Ein kürzlich erschienener Text über Stärken und Schwächen autonomer Politik in Berlin konnte keinen Diskurs über eine bessere Organisierung anschieben. Zumindest in den Kommentaren und bekannten Reaktionen wird der Begriff “autonom” häufig mit Gewalt oder Militanz verwechselt. Dieser Eindruck mag entstehen wenn unter Stärken fast nur noch militante Aktionen zu finden sind weil der politische, theoretische, agitatorische und organsisatorische Drang dieser Szene momentan sehr begrenzt ist. Daraus müsste logischerweise keine Glorifizierung der Militanz betrieben werden sondern eine inhaltliche Reflektion.
Als Autonomie ( αὐτονομία, autonomía, „Eigengesetzlichkeit,
Selbstständigkeit“, aus αὐτός, autós, „selbst“ und νόμος, nómos,
„Gesetz“) bezeichnet mensch den Zustand der Selbstständigkeit,
Selbstbestimmung, Unabhängigkeit, Selbstverwaltung oder
Entscheidungsfreiheit. Autonome Politik kann deshalb nicht existieren wo
sie mit den Interessen staatlicher Organe verbunden ist, so wie es o.g.
Text kritisiert. Teile der sich als selbst als autonom oder
linksradikal labelnden Gruppen verfügen über personelle Verbindungen zu
Parteien, sei es als Mitglied oder Angestellte für Abgeordnete oder als
Partner in Bündnissen. Hier sind vor allem Kontakte zu “Die Linke” und
“Grüne” vorhanden.
Gibt es einen Einfluss dieser Parteien auf die Politik bestimmter Antifa Gruppen wie z.B. Alb, Arab oder NEA?
Wenn wir uns die Reden im Berliner Abgeordnetenhaus zu den jüngsten Auseinandersetzungen in der Rigaer Straße ansehen,
ist ein Spagat zwischen den Positionen der Grünen oder Linken und
unseren Positionen zu Mieten oder Flüchtlingen unvorstellbar. Vergleiche
die Reden von Juhnke (CDU) , und Innensenator Henkel (CDU) mit
Benedikt Lux (Grüne)
https://www.youtube.com/watch?v=q_6vePKU1to
und Hakan Taş (Die Linke)
https://www.youtube.com/watch?v=EP_6QxlpuwU
Teile der sich selbst als linksradikal oder autonom verstehenden
Szene in Berlin haben in den letzten Jahren die Grenzen zu diesem Gegner
verschwimmen lassen und haben damit auch zur gegenwärtigen Krise der
Antifa und zur Handlungsunfähigkeit bei staatlichen Eskalationen
(O-platz, Ohlauer Schule) beigetragen.
Die Verantwortung aus dieser Handlungsunfähigkeit heraus zukommen liegt
aber bei Allen, die sich den Korruptionsangeboten der Herrschenden
verweigern.
Unter Korruptionsangeboten sind auch Festivals wie die Fusion zu
verstehen, deren Besuch durch Teile der Szene während der Räumung der
Ohlauer Schule zunehmend auf Kritik stösst, auch wegen der Frontex
ähnlichen Absicherung des Fusion Geländes.
Diese Szene, die sich teilweise als autonom definiert, ist es gewohnt
ihre Zerstreungsaktivitäten in gesicherter Umgebung zu verbringen, mit
allen Auswüchsen einer Angstgesellschaft. Im Zusammenhang mit der
Ohlauer Schule wird inzwischen die Tätigkeit von Shelter Security für das Bezirksamt kritisiert
obwohl viele Leute deren Tätigkeit für Linkspartei, MyFest u.ä. in den
letzten Jahren für unproblematisch hielten. Wer seine Freizeit in
kontrollierten Räumen verbringt, wird auch keine Flüchtlinge
unterstützen, die ihre Grenzen sprengen.
(übernommen von http://urbanresistance.noblogs.org/ )
Wessen Versagen?
