[B] 1.Mai – überholtes Ritual oder nötiger Widerstand?

Die Frage der Gewalt

Liebe Kreuzbergerinnen und Kreuzberger,
in einigen Tagen wird unser Kiez wieder zum Aufmarschgebiet Tausender Polizisten und Schauplatz einer Demonstration, die entweder als „revolutionär“ oder als „sinnentleertes Gewaltritual“ bezeichnet wird. Der Berliner Senat und der Bezirk haben in der Vergangenheit weder Kosten noch Mühen gescheut um den 1.Mai zu entpolitisieren und die Demonstrierenden als „betrunkene Chaoten“ zu diskreditieren.

 

Dazu wurde mit dem Myfest eine Fress- und Saufmeile erfunden, die Weihnachtsmarkt, Karneval und Love Parade vereint und den BesucherInnen das Gefühl einer politischen Party geben soll, obwohl sie nur als Deckungsmasse für die in den Höfen stationierten Polizeihundertschaften instrumentalisiert werden.

 

Zugegeben, die Ereignisse am 1.Mai waren in den letzten 26 Jahren nicht immer erfreulich. Betrunkene haben idiotische Sachen gemacht und so manch zerstörtes Auto war überflüssig. Allerdings hat sich der in den Medien beschriebene Krieg der Autonomen gegen die AnwohnerInnen nur in den Hirnen der Zeitungsredaktionen abgespielt. Immer haben auch Menschen, die in diesem Kiez wohnen, sich an den Auseinandersetzungen beteiligt, die früher auch von einer Mehrheit unterstützt wurden.
Ohne die Entwicklung diese Tages bis ins Detail analysieren zu wollen, ist es natürlich so, dass Krawalltouristen hinzugekommen sind und KiezbewohnerInnen durch die Mietentwicklung verdrängt wurden, bis es den Organisatoren des Myfest gelang sich als Sprachrohr der KreuzbergerInnen verkaufen zu können.

 

Wir wollen hier nicht die Straßenschlachten mit der Polizei glorifizieren und auch nicht die gelegentlichen Plünderungen, aber wie seht ihr die Entwicklung in SO 36?
Ist es nicht so, das die Gegend mit monotoner Gastronomie nur noch für Touristen interessant ist und ein großer Teil der BewohnerInnen den Kiez schon verlassen musste weil sie die Miete nicht mehr bezahlen können?
In einem aktuellen Artikel im Tagesspiegel wird noch eine viel schlimmere Entwicklung der Wohnungsmieten vorher gesagt, was andere sehr erfreut.

 

Der Protest gegen die Lebensbedingungen in dieser Stadt hat 1987 zu einer unerwarteten Explosion geführt, über deren Erbe heute gestritten wird. Keines der damaligen gesellschaftlichen Probleme ist vom Staat gelöst worden – warum auch, ist doch der eigene Machterhalt seine einzige Aufgabe.
Deshalb war es richtig in der Vergangenheit öfter mal auszuprobieren, wo denn die Grenze zwischen unserem Anspruch auf Veränderung und dem staatlichen Gewaltmonopol liegt. Das dabei auch viele Fehler gemacht wurden ist selbstverständlich, kann aber nicht zu unserem einseitigem Frieden mit dem System führen.

 

Trailer - Die Frage der Gewalt von rébellion documentaire

 

Wir sollten versuchen, gemeinsam das Ritual von verbaler Radikalität und gleichzeitiger Unfähigkeit dem kapitalistischen Normalzustand etwas entgegen zustellen, zu überwinden. Im Februar ist bei der Zwangsräumung in der Lausitzer Str. ein möglicher Ansatz sichtbar geworden. Wer den 1.Mai nur als Gelegenheit sieht um mit einem Stand auf dem Myfest Geld zu verdienen, die eigene Bar zu füllen, einmal nur von den Bullen als Myfest Ordner respektiert zu werden, besoffen in Hauseingänge zu pissen oder aus der 10. Reihe einen Stein in die eigenen Leute zu werfen, wer nur Randale Fotos machen will oder auf der Suche nach einer Eigentumswohnung ist, soll sich hier nicht angesprochen fühlen.

 

Von allen anderen erhoffen wir uns eine Beteiligung an dem diesjährigen Krawall, den die Polizei mit Sicherheit provozieren wird, wenn wir nicht vorher damit anfangen. Eine Beteiligung muss nicht im Steine schmeißen bestehen, sie kann auch Kritik an der Demo oder an „den Autonomen“ sein, sie kann auch Kunst sein oder irgendeine subversive Sache die wir uns bislang nicht vorstellen können.
Damit die Bullen nicht später sagen, es wäre friedlicher als in den Vorjahren gewesen.
Damit die BZ nicht später schreiben kann, es wäre wie im Krieg gewesen.
Damit das Bezirksamt sich nicht später wieder für das Myfest loben kann.
Damit nicht unerfahrene Jugendliche später in U-haft sitzen.
Damit die Krawalltouristen auch nächstes Jahr wieder kommen.
Damit die Immobilien Spekulanten nicht in Kreuzberg investieren wollen.

 

http://polizeikongress2013.blogsport.de/

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warum verlagert ihr die action nicht mal auf ein nobelviertel? da wäre krawall viel geiler.

 

liebe grüsse!

ein nicht-berliner

Warst wohl noch nicht in Berlin. Teile Kreuzbergs sind das bereits (Maybachufer, Chamissoplatz). Aber das haben die anarchistischen GenossInnen auch so beschrieben.

 

Revolutionäre Maigrüsse

 

ein Berliner

jau war lange nich mehr da.

 

ich meinte aber viel mehr warum immer nur die altbekannten viertel? kann man die bulle nich mal überraschen indem es viele aktionen überall in berlin gibt?

 

nicht-berliner

Die Leute, die vor 30 Jahren die Proteste in Kreuzberg mitgetragen haben, leben hier kaum noch. Viele (nicht alle) der Nachgezogenen profitieren von der Befriedung, weil sie einen Laden haben oder Fereinwohnungen vermieten. Die wollen das es so bleibt wie jetzt, Menschen mit Geld konsumieren, warum sollten die sich für billige Mieten einsetzen?

http://www.youtube.com/watch?v=Faj5Py_erp0

 

Die damalige Bewegung ist nicht nur durch Repression verschwunden sondern auch weil es so einfach ist wieder in den Schoß der Gesellschaft zurückzukehren und dabei nach ganz oben zu gelangen, aktuelle Vergangenheitsbewältigung: http://www.taz.de/Stern-ueber-Fischers-Vergangenheit-/!114008/

 

Die Presse, nach dem im März noch ein Rückgang linker Gewalt behauptet wurde, schreibt nun das Gegenteil:

http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article115123030/Berlins-Auto-Brandstifter-zuendeln-doppelt-so-oft.html

 

und Polizei und Justiz üben schon mal das Zusammenspiel:

http://www.morgenpost.de/berlin/article115153122/Berliner-Polizisten-aus-Mangel-an-Beweisen-freigesprochen.html