Britischer verdeckter Ermittler spioniert auch Netzaktivisten aus – vermutlich im Auftrag des F.B.I.

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Die Affäre um den britischen Spitzel Mark Kennedy weitet sich aus: Der frühere Polizist war offensichtlich auch im Auftrag von US-Behörden unterwegs. Diesen länger kursierenden Verdacht bestätigte letzte Woche der Blog der Tageszeitung New York Times. Harry Halpin, ein langjähriger Internetaktivist, hatte die polizeilichen Ermittlungen gegen ihn öffentlich gemacht. Harry arbeitet seit langem im World Wide Web Consortium (W3C), das offene Standards für Internetdienste entwickelt. Er forscht hierfür am Computer Science and Artificial Intelligence Lab des Massachusetts Institute of Technology und referierte beim Chaos Computer Congress.

 

Die New York Times berichtet von einem Treffen von „activists and academics“ in Manhattan im Januar 2008, an dem neben Harry Halpin auch Mark Kennedy teilnahm. Ebenfalls anwesend waren demnach Julien Coupat und Yildune Levy aus Frankreich. Gegen beide wurde kurz darauf von den französischen Behörden wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt. Hintergrund waren Anschläge mit Hakenkrallen anlässlich des Castor-Transportes im Herbst 2008.

 

Die Razzien richteten sich gegen BewohnerInnen des Dörfchens Tarnac und der Gegend von Rouen, die Beschuldigten wurden später als „Tarnac 10“ bekannt. Julien Coupat blieb mehrere Monate in Untersuchungshaft. Die damalige französische Innenministerin Michèle Alliot-Marie bezeichnete die Festgenommen als „ultra-links“ und einer international agierenden „anarchistisch-autonomen“ Szene zugehörig. Weil nur wenige Tage zuvor mehrere Brandanschläge auf Signal-, Funk- und Telefonanlagen der Deutschen Bahn AG verübt wurden, ermittelten die französischen Behörden mithilfe des Bundeskriminalamtes auch in Deutschland.

Bereits nach den Festnahmen lag nahe, dass die Ermittlungen gegen die  „Tarnac 10“ überhaupt erst durch das US-amerikanische F.B.I. angestoßen wurden - und Mark Kennedy hierzu eine wichtige Rolle spielt. Denn Yldune und Julien wollten im Januar 2008 die Grenze zwischen der USA und Kanada ohne Kontrolle überqueren, um einen entsprechenden Eintrag im Reisepass zu vermeiden. Dabei wurden sie beinahe gestellt und mussten einen Rucksack zurücklassen, der von den Behörden gefunden wurde. Ein später geleaktes Ermittlungsprotokoll bestätigt den Verdacht, dass die beiden längst im Visier der Kriminalpolizei waren: Der festgestellte Grenzübertritt erfolgte kurz nach deren Aufenthalt in New York. Anscheinend hatte Mark Kennedy die Polizei eilig nach dem besagten Treffen in Manhattan über die Reisepläne der französischen Staatsangehörigen benachrichtigt.

 

Im Dokument der französischen Behörden heißt es über Aktivitäten der beiden in New York: „Die Untersuchung des Rucksackinhalts […] führte zur Entdeckung […] subversiver Texte in englischer Sprache, Protokolle von Diskussionen auf Treffen und Fotos des Times Square in New York, USA, was daraufhin deutete, dass die Beteiligten vom 10. bis 15.1.2008 an einem Treffen US-amerikanischer Anarchisten teilgenommen hatten“.

Glaubt man dem Ermittlungsprotokoll, haben die französischen Anti-Terror“-Behörden erst daraufhin eigene Nachforschungen begonnen: „Die ersten Überwachungen, die bei J. C. durchgeführt wurden, ließen halb-klandestines Verhalten und Lebenswandel erkennen, so benutzte er für Ortswechsel verschiedene Autos, ging teilweise zwischendurch zu Fuß und verwendete mehrere ausgefeilte Methoden, sich einer Verfolgung/Beschattung zu entziehen“.

Das staatliche Interesse für „subversive Texte“ führte wohl auch dazu, dass ein weiterer Netzaktivist von den US-Behörden ausgeforscht wurde. Es geht um Alexander Galloway, der laut der New York Times die Übersetzung des Buches „Der kommende Aufstand“ besorgte. Dessen Urheberschaft wird vor allem Julien Coupat zugerechnet. In den besagten Ermittlungsakten aus Frankreich wird über die Theorie hinter „Der kommende Aufstand“ als „pseudo-philosophisch-aufständische“ Doktrin gelästert.