Wo in dem Text doch so ausführlich der Autonomie-Begriff behandelt wird, verwundet die Andeutung, die Linke Szene hätte hier irgendwie versagt: Die Flüchtlingskämpfe wurden nicht mehr wie noch vor einigen Jahren in enger Zusammenarbeit mit der linken Szene geführt, sondern ganz bewusst von Seiten der Flüchtlinge autonom. Erzielen die Flüchtlinge zumindest Teilziele, dann hebt man deren Eigenständigkeit und autonomes Agieren hervor. Scheitern sie aber, dann ist es ein Versagen der linken Szene?
du
hast den Widerspruch schön auf den Punkt gebracht, aber so einfach kommen wir aus diesem politischen Desaster trotzdem nicht raus. Es hätte die Autonomie der Flüchtlinge sicher nicht eingeschränkt, wenn "die Linke" meintwegen auch "Szene" oder was auch immer eigene Forderungen zur Unterstützung in die Öffentlichkeit gebracht hätte, bzw. die absolut reformistischen und minimalen Forderungen der Flüchtlinge stärker auf die Tagesordnung gesetzt UND politisch einem Räumungsszenario entgegen gewirkt hätte.
Und momentan ist doch die Ebene von "autonomen Flüchtlingskampf" eh längst verlasssen. Was hier stattfindet ist eine Machtdemonstration von Innensenat und Polizei. Letztere führt in Berlin insbesondere in Eskalationssituationen immer ein Eigenleben, welches immer vom jeweiligen Innensenat gedeckt wurde, wie man in den letzten dreissig Jahren mal gelernt haben könnte.
Unsere krachende Niederlage ist, dass das in Berlin offenbar nur noch um die 1500 Leute stört, wenns hoch kommt, und wir selbst in einem Stadtteil wie Kreuzberg solchen Zuständen nichts, aber auch gar nichts entgegen zu setzen haben.
Wo sind denn die 5000, die am 26.4. den Naziaufmarsch gestoppt haben? Wo sind die ca. 18 - 20.000 vom 1.Mai?
Dass die Schule noch nicht geräumt ist, liegt m.M. ausschließlich daran, dass der (Innen)senat keine toten Flüchtlinge in dieser Situation haben möchte. Offenbar haben sie deren Verzweiflung und Entschlossenheit unterschätzt. Das ist nicht unlogisch, wie sollen Bürokraten und Schreibtisch - Hengste in hochbezahlten Senatsposten, die ihr rassistisches Geschwätz vom "Wirtschaftsflüchtling" selber glauben und deren Leben sich zwischen Zehlendorf und ihrem Büro in Mitte abspielt, auch eine Vorstellung von Not und Verzeiflung der Situation von Geflüchteten aus Bürgerkriegsländern haben.
Die Räumung der Schule wird jedenfalls als eine der krachendsten politischen Niederlagen der Linken in Berlin in die Geschichte eingehen, egal, wie autonom und selbstorganisiert die Flüchtlinge als Subjekte gehandelt haben.
Der entscheidende Punkt ist, dass die Bullen drei Tage lang vier Blöcke in Kreuzberg faktisch widerstandsfrei besetzen und unter Polizeirecht stellen konnten, ohne dass es auch nur den Anflug eines gesellschaftlichen Aufschreis im Rest der links(liberalen) Millieus in Kreuzberg bzw. Berlin gegeben hätte. Man muss schlieslich kein linksradikaler Revolluzer sein, um eine polizeistaatliche Eskalation scheisse zu finden.
Kernpunkt ist die bewusste Abgrenzung von der linken Szene
Wo sind die 5000 vom 26.4? Wo die 18-20.000 vom 1.Mai? Die sind alle zuhause, auf der Fusion oder beim WM-Gucken. Und das ist nur zu verständlich. Denn die Antira-Szene ist, zumindest in Berlin, so auf den Hund gekommen, dass antirassistische Arbeit nur noch als rein karitative Dienstleistung für Flüchtlinge verstanden wird. Es gibt nicht mehr die partnerschaftliche Zusammenarbeit der ersten Grenzcamps, wo Flüchtlinge und Antira-Aktivisten, bei unterschiedlichen Zielen, gleichberechtigt zusammengearbeitet haben. Sich antirassistisch im Kontext dieser Flüchtlingsproteste zu engagieren, heißt die Arbeit zu erledigen, die ehemals evangelische Gemeindemitglieder erledigt haben: Warme Suppe bereitstellen, Spenden eintreiben und ansonsten die Klappe halten. Wer das möchte, soll sich nicht abhalten lassen, aber dass sich dafür eher 100 als 10.000 finden lassen, verwundert auch nicht.
