[NSU] Detailreicher Artikel zensiert

Kontext:Wochenzeitung verweigert Veröffentlichung von detailreichem Artikel zum NSU und beendet Zusammenarbeit mit dem Autor.

Nachdem der Journalist Thomas Moser das diskrete Angebot der Kontext-Redaktion nicht annahm, den Vorwurf der Zensur zurückzunehmen, kündigte man die Zusammenarbeit auf.

Zensur, Druck, Repressalien muss man in den meisten Medien nicht (mehr) ausüben. Wer dort schreibt, weiß, wann er die "rote Linie" überschreitet und schreibt vorauseilend so, wie das die Redaktion von ihm/ihr erwartet. Das ist kein Geheimnis, sondern Ergebnis der "freiwilligen Selbstkontrolle".

Ein wenig anders sollte es in "alternativen Medien" sein - wie in der Online-Zeitung "Kontext" z.B., die im Zuge der Stuttgart-21-Proteste entstanden ist und ein Gegengewicht zu regierungsfrommen Medien schaffen sollte.

Die Online-Zeitung "Kontext" erscheint auch als Zugabe in der Samstagsausgabe der "taz" - als Printversion. Wie alle auflagestarken Medien auch, hat die "taz" jede Berichterstattung einstellt, die sich der offiziellen Linie im NSU-Prozess in München widersetzt: Der NSU habe aus drei Mitglieder bestanden, eine Tatbeteiligung "Dritter" ist auszuschließen und einen staatliche Unterstützungsleistung am Zustandekommen des Nationalsozialistischen Untergrunds/NSU und eine aktive Beteiligung daran, die Terror- und Mordserie des NSU geschehen zu lassen bzw. nicht zu stoppen, ist ebenfalls nicht Gegenstand dieses Prozesses.

Damit ist zwangsläufig eine Konflikt (vor-)programmiert: Die bisherige Berichterstattung über den NSU-VS-Komplex in Kontext würde die taz-Berichterstattung konterkarieren, also bloßstellen.

Ich dokumentiere hier die leicht gekürzte Erklärung von Thomas Moser an die Kontext-Redaktion:

 

NSU-VS-Komplex: Zensur in ‚Kontext‘ und die Vorgeschichte

Die Zensurmaßnahme innerhalb der Kontextredaktion von Anfang Oktober 2013, zweimal hintereinander einen Bericht zum NSU-VS-Komplex nicht in die Ausgabe zu nehmen, ist Ergebnis einer monatelangen Entwicklung, in der die NSU-Berichterstattung zusehends infrage gestellt und immer offener angegriffen wurde. Die Redaktion bzw. eine Redaktionsmehrheit hat jetzt einen Systemwechsel vollzogen. Beiträge, wie sie bis dato gedruckt und als qualifiziert erachtet wurden, werden nun abgelehnt.
(…) Anfang Juli kam es dann zur ersten schweren Auseinandersetzung in der Redaktion. Wieder ging es um den Anschlag in Köln. Gegenstand war eine Recherche um die genannten Polizeibeamten sowie zwei weitere Beamte, die sich zur Tatzeit am Anschlagsort Keupstraße aufhielten. Kernaussage der Geschichte: Das Innenministerium von NRW hatte offensichtlich zwei falsche Beamte zum Untersuchungsausschuss nach Berlin geschickt und hält bis heute die Namen von zwei anderen zurück. (…) Vor allem das Redaktionsmitglied (…) B(…) sprach sich gegen die Veröffentlichung aus. Die Redaktion beschloss aber, die Geschichte zu bringen. Dem zum Trotz versuchte B. noch bis wenige Tage vor Veröffentlichung den Text zu verhindern. Bei der folgenden Auseinandersetzung in der Redaktionssitzung begründete er seine Position mit dem „fehlenden Baden-Württemberg-Bezug“. B. war es auch, der sich bereits im Mai dagegen aussprach, dass Kontext nach München fährt und über den NSU-Prozess berichtet.
Die Eingriffe und Abdrängungsversuche gegen die NSU-Berichterstattung nahmen zu. (…) Immer häufiger wurden NSU-Texte nur noch in der Online-Version veröffentlicht und nicht mehr in der Print-Version. Bspw. beim ersten und bisher einzigen Bericht über den Münchner Prozess. Oder es wurden Texte nur verlinkt. Ende September 2013 wurde durch ein Redaktionsmitglied in Auftrag gegeben, dem Verbrennungstod eines 21-Jährigen auf dem Cannstatter Wasen nachzugehen (…) Florian H. war 2012 im Zusammenhang mit dem Mord an der Polizeibeamtin Kiesewetter in Heilbronn vom LKA vernommen worden und hatte am Tag seines Todes einen Termin mit dem LKA. Der Fall wirft inzwischen immer neue Fragen auf. Die Polizei spricht von Selbstmord. Die Eltern und Geschwister Florian H.s ziehen das in Zweifel. Die Mutter meldete sich mit einem Kommentar in Kontext zu Wort. Noch am Tag der Veröffentlichung hatte sich eine Redaktionsmehrheit von dem Artikel distanziert. (…) In derselben Ausgabe erschien auch eine Recherche über mehrere V-Leute, die am Tag des Polizisten-Mordes von Heilbronn in der Stadt waren (…). Dieser Text mit Informationen, die so kein anderes Medium hatte, wurde - völlig unverständlich - nicht in die Printausgabe genommen. Eine Begründung dafür wurde nie abgegeben.

