80 Jahre Sicherungsverwahrung

Kurt Tucholsky 1928 in Paris

Am 24.11.1933 führten die Nazis die Sicherungsverwahrung in das deutsche Strafrecht ein: Schon Kurt Tucholsky kämpfte in den 20'er Jahren gegen diese Maßregel („Die Weltbühne“ 1928, S. 839) erfolgreich. Aber die Nazis nahmen die SV ins Strafgesetzbuch auf. Das ist nun 80 Jahre her. Und so wie nach 1945 Juristen, Diplomaten, Wirtschaftsführer, Politiker und viele Nazis mehr, in Amt und Würden blieben (oder nach kurzer Zeit wieder kamen) überdauerte auch die SV alle Zeitläufe.

 

Ich selbst sitze hier in der JVA Freiburg (jva-freiburg.de), wo schon in den 30'er Jahren auch Sicherungsverwahrte einsaßen. Solch ein historischer Rückblick oder Rückgriff soll nicht das Leid der damaligen Inhaftierten relativieren, denn damals war die SV ganz offen und unverblümt darauf angelegt, die Betroffenen „auszumerzen“, wie es Goebbels formulierte, sie physisch zu vernichten.

 

Der vormalige Richter am Reichsgericht Hartung war es, der noch 1951 die von den Alliierten nach 1945 veranlasste Freilassung tausender Sicherungsverwahrter als „Geißel der Menschheit“ bezeichnete; in einer Doktorarbeit von 1963 (Wetterich, „Erscheinungsformen gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“) wird von der „Ausmerzung der Täter“ gesprochen. Und bis heute finden sich in führenden Strafrechtskommentaren lobende Worte zu NS-Schriften zur Sicherungsverwahrung.

 

Diese Geisteshaltung ist es, die bis heute, aus Sicht der Betroffenen, aber auch derer, die gegen die SV kämpfen, vorherrscht, auch wenn sich die heutige Generation von JuristInnen und AnstaltsmitarbeiterInnen zumindest öffentlich in solch einer Weise niemals äußern würde.

 

Heute wird auch nicht mehr die unmittelbare physische Vernichtung der ca. 500 männlichen und 3 weiblichen Sicherungsverwahrten angestrebt. Die Haftbedingungen sind, im Vergleich zur NS-Zeit mehr als komfortabel.

Aber in der Verzweiflung dürften sich die heutigen Untergebrachten Seit' an Seit' mit jenen von damals fühlen, denn auch wenn viele akzeptieren, dass sie für das, was sie im Leben verbrochen haben, eine Strafe verbüßen müssen und bis zum letzten Tag verbüßt haben, danach weiter eingesperrt zu sein in einem Gefängnis (dessen Vollzug dem Strafvollzug nahezu gleicht, vgl. Sicherungsverwahrung im Realitäts-Check), das zermürbt.

 

Die Ungewissheit vor Augen, zu sehen, dass Jahr um Jahr die Dauer der Verwahrung steigt, immer weniger Verwahrte vor ihrem Tod entlassen werden – und all das, obwohl die Strafe längst verbüßt ist. Es gibt Verwahrte, die sitzen 5, 10, 15 und mehr Jahre in SV, ohne jeglichen Hoffnungsschimmer, jemals wieder frei zu kommen. Sie unternehmen Suizidversuche, setzen lebensnotwendige Medikamente aus Protest ab, treten in Hungerstreik, begehren aggressiv auf – oder sie resignieren, ziehen sich zurück in ihre eigene Welt, der Haftraum vermüllt. Sie sehen zwei Mal am Tag den Schließer, nämlich morgens zum Zellenauf- und abends zum Zellenzuschluß.

Ansonsten sitzen sie lethargisch vor ihrem Fernseher, in der meist abgedunkelten Zelle, ohne Außenkontakte, ohne Ansprache.

 

Nicht umsonst gelten bis heute die SV-Stationen als die „Totenabteilungen“ der Gefängnisse.

 

Die bürgerliche Presse meint (vgl. SV-Knast in Freiburg), nur weil irgendwo eine Ledercouch steht oder eine Dartscheibe an der Wand hängt, dass die Verwahrten in einem „Hotel hinter Gittern“ (a.a.O.) leben würden, ohne den Hauch von Verständnis oder Erkennen-Wollens für die Lebenslage der Inhaftierten. Mit ihrer Stimmungsmache bestimmt die Presse freilich die Wahrnehmung eines Großteils der Bevölkerung.

