"Zuwanderungsformen, die Akzeptanzprobleme sowie soziale und kulturelle Verwerfungen schaffen,..." .
Fragen zur Ankündigung eines Seminars der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. „Der europäische Traum zwischen Migration, Integration und Wertekonsens“ lautet der Titel eines Seminars der Dienstleistungsgewerkschaft verdi. Es soll im ver.di-Haus Brannenburg vom 23.8. bis 28.8. 2015 stattfinden und ist von der ver.di-eigenen Bildungsverein organisiert. Ein Seminar mit ähnlichen Titel und Inhalt ist bereits im Jahr 2010 gelaufen.
Als Mitglieder von Verdi und AntirasstInnen hat uns die Diktion der Seminarankündigung gleich aus mehreren Gründen sehr überrascht. Wir wollen daher mit Veröffentlichung eine Diskussion über eine antirassistische Positionierung auch bei verdi anregen. Schließlich hat die vom DGB-Berlin Brandenburg verantwortete Räumung einer Gruppe Geflüchteter aus dem Gewerkschaftshaus dazu geführt, dass sich an der Basis viele GewerkschafterInnen um ein klar antirassistisches Profil bemühen. Die Seminarankündigung jedenfalls lässt davon wenig ahnen. Aber lest selber:
HIer findet sich der Link zum Seminar:
https://bildungsportal.verdi.de/seminare_programm_einzeln.php3?si=5443b9c2afa8c&view=&lang=1&hauptkategorie=&unterkategorie=&id=542579a2ae8c5
Hier einige unserer Kritikpunkte und Fragen:
Hier wird haupte, dass Zuwanderungsformen (und zwar offenbar nur manche), Probleme und Verwerfungen schaffen, welche zum Beispiel auch durch Vorurteile und Rassismus und Ausgrenzung geschaffen worden sein können.
Hierbei sollen aber nicht alle "Formen" von Zuwanderung gemeint sein, sondern zwischen diesen differenziert werden.
Durch die
Nebensatzkonstruktion macht der Autor das zur Voraussetzung statt zum
Gegenstand der Diskussion.
"Zuwanderungsformen,..., zwingen uns zu einer Selbstvergewisserung"
Wie gemein von diesen Zuwanderungsformen, uns zu etwas zwingen zu wollen, spätestens jetzt greifen sie in unsere Freiheit ein, welche Frechheit!!!
Diese Konstruktion lässt es ein wenig unglaubwürdig erscheinen, dass hier tatsächlich von verschiedenen "Formen" der Zuwanderung gesprochen wird, und erweckt eher den Eindruck, als gehe es um bestimmte Personengruppen, die jedoch meist im gewerkschaftlichen Diskurs eher als MigrantInnen bezeichnet werden und eher selten als "Zuwanderungsformen".
Und wozu zwingen uns diese fiesen Zuwanderungsformen?
Zur "Selbstvergewisserung" nämlich, das hätten wir niemals freiwillig gemacht, nämlich, nein, wir sind dazu GEZWUNGEN!!!
Und falls dabei rein zufällig rassistische oder nationalistische oder chauvinistische oder sonstwelche Scheiße rauskommt, also dann wisstt Ihr jedenfalls schonmal, wer daran schuld ist, das sind die Zuwanderungsformen, diese Fieslinge, machen alles kaputt.
Wer "wir" sind,
die wir angeblich GEZWUNGEN sind, uns unserer SELBST zu vergewissern, wird
übrigens dadurch auch noch exklusiv definiert, denn wenn die Zuwanderungsformen
uns gegenübertreten, um uns zu etwas zu zwingen, dann können sie zu diesem
"wir" nicht gleichzeitig dazugehören, und schon gar nicht zu
"wir SELBST".
"Arbeiten wir an einem europäischen Wertekonsens und dessen
Durchsetzung?"