Nun wurden Anfang Oktober zwei Texte zensiert, bei denen es auch um den Prozess in München ging. Der erste (Titel: „Mord Nr. 8 in Dortmund: Hatte das Terror-Trio doch Helfer?“) mit der Begründung, die anderen Medien hätten bereits darüber berichtet. Eine Begründung, die Kontext schlicht für überflüssig erklärt. Der Text war kurzfristig verfasst worden, weil in München – kurzfristig - eine Zeugin gehört wurde, die in Dortmund das NSU-Trio zusammen mit Dortmunder Skinheads gesehen haben will. Damit war die Frage aufgeworfen, ob das Trio tatsächlich allein agierte, wie es bspw. die Bundesanwaltschaft behauptet. Die Zeugenvernehmung war montags, der Text lag dienstags vor, Kontext hätte damit sogar einen aktuellen Prozessbericht gehabt. Der Fokus auf die örtlichen NSU-Komplizen findet sich in anderen Berichten so nicht.

Der zweite Text (Titel: „Mord Nr. 9 in Kassel: Ein Verfassungsschützer am Tatort und eine Anklagebehörde, die Akten unterdrückt“) war lange vorher angekündigt und akzeptiert gewesen. (…) Es ging um die ungeklärte Frage, warum ein Verfassungsschutzbeamter zur Tatzeit am Tatort war. Ebenfalls ein Schlüsselfall des NSU-Komplexes. (…) Am folgenden Montag lehnten die Redaktionsmitglieder B., (…) L (…) und (…) H (…) den Text dann mit folgenden Begründungen ab: Nicht aktuell, nichts Neues, kein Baden-Württemberg-Bezug, Taz habe schon berichtet, es gäbe einen Beschluss, nicht über den Münchner Prozess zu berichten. Damit wischten sie sämtliche journalistischen Prinzipien und Vorzüge der Wochenzeitung Kontext kurzerhand vom Tisch. „Nicht tagesaktuell“ berichten zu müssen, eröffnet gerade die Chance, gründlicher, reflektierter und zusammenhängender zu berichten. „Nichts Neues“? Mutig von jemand, der das nicht beurteilen kann. Daß Texte einen „Baden-Württemberg-Bezug“ haben müssen – einen solchen Beschluss gibt es in der Redaktion nicht. Abgesehen davon, dass sich in der Forderung nach Ba-Wü-Bezug ein komplettes Unverständnis des NSU-Komplexes ausdrückt. Auch der Heilbronn-Mord hat keinen letztendlichen Ba-Wü-Bezug. Eher ist das Gegenteil der Fall. Erkenntnisse an jedem Tatort erleichtern das Gesamtverständnis. Konkret: was wir über den Mord in Kassel oder den in Dortmund herausfinden, hilft, auch den Mord in Heilbronn mit aufzuklären. Nebenbei: nicht mal Stuttgart 21 hat einen reinen Ba-Wü-Bezug. Einen Beschluss, „nicht vom Münchner Prozess zu berichten“, gibt es nicht – das wissen alle. Sogar das Gegenteil ist der Fall. Anfang April schrieb Kontext (…), dass man vom Prozess in München berichten werde, so, wie vom Untersuchungsausschuss in Berlin berichtet wurde. Warum behaupten die genannten Redaktionsmitglieder das Gegenteil, obendrein auf Kosten der Wahrheit? Ihr Motiv ist, Ausschließungsgründe zu konstruieren.

