Immer tiefer indy Krise

Erstveröffentlicht: 
10.01.2013

Das linke Medienprojekt Indymedia steht in Deutschland vor dem Ende.

von Ralf Hess

 

Die unabhängige Medienplattform Indymedia wurde 1999 mit dem Anspruch gegründet, eine Alternative zu den Mainstream-Medien zu bieten. Bis heute hat sie einer Vielzahl linker Aktivisten und Gruppen eine Möglichkeit geboten, der Öffentlichkeit in eigener Sache zu berichten. Heute, über zehn Jahre später, scheint das Projekt in Deutschland keine Zukunft mehr zu haben. In einer Pressemitteilung der Indymedia-Betreiber setzt sich das Kollektiv eine Frist bis zum Frühjahr dieses Jahres. Sollten sich bis zu diesem Zeitpunkt nicht weitere Mitarbeiter, vor allem für die Technik, gefunden haben, die bereit sind, Zeit für das Projekt aufzuwenden, steht Indymedia Deutschland dasselbe bevor wie Indymedia Österreich, Dänemark und London und die Seite wird abgeschaltet.

 

Dabei war der Beginn der Plattform durchaus erfolgversprechend. Bevor sich im Winter 1999 die Wirtschafts- und Handelsminister aus 133 Staaten in Seattle zur 3. Ministerkonferenz der WTO trafen, waren die mehreren tausend Teilnehmer der Konferenz noch davon ausgegangen, dass das Treffen reibungslos über die Bühne gehen würde. Doch bereits am Morgen des ersten Konferenztages wurde die gesamte Innenstadt Seattles von ebenfalls mehreren tausend Demonstranten blockiert, also auch der Zugang zum Konferenzort. In der Folge ging die Polizei brutal gegen Demonstranten vor, Truppen der Nationalgarde wurden in die Innenstadt verlegt und der Ausnahmezustand verhängt. Tagelang gab es gewaltsame Ausschreitungen. Während des gesamten Verlaufs der Proteste berichteten die Mainstream-Medien zwar ausgiebig, allerdings gab es dabei zahlreiche falsche Darstellungen. So wurde von angeblichen Aktionen der Demonstranten berichtet, die gar nicht stattgefunden hatten. Indymedia-Aktivist Piotr Wesolski, der eigentich anders heißt, aber seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, sagt: »Im Zuge der Proteste in Seattle wurde immer deutlicher, dass eine Plattform geschaffen werden musste, die unabhängig und objektiv von den Aktionen berichtet.« Die Konsequenz dieser Analyse der Gipfelgegner war die Gründung des Independent Media Centers (IMC), auch Indymedia genannt.

 

Anfänglich wurde das Netzwerk von verschiedenen globalisierungskritischen Gruppen mit der Absicht betrieben, das Projekt nach dem Gipfel wieder zu beenden. Der Erfolg von Indymedia führte jedoch dazu, dass sich in der Folge weit über 100 unabhängige und lokale Indymedia-Gruppen in verschiedenen Ländern gründeten, die nun begannen, unabhängig über die für sie wichtigen Themen zu berichten. Für Indymedia Deutschland kam der Durchbruch mit dem ­Castor-Transport 2001. Wesolski sagt: »Indymedia hat es damals geschafft, dafür zu sorgen, dass jederzeit klar war, wo sich der Castor gerade befand.« Für die Demonstranten war das Netzwerk damit eine der wesentlichen Informationsquellen bei ihren Aktionen. Der hohe Nutzen für die Demonstranten 2001 zeigte sich auch darin, dass es während der Proteste immer wieder zu Serverzusammenbrüchen kam, da die Anfragen an die Plattform die technische Kapazität überstiegen. Auch erwies sich damals, dass eine Überprüfung der auf Indymedia veröffentlichten Informationen durchaus sinnvoll sein konnte. Denn auch auf Indymedia gab es immer wieder falsche Berichte.

 

Im folgenden Jahr, während der Sicherheitskonferenz in München, verfolgten die Indymedia-Aktivisten daher eine neue Strategie. Da Indymedia erneut einen Live-Ticker über die Proteste bereitstellen wollte, wurden zur Absicherung nun einzelne Personen und Gruppen an den Ort des Geschehens geschickt, um zu überprüfen, ob dort tatsächlich das stattgefunden hatte, was über den Ticker gemeldet werden sollte. Beim G8-Gipfel in Schottland 2005 zeigte es sich in besonderem Maße, wie wichtig eine solche Absicherung der Informationen war. »Ohne diese Maßnahme hätten wir 15 Tote gemeldet. Tatsächlich kam es während des Gipfels zwar zu lautstarken Protesten, von Toten jedoch gab es keine Spur«, sagt Wesolski.

