Am 24.1. fand vor dem Bochumer Amtsgericht ein weiterer Prozess gegen einen Antifaschisten statt. Ihm wird vorgeworfen, den Fernseh-Cop Thomas „Harry“ Weinkauf verletzt und beleidigt, sowie Widerstandshandlungen vorgenommen zu haben.
Der Beginn dieser großartigen Inszenierung war eine Kundgebung, zu der die Antifaschistische Jugend Bochum eingeladen hatte. Dem Aufruf folgten viele solidarische Menschen und Angehörige verschiedener Gruppen, sogar aus entlegenen Orten NRWs. Um 9 Uhr versammelten sie sich als Harry-Fanclub vor Gericht, um ihren Liebling mit Harry-Schildern, Harry-Masken und Schildern mit Aussagen wie „Die Linken lügen“, oder „All TV-Cops are beautiful“ zu begrüßen und anzufeuern. In der Bevölkerung fand die Forderung nach einer härteren Vorgehensweise gegen die linken „Kaoten“, wie auf einem der Schilder zu lesen war, Anklang. „An die Wand stellen“ solle man „die Linken“, so ein Deutscher der älteren Schule.
Das Spektakel wurde umrahmt von einem phänomenalen Polizeiaufgebot. Vier Wannen, von der eine ein Kamerawagen war, waren zugegen. Angeblich wurde mit der auf dem Dach installierten Kamera nicht gefilmt, wobei diese sich allerdings immer wieder gezielt auf die Versammlungsteilnehmer_innen richtete. Ebenfalls wurden diese offensichtlich aus dem Wagen heraus mit einem Teleobjektiv abfotografiert. Die polizeiliche Einsatzleitung bestritt dies zwar, wieso allerdings Blitze von der Kamera ausgelöst wurden, vermochte diese nicht zu erklären.
Nach ca. 50 Minuten, kurz vor Prozessbeginn wurde der erste Akt ordnungsgemäß beendet und die Demonstrant_innen begaben sich zum zweiten Akt ins Bochumer „Staatstheater“.
Der Termin erregte mehr Aufmerksamkeit als erwartet: Viele Prozessbeobachter_innen wurden von der Richterin des Sitzungssaals verwiesen, da nicht genügend Sitzplätze vorhanden waren und Stehplätze „nicht der Würde des Gerichts“ entsprächen. So verfolgten über 30 Interessierte die Sitzung; ca. 10 Genoss_innen mussten draußen bleiben. Schön am Platzmangel: vier der sechs Zivilbeamten und Staatsschützer, die mit rein wollten wurden ebenfalls rausgeschickt, da alle Plätze von solidarischen Beobachter_innen gefüllt waren. Da halfen auch die hastig vorgezeigten Dienstausweise nichts. Markus Schumacher fand ebenfalls seinen Platz vor dem Gerichtssaal, da auch er nicht mehr hineinkam. Sein Kamerad André Zimmer musste den Saal verlassen, da er bei dem Stand anwesend war und potenziell noch als Zeuge in Frage gekommen wäre.
Zu Beginn der Verhandlung las die Staatsanwältin ihre Anklageschrift vor. In dieser wird dem Angeklagten vorgeworfen am 8. Mai 2010 bei einer Aktion gegen einen NPD-Wahlkampfstand den „Harry“ beleidigt und strikt eine geforderte Abgabe seiner Personalien verweigert zu haben. Deshalb wurde er mit auf das Polizeipräsidium Mitte genommen, auf dem sich laut „Harry“ folgende Szenen abgespielt haben sollen: Auf der Wache habe der Angeklagte bei einem „Fluchtversuch“ wild um sich geschlagen und den Beamten Weinkauf vor eine Rigipswand geschleudert. Dieser zog sich dabei eine Verletzung am kleinen Finger zu; die Wand wurde dabei beschädigt.
Nach einer kurzen Klärung der persönlichen Verhältnisse, stand der angeklagte Antifaschist auf und trug eine vorbereitete Einlassung vor. In dieser schlug er eine Brücke von üblichem Polizeiverhalten (insbesondere in Zusammenhang mit dem „26.3.“) über das Gespenst des Extremismus hin zu den konkreten Inkriminierungen durch Staatsschutz und -anwaltschaft von antifaschistisch Engagierten in Bochum. Während der Stellungnahme unterbrach die Richterin ihn mehrmals um erst seinen Anwalt und dann ihn anzuhalten, sich nun endlich „zur Sache“ zu äußern. Er stritt die Vorwürfe vehement ab und stellte klar, dass der Fernsehbulle „Harry“ ihn auf der Wache massiv geprügelt hat und nun als Schutzbehauptung an seiner Version festhält. Zu der Auseinandersetzung mit dem „Freund & Helfer“ kam es als sein Kollege versuchte mit dem Handy des Aktivisten in einen anderen Raum aufzusuchen; vermutlich um dort die Sim-Karte einzulesen und Informationen zu beschaffen. Der Angeklagte stand von seinem Stuhl auf, um dem Beamten hinterher zu gehen und gegen den offensichtlich geplanten Eingriff in seine Privatsphäre zu protestieren. Doch „Harry“ kam dem zuvor: Dieser stürmte von seinem Tisch auf den Linken zu und schlug diesen unvermittelt mehrfach in Gesicht und gegen den Oberkörper. Dann schubste er diesen so stark vor eine Wand im Flur, dass diese beschädigt wurde. Wieder in den Verhörraum verfrachtet setzte sich der Attackierte auf einen Stuhl, von welchem er abermals durch körperliche Gewalt auf den Boden befördert wurde.
