Prozessberichte vom RZ-Prozess in FFM

freiheit und glück für sonja und christian

Gericht beginnt mit Verlesung der Folter-Protokolle: Bericht 13.08.

Zu Beginn des heutigen Prozesstages wies die Vorsitzende Richterin Stock durch Beschluss einen Antrag des Rechtsanwalt Bremer ab, der gefordert hatte, ein psychologisches Gutachten über Hermann F. vom Dezember 2012 in der Verhandlung zu verlesen. Grund für die Ablehnung: Die Kammer habe das Gutachten bereits zur Kenntnis genommen. Anschließend stellte Rechtsanwältin Verleih einen Antrag. Dabei ging sie zunächst auf ein Urteil vom OLG aus dem Jahre 1982 ein, in dem das OLG die Vernehmungsfähigkeit Hermanns unmittelbar nach dem Unfall und der Operation konstatierte.
 
Zu dieser Einschätzung gelang das Gericht damals maßgeblich aufgrund von verschiedenen Gutachtern und Zeugenvernehmungen, etwa der des Ermittlungsrichters Kuhn, der aussagte, Hermann sei bei den Vernehmungen während der Unterbringung in der Polizeikaserne in Oldenburg „klar im Kopf“ gewesen und habe einen geordneten Eindruck gemacht.
Anschließend zitierte Rechtsanwältin Verleih aus dem bereits erwähnten psychologischen Gutachten vom Dezember 2012, in dem das damalige Verhalten von Hermann als Folge einer psychischen Dissoziation gewertet wurde.
Eindrücklich bewies das Gutachten, dass das vermeintlich „normale“ und „abgeklärte“ Verhalten von Hermann vielmehr so interpretiert werden müsse, dass die psychische Dauerbelastung in Folge des Unfalls und der Isolation sich in der rationalen Konzentration auf das bloße Funktionieren zum eigenen psychischen und physischen Überleben artikulierte und insofern die Willensfreiheit von Hermann massiv eingeschränkt gewesen sei.
Verleih führte weiter aus, dass das Wissenschaftsgebiet im Bereich der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) und der Traumatologie zu diesem Zeitpunkt noch nicht existierte und die damaligen Sachverständigen deshalb Hermanns Verhalten nicht als Dissoziation und PTBS hatten erkennen können.
Sie forderte deshalb (erneut) die Einholung aktuellerer Gutachten von Experten aus dem Bereich der Traumatologie. Die Staatsanwaltschaft forderte, den Antrag abzulehnen, weil der Antrag bzw. das aufgeführte Gutachten keine neuen Erkenntnisse gebracht hätten.

 

Nach einer kurzen Pause schloss sich das Gericht wenig überraschend der Einschätzung der Staatsanwaltschaft an und wies den Antrag der Verteidigung mit der aberwitzigen und realitätsfernen Bemerkung zurück, es lägen doch vier Gutachten aus dem Jahre 1981 und eines aus dem Jahre 1979 vor. Außerdem sehe der Gutachter Dr. Haag, der vor einigen Wochen als Zeuge geladen war, keine Anzeichen einer PTBS.

 

Anschließend erging der Beschluss, dass Hermann nicht mehr als Zeuge geladen werden könne, da sich nicht ausschließen ließe, dass sich sein Gesundheitszustand im Falle einer erzwungenen Aussage vor Gericht nicht ernstlich verschlechtern würde. Maßgeblich entscheidend für diese Einschätzung waren die zwei Stellungnahmen von Heidelberger Ärzten, die Hermanns Anwalt in der vorletzten Sitzung mitgebracht hatte und in denen bei Hermann eine „sonstige andauernde Persönlichkeitsveränderung“ diagnostiziert wurde. Zugleich beinhaltete der Beschluss aber auch die Einführung der Vernehmungsprotokolle in die Hauptverhandlung.

 

Als die Vorsitzende Richterin Stock mit der Verlesung beginnen wollte, intervenierte Rechtsanwältin Verleih. Sie widersprach sowohl Einführung als auch Verwertung der damaligen Aussagen. Sie bezog sich dabei auf die in der Strafprozessorndung geregelten Nichtigkeit von Aussagen, die durch verbotene Verhörmethoden zustande gekommen sind. Verleih führte aus, dass zwar Hermann möglicherweise mehrere Monate nach dem Unfall vernehmungsfähig gewesen sein könnte, dass allerdings diese Aussagen unabhängig und ohne Bezug auf jene Aussagen, die durch illegale Verhörmethoden gewonnen wurden, hätten gemacht werden müssen.

