Gö: 200 auf Kundgebung zum NSU-Prozess

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200 Menschen am Montag den 06. Mai auf Kundgebung zum NSU-Prozess. Spontandemonstration im Anschluss mit etwa 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

 

Auf einer Kundgebung am 6. Mai zu der, neben anderen Initiativen, auch das Bündnis Extrem Daneben aus Göttingen aufgerufen hatte, sind am Montagnachmittag etwa 200 Teilnehmer und Teilnehmerinnen gekommen. In verschiedenen Redebeiträgen wurde auf den institutionellen Rassismus verwiesen. Das Bündnis forderte unter anderem die sofortige und ersatzlose Abschaffung des Verfassungsschutzes. Dabei wurde ebenfalls auf die Rolle des Inlandsgeheimdienstes bei den NSU-Morden verwiesen und die Extremismusformel kritisiert, weil diese Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus verharmlosen würde.

„Zum einen halten wir es für sehr wichtig, dass heute 200 Menschen an der Kundgebung teilgenommen haben. Andererseits ist die Zahl zugleich ein Armutszeugnis für die Göttinger Bevölkerung. Es scheint kein besonderes Interesse an einer Auseinandersetzung mit den Morden des NSU und deren ideologische Kontinuität in die sogenannte Mitte der Gesellschaft zu geben. Wir verstehen das auch als ein Warnsignal,“ so Maria Göwitz, die Sprecherin des Bündnisses Extrem Daneben in einer Pressemitteilung.

Die Kundgebung endete um 18:00 Uhr mit einem Redebeitrag des Verbandes der Studierenden aus Kurdistan (YXK), der auf den internationalen Zusammenhang von Faschismus, Rassismus und Kapitalismus verwies. Im Anschluss formierte sich eine Spontandemonstration mit etwa 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die mit Parolen wie „Nazis morden, der Staat schiebt ab“ durch die Innenstadt zog.

„Dass die Polizei massiv in der näheren Umgebung aufgefahren ist und sogar eine Hunderstchaft an der Stadthalle abgestellt hatte, macht erneut deutlich, wie irrational der hochgerüstete Polizeiapparat unter Robert Kruse agiert und dass nach wie vor versucht wird, linke Politik zu kriminalisieren. Aber wir lassen uns davon nicht einschüchtern,“ so die Sprecherin des Bündnisses abschließend.

 

Bündnis 'Extrem Daneben'

 



Berichte:


Pressemitteilungen vor der Kundgebung

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Liebe Zuhörende, wir vom Bündnis gegen Nazis, Extremismustheorie und Verfassungsschutz sind hier anlässlich des heute beginnenden NSU-Prozesses in München.

Unsere Solidarität gilt den Betroffenen des Naziterrors und allen, die Rassismus tagtäglich erfahren müssen. Was die Angehörigen der Ermordeten und Verletzten in den letzten Jahren durchmachen mussten, können wir uns kaum vorstellen. Sie verloren geliebte Menschen und überlebten Angriffe auf ihr Leben. Sie wurden zudem mit einer durch und durch rassistischen, gegen sie gerichteten Ermittlungspraxis der deutschen Polizei und einer diffamierenden Berichterstattung der Presse konfrontiert. Dazu fiel nun auch noch das für den NSU-Prozess zuständige Oberlandesgericht München mit der absurden Presseakkreditierung und dem plötzlichen Verschieben des Prozesses durch erschreckende Unsensibilität auf. Über die Rolle des unkontrollierbaren Verfassungsschutzes als Mittäter sprechen wir später.

 

Dieser Terror von Nazis und Behörden erscheint unvorstellbar. Er ist aber ein erschreckend konsequenter Ausdruck dieser Gesellschaft. Daran wird auch der Prozess in München leider nichts ändern. Für die Bundesanwaltschaft ist jetzt schon klar dass der NSU nur aus drei Personen und ein paar Unterstützerinnen bestand. Der NSU konnte jedoch nur 12 Jahre morden, weil er in bundesweit wirksame Nazistrukturen eingebunden war. Um dies klarzustellen: Die Vielzahl an Unterstützerinnen des NSU agierten nicht in einem ominösen Untergrund, sondern waren und sind sichtbar: als Arbeitskollegin oder als Nachbar.  

Wir haben keine Illusionen, dass im Zuge dieses Prozesses die Ursachen für diese Morde vom Gericht thematisiert werden. Dem Rechtsstaat geht es in München nur darum sein Gewaltmonopol durchzusetzen und zu zeigen dass etwas getan wird. Auch von der deutschen Öffentlichkeit, wird eine angemessene Auseinandersetzung mit dem NSU, seiner faschistischen Ideologie und deren gesellschaftliche Ursachen nicht zu erwarten sein. Denn das Wichtigste bleibt für den Exportweltmeister Deutschland das eigene Ansehen auf der Welt und ihrem Markt. Da sind rassistische Gewalttaten einfach die falsche Visitenkarte, oder wie unser aktueller Innenminister Hans-Peter Friedrich mahnt:

 

„Allen muss klar sein, dass wir uns als exportorientiertes Land, Ausländerfeindlichkeit gar nicht leisten können“

 

Friedrich streitet hier ab, was allerdings in der kapitalistischen Vergesellschaftung angelegt ist:

Die Leistungsgesellschaft verspricht Freiheit, Gleichheit und dass, `wer hart arbeitet, auch belohnt werde` – während die alltäglichen Erfahrungen der Menschen vom Gegenteil geprägt sind. Rassistische Vorurteile und die Rede von kulturellen Unterschieden erfüllen so eine ganz bestimmte Funktion im Kapitalismus. Soziale Konflikte werden als ‚ethnische‘ Konflikte wahrgenommen. Diese nationalen und kulturellen Denkmuster verschleiern die schwer durchschaubaren Herrschafts- und Abhängigkeitsverhältnisse. Die Betonung der Zugehörigkeit zum hiesigen nationalen oder kulturellen Kollektiv dient so als Anspruchsberechtigung für den stetig schrumpfenden Arbeitsmarkt. Nicht die strukturelle Ungleichheit im Kapitalismus oder der Rassismus werden als Ursache schlechter Lebensverhältnisse und sozialer Konflikte gesehen, sondern einzelne Menschen, die als ‚nicht-integrierbar‘ und als ‘Leistungsverweigerer’ stigmatisiert werden.

