Am 30. April wird das Verwaltungsgericht in Regensburg die Klage eines Aktivisten der Flüchtlingsproteste gegen die Ablehnung seines Asylantrags vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verhandeln. Deshalb wird an diesem Tag in Regensburg ein Aktionstag unter dem Motto "Bleiberecht für Alle" stattfinden. Neben dem solidarischen Besuch der Verhandlung, startet um 18 Uhr eine Demonstration vom Hauptbahnhof im Anschluss wird es noch eine Soliparty geben.
Wenige Wochen vor der Verhandlung gegen einen Aktivisten der Flüchtlingsproteste am Regensburger Verwaltungsgericht, hat das Verwaltungsgericht die Klage von Saeid Rezaei auf politisches Asyl beziehungsweise auf "rechtsfesten" Schutz vor einer Abschiebung abgewiesen. Saeid beteiligte sich im Iran 2009 im Rahmen der grünen Revolution an den Protesten gegen das Regime von Mahmud Ahmadinedschad. "Die vom Kläger geschilderte Verfolgungsgeschichte ist nicht glaubhaft. Seine Angaben wirken konstruiert", so die schriftliche Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts. Ebenfalls unterstellt das Gericht Saeid sein Wechsel zum christlichen Glauben, sei nur vorgetäuscht um einer Abschiebung zu entgehen. Ein Pfarrer der Saeids Wechsel zum Christentum vor Gericht in einer "glaubhaften Zeugenaussage" bestätigt, unterstellt das Gericht Naivität. Er sei schlicht und einfach nicht fähig zu realisieren, wenn ihm jemand etwas vorspielt. Saeid studiert derzeit als Gaststudent an der Hochschule Deggendorf. Bereits im Vorfeld der Verhandlung am Verwaltungsgericht haben sich Studierende, Hochschulleitung und sogar der Integrationsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, der CSU-Landtagsabgeordnete Martin Neumeyer, für ein Bleiberecht für Saeid eingesetzt. Saeid will weiter kämpfen. Derzeit ist er in Schöllnstein kaserniert. Im dortigen Lager sind mehr Flüchtlinge kaserniert (ca. 90) als Einwohner in Schöllnstein leben (ca.70). Im Jahr 2011 fand der Regierungspräsident von Niederbayern klare Worte, wie die Schöllnsteiner „so viele Asylbewerber“ integrieren sollen. „Es geht überhaupt nicht um Integration.“. Laut bayerischer Asyldurchführungsverordnung soll die Unterbringung in den Flüchtlingslagern „die Bereitschaft zur Rückkehr in das Heimatland fördern“ (§7 Abs. 5).
Kundgebung vor und Verhandlung im Verwaltungsgericht Regensburg im August 2012
Bereits im August vergangen Jahres wurde vom Regensburger Verwaltungsgericht die Klage gegen das BAMF eines ebenfalls iranischen Aktivisten der Flüchtlingsproteste abgelehnt. Selbstverständlich wisse man, dass der Iran ein Verfolgerstaat sei, erklärte damals Oberregierungsrat Stahnke (BAMF). „Deshalb werden auch 50 Prozent der Asylbewerber aus dem Iran anerkannt.“ Wahrscheinlich bösartig - kommentierte das lokale Onlinemedium regensburg-digital.de die Verhandlung.
Die ehemals streikenden Flüchtlinge in Regensburg über die Verhandlung:
Hier an diesem Ort ist etwas im Gange, ein merkwürdiges Geschehen. Wie kann soetwas mitten unter uns zu einem alltäglichen Geschehen werden? Hier an diesem Ort wird über Menschsein bestimmt. Du musst hingehen, um einer Gruppe zu beweisen, dass ein menschenwürdiges Leben dein Recht ist. Was ist das für ein Ort? An welchem Ort ist es möglich, dass ein Mensch über das Menschsein eines anderen urteilt und woher kommt die Notwendigkeit einer solchen Gesetzesapparatur, die darüber bestimmt? Wer sitzt dort und woher nimmt diese Person sich das Recht? Wird der Mensch an dem Gesetz gemessen oder sollte das Gesetz sich nach dem Menschen richten?
Seit Juni 2012 ist der am 30. April klagende Aktivist an den Flüchtlingsprotesten beteiligt. Nachdem er sich in Würzburg dem Protestzelt anschloss, protestierte er von Anfang Juli bis Anfang September 2012 in einem Protestzelt in Regensburg, es folgte ein mehr als 600 km langer Protestmarsch bis Berlin und ein Hungerstreik unter massivster Repression vor dem Brandenburger Tor.
Ende November 2012 attackierten er und weitere Aktivist_innen die iranische Botschaft in Berlin. Sie verbrannten die Flagge, verschönerten das Gebäude und forderten "die sofortige Freilassung von Nasrin Sotudeh und den anderen Gefangenen, die zusätzlich unter den besonderen Haftbedingungen für Frauen leiden!” Mehr Infos zur Aktion und ein Video finden sich hier
Aktion an der iranischen Botschaft im November 2012
Im Rahmen eines Kongresses in München Anfang März, an dem er als Organisator mitwirkte, versuchte er gemeinsam mit anderen Flüchtlingen die bis dato eher vom Aktionismus geprägten Proteste mit Inhalt zu füllen. Auch beteiligt er sich weiterhin kontinuierlich an verschieden Demonstrationen und Aktionen. Zuletzt an der antifaschistischen Demonstration anlässlich des NSU-Prozess in München. Hier wurde er vor der Demonstration wegen des Verstoß gegen die Residenzpflicht festgenommen. Erst als die Demoleitung androhte die Demonstration nicht zu starten, wurde er wieder freigelassen und konnte an der Demonstration teilnehmen.