Insgesamt ist vieles an dem Text in Frageform gefaßt. Um einen ordentlichen Deckmantel für miese Hetze abgeben zu können, hätte die Frage aber lauten müssen: "Brauchen wir einen europäischen Wertekanon, und wenn ja, wozu? Muß der auch durchgesetzt werden, und wenn ja, wie weit darf man gehen, um ihn durchzusetzen?"
So, wie die Frage im Programm steht, wird niemand das Seminar buchen, der sich stattdessen fragt: "Wozu, zum Geier, einen solchen Wertekonsens, kann man den essen, und wer gibt einem eigentlich das Recht, ihn durchzusetzen, und gegen wen eigentlich?"
"Wie viel Integrationsangebote kann Europa leisten und wie viel Integrationsbereitschaft muss es verlangen?"
Fragen über Fragen. Geht es überhaupt um Integrationsangebote und Integrationswillen, oder heißt das Problem Rassismus, Ausgrenzung, Hetze? Wenn Ausgebeutete in verschiedene Gruppen unterteilt und gegeneinander ausgespielt werden sollen: cui bono, und ist das im Interesse der Gewerkschaften, und wenn ja, seit wann?
Allerdings, DASS es um Integration geht, das legt der Autor mit dieser Frage fest, und tut so, als ginge es lediglich um einen Konflikt darum, wer diese zu leisten habe.
Gleichzeitig pflegt er
aber selber eine ausgrenzende Rhetorik, das könnte er ja sein lassen, wenn er
meint, daß "Integration" der Dreh- und Angelpunkt des Themas
Migration ist.
"Wieviel „Parallel-Gesellschaften“ kann ein demokratisches Europa
vertragen und wie selbstbewusst und wehrhaft kann es sein?"
Kein Schlagwort aus dem verschwiemelten Graubereich "Ich bin ja kein Rassist, aber..." wird ausgelassen, jetzt muß noch der Begriff von der "Parallelgesellschaft" herhalten, und auch hier wieder: Ein Fragezeichen am Ende des Satzes, welches weder in Frage stellt, dass es Parallelgesellschaften sind, noch daß sie problematisch sind, noch dass "ein demokratisches Europa" "selbstbewusst und wehrhaft" sein muß, sondern nur, wie sehr.
Tatsächlich bilden RassistInnen eine Parallelgesellschaft innerhalb der DGB-Gewerkschaften, dies ist auch problematisch, und die demokratischen Kräfte müssen sich dagegen auch selbstbewußt und wehrhaft verhalten, und zwar so sehr, wie es nötig ist, um diesen Zustand zu beenden.
Dass auf europäischer
Ebene die Demokratie gerade von MigrantInnen bedroht wird, ist jedoch eine
äußerst steile These und kein "Fakt".
"Was bedeuten bestimmte Formen der Zuwanderung für ökonomische Verteilungskämpfe
und gesellschaftliches Leben?"
Auch hier wird wieder eine Voraussetzung gemacht, nämlich, daß zwischen "Zuwanderung" und "ökonomischen Verteilungskämpfen" ein Zusammenhang besteht.
Und daß in diesen
Verteilungskämpfen sich ethnisch oder national definierte Gruppen
gegenüberstehen, und nicht etwa arm und reich, oder oben und unten.
"Universaler Anspruch der Menschenrechte kontra Kultur- und
Werterelativismus?"
Da die AutorInnen ja offenbar für einen feststehenden Wertekanon inklusive dessen "Durchsetzung" ist, kann er in dieser Gegenüberstellung wohl nicht auf der Seite des "Werterelativismus" sein.
Offenkundig will er mit der anderen Seite, dem "universalen Anspruch der Menschenrechte" identifiziert werden. Das wird wohl nicht ganz klappen, da gleichzeitig versucht, GewerkschafterInnen rassistisch aufzuhetzen.
Die Manipulationstechniken der Seminarankündigung sind sehr einfach, offenbar traut er GewerkschafterInnen nicht viel zu, was die politische Bildung betrifft.
