Am 21. Mai ist mal wieder „Report Mainz“-Zeit im ersten deutschen Fernsehen. Und erneut ist ab 21:55 Uhr Sachsen ein Thema. Besser der Lauf der Behörden im Jahre 2000, eine Zeit, in der es noch keine Mordserie gab, dafür ein flüchtiges Trio aus Jena, welches sich in Sachsen herumtreiben sollte. Und Unterstützer, die ihnen dabei hilfreich zur Seite standen. Alles in allem also eine Gruppe. Bis heute wird darum gestritten, wie und wann den Behörden welche Einschätzungen zur Verfügung standen. Ein Zeit-Dokument dazu liege nun der „Report“-Redaktion vor. Und das Sächsische Innenministerium reagierte heute erstaunlich schnell.
Schnell waren damals auch die Behörden bei der Genehmigung der
sogenannten G10-Maßnahme in Chemnitz. Unter dem Namen „Terzett“ begann
bereits am 5. Mai 2000 eine „Überwachung des Brief-, Post- und
Fernmeldeverkehrs“, wie es im Amtsdeutsch heißt. Ziel der dreimonatigen,
erfolglosen Aktion: Die drei Flüchtigen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt
zu finden, nachdem man sie in Jena bereits beim Bombenbasteln ertappt
hatte.
Die näheren Gründe dafür erklärt nun ein als geheim eingestuftes, unter
anderem an den damaligen Innenminister des Landes, Klaus Hardraht (CDU),
gerichtetes Verfassungsschutz-Schreiben vom 28. April 2000, welches
„Report Mainz“ vorläge und aus dem die ARD bereits vor Sendetermin
zitiert. So sei laut Verfassungsschutz der Zweck der „Vereinigung“ der
drei Flüchtigen und vier weiterer Unterstützer, schwere Straftaten gegen
die freiheitlich demokratische Grundordnung zu begehen. Das Vorgehen
der Gruppe ähnele laut Verfassungsschutz „der Strategie terroristischer
Gruppen, die durch Arbeitsteilung einen gemeinsamen Zweck verfolgen“, so
Report Mainz.
Eigentlich beste Gründe für die Behörden, dran zu bleiben. Wie die
Geschichte dann jedoch verlief, ist aus der heutigen Perspektive klarer.
Bereits im Vorfeld der Sendung reagierte nun auch das Sächsische
Innenministerium (SMI) mit einer „Erklärung des Verfassungsschutzes“.
„In der aktuellen Berichterstattung über angeblich ‚neue Geheimdokumente
zum NSU` wird suggeriert, die Behörden hätten bereits im Mai 2000 eine
präzise Vorstellung von den dann folgenden Straftaten des NSU gehabt.“
Dabei handele es sich jedoch laut Verfassungsschutz Sachsen „keineswegs
um neue Dokumente. Der Vorgang 'Terzett' ist den zuständigen
Kontrollgremien und dem Generalbundesanwalt seit langem vollständig
bekannt. Die Akten zu 'Terzett' liegen den Untersuchungsausschüssen des
Sächsischen Landtages und des Deutschen Bundestages ebenfalls schon seit
längerer Zeit vor. Im Untersuchungsausschuss des Bundestages wurden
sächsische Beamte in öffentlicher Sitzung mehrfach zu dieser Maßnahme
und der Begründung befragt.“
Allerdings mit mäßigem Erfolg. So konnte sich der damalige Polizeipräsident Chemnitz' und späterer Leipziger OBM-Kandidat Horst Wawrzynski bei der Befragung durch den sächsischen Untersuchungsausschuss an reinweg gar nichts mehr erinnern, was da in seiner damaligen Stadt eigentlich ablief. Eine Strafanzeige des Grünen-Abgeordneten Johannes Lichdi gegen den mittlerweile zurückgetretenen Verfassungsschutzpräsidenten (LfV) Reinhard Boos wegen der Aktenschredderei wurde am 13. September 2012 von der Staatsanwaltschaft Dresden abgeschmettert.
Ein monolithischer Block scheinbar, der keine Fehler, sondern nur den
einen oder anderen Rücktritt zu kennen scheint. Was vielleicht die
Freude von den „Report“-Machern erklären könnte, hier eines
Schriftstückes habhaft geworden zu sein, welches den Beweis über die
richtige Einschätzung der Gefährdung birgt und das Nichthandeln nach der
Aktion „Terzett“ in Sachsen nur noch unerklärlicher werden lässt.
Vielleicht gibt der folgende Satz auch mehr Aufschluss über das offenbar
bis heute vorhandene Denken der Schlapphüte: „Das LfV Sachsen hat diese
Maßnahme zur Unterstützung der federführenden Thüringer
Ermittlungsbehörden durchgeführt." Fast klingt es wie - eine Sache, die
unsere Behörden also selbst nie etwas anging.
Die Maßnahme „Terzett“ selbst ist mittlerweile in der offiziellen Lesart
bekannt, worauf auch der Verfassungsschutz nicht müde wird, diese
nochmals zu erläutern: „Das LfV Sachsen führte vom 5. Mai 2000 bis 5.
August 2000 eine G10-Maßnahme (Überwachung des Brief-, Post- und
Fernmeldeverkehrs) mit der Bezeichnung »Terzett« durch. Betroffen waren
Personen, die als mutmaßliche Unterstützer der drei damals flüchtigen
Bombenbastler Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt angesehen wurden. Ohne dass
Informationen zum Aufenthalt oder Rufnummern zu den drei Flüchtigen
vorlagen, wurden diese dennoch in die Maßnahme einbezogen, für den Fall,
dass sie von einem der überwachten Anschlüsse aus telefonieren.“
Der etwas verharmlosende Begriff „Bombenbastler“ unterschlägt ein wenig
die Motivlagen der drei Flüchtigen, welche der Verfassungsschutz laut
dem "Report Mainz" vorliegenden Schreiben schon 2000 als "Terroristen"
einstufte. Der Verfassungsschutz zur damals vorgenommenen Einschätzung:
„Die damalige Bewertung und Prognose, die die Maßnahme begründete,
bezog sich auf die damals bekannten Sachverhalte und Hinweise
(Rohrbomben, Flucht, Waffenbesitz). Zu diesen gehörten nicht die
gezielte Ermordung von Menschen aus rassistischen Motiven.“
Bereits in Jena hatten sich Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt nachweislich
dem „Heimatschutz Thüringen“ angeschlossen – den Ermittlern konnte also
klar sein, welche Ziele die „Bombenbastler“ verfolgen könnten.
Report Mainz, 21. Mai 2013, Erstausstrahlung 21:55 Uhr
www.tagesschau.de/inland/nsu-terror-bekannt100.html
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