Abweichendes Verhalten

Erstveröffentlicht: 
02.04.2013

»Devianz« in »linksaffinen Szenen«: Vom Familienministerium gefördertes Forschungsprojekt soll Biographien kritischer Jugendlicher erfassen

 

In der Soziologie gibt es einen Zweig, der sich mit »Devianz« beschäftigt. Diesen Begriff könnte man mit »vom rechten Pfad abkommen« übersetzen. Und wer vom rechten Pfad abkommt, bedarf der Betreuung. So betrachtet es der Staat, der sich um seine Bürger sorgt und daher die Wissenschaft bemüht, weil er herausfinden will, wer sich warum deviant verhält. Seine besondere Aufmerksamkeit gilt »linksextremen« Staatsfeinden. Den Forschungsauftrag an eine staatsgefällige Sozialwissenschaft formuliert Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber in einer »Expertise« zum »Linksextremismus« in Deutschland: »Erstens bedarf es der Erstellung von Studien über linksextremistisch motivierte Gewalttaten. Hierbei ginge es nicht nur um die Auswertung einschlägiger Akten von Straftätern, sondern auch um darüber hinausgehende qualitative Studien im Sinne eines multimethodischen Vorgehens. Als Vorbild dafür könnten die Forschungen zu rechtsextremistisch motivierten Gewalttätern dienen.« Ein erster Schwerpunkt soll dabei »im Bereich linksextremistischen Engagements in Protestbewegungen liegen. Ebendort gelingt es Akteuren aus diesem politischen Lager häufig, nicht nur Jugendliche für ihre extremistischen Bestrebungen zu mobilisieren.« Die Expertise steht auf den Seiten der »Initiative Demokratie stärken« zum Download bereit. Diese wiederum ist ein Projekt von Kristina Schröders Familienministerium, das die »Ursachen von Linksextremismus und islamistischem Extremismus bei Jugendlichen und jungen Menschen« erforschen will, um ihnen präventiv entgegenzuwirken. Das geschieht unter anderem mittels der »Demokratieerklärung«, auch Extremismusklausel genannt, die Organisationen bei Fördergeldanträgen abverlangt wird.

Dem Ruf des früheren Verfassungsschutzmitarbeiters Pfahl-Traughber wurde Folge geleistet: Das Familienministerium finanziert derzeit ein Forschungsprojekt mit dem Titel »Zwischen Gesellschaftskritik und Militanz: Politisches Engagement, biographische Verläufe und Handlungsorientierungen von Jugendlichen in Protestbewegungen und linksaffinen Szenen«. Die Studie ist ein Gemeinschaftsprojekt der Universität Luxemburg und der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, an welcher es im Fachbereich »Polizei und Sicherheitsmanagement« angesiedelt ist. Der Leiter des Fachbereichs, Prof. Dr. Wolfgang Kühnel, forscht u.a. zu den Themen abweichendes Verhalten, Jugenddelinquenz und Gewaltkriminalität.

 

Die Mitarbeiter des neuen soziologischen Projekts sind angehalten, »qualitative biographische Interviews« mit Angehörigen linker Szenen und Jugendorganisationen zu führen. Zu diesem Zweck schicken sie betont unverdächtig daherkommende Anfragen an junge Linke im gesamten Bundesgebiet. Statt des offiziellen Titels erfährt man darin, daß an der Universität Luxemburg »ein soziologisches Forschungsprojekt durchgeführt wird, das sich mit politischem Engagement von jungen Erwachsenen beschäftigt«. Der Charakter der Spitzelstudie wird folgendermaßen umrissen: »In den Interviews geht es vor allem darum, wie junge Menschen zu ihrem politischen Engagement gekommen sind, wie sich ihre politischen Aktivitäten im Laufe der Zeit verändert haben und welche Themen und gesellschaftlichen Probleme für sie wichtig sind.« Die Macher der Studie rechnen sich vermutlich einigen Erfolg aus, folgen sie doch in ihrem Vorgehen den Einschätzungen der »Initiative Demokratie stärken«, die von »großem politischen Interesse« und »hoher Diskursbereitschaft vieler linksextremistisch orientierter Jugendlicher« ausgeht. Sie empfielt: »Um an Erfahrungs- und Handlungsspielräumen der Jugendlichen anzusetzen und andererseits relevante Multiplikatoren einzubinden, ist es wichtig, die betreffenden sozialen Räume und Quartiere zu kennen und aufzusuchen.« In den Anfragen der Soziologen liest sich das dann so: »Falls es für Euch ok ist, könnte ich auch bei Eurem Gruppenabend vorbeikommen und das Projekt kurz vorstellen.« Besonders brisant war die Vorgehensweise einer Mitarbeiterin, die ihr eigenes Engagement in linken Zusammenhängen als Türöffner benutzte.

Die Studie identifiziert unter ihren jugendlichen Forschungsobjekten anhand biographischer Merkmale Risikogruppen und liefert dem Staat und seinen zuständigen Diensten so Informationen zu deren »Behandlung« und der von ihnen ausgehenden Gefahr der »Militanz«. Wo das wissenschaftliche Augenmerk auf der privaten Biographie liegt, wird das politische Engagement zur individuellen Delinquenz.

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Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin:  Stellenausschreibungen


2 studentische Hilfskräfte


An der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR Berlin) ist folgende Stelle über studentische Hilfskraft zu besetzen:


Bezeichnung: 2 studentische Hilfskräfte


Stellenumfang: 40/Monat


Besetzbar: Ab 01.08.2012, befristet bis zum 31.12.2012


Vergütung: Tarifvertrag für studentische Beschäftigte


Organisationseinheit: Fachbereich Polizei und Sicherheits­management


Standort/Arbeitsort: Campus Lichtenberg


Bewerbungsfrist: 14.07.2012


Aufgabengebiet
Unterstützung des Projektleiters und der wissenschaftlichen Mitarbeiter/-innen bei der Durchführung eines Forschungsprojekts zum Thema „Zwischen Gesellschaftskritik und Militanz: Politisches Engagement, biografische Verläufe und Handlungsorientierungen von Jugendlichen in Protestbewegungen und linksaffinen Szenen“
Unterstützung bei der Durchführung und Auswertung biografischer Interviews
Unterstützung bei der Durchführung einer Online-Inhaltsanalyse
Unterstützung bei organisatorischen Aufgaben


Anforderungen
Die Studierenden sollten
an theoretischen und empirischen Problemen der Politischen Soziologie interessiert sein,
vertraut sein mit der Durchführung von Interviews und
geübt sein in der qualitativen und quantitativen empirischen Sozialforschung.


Kenntnisse und Qualifikationen
Die Studierenden sollten
über hinreichende Kenntnisse in den Methoden der qualitativen (Biograpfieforschung) und quantitativen Sozialforschung verfügen und
soziologische und/ oder politikwissenschaftliche Kenntnisse mitbringen.


Ansprechpartner/in
Prof. Dr. Wolfgang Kühnel
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Fachbereich 5
Campus Lichtenberg
Alt-Friedrichsfelde 60
10315 Berlin

Außerdem heute in der jW ein Interview zum Thema und Hintergrund-Spalte neben diesem Artikel, hier als [PDF].