Und die Sensibilität für rassistische / sozialrassistische Scheiße kann in diesem Bereich auch nicht sehr ausgeprägt sein, sonst hätte das Seminar und diese Ankündigung es nicht ins Bildungsprogramm geschafft.
Wie könnte ein antirassistisches Gewerkschaftsseminar aussehen?
Die Seminarankündigung könnte von jeder bürgerlichen Partei von AfD bis zu den Grünen stammen. Wir fragen uns, wo die spezifischen gewerkschaftlichen Fragestellungen bleiben, die wir eigentlich bei dem Seminar einer DGB-Gewerkschaft erwarten. So vermissen wir die Feststellung, dass es sich bei den ZuwanderInnen um KollegInnen handelt, die oft mit besonders schlecht bezahlten ungeregelten Arbeitsverhältnissen konfrontiert sind. Wir hätten uns gewünscht, dass das Motto des AK undokumentiertes Arbeiten“, die im verdi-Büro Menschen ohne Papiere beraten, in der Seminarankündigung eine Rolle spielen würde. Wir haben keine Papiere, aber wir haben Rechte. Wir erwarten von unserer Gewerkschaft, dass sie mit ihrer Bildungsarbeit dazu beiträgt, unsere geflüchteten Kolleg_innen zu unterstützen. Zudem sollte die Bildungsarbeit unserer Gewerkschaft dazu beitragen, dass in der Mitgliedschaft rassistische Denkweisen erkannt und bekämpft werden können. Die Diktion der Veranstaltungsankündigung lässt uns aber stark daran zweifeln, dass dieser Anspruch überhaupt besteht. Wir hoffen, dass sich auch viele Gewerkschaftsmitglieder fragen, warum in einer Seminarankündigung einre verdi-Bildungseinrichtung vom europäischen Wertekanon schwadroniert und von Rassismus geschwiegen wird.
Link zum kritisieren Gewerkschaftsseminar
https://bildungsportal.verdi.de/seminare_programm_einzeln.php3?si=5443b9...
So könnte ein antirassistisches Gewerkschaftsseminar aussehen
Beispiele für antirassistische Bildungsseminare bei ver.di gibt es, siehe Links.
Gerade deswegen ist es erklärungsbedürftig, daß ein solches Seminar überhaupt ins Programm geraten kann. Ver.di weiß es, nachweislich, besser.
https://bildungsportal.verdi.de/seminare_programm_einzeln.php?si=5446345...
https://bildungsportal.verdi.de/seminare_programm_einzeln.php?si=5446345...
Warum Rassismus für Erwerbslose scheißendumm ist
http://jobcenteraktivistin.wordpress.com/2014/04/21/warum-rassismus-fur-...
Rassismus ist lernbar
Mies, daß die engagierte und unbezahlte Arbeit vieler Gewerkschaftsmitglieder gegen Rassismus und zur Unterstützung der von Rassismus Betroffenen so untergraben wird.
Es ist ein Riesen-Problem für eine Gewerkschaft, wenn viele Mitglieder rassistische Tendenzen pflegen, und einen "ökonomischen Verteilungskampf" vorrangig zwischen arm und noch ärmer führen wollen, weil sie sich gegen Mächtigere nicht trauen, sondern sich mit diesen verbünden wollen. Eine solche Entsolidarisierung kann die Gewerkschaften am Ende nur schädigen.
Daß solche Einstellungen dann auch noch im Rahmen der politischen "Bildung" gelehrt werden, ist nicht nur asozial MigrantInnen gegenüber, sondern auch, gewerkschaftlich gesehen, ein Schuß in den eigenen Fuß.
Beispiel
Dirk Stegemann begründet, warum er eine Auszeichnung des DGB zurückgibt, Anlaß: Räumung des Berliner DGB-Hauses
https://linksunten.indymedia.org/de/node/124397
Die offen zur Schau getragene Entsolidarisierung schadet den Gewerkschaften enorm.