Spanien torpediert Normalisierung im Baskenland

Protestversammlung in Donostia-San Sebastian nach dem Urteil zu den Volkskneipen

Gerichte verurteilen weiter linke Politiker in politischen Verfahren und das Verfassungsgericht bestätigte auch das Urteil gegen Arnaldo Otegi, Rafa Diez und andere inhaftierte linke Politiker als angebliche ETA-Mitglieder, die einen einseitigen Friedensprozess eingeleitet haben und zur Entwaffnung der Untergrundorganisation führen.


Es hat kaum jemanden im Baskenland verwundert, dass der Nationale Gerichtshof in Madrid kürzlich erneut 20 Mitglieder der baskischen Linken zu Knaststrafen verurteilt hat. 12 Jahre benötige das spanische Sondergericht, um Urteile im Fall der „Herriko Tabernas“ (Volkskneipen) zu sprechen. Er stellte fest, dass die Führungsmitglieder der 2003 verbotenen Partei „Batasuna“ (Einheit) angeblich Mitglieder oder Unterstützer der Untergrundorganisation ETA waren und sie über die Kneipen finanziert habe.
Das sahen angesichts schwacher Hinweise aber nur 7 der 13 Richter so, denn konkrete Beweise fehlten. Nebulös heißt es im Urteil allgemein: „Die Herriko Tabernas stellen eine logistische Infrastruktur für Aktivitäten von Organisationen dar, die vom Militärapparat der ETA kontrolliert wurde.“ Es ist die alte Logik, die über Jahre festgezurrt wurde, dass praktisch alle zur ETA gehören, die wie sie für ein unabhängiges, sozialistisches und vereintes Baskenland eintreten. Die Herrikos hätten als Basis für die „Lagerung und Verteilung von Material und Propaganda“ gedient. 111 Treffpunkte der linken Unabhängigkeitsbewegung, die es in vielen Dörfern und Stadtteilen gibt, sollen nun beschlagnahmt werden. Das ist für die baskische Linke ein Zeichen, dass vor allem ihre politische Arbeit unterbunden werden soll.  Die Herrikos gehören zur vielfältigen Widerstandskultur in Städten und Dörfen des Baskenlandes und sind deshalb ein Dorn im Auge der spanischen Nationalisten und der postfaschistischen Volkspartei (PP), die von Mitgliedern der Diktatur gegründet wurde und sich nie von Putsch und Diktatur distanziert hat. 
Neben der Uneinigkeit der Richter fiel auch auf, dass die Sozialzentren trotz der schweren Anschuldigung, zur „Struktur einer Terrororganisation“ zu gehören, nur kurz geschlossen waren. Und bis das Urteil von höheren Gerichten bestätigt oder gekippt wird, bleiben sie geöffnet. Ohnehin werden die Zentren meist von privaten Vereinen betrieben, gehörten nicht Batasuna. Die wurde aber nicht verboten, weil eine Verbindung zur ETA bewiesen wurde, sondern weil ein neues Parteiengesetz eine Verurteilung der ETA forderte. Und bei eingehender Prüfung waren auch in den Büchern der Volkskneipen keine Unregelmäßigkeiten festgestellt, was einst zur schnellen Wiedereröffnung sorgte.
Auch die Strafen zeigen, wie die Richter zu ihrem Urteil stehen. Für derlei Vergehen werden sonst deutlich höhere Haftstrafen verhängt, die zwischen 15 Monaten und drei Jahren „milde“ erscheinen. Die höchsten Strafen erhielten frühere Batasuna-Führungsmitglieder wie Joseba Permach, Rufi Etxeberria die heute erneut an der Spitze der neuen Partei Sortu (Aufbauen) stehen. Und auch bei der Partei war behauptet worden, sie diene der ETA. Da sie sich klar von der ETA und Gewalt distanzierte, musste das von der Regierung beantragte Verbot 2012 vom Verfassungsgericht gekippt werden. Und dass die neuen Verurteilungen über die Instanzen bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg Bestand haben, wird allgemein bezweifelt.