Zwischenbemerkung: Ob man nach München zum Prozeß fährt, war bisher eine Frage dessen gewesen, was personell zu schaffen ist. Und natürlich ist es wichtig, in München immer wieder anwesend zu sein. Dort werden nicht nur Zeugen vernommen und erfährt man nicht nur Ermittlungsdetails, sondern kann Anwälte der Nebenkläger sprechen oder Journalistenkollegen, die sich mit der Materie beschäftigen. Ein ganz wichtiger Markt sozusagen. Abgesehen davon, dass das Inszenierungshafte des Prozesses, vor allem die tendenziöse Anklagekonstruktion der Bundesanwaltschaft, entlarvt werden muss. Mit der Installierung des Prozesses wurde die Beendigung des NSU-UA in Berlin begründet.
Die Ablehnung des Beitrages über den Verfassungsschützer am Tatort durch die drei Redaktionsmitglieder war mutwillig und eine Provokation, sowohl dem Thema als auch dem Autor gegenüber. Aber sie war die zwangsläufige Folge einer wochenlangen Entwicklung in Kontext. Ein Text, wie er bis dahin 30mal veröffentlicht worden war, wird jetzt in den Papierkorb geworfen. Man hat das Thema NSU gewaltsam beendet. Die Frage ist, ob Kontext (Redaktion, Verein, Projekt) ein solches willkürliches und negatives Verhalten duldet, ob es mit dem „Projekt Kontext“ vereinbar ist. Einem Projekt weitestgehender Gleichheit seiner Mitarbeiter.

Hinter den formalen Ablehnungsgründen der Redaktionsmehrheit verbergen sich tatsächlich inhaltliche Gründe. Man will die ganze undurchschaubare NSU-Geschichte weghaben, vor allem aber die Aufklärungsrichtung Verfassungsschutz. Diffus wird formuliert, man glaube den Recherchen nicht mehr. Oder es wird vorgeschlagen, ein paar Wochen lang nichts zu NSU zu machen. Oder das Thema wird zur Privatsache des Autors erklärt.

Wie lautete ein weiterer Grund, den Text über den Mord in Kassel zu unterdrücken?: Die taz habe schon berichtet. Wer sich die Mühe macht, die taz-NSU-Berichte inhaltlich zu betrachten, erkennt, dass sie konform der offiziellen Linie sind, nach der die Morde ausschließlich das Jenaer Trio zu verantworten hat. Die taz ist auf Linie der Bundesanwaltschaft. Die taz-Berichte über NSU können deshalb kein Maßstab für Kontext sein. Bemerkenswerterweise gibt es in der taz-Leserschaft laute Kritik an der Art der taz-Berichterstattung über NSU – und zwar immer wieder mit Hinweis auf die Kontext-Berichterstattung. Kontext kooperiert existentiell mit der taz. Wirkt sich dieser Hintergrund – wie auch immer - aus?

Kontext hat mit seiner NSU-VS-Berichterstattung aus dem Publikum viel Zuspruch erhalten. Gleichzeitig viel Aufsehen erregt. Das führt vor allem bei Sicherheitsbehörden, aber auch in Kreisen der Politik, zu Reaktionen. Der Pressesprecher des Innenministeriums von Ba-Wü kolportiert gegenüber Medienkollegen, Kontext würde ihn falsch zitieren. Selbst vom Vorsitzenden des NSU-PUA, Sebastian Edathy, wurde abwertende Kritik über die Berichterstattung an die Redaktion herangetragen. Nach der Veröffentlichung der Phantombilder von Heilbronn wurde in bestimmten Kreisen behauptet, unter anderem auf einschlägigen Seiten im Netz, Kontext würde absichtlich fälschen und hätte falsche Phantombilder veröffentlicht. Reaktionen von Einflüsterungen bis hin zu offenen Attacken. Das hat offensichtlich Eingang in die Redaktion gefunden. Kontext steht unter Anpassungsdruck. Vollzieht sich hier im Zeitraffer ein Anpassungsprozess, wie einstmals bei der taz, wo er aber 15 Jahre gedauert hat? (…) Was für ein Projekt will Kontext eigentlich sein? Thomas Moser (30.10.2013)

 

Die herrschende Berichterstattung zum NSU-VS-Komplex zu kritisieren, ist das eine. Aber die wenigen, die sich dieser Berichterstattung entgegenzustellen, alleine zu lassen, ist nicht weniger folgenlos.

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Oder bedanken. Die Artikel neigten zu unbelegten Verschwörungstheorien.

hast den Artikel tatsächlich gelesen?

 

http://wolfwetzel.wordpress.com/2013/08/02/ein-gastbeitrag-von-thomas-mo...

 

Wo findest da denn ne Neigung zu Verschwörungstheorien? Der Artikel ist voll mit Details und Fakten. Welche Schlüsse man daraus zieht kann zum Glück jeder selbst entscheiden.

Der Verfassungsschützer Temme ist die Schlüsselfigur.

Das kann gut sein. Mein Bauchgefühl stimmt zu. Aber ohne Beleg ist das eine unbelegte Verschwörungstheorie. Und davon gibt es in den Texten des Autors leider viele. Wenn ich auch die Art und Weise nicht schätze, mit der die kontext Wochenzeitung seine Texte abgelehnt hat, so finde ich die Entscheidung doch verständlich.