Zweistromlandes konstituierte. […] In der barbarischen Gegenwart islamistischer Ideologie und Praxis findet der kapitalistisch-liberale Westen somit die Echos seiner eigenen blutgetränkten Vergangenheit. Mehr noch: Der barbarische Kern kapitalistischer Vergesellschaftung kommt im extremistischen Islamismus wie im Rechtsextremismus zum Vorschein. […] Der Islamismus ist somit – genauso wie der Rechtsextremismus – ein Produkt der Weltkrise des Kapitals“, schreib Tomasz Konicz bereits vor einiger Zeit.
Das „Wir“, in das wir als Menschen, die ein Interesse an der Überwindung von Kapitalismus genauso haben, wie eines an der Zerschlagung des IS kann weder das von Francoise Hollande, noch dass von Abu Bakr al-Baghdadi sein. Das „Wir“, das wir brauchen, ist eines, das wir selber zu schaffen haben, und in dem kurdische Guerilleras, rebellierende Jugendliche in den Vorstädten, fabriksbesetzende Arbeiter_innen in Griechenland und LGTB-Aktivist_innen aus der Türkei vorkommen. Generell gilt: Wollen dir ein Julian Reichelt oder ein Markus Söder erklären, es gebe irgendein relevantes „Wir“, das dich mit ihm zusammenschließt, lauf. Lauf weit und schnell.
- Von Fatty McDirty
Guter Text!
Leider gibt es auch in der linken Szene immer wieder Menschen, die auf das kollektive "wir" hereinfallen: https://linksunten.indymedia.org/de/node/159269
@LCM
Eure machtpolitischen, indoktrinierten und wertenden Aufrufe nerven das Gefühl in mir drin, welches zum einen gerade genug damit zu tun hat, die Ereignisse füR klarer zu bekommen und zum anderen auch irgendwie mit Trauer beschäftigt ist.
"In der barbarischen Gegenwart islamistischer Ideologie und Praxis findet der kapitalistisch-liberale Westen somit die Echos seiner eigenen blutgetränkten Vergangenheit. ."
Es ist furchtbar, so einen Wahnsinn zu lesen. Das ist sowas wie einen Legitimation für so -Mono für alle 11.09.r- Typen.
Gerade nach solchen Ereignissen kriecht ihr ans Tageslicht und wollt den Rest wieder auf die rigorose Parteilinie einstimmen. Ich finde das ja eher taktlos und suche lieber schnell das Weite wenn ich euer "Wir" so vernehme.
na denn
Du bist doch derselbe Typ wie unter dem letzten LCM-Artikel. Dafür, dass du "immer das Weite suchst", scheint das ne ganz schöne Obsession zu sein, wa? Inhalt kann ich auch diesmal in deinem hübschen Posting nicht erkennen. also: farewell!
total wirr
"Gerade nach solchen Ereignissen kriecht ihr ans Tageslicht..."
Verstehe ich nicht? Das LCM schreibt doch ständig zu allen möglichen tagespolitischen Themen.
"Das ist sowas wie einen Legitimation für so -Mono für alle 11.09.r- Typen."
Legitimation? ähm du meinst wohl eher Anlass für ein zeitgemäßes Friedenslied? gerne.
"Eure machtpolitischen, indoktrinierten und wertenden Aufrufe nerven..."
Aha, drei unterschiedliche und an der Realität vorbeigehende Vorwürfe in einem Satz, einfach nur total wirr.
Antideutschland hatte auch schonmal bessere Kommentatoren am Start, ich warte...