Nach Straßburg zieht nun der ehemalige Batasuna-Sprecher Arnaldo Otegi. Dass im Fall der Kneipen Verurteilungen erwartet wurden, hatte damit zu tun, dass kurz zuvor das Verfassungsgericht das Urteil gegen ihn und vier Mitstreiter bestätigt hatte. Deshalb saß Otegi nicht erneut auf der Anklagebank, da er schon als „ETA-Mitglied“ abgeurteilt worden war. Das Madrider Sondergericht sah in ihm sogar einen ETA-Führer. Und das galt auch für Rafa Diez, denn mit Otegi wurde auch der ehemalige Generalsekretär der Gewerkschaft LAB zunächst zu 12 Jahren Haft verurteilt.
Das verwarf aber der Oberste Gerichtshof, der sie zu einfachen Mitgliedern machte und sie zu sechseinhalb Jahren verurteilte. Diese Urteile wurden nun vom Verfassungsgericht bestätigt, aber mit sieben zu fünf Stimmen auch nur knapp. Obwohl sie den großen Teil der Strafe seit 2009 abgesessen haben, kommen sie nicht frei. Das ist nach zwei Dritteln oder drei Vierteln möglich und üblich. Auch das zeigt, dass sich trotz baskischer Friedensbemühungen an der Sonderbehandlung der Gefangenen in Spanien nichts geändert hat, die auf Grund des Konflikts inhaftiert sind.
Im Baskenland kritisieren auch Führungsmitglieder der spanischen Sozialisten (PSOE) das Verfassungsgerichtsurteil. Die Sprecherin der baskischen PSOE-Sektion Idoia Mendia konnte das „Urteil nicht verstehen“, denn die Widersprüche seien „immer deutlicher“ geworden. Folgt man dem Urteil hätten Otegi, Diez und andere für die ETA die verbotene Batasuna reorganisiert. Dabei ist bewiesen, dass sie einen einseitigen Friedensweg anführten. Sie haben dafür gesorgt, dass die ETA nach einer Friedenskonferenz im Oktober 2011 nach 50 Jahren das „definitive Ende“ des bewaffneten Kampfs zu verkündete, nachdem das auch Batasuna von ihr gefordert hatte. Unter internationaler Beobachtung hat die längst mit der Entwaffnung begonnen.
Doch auch die gestaltet sich schwierig, weil Madrid auch daran nicht mitwirken will. Ein solches Verhalten Mitglieder der Prüfungskommission unter Ram Manikkalingam aus Sri Lanka bei der Vermittlung in diversen Konflikten nie erlebt. Weil der Professor an der Universität Amsterdam und Präsident der Dialogue Advisory Group (DAG) mit dem Südafrikaner Ronnie Kasrils - ein Kampfgefährte von Nelson Mandela - an einer Entwaffnung teilnahmen, wurden auch sie als Beschuldigte vor dem Nationalen Gerichtshof vernommen. Einschüchtern lassen sie sich nicht: „Wir glauben, dass eine einzigartige Chance für eine Friedenslösung besteht“, erklärte Manikkalingam.
Denn die baskische Linke lässt sich vom eingeschlagenen Weg nicht abbringen. Sie resümiert, dass die Verhandlungsverweigerung, Inhaftierungen und Repression nur zeigten, wie richtig ihre Strategie ist, auf die der spanische Staat hilflos reagiere und sich weiter isoliere. Und die Wähler im Baskenland belohnen die baskische Linke. Die Konzentration progressiver Kräfte, die Otegi in einem kürzlich auch in deutscher Sprache erschienenen Interviewbuch beschreibt, hat dazu geführt, dass die vereinte baskische Linke der christdemokratischen Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) die Vorherschafft streitig macht.
Dem hätten die Aktionen der ETA lange im Wege gestanden, stellte auch Otegi fest. Bei den Europaparlamentswahlen im vergangenen Mai wurde die baskische Linke erstmals stärkste Kraft. Auch das hatte er in „Lichtblicke im Baskenland“ vorhergesagt. Er beschreibt auch, dass Spanien über Unnachgiebigkeit in der Gefangenenfrage und der Entwaffnung der ETA versuchen werde, Spaltungen zu provozieren und den Prozess zum Scheitern zu bringen, was bisher gescheitert ist.
© Ralf Streck, den 19.08.2014

 

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