Dem Aktivisten geht es aber nicht darum auf sein individuelles Einzelschicksal aufmerksam zu machen. Dies wird besonders deutlich, in dem von ihm verfassten Aufruf:
Der Mensch, der gezwungen war, vor Zerschlagung, Unterdrückung, Krieg und Hinrichtung in ein anderes Land zu fliehen, ist, in Deutschland angelangt, allen als „Flüchtling“ bekannt.
Der große Widerspruch, der heute seine Gedanken beschäftigt, ist seine Erinnerung an Freund_innen, die mit von Siemens hergestellten Mitteln verhaftet wurden und nie wieder zurückkehrten. Es sind Erinnerungen an Menschen, die mit in Deutschland hergestellten Pfeffersprays, Schlagstöcken und Polizeiautos auf den Straßen niedergeschlagen wurden, Menschen, die in Kriegen durch deutsche Panzer und Helikopter umgebracht wurden.
Diese Erinnerungen sind deshalb so bitter, weil er einer von ihnen hätte sein können – aber er ist jetzt hier.
Diese Erinnerungen gehen durch die Gedanken eines Menschen, der tausende Kilometer durch die geografischen Grenzen hindurch hinter sich gelassen hat. Beschwerliche Wege durch Berge und Meere, die jedes Jahr tausenden Menschen das Leben kosten, wenn sie Grenzwachen und Frontex in die Hände laufen. Grenzen und Wege, die von den Hiesigen gebaut wurden um einzig und allein Öl, Diamanten und Datteln von „dort“ nach „hier“ zu bringen, nicht aber die Menschen von „dort“.
Auch er hätte einer von diesen tausenden Menschen sein können, die ertrinken, in Täler abstürzen, von einer Kugel getroffen werden oder auf dem Weg verhungern – aber er ist jetzt hier.
Er stammt nicht aus den Diamantenminen Afrikas, er stammt nicht aus den Ölbrunnen Irans, er wurde nicht von den Dattelpalmen des Nahen Osten gepflückt, er ist ein Mensch, ein Vertreter aus den Reihen der unterdrückten Menschen, die auf der Suche nach dem Leben gegen die unterdrückende Ordnung kämpften. Von Ihnen aber ist nur eine kleine Anzahl noch am Leben.
Der Name „Flüchtling“ ist ein Widerspruch, denn die Unterdrückten bitten um Zuflucht bei den Unterdrückenden. Er steht in dieser Geografie hinter den verschlossenen Türen der Gesellschaft jenes repressiven Systems, damit auch hier der Abstand zwischen ihm und dem Citizen, dem Status als Bürger, bestehen bleibt, wo er doch erst als Citizen die freie Wahl im Leben hätte.
Sie fragen ihn nach dem Grund seines Kommens, obwohl weltweit im Fernsehen die deutschen Panzer, Helikopter, Pfeffersprays und PolizeiBENZautos zu sehen sind.
Und nach einer Antwort auf diese Frage bezichtigen sie ihn der Lüge. So einfach ignorieren sie die Realität seiner Welt und zwingen ihn, den Rest seines Lebens als Non-Citizen hinter verschlossenen Türen zu fristen. Vielleicht lassen sie ihm jedoch irgendwann den Durchtritt durch die Tür des Citizen-Werdens, wie bei einer Lotterie, nachdem sie in ihm die Lust am Leben zerstört haben. Oder sie führen ihn nach der erteilten Ablehnung vor Gericht, damit darüber abgestimmt werden kann, ob er es wert ist zu leben? Ein Gericht, dessen größte Pflicht darin besteht, die vorherrschende Ordnung des Systems zu bewahren.
In diesem Gericht wurde er fälschlicherweise auf dem Stuhl des Angeklagten platziert.
Dieses Mal wird am 04.04.2013 ein weiterer „Flüchtling“ fälschlicherweise auf jenem Platz sitzen und nach Jahren des Kampfes für das Leben auf einem Stuhl verurteilt werden, der so viel wert ist wie 15 Kugeln, die an den iranischen Staat verkauft wurden.
Demonstration in Regensburg im Juli 2012
Aktionen am 30. April in Regensburg
Solidarischer Besuch
Der Prüfung eines Asylantrags vor dem Verwaltungsgericht
9:30 Uhr | Zimmer Nr. 113 | Haidplatz 1
Demonstration
18:00 Uhr | Hauptbahnhof
Soliparty
für Prozesskosten
20:00 Uhr | L.E.D.E.R.E.R: e.V. | Lederergasse 25
Informationen
facebook-event zum Aktionstag
Landshut fährt nach Regensburg!
Zugtreffpunkt für Landshut ist: 17:00 Uhr - Landshut Hauptbahnhof
Quelle: klick!