Aua
Wann kommt Ihr raus aus ideologischer Verblendung und hört auf, Leute anzugreifen, die das Gleiche wollen wie Ihr? Nämlich nie wieder Faschismus! Diese Grabenkämpfe nerven so. Man braucht nur den Mund aufzumachen und nicht 100% Eurer Meinung zu sein, dann ist man "antideutsch", Diskussion vorbei. Wollt Ihr so gerne richtig toll deutsch sein? Was ist das denn? Ihr wart doch noch gar nicht geboren 1990 und habt im Geschichtsunterricht immer blau gemacht. Blickt mal zurück und überlegt, wie diese Spaltung zustandekam und wem man das ankreiden könnte.... (Kleiner Tipp: Konkret-Kongress Video gucken). Ihr solltet mal gegen diese verblendeten Spinner aufstehen, die heute vermeintlich aus der Linken heraus den Allmachtsfantasien rechtskonservativer Despoten zu Popularität verhelfen, Zusammenhänge, die ihr nicht versteht. Schmeißt erst mal alle AntisemitInnen (ähem AntizionistInnen) raus aus Euren Gruppen, da habt Ihr genug zu tun. Dann könnt Ihr mal damit anfangen, Euch eine fundierte Meinung zum scheinbar alles überlagernden Thema Israel zu bilden. Das hier übrigens aus "neutraler" Perspektive! Des weiteren finde ich es grenzwertig, die Taten des IS zu rechtfertigen, auch wenn man vorgibt, sie nur erklären zu wollen. Wenn Ihr so richtig antiimperialistisch sein wollt, dann schmeißt erst mal die Smartphones auf den Müll, fahrt kein Auto, kauft nur in kleinen, inhabergeführten Läden ein, lasst Euch keine Pakete schicken, steigt in kein Flugzeug usw.
Ähem
vs.
?!?!
zwangsläufig
wegen meiner familiengeschichte. und: es gibt noch sowohl-als-auch und vielleicht sogar weder-noch.
Projektion
geh doch nach drüben.. ;)
gerne
die hatten schöne schulhefte da und super gurken. das war´s dann aber auch schon fast.
Moore liegt so falsch nicht
Speziell die in Europa sozialierten IS-Killer zeigen eher Charakteristika von frustrierten, gedemütigten, enttäuschten Amoktätern, welche die klerikalfaschistische IS-Ideologie hauptsächlich deswegen so begeistert aufsaugen, weil sie in ihrer Konsequenz zur Vernichtung genau dessen aufruft, was die späteren Attentäter aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung als chancenloser Bodensatz des Kapitalismus selbst bei äußerster Anstrengung niemals erreichen konnten.
Der Kriminologe Robert Merton hat dazu mal eine These aufgestellt, dass Kriminalität nicht bewusst antigesellschaftlich ist, sondern häufig nur Mittel (der zweiten Wahl) ist, um die Erfolgskriterien der Gesellschaft zu erfüllen. Je unerreichbarer diese Ziele allerdings sind, desto größer wird auch die Ablehnung dieser, bzw. der ursprüngliche Wunsch verkehrt sich schließlich ins Gegenteil. In einem etwas anderen Kontext hat Marx so was ähnliches auch mal zum Fetischcharakter der Ware geschrieben und das ist das perverse an der Situation, dass die Mörder unter anderen, für sie erfolgreicheren Umständen, vielleicht zu denen gehört hätten, die diese Gesellschaftsordnung am meisten verteidigt hätten.
Ob es euch passt oder nicht, der persönliche Hass dieser Leute auf einen liberalen Lebensstil, dürfte sie zumindest anfangs mehr motiviert haben als die Gehirnwäsche der IS-Ideologen oder irgendein abstraktes Bewusstsein, als unterdrücktes revolutionäres Subjekt zu handeln.
sehr gut
Merkel, nicht Oberst Klein
Merkel hatte den Oberbefehl und Steinmeier war ihr Stellvertreter. Dass Hitler für die Legion Condor in Guernika verantwortlich war, ist Konsens, aber Merkel kann sich hinter dem perfekteren Verbrechen Demokratie verstecken. Wie tief das "Wir" hier geht, sieht man auch daran, daß "Luftschläge" gegen wesentlich schwächere Gegner eigentlich feige Kriegsverbrechen sind, die auch noch dreist damit begründet werden, daß tote Soldaten schlechte Wähler sind und man erst dann wieder "Bodentruppen" ihren Mann stehen läßt, wenn sie aus Robotern bestehen. Wieso das die Linke begriffen und thematisiert hatte, als es um Vietnam ging und heute nicht, kann eigentlich nur bedeuten, daß es gar keine Linke mehr gibt.