Alexander Galloway forscht zu Philosophie und Netzaktivismus, er gründete vor 13 Jahren die „Radical Software Group“. Schon damals machte die Gruppe mit eigens geschriebenen Computerspielen und Spielereien mit Überwachungskameras und Mobiltelefonen auf sich aufmerksam. Zum Repertoire gehörte auch die Nutzung von GPS für aktivistische Zwecke. In einem Interview erzählt der Aktivist, wie er 2008 in Frankreich zur Strömung Tiqqun gekommen ist – eben jener  philosophischen Theorie, die aus Sicht der Behörden hinter „Der kommende Aufstand“ steht. Vermutlich waren die Cops aber auch nicht erbaut über seine Abhandlung „Black Box Black Bloc“.

Mark Kennedy war in mindestens 11 europäischen Ländern aktiv. Hierzu gehören Island, Deutschland, Polen, Dänemark, Italien, Finnland und Spanien. Ein großes Ermittlungsverfahren gegen 120 AktivistInnen in Großbritannien wurde eingestellt, nachdem seine dubiose Rolle in der Vorbereitung einer Direkten Aktion öffentlich wurde. Von bürgerrechtlichen und aktivistischen Gruppen wird betont, dass niemand der von ihm Ausgeforschten danach für eine Straftat verurteilt werden konnte.

Fraglich, ob dies auch für Frankreich gilt: Bald soll das Gerichtsverfahren gegen die „Tarnac 10“ beginnen. Eine erste Verhandlung hat in diesem Zusammenhang bereits stattgefunden. Im Februar stand ein Schmied vor Gericht, der angeblich die Hakenkrallen hergestellt haben soll. Dies war aber noch nicht Gegenstand des Verfahrens, sondern seine Weigerung gegen eine DNA-Entnahme.

Ein guter Bericht zu den Verwicklungen von Mark Kennedy in die Tarnac-Ermittlungen erschien im April letzten Jahres als Übersetzung eines französischen Textes der Journalistin Camille Polloni. Neuere Entwicklungen dazu hatte Bernhard Schmid in der Jungle World zusammengetragen. Er argwöhnt, dass der Fall Tarnac der Legitimation der „Direction centrale du Renseignement Intérieur“ (DCRI) diente, die in jenem Jahr erst ihre Arbeit aufnahm. Damals wurden die Polizeien und Geheimdienste durch die amtierende Innenministerin Michelle Alliot-Marie einer grundlegen Neuorganisation unterzogen.

Derweil sorgen die Einsätze des bekanntesten britischen Spitzels auch in Großbritannien weiter für Öffentlichkeit. Mehrere Frauen verklagen die britische Polizei auf Schadensersatz, weil Kennedy mit ihnen lange persönliche und sexuelle Beziehungen einging. Insgesamt wurden 15 polizeiliche Untersuchungen angestrengt, die aber allesamt ohne größere Folgen für den Apparat blieben.

Nun wird also deutlich, dass Kennedy in seiner siebenjährigen Spitzelei auch in Nordamerika gearbeitet hatte. Ohnehin schaute er hin und wieder in Cleveland vorbei, wo sein Bruder als selbständiger Landschaftsgärtner arbeitet. Immer noch offen ist aber, wer seine Spionage in Berliner linken Zusammenhängen anordnete. Die Bundesregierung demonstriert Unkenntnis und verweist an das Land Berlin.

Der damalige Innensenator Ehrhardt Körting bestritt ebenfalls, hierzu irgendetwas zu wissen und beschimpfte das Bundeskriminalamt öffentlich: Denn die Ankunft eines britischen Spitzels wurde zwar knapp am Telefon berichtet, dass es sich um Mark Kennedy handelt und in welchem Auftrag er unterwegs war, bleibt aber bis heute geheim.

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... war nach seinem Auffliegen natürlich nicht die Identität des Spitzels Mark Kennedy, wohl aber der Grund seiner zahlreichen Aufenthalte in Berlin.

 

Bliebe noch zu erwähnen, dass der Prozess in Frankreich durchaus platzen könnte. Denn die Verteidigung will den Nachweis erbringen, dass Yldune in jener Nacht, als sie angeblich die Oberleitungen des TGV mit Hakenkrallen versehen haben soll, in Paris mit ihrer Bankkarte Geld abhob.