Oder warum sonst haben sich alle Linken, die ARI eingeschlossen, bis auf eine Handvoll Critical-Whiteness-Freaks aus den Solistrukturen zurückgezogen und schauen erst jetzt wieder, bei der Räumung, vorbei?
Die Linken waren für die Flüchtlinge und die tonangebenden Unterstützer nützliche Idioten. In der Gerhard-Hauptmann-Schule hat man das Ergebnis dieser Isolationismus beobachten: Keine Unterstützungsstrukturen mehr, eine gänzlich zusammengebrochene Sozialstruktur. Und da fragen sich schon viele Linke, ich eingeschlossen: Warum sollen wir einen Ort als erhaltenswert betrachten, wo sich im Monatsrythmus Menschen gegenseitig abstechen? Ein Ort, der für weiße Frauen eine No-Go-Area ist? Deshalb können viele mit dem Polizeieinsatz und der Räumung insgeheim ganz gut leben. Und auch die jetzt wieder auftauchenden Antiras waren aus guten Gründen in den letzten Monaten dort nicht präsent.
Die Flüchtlingsproteste haben stark begonnen und sind nicht zuletzt wegen ihrer Selbstgerechtigkeit und Abgrenzung gegen die potentiellen Unterstützer jetzt versandet. Dies jetzt weiterzuführen und die Schule durch einen riesigen Proteststurm für ein paar Monate weiter zu erhalten, wäre eine Farce.
Flüchtlinge als Avantgarde?
Daß die Solidarität eingeschlafen ist, hat weder etwas mit "Fusion" noch mit Schwäche zu tun. Lange sah es sogar so aus, daß sie ähnlich groß wie in Hamburg werden könnte. Doch spätestens als sich ein Teil der Flüchtlinge den Grünen an den Hals geworfen hatte, kam bei vielen Leuten das Gefühl auf, daß hier "autonome Kettenhunde" verheizt wurden und "Szene" sich hat ausspielen lassen, die autoritären Strukturen sowohl am O-Platz als auch in der Schule taten ein übriges zur Abschreckung. Die Flüchtlinge sahen es auch überhaupt nicht ein sich zu vernetzen, Unterstützer_innen hatten gefälligst dort anzutanzen, keine Infotour durch Projekte, Unis, Schulen und generell war die Mobilisierungsfähigkeit von ein paar Hundert Besetzer_innen ganz schön arm.
Vernetzung wäre hier möglich gewesen, international und mehrsprachlich:
clandestinenglish.wordpress.com
Arrogant klingt auch die Rechtfertigung eines Todesopfers durch Messerstecherei mit fehlenden Duschen.
die revolution wartet nicht?
Die wiederholte erwähnung der fusion ist mir ebenfalls aufgefallen. dort sind menschen von lampedusa in hamburg mehrfach bei gut besuchten konzerten aufgetreten und konnten ihre positionen an die leute bringen. verschiedenste bands haben ebenfalls diese dargestellt. das auf der fusion unpolitisch gefeiert wird ist ein mythos.
manchmal erscheint es schon wie ein vorwurf überhaupt dahinzugehen. als ob es auch nur im ansatz sinnvoll wäre, mit dem bewußtsein um weit über 100 jahre alte linke kämpfe, auf ca. 5 tage spaß zu verzichten und als ob ein paar tausend mehr etwas ändern würden. diese tausende wären auch so da. das problem ist nicht die fusion (im gegenteil, von ihr gehen massenweise finanzielle wie materielle unterstützung für alle möglichen kämpfe aus), dass problem ist eines der organisierung/politisierung.