 

Heute bedeutet Sicherungsverwahrung für Viele schlicht ein Warten auf den Tod. Denn eine realistische Chance auf Freilassung haben nur ganz, ganz wenige der Betroffenen.

Hinter vorgehaltener Hand und in Fachartikeln verklausuliert geben das auch die JustizmitarbeiterInnen zu, schreiben oder sprechen davon, man müsse für ein „menschenwürdiges Sterben“ hinter Gittern Planungen treffen, künftig vielleicht auch Schließer mit Altenpflegeausbildung einstellen und ähnliches mehr.

 

Vor rund 55 Jahren frug Dr. Dreher polemisch „Liegt die Sicherungsverwahrung im Sterben?“ (DriZ 1957, S. 51-55). Dreher war im NS-Reich ein fanatischer Staatsanwalt und in Wien an Todesurteilen beteiligt, was seiner späteren Karriere im Bundesjustizministerium und als führender Strafgesetzbuch-Kommentator keinen Abbruch tat.

 

Er forderte als hochrangiger Mitarbeiter des Bundesministeriums der Justiz die Richterschaft ausdrücklich auf, die SV „besser und entschiedener“ anzuwenden, denn die SV sei ein „hervorragendes Mittel“, den „Hangtäter“ unschädlich zu machen.

 

So lag also weder 1957 die Sicherungsverwahrung im Sterben, geschweige denn tut sie es heute.

 

Die Sicherungsverwahrung ist der Zombie des deutschen Strafrechts, vielfach totgesagt, aber immer wieder aus dem Totenreich zurückgekehrt. Bis heute wird die SV ihren Gestank nicht los, der sie seit 1933 umwittert; sie kann ihn auch nicht los werden, denn damals wie heute wird hier von einem Menschenbild, dem des „Gewohnheitsverbrechers“, des „Volksschädlings“ ausgegangen, dem die Unmenschlichkeit auf der Stirn geschrieben steht.

 

Thomas Meyer-Falk, z. Zt. JVA (SV-Abtlg.), Hermann-Herder-Str. 8, D-79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com

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Sehr geehrter Herr Meyer-Falk, Interessierte,

 

ich fände es hilfreich, wenn Sie Ihre Vorstellungen zur Handhabung der Entlassung aus der Sicherungsverwahrung darlegen würden. Derzeit sieht es ja so, als ob HANG und GEFÄHRLICHKEIT im Hinblick auf die Anlasstaten die beiden entscheidenden Kriterien sind.

 

Für forensische Gutachter sind also die Beweisfragen in Bezug zu den Anlasstaten:

1) Was ist aus dem "Hang" geworden?

2) Wie gefährlich ist der Verwahrte noch?

 

An diesen Sachverhalten kommt der Verwahrte und der Sachverständige derzeit nicht vorbei. Zusätzlich sinnvoll erscheint eine rechtzeitige Beschäftigung mit der Führungsaufsicht.

 

Wer also seine Entlassung aus der Sicherungsverwahrung will, muss im derzeitigen Rechtsrealitätsrahmen ein Entlassungskonzept entwickeln, das a1) den "Hang" als überwunden oder a2) als kontrollierbar und b) die Gefährlichkeit als tragbar ansieht.

 

Hierzu sollte von der Unterbringungsstätte Unterstützung angeboten werden, die allerdings auch angenommen werden muss, wenn Aussicht auf Erfolg  bestehen soll. Hierzu gehört ein gewisses Öffnen. Manche Vollzugsinsassen haben große Problem damit, als "Psycho" zu gelten. Teilweise wird diese grundsätzlich falsche Interpretation vom unreflektierten Vokabular im Vollzug auch noch unterstützt. Das muss man nicht so sehen, vor  allem nicht, wenn sich damit massive Selbstwertprobleme ergeben. "Kriminalität ist normal" titelt Hans Haferkamp (1972) in seinem Buch.

 

Mit freundlichen Grüßen

Rudolf Sponsel, Erlangen