Bericht von der Münchner „Fanmeile“ Ludwigstraße–Leopoldstraße im Anschluss an den Sieg der Herren-Fußballnationalmannschaft des DFB bei der FIFA-Herren-Weltmeisterschaft.
Kurz nach Mitternacht, nach Spielende, brachte ein Mann* auf der Ludwigstraße in München vor dem Siegestor eine deutsche Flagge beachtlicher Größe in Schwarz-Rot-Gold an einem Kabel zwischen zwei Ampeln an. Beobachtet wurde er dabei von der Polizei, die zusammenrückte, filmte, doch nicht einschritt. Eine Komplizin an der Ampel forderte auf, das Anbringen unter Hinsetzen zu feiern, auch als Blockade der Polizei interpretierbar. Diese rückte jedoch schließlich ab, nachdem das Anbringen vollendet war. Deeskalation im Frieden mit dem Nationalismus.
Das Geschehen, das zu beobachten ich mich aufgrund der gesellschaftlichen Relevanz veranlasst sah, ließ mich nicht gleichgültig, unheroisch faltete ich symbolisch die Flagge ein wenig zusammen, wie sie dann auch eine kleine Weile verblieb. Doch einem Mann, der daraufhin erschien, passte dieser Zustand nicht, er entfaltete die Flagge und reagierte auf meine folgenden Versuche, die Symbolik zu reduzieren, zumeist mit physischer Gewalt, packend, schlagend, stoßend, die Flagge verteidigend. Auf diese Mittel verzichtete er insbesondere in Anwesenheit einer ihn inhaltlich unterstützenden Frau (nicht jedoch in Anwesenheit einer anderen, ihm anscheinend persönlich verbundenen Frau, rechts im Bild). Die physische Gewalt brachte indes nacheinander verschiedene weitere Anwesende, obgleich sie offenbar nicht alle zum Umfeld des Wächters über die Flagge gehörten, nicht davon ab, ihre Worte gegen mich zu richten und sich der physischen Gewalt gegenüber gleichgültig zu zeigen (lediglich von einer dezidiert die Feiern kritisch beobachtenden Person, die zufällig anwesend war, wäre mir, wie sich später herausstellte, im Falle eines Falles wohl Unterstützung gewiss gewesen). Der Wächter offenbarte sein deutsch-völkisch-rassistisch-nationalistisches Weltbild dadurch, dass er es nicht dabei beließ, als ich (zumeist männlich und deutsch gelesen, insbesondere von staatlicher Seite) meine deutsche Staatsbürgerschaft zugab, sondern nachfragte, ob ich „deutschen Blutes“ sei, eine Kategorie, die ich in meine Antwort nicht übernehmen konnte. „Verräter“ sei ich jedenfalls, ich widerspreche nicht.
Er sah jede Geste gegenüber der Flagge als Angriff auf seine Person, nannte die Flagge „heilig“. Ebenso wie von einem Kumpan seiner wurde mir von ihm weitergehende Gewalt angedroht. Schließlich spekulierte der Wächter, ob ich schwul sei, alle „Schwuchteln“ wären gegen die deutsche Flagge, gefolgt von üblichen Aussagen mit Verweis auf Analverkehr. Ich verließ den Ort, um ernsthafte Verletzungen auf der einen Seite und Zusammenarbeit mit der Staatsmacht auf der anderen Seite, die zudem selbst nationale Symbole gesetzlich wie praktisch schützt, bloß nicht so effektiv wie es sich der Wächter in seinem konformistischen Revoltieren wünschte, zu vermeiden. Wächter und Kumpan verblieben bei der Flagge, wobei der Kumpan bei meinem späteren erneuten Erscheinen wiederum schwulenfeindlich übergriffig wurde, und der Wächter nach meiner Fotografie und einem kurzen Angriff seinerseits glücklicherweise abließ. Vor 2:00 schließlich war die Flagge verschwunden.