 

Die Morde des NSU und der Skandal um die folgenden Ermittlungen diverser deutscher Behörden offenbaren die ideologische Verschränkung von rechter Gewalt, Rassismus von Ämtern und Behörden und dem Alltagsrassismus der Mehrheitsgesellschaft.

 

Aber, was heißt das?
Dass das Zusammenspiel von staatlichem und gesellschaftlichem Rassismus nichts Neues ist, zeigt ein Blick in die frühen Neunziger Jahre.
Die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl durch CDU/CSU und SPD 1992, wurde von rassistischen Pogromen und Reden von der sogenannten „Asylantenschwemme“ und einer „Das Boot ist voll“ – Rethorik begleitet. Da wuchs zusammen, was zusammen gehört.
Darüber hinaus starben nach dem Erstarken von Deutschtümelei und Nationalismus im wiedervereinigten Deutschland bisher über 150 Menschen durch rassistisch motivierte Angriffe. Keiner dieser Morde führte zu einem mit dem NSU-Morden vergleichbaren Aufschrei durch Medien oder staatliche Institutionen. Im Gegenteil: Sie wurden als „Einzeltaten“ von „Verwirrten“ abgetan, weil Rassismus gleichzeitig Bestandteil staatlichen Handelns, medialer Wiedergabe und des gesellschaftlichen Alltags ist.

 

Die Sonderkommission der Polizei gab sich im NSU-Fall den Namen „Bosporus“. Damit schloss die Polizei von Anfang an nicht nur rassistische Hintergründe der Morde aus, sondern handelte selbst rassistisch. Die Opfer wurden wie Täter behandelt. Ermittelt wurde nur in Richtung sogenannter „organisierter Ausländer-Kriminalität“. Die Medien prägten in dieser Zeit den rassistischen Begriff „Döner-Morde“. Der Rassismus von Behörden und Öffentlichkeit verhinderte zweifach die Aufklärung der Morde:
Zum Einen wurden die Hinweise auf rassistische Hintergründe ausgeklammert und vernachlässigt, zum Anderen erschien die These, migrantische Gewerbetreibende seien in mafiöse Strukturen verwickelt, der Polizei und einer breiten Öffentlichkeit unmittelbar einleuchtend und erübrigte weiteres Nachfragen.

 

Wir wundern uns nicht – so ist der Verfassungsschutz seit seiner Gründung durch und durch von der Kontinuität des Nationalsozialismus und des Antikommunismus geprägt. Dessen Politik erweist sich mit seiner zur wissenschaftlichen Theorie verklärten Extremismusformel als auf dem rechten Auge blind. Wer wie der Verfassungsschutz die Gesellschaft in eine gute, demokratische Mitte und böse linke und rechte Extreme aufteilt verschleiert die gesellschaftlichen Ursachen nazistischer Ideologie und Gewalt – den Rassismus der Mitte. Die Extremismusformel erfüllt so eine nicht zu unterschätzende Entlastungsfunktion für die meisten Deutschen. Wenn die Feinde der Demokratie immer die anderen sind, kann man sich getrost zurück lehnen und über Sozialschmarotzer schimpfen. Man ist ja verbriefter Demokrat. Der VS ist selbst das beste Beispiel hierfür: die Mitarbeiterinnen der diversen Verfassungsschutzämter unterstützten das Umfeld des NSU logistisch und finanziell. Bei den Morden haben sie zumindest weggesehen. Der Verfassungsschutz steckt also knietief im braunen Sumpf. Nicht nur nachlässige Ermittlungen, verpasste Festnahmen und massenhaft vernichtete Akten, kamen zutage. Auch der durch V-Leute finanzierte Aufbau des Thüringer Heimatschutzes in den 90er Jahren, ein VS-Mann namens „Kleiner Adolf“ an einem der Tatorte und staatliche Verstrickungen in die Strukturen der Rechtsterroristen wurden offenbar.

 

Wir würden gerne mit den Worten einer befreundeten Antifaschistischen Gruppe aus München enden:
„Die Mordserie des NSU bedeutet für die antifaschistische Linke eine Zäsur, einen Bruch, nach dem es nicht einfach so weiter gehen kann. Der Schock, den das Bekanntwerden des NSU und seiner Morde auch bei uns hinterlassen hat, sitzt noch immer tief. Die Konsequenzen, die wir aus dem NSU und der rassistischen Mordserie ziehen müssen, sind noch längst nicht klar. Angesichts des Ausmaßes der NSU-Morde war die Reaktion der radikalen Linken über einige Zeit oft verhalten und defensiv. Wir stehen noch immer am Anfang einer Debatte. Doch eines scheint uns klar und notwendig: Das Problem heißt Rassismus und der Kampf muss sich offensiv gegen staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus richten, der die Grundlage des Naziterrors ist.“