Bei einer anschließenden Befragung wurde der Sachverhalt weiter konkretisiert. Die Richterin schien dabei sehr darauf bedacht zu sein, vom Angeklagten bestätigt zu bekommen, dass die „Maßnahme“ von Thomas Weinkauf auf der Wache eine körperliche Attacke und kein „richtungsweisendes Zurückdrängen“ gewesen ist, was vom Angeklagten bekräftigt wurde.
Nun folgte die Befragung des 45-Jährigen Thomas „Harry“ Weinkauf. Die Erklärung des TV-Cops entsprach grob der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft, auch deshalb weil seine Anzeige ja eben Grundlage dieser ist. Während der Vernehmung wurde der Beamte zunehmend unruhiger und verstrickte sich in Ungereimtheiten.
Auf Nachfrage des Verteidigers, ob er schon strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, gab's die Überraschung: Ja! Er hat wegen einem „fahrlässigen Falscheid“, also einer Falschaussage unter Eid vor Gericht, eine Verurteilung zu 3600 € bekommen und ist somit einschlägig vorverurteilt. Ein Zeuge wie man ihn sich nicht anders wünschen kann!
Als André Zimmer in den Zeugenstand gerufen werden sollte, wurde erstaunt festgestellt, dass er sich aus dem Gericht entfernt hatte.
Da der Kollege des Beamten Weinkauf erkrankt ist, wurde der Prozess unterbrochen und geht am 7.2. um 10 Uhr in Raum C 33 weiter. Dann wird auch eine Nazi-Zeugin angehört, die den angeklagten einer Sachbeschädigung beschuldigt.
weitere Informationen:
Einladung zum solidarischen Empfangskomitee
Pressemitteilung vom 10.5.: "Harry" verliert die Kontrolle
BO: NPD-Stand effektiv gestört
Pressespiegel:
BSZ: Prozessauftakt mit Ungereimtheiten - Illegale Handydurchsuchung auf Bochumer Polizeiwache?
derwesten: Bochumer Antifa wirft Polizist Harry Gewalt vor
bo-alternativ: Foto und Knarry
Verlinkung
http://ajb.blogsport.de
ist ja alles ganz nett und
ist ja alles ganz nett und furchtbar witzig, die frage ist aber doch, ob man dem angeklagten mit so einem aufstand einen gefallen tut. normaler weise ist es so, daß, wenn man vorher noch nicht auffällig geworden ist und den reumütigen mitläufer spielt, das verfahren gegen auflage eingestlelt wird oder man wenn es hoch kommt eine geldstrafe unter 90 tagessätzen bekommt, sprich: man ist nicht vorbestraft. bei so einem massenauflauf einschliesslich provozierendem verhalten besteht aber die große wahrscheinlichkeit, dass er als überzeugungstäter mit ungünstiger sozialprognose angesehen wir,d sprich, es ist davon auszugehen, dass er ähnliche straftaten wieder begeht und ein paar tagessätze extra bekommt und vorbestraft ist, was je nach studium o.ä. auf ein faktisches berufsverbot hinauslaufen kann. aber da kann man dann natürlich keine tollen indymediaartikel drüber schreiben. also lieber mal nachdenken statt blindem aktionismus.
knalltüte
Was bist du bloß für ne knalltüte ...?
Hast wohl selbst schon genug verfahren durchgezogen und wie ein ja-sager alles abgenickt, was man dir erzählt hat. vielleicht hast du bedauerlicherweise auch keinen solidarischen rückhalt gehabt. aber deine eigenen defizite dann auf andere zu projezieren, das ist echt unsolidarisch....
mal drüber nachgedacht, dass der angeklagte sich über all die konsequenzen, die du beschreibst, im klaren ist? mal überlegt, dass der angeklagte einfach keine auf lügen fußende verurteilung über sich ergehen lassen will? mal die "Stellungnahme" (oben verlinkt) gelesen?
Bevor du anderen ihre urteilskraft absprichst und ne gelungene solidaritätskundgebung runtermachst, einfach mal die fresse halten....
Zu di
Es gibt unterschieldliche Art und Weisen, wie wir mit Prozessen umgehen können. Jedes mal, wenn wir kriminalisiert und vor Gericht gezerrt werden, müssen wir abwägen, zwischen politischer Integrität und Schadensabwehr. Also zwischen dem Führen eines politischen Prozesses, in dem die kriminalisierung angeprangert wird und man sich vor seine Bewegung stellt um zu zeigen: "Mit uns nicht!" und andererseits dem Verlangen, ohne Vorstrafe und mit möglichst kleiner Strafe aus dem Prozess heraus zu gehen, was in der Regel durch ein "unpolitisches" Verhalten im Gerichtssaal versucht wird zu erreichen.
Wenn aber einE AktivistIn so mutig ist und sich genügend unterstützt fühlt um einen politischen Prozess - samt seiner negativ ausfallenden Resultate, wie höhere Strafe - zu führen, sollten wir das begrüßen und unsere Solidarität kundtun, anstatt darüber zu meckern!!!
Und was kann schöner sein, als eine kleine Aktion vor einem Prozess, der sowieso schon als öffentliche Anklage gegen die Ankläger geführt wird?
Zuletzt stell dir mal vor: Der Prozess und die Aktion stand sogar bereits in den lokalen bürgerlichen Zeitungen, hat also einige Aufmerksamkeit bekommen. Wenn jetzt der Angeklagte freigesprochen würde, wäre der Skandal des lügenden Bullen gleich weitaus bekannter und die Bürgers bekommen davon Wind und nicht nur die eigene "Szene".So kann man politik machen!
Wenn der Freund sich aber auf der Anklagebank klein macht und niemand weiß, dass so ein Prozess stattfindet, gibt es auch niemanden, der sich darüber empören kann, dass antifaschistische Aktivitäten in Bochum kriminalisiert werden.