Worauf verweisen diese Erfahrungen? Es gibt keinen friedlichen Nationalismus, Nationalismus heißt immer Ausschluss und Bekenntnis zu und damit Verwirklichung von Gewalt, zu struktureller Gewalt, zu Staatsgewalt, aber situativ auch zu unmittelbarer physischer Gewalt einzelner Revoltierender. Die psychologisierenden Rechtfertigungsversuche, die der „äußerlichen“ nationalen Symbolik, harmlose „innere“ Triebe, Feiertriebe, egalitäre Herdentriebe, entgegensetzen, lenken von gesellschaftlichen Problemen ab, von Ausschlüssen, Machtverhältnissen, Ideologien. Die Symbolik, die millionenfache Symbolik, spricht eine eindeutige Sprache: Schwarz-Rot-Gold beschwört die deutsche Nation, eine Idee, die kontinuierlich vom Kampf gegen das napoleonische Frankreich, über Reichsgründung, Ersten Weltkrieg, Nationalsozialismus, Zweiten Weltkrieg, den Vernichtungskrieg, Shoa und Porajmos bis zur Deutschen Einheit und heute fortbestand und stets exklusionär war. Wenn die Fans in „Scheiß Argentinien“ einstimmen, ist dies kein hässliches Randphänomen; es ist die angeblich harmlose Feierstimmung, es sind „normale Fans“, die dies widerspruchslos erschallen lassen, es ist notwendiger Inhalt nationalistischer Logik. „Unsere“ Interessen (wobei das „wir“ auf eine Nation verweist) werden erfunden und müssen damit „anderen“ entgegenstehen. Es gibt keinen „natürlichen“ Nationalismus, im Gegensatz zu „überhöhtem“, es gibt nur diese falsche Logik, die im Falle Deutschlands eine besonders grausame und grauenhafte ist.
Was heißt es schließlich, auch eine Flagge mit Bundesadler zu zeigen? Das explizite Bekenntnis zur Bundesrepublik Deutschland als nationalstaatliche Verwirklichung des Nationalgedankens. Zu der Bundesrepublik Deutschland, deren Bundestag letzte Woche ebenso beschloss, dass Geflüchtete in Zukunft nahezu willkürlich inhaftiert werden können, wie eine Möglichkeit, Geflüchtete aus Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und Serbien einfacher und schneller unter Verweis auf eine Einordnung als „sichere Herkunftsstaaten“ abzuschieben. Zu der Bundesrepublik Deutschland, die hier mit der Legitimation „des Volkes“ Ausschlussmechanismen aus der deutschen Nation gewaltsam verwirklicht.
Der Nationalismus besteht in symbolischen Akten. Es gilt diesem emanzipatorische symbolische Akte entgegenzusetzen, überall wo sich die nationalistische Fratze auftut – sonst bleibt nur die (innere) Emigration.
Nun brauche ich doch schöne Musik und Melancholie. Aber: Keine Resignation!
Hoch die antinationale Solidarität! Nie wieder Deutschland! Ein neuer 8. Mai wird nicht erwartet, sondern getan!
*Ich weise hier hegemonialen Geschlechtervorstellungen folgend, die ich selbst verinnerlicht habe, beobachteten Personen Geschlechter zu, insofern mir diese Informationen sinnvoll erscheinen, das Bild zu vervollständigen, Geschlechtlichkeit sichtbar zu machen, insbesondere wenn gehörte Aussagen gerade auf solche Zuschreibungen Bezug nehmen.
Wozu immer dieser Stress? Schlechtes Stück eines Laientheaters
DFB:Nach dem finalen Sieg bricht sich das Herrenmenschentum Bahn
Auf der Fanmeile vorm Brandenburg Tor: DFB-Team verhöhnt Argentinier und Brasilianer rassistisch.
Noch in Brasilien: Thomas Müllers nationalchauvinistische Furore gegen Moderatorin.
Und die Feuilletons des 'anderen Deutschlands' machen sich mal wieder Sorgen um Deutschlands Image in der Welt. Dabei wissen sie genau, wie der deutsche Triebhaushalt verfasst und was notwendige Fassade ist: Den Spielern ist [der rassistische Vorfall] nicht zum Vorwurf zu machen. Sie saßen seit acht Wochen in einer Art Käseglocke und bekamen erst nach der Rückkehr wieder Kontakt zur Wirklichkeit. Da misslingt schon einmal der ewige Mertesacker-Spagat zwischen dem öffentlichen Menschen, der immer etwas repräsentiert, ob als Botschafter des Landes oder Werbeikone, und der Privatperson. (Weiterlesen).