 

In den folgenden Jahren schaffte es Indymedia immer wieder, unabhängige Berichte über die verschiedensten Proteste und politischen Themen an die Öffentlichkeit zu bringen. Seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 zeigte sich jedoch, dass die Plattform dringend überarbeitet und modernisiert werden musste. Die veraltete Software sorgte zunehmend für Unzufriedenheit. »Die Bedienung für die User entspricht bei weitem nicht mehr einem akzeptablen Stand«, so Wesolski. Seit Jahren bestehe nun die Absicht, ein neues Content-Management-System für die Seite zu entwickeln. Bislang sei jedoch nichts geschehen. »Für einen großen Teil der anfallenden Arbeit fehlen uns schlicht die Kapazitäten.« Das jedoch führe zu immer mehr Verbitterung auf Seiten der Indymedia-Aktivisten, der Autoren und der Leser.

 

»Unter linken Aktivisten zeigt sich ein schwindendes Interesse an Indymedia«, sagt Wesolski. Auch sei manchen Gruppen, die Texte auf Indymedia veröffentlichten, nicht klar, was die Plattform eigentlich darstelle. Viele Gruppen arbeiteten ausgesprochen lange und intensiv an ihren Presseerklärungen. Sie versuchten so, ihre Meldung in die Zeitungen zu bekommen. »Auf Indymedia werden dann dieselben Presseerklärungen hochgeladen, obwohl gerade dort völlig frei über alles berichtet werden könnte.« So manche Gruppe sähe in Indymedia nicht viel mehr, als »einen Flugblattständer«.

 

Dass auch politische Konflikte nicht spurlos an Indymedia vorbei gingen, ist bei einem der linken Szene verschriebenen Projekt naheliegend. Sich aus der Spaltung zwischen der antiimperialistischen und der antideutschen Linken herauszuhalten, wie oft postuliert wurde, ist der Plattform nicht immer gelungen. Und so sind im Laufe der Jahre gerade im Open-Posting-Bereich zahlreiche Artikel erschienen, die mit emanzipatorischer linker Kritik nicht viel zu tun haben. Was sich dort zum Beispiel nach dem 11. September 2001 an antiamerikanischen und verschwörungstheoretischen Bekundungen fand, gab erschreckende Einblicke in den Zustand der deutschen Linken. Letztlich konnte Indymedia nie fortschrittlicher sein als die Szene, die die Plattform repräsentierte und schließlich auch die Inhalte des Medien-Portals lieferte.

 

In den vergangenen Jahren löste sich das Netzwerk Indymedia immer stärker auf. »Derzeit ist nicht einmal ganz klar, wo noch wie viele Leute mitarbeiten«, klagt Wesolski. Es gebe noch Gruppen in Hamburg, Nürnberg und Berlin, darüber hinaus bestehe noch eine Gruppe in Freiburg, die unter dem Namen »Indymedia-linksunten« auftritt. Aktivisten aus Deutschland hätten vor ein paar Jahren noch die Indymedia-Sektion Bolivien beim Aufbau ihres Zweigs unterstützt. An solche Aktionen sei derzeit nicht zu denken. Mit dem Medienportal, meint er, verlöre die Linke jedoch auch eines ihrer bislang wichtigsten internationalen Netzwerke, über das sich die unterschiedlichsten Gruppen international zusammenschließen und austauschen könnten. Noch sieht Wesolski gute Chancen, neue Aktivisten zu finden und Indymedia zu retten, doch ab jetzt ticke die Uhr. Bis zum Frühling, wenn Deadline ist.

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Betrifft: Immer tiefer indy Krise, Jungle World Nr. 2, 10.1.13, von Ralf Hess

Als Mitwirkender von Indymedia linksunten bin ich sehr verärgert über die chaotische Darstellung des deutschsprachigen Indymediaspektrums. Indymedia in Deutschland sind zur Zeit de.indymedia.org und linksunten.indymedia.org. Beide Kollektive sind voneinander unabhängig und gleichgestellt. Indymedia linksunten ist kein Projekt ausschließlich von FreiburgerInnen, sondern im gesamten Süden und darüber hinaus verankert. Verwendet wird es mehr als nur bundesweit.

Indymedia linksunten geht es im Gegensatz zu "de" als Kollektiv und auch als politische Plattform sehr gut: Die Beitragszahlen steigen, es geht technisch voran und: es geht immer weiter. Warum bei uns klappt, was bei de.indymedia.org nicht (mehr) klappt, möchte ich zum Teil auf folgende Faktoren zurückführen:

1. machen wir (etwa jährlich) offene Treffen, die wir transparent organisieren und bewerben, und durch die wir auch neue Leute einbinden,

2. überlassen wir unseren UserInnen, was sie veröffentlichen, banalisieren unsere Seite nicht als "Flugblattständer" oder versuchen gar, die NutzerInnen zur wunschgemäßen Benutzung Indymedias zu erziehen,
3. leisten wir eine zeitnahe, transparente und nachvollziehbare Moderation der Inhalte, die bei uns publiziert werden,

4. bleiben wir auf dem technischen Stand und nicht zuletzt

5. legen wir Wert auf ehrliche und ernstzunehmende Pressearbeit.

Mehr Infos: https://linksunten.indymedia.org

In der neusten Ausgabe wird im Editorial ein Teil (von Anfang bis "es geht immer weiter") des Briefes im Editorial abgedruckt.

...mit einem hämischen Kommentar: "Dem Morgenrot entgegen"