 

Das bedeutet, dass dem Beschuldigten vor einem erneuten Verhör die Unverwertbarkeit seiner bisherigen Aussagen klar vermittelt werden muss, da er ansonsten zu der Vorstellung neigen könnte, dass ein Schweigen nach einem bereits abgelegten Geständnis sowieso sinnlos sei. In einem solchen Fall könne von einer Fortwirkung der verbotenen Verhörmethoden gesprochen werden. Angesichts der Aktenlage vermisse Verleih aber eine in der Situation gebotene „qualitative Belehrung“, weshalb auch die späteren Aussagen auf unzulässige Weise gewonnen worden seien.

 

Die Staatsanwaltschaft mochte keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine solche Fortwirkung erkennen, sodass das Gericht in seinem Beschluss den Widerspruch zurückwies und erklärte, die abschließende Entscheidung über die Verwertung der Aussagen könne erst nach deren Verlesung getroffen werden.

 

Als die Vorsitzende Richterin Stock dann mit der Verlesung beginnen wollte, gab es einen wütenden Zwischenruf aus dem Publikum, der die faktische Folterlegitimierung des Gerichts kritisierte. Staatsanwalt Rauchhaus grinste dämlich, Stock faselte irgendwas von Ordnungsgeld und die Person wurde von zwei Wachtmeistern gepackt und unsanft aus dem Gerichtssaal verbracht. Der Inhalt der daraufhin folgenden und rund zwei Stunden dauernden Verlesung der Vernehmungsprotokolle von Anfang Oktober 1978 soll an dieser Stelle erspart werden.

 

Der geplante Termin am 20.8. fällt aus, weiter geht es am 23.8. mit der Vernehmung des französischen Bullen. An den darauf folgenden Prozesstagen ist weiterhin mit der Verlesung der unter folterähnlichen Zuständen gewonnenen Aussagen zu rechnen.

 


 

Bericht 9. August: Zeugenaussagen mit Erinnerungslücken und Widersprüchen

 

Zu Beginn des heutigen Verhandlungstags widersprach die Verteidigung der Vernehmung der Zeugen Carmen und Peter H. mit dem Einwand, die Zeugen wurden damals observiert, ihre Wohnung durchsucht und sie selbst als Beschuldigte vernommen. Doch das Gericht wies nach einer Pause von zwanzig Minuten den Antrag zurück.

 

Carmen H. und Sonja waren befreundet, hatten gemeinsame Freizeitaktivitäten und besuchten sich gegenseitig oder kümmerten sich in der Urlaubszeit um die Katzen der anderen. Man konnte sich auf die gegenseitige Hilfsbereitschaft verlassen. Die Richterin Stock hatte viele Fragen, doch die Zeugin konnte sich an Details aus Sonjas Leben nicht mehr erinnern. Eine dieser Erinnerungslücken kommentierte die Richterin mit dem Einwand, das müsse man doch wissen, ob man in einer bestimmten Situation jemandem Beistand geleistet habe.

 

Dann wurde nach Spitznamen für Sonja gefragt, doch die Zeugen kannten keinen. Auch die Namen Sybille S., Hermann F., Rudolf S. oder Hans-Joachim K. sagten ihnen damals nichts. Außer Sonja und Christian erkannte der Zeuge Peter H. niemanden aus der umfangreichen Bildmappe.
Fragen gabs auch zur Hütte im Aostatal. Nachdem Sonja und Christian ab August 1978 verschwunden waren, übernahm die Familie H. ihre gemietete Hütte. Und weil diese Hütte seit jeher von mehreren Parteien genutzt wurde, lag der Schlüssel immer am gleichen Platz in einem Loch der Fensterbank unter einem Kuhhorn versteckt. Nach mehreren Hüttenbesuchen entdeckten Carmen und Peter H. erst im Sommer 1979 im Bettkasten einer Klappcouch ein Gewehr und Zündschnüre unter einer roten Decke. Beide vermuteten eine Falle.

 

Laut Carmen H. war die Hütte bereits von der Polizei durchsucht worden, während Peter H. die Durchsuchung erst nach dem Waffenfund einordnet. Von den Fundsachen fertigte der Zeuge damals Bilder an und schickte diese gleich dem LKA nach Wiesbaden. Erst nach einem halben Jahr zeigte das LKA Interesse. Heute wurde der Zeuge in dieser Sache mit einer Bildmappe des Kriminalamtes von 1981 konfrontiert und musste feststellen, dass über seine Bilddokumentation hinaus und für ihn unerklärlich noch weitere Waffenteile aufgeführt werden.

Im Zusammenhang mit der roten Decke befragte die Staatsanwaltschaft die Zeugen nach dem Auto Sonjas. Doch beide Zeugen konnten sich an keinen 2CV erinnern, obwohl sie selbst in jener Zeit eine solche Ente gefahren haben.


Einmal soll die Decke zuvor in Sonjas Auto gewesen sein, doch an diese Aussage konnte sich die Zeugin Carmen H. nicht erinnern. Und nach Peter H. wars noch mal anders: Die Polizei habe eine Hälfte der Decke nach dem Waffenfund in einem Auto gefunden. Kurzum: Es gibt vielerlei Erinnerungsfragmente, aber wenig Klarheit.

 

Am kommenden Dienstag werden Beweisanträge zu Hermann F. verhandelt, während am Freitag das Gericht einen französischen Polizeibeamten vernehmen will.

 


 

Sibylle ist frei! Bericht 6.8.

 

Sibylle S., die vier Monate in Beugehaft saß, weil sie sich weigerte, als Zeugin gegen Sonja Suder auszusagen, ist frei. Weil Sibylle sich erneut geweigert hatte, sei davon auszugehen, dass sie auch durch eine fortgesetzte Haft ihre unbeugsame Haltung nicht ändern würde, musste die Kammer bei der Begründung eingestehen.
 
Zu Beginn des Prozesses, der heute von zahlreichen Besucher_innen und von Vertreter_innen vom Komitee für Grundrechte und Demokratie und der Internationalen Liga für Menschenrechte beobachtet wurde, teilte Richterin Stock mit, dass der Zeuge Hermann F. aufgrund ärztlicher Atteste nicht zur Vernehmung erscheint. Rechtsanwalt Baier, der Zeugenbetreuer von Hermann, berichtete zunächst, dass er nach der Explosion 1978 zunächst vergeblich versucht hatte, ihn, der in einer Polizeikaserne abgeschirmt und unmittelbar nach der Operation von Polizisten vernommen worden war, zu sprechen. Er sei heute noch sehr betroffen, dass es ihm damals nicht gelungen sei, sein Grundrecht auf anwaltliche Vertretung durchzusetzen und Hermann aus der Polizeigewalt zu befreien.

 

Das Gericht lehnte den Antrag der Staatsanwaltschaft ab, gegen Hermann F. Ordnungsgeld, ersatzweise vier Tage Haft zu verhängen, weil es nicht riskieren wolle, dass sich der Gesundheitszustand Hermanns, der sich derzeit in psychotherapeutischer Behandlung befindet, weiter verschlechtert. Die Heidelberger Professoren Dres. Schauenburg und Seidler hatten ein traumatologisches Gutachten für zwingend gehalten, um seine Vernehmungsfähigkeit zu beurteilen.

 

Plötzliche milde Menschlichkeit ist Richterin Stock mit dieser Kehrtwende allerdings nicht zu unterstellen. Vielmehr schafft sich das Gericht damit nun den Weg, die damals in Polizeigewahrsam abgerungenen Äußerungen Hermann F. verlesen zu lassen, da es sich mit einer Vorladung Hermanns nicht durchsetzen konnte.

 

Eine Wende im Prozess bedeuten die heutigen Entscheidungen des Gerichts also nicht. Sonja ist weiterhin in Haft, obwohl es außer den unglaubwürdigen Aussagen des Kronzeugen H.-J. Klein und den Polizeiprotokollen von den Verhören des schwer traumatisierten Zeugen Hermann F. keine materiellen Beweise für eine Unterstützung der OPEC-Besetzung 1975 und der Beteiligung an Anschlägen auf die Atomindustrie und das Heidelberger Schloss 1977 gibt, zu denen sich Revolutionäre Zellen bekannt hatten.

 

Ein Ende des Prozess gegen Sonja S. ist nicht abzusehen und wird am Freitag, 9. August fortgesetzt. Am 13. August wird das Gericht entscheiden, wie es mit Hermann F. als Zeugen weiter verfährt. Der 20. August wurde als Termin gestrichen. Am 23. August sind zwei französische Bullen geladen.

 


 

Weitere Infos zum Prozess auf www.verdammtlangquer.org --- solidarischer Song auf soundcloud.com/verdammt-lang-quer

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Sehr schöner Song!