Polizeikongress Berlin: ''Irhal!'' – ''Hau' ab!''

Polizeikongress

Als der "Pöbel von Paris" gegen Unterdrückung, Willkür und Hunger aufbegehrte, soll jener geschichtsträchtige Satz "S’ils n’ont pas de pain, qu’ils mangent de la brioche!" gefallen sein. 

Genau genommen  hat Marie Antoinette diesen ihr zugeschriebenen Ausspruch am Vorabend der französichen Revolution garnicht getätigt, ein gewisses Bedauern, dass sie wenig später mit der Guillotine Bekanntschaft machte, mag sich trotzdem nicht wirklich einstellen.

 

Ob sich die ehemalige französische Außenministerin Michèle Alliot-Marie eben jenem historischen Kontinuum bewusst war, als sie während der Revolte in Tunesien gegen Unterdrückung, Willkür und Hunger dem taumelnden Ben Ali Regime weitere Aufstandsbekämpfungstechnologie anbot, mag ebenso fraglich wie evident sein.

Ihr Bemühen, das Ganze etwas weniger blutig zu gestalten (Tränengas und Gummigeschossen statt scharfer Munition , die vielen erschossenen Demonstranten sind schlecht für das Image), halfen dem Diktator auch nicht mehr, obwohl die schon im Sommer des Vorjahres gelieferten Tränengasvorräte massiv verballert wurde (was aber nicht ausschloss, weiter auch mit scharfer Munition gegen die Revoltierenden vorzugehen) , kam der eilig am  Pariser Flughafen Roissy  bereitgestellte Nachschub an Bullenmaterial nicht mehr unter Ben Ali zum Einsatz.

 

Dafür dürften die nun in Tunis regierenden Islamisten der Ennahda Partei über die grundsolide Ausstattung der tunesischen Bullen mit französischer Technologie und Equipment heilfroh sein und bei den immer wieder aufflammenden sozialen Protesten und Revolten dürfte mittlerweile auch neue Tränengasvorräte aus Frankreich nötig geworden sein.

 

Während im Magreb die Ausstattung der Bullen und des  Militärs, das dort auch direkt gegen Demonstranten und Revoltierende  eingesetzt wird, zu wesentlichen Teilen aus Frankreich stammt, macht sich im Nahen Osten besonders die USA um die Ausstattung der "Sicherheitskräfte" verdient.
Schon Mubarak konnte beim verzweifelten Versuch, an der Macht zu bleiben, auf die Lieferung von Tränengas und anderen Reizgasen aus den USA setzen, die Lieferungen wurden auch während  des Aufstandes gegen Mubarak weiter fortgesetzt.

Die folgende  Militärdiktatur unter Tantawi setzte noch stärker als zuvor auf den Einsatz von Reizgas, ganze Stadtviertel rund um den Tahrirplatz wurden bei den Protesten gegen die Herrschaft des Miltärrates tagelang eingenebelt, neben CN -und -CS  - Gas wurde das besonders in bewohnten Gebieten noch gefährlichere CR Gas (1) (2) eingesetzt, hunderte Demonstranten und Anwohner kollabierten, einige verloren ihr Leben, weil sie die Gase eingeatmet hatten. Unter den von Augenzeugen eingesammelten Gasgranaten befinden sich auch etliche  aus italienischer Produktion.

 

Aber auch die BRD machte und macht sich verdient um die Aufstandbekämpfung und die Ausstattung und Ausbildung des Repressionsapperates in Nordafrika/ Nahost.


Gegen die Demonstranten in Ägypten wurden Wasserwerfer auf MAN Fahrzeugbasis eingesetzt, nach Katar wurde ebenso wie nach Saudi Arabien Reizgas geliefert, letzteres erhielt auch noch Elektroschocker als Zugabe oben drauf.
Ausbildungshilfen sowie technologische Unterstützung der deutschen Sicherheitsbehörden erhielten in den letzten Jahren u.a. die Bullen aus Ägypten, Algerien, Jemen, Kuwait, Katar, Libanon, Marriko, Oman, Saudi Arabien, Tunesien, den palästinensischen Autonomiegebieten im Westjordanland, Tunesien und den Vereinigten arabischen Emiraten. 

Besonders mit Jordanien haben es die deutschen Sicherheitsbehörden, hier wurden umfangreiche Unterstützungsmaßnahmen realisiert.


Desweiteren nahmen Sondereinheiten des dem deutschen Militär zugeordneten KSK  an gemeinsamen Übungen in Jordanien teil, während es wiederum während der jüngsten Proteste und Unruhen in Kuwait Berichte über das Training von Sondereinheiten aus Kuwait in Jordanien gab und jordanische Sondereinheiten während der Unruhen in Kuwait gesehen wurden.
(Die Verzahnung von polizeilichen  und militärischen Einheiten ist in der Region noch viel weiter fortgeschritten als in Europa, sowohl Militär als auch Bullen werden direkt nebeneinander zur Aufstandsbekämpfung eingesetzt, in Ägypten wird z.b. die Militärpolizei, die ja eigentlich als "Polizei fürs Militärs" zuständig ist, häufig gegen Demonstranten eingesetzt.)

 

Während der stramm rechte Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft  im Juni 2011 als Lehre aus den Aufständen  in Nordafrika/Nahost mehr deutsche Bullen im Magreb als Ausbilder forderte, wozu man natürlich weitere Planstellen bei den Bullen schaffen müsse, hatte ihn die Realität schon überholt. 
Die Ausbildung saudi-arabischer Grenzschützer durch Bundesbullen wurde einfach weitgehend durch den Rüstungskonzern EADS finanziert, der Saudi Arabien wiederum praktischerweise umfangreiche Technologie zur Grenzsicherung liefert, (3)
Bis Sommer letzten Jahres wurden schon weit über 3000 Bullen in Saudi Arabien durch deutsche Polizeioffiziere ausgebildet.

 

Aber auch dem Gadaffi Regime waren deutsche Bullen beim Training gerne behiflich.
Die  BDB Protection GmbH schulte mithilfe von ehemaligen Angehörigen von GSG 9 sowie militärischen Sondereinheiten 120 libysche Bullen für das   „taktische Vorgehen beim Zugriff in Gebäuden“ sowie "das Entern von Schiffen und das Absetzen aus Hubschraubern", außerdem wurden die Sicherheitsmaßnahmen  am Hafen und Flughafen der libyschen Hauptstadt überprüft. Mit Wissen des deutschen  Botschafters beteiligten sich auch noch aktive SEK Bullen an den Schulungen.

 

Im Zuge der Aufstände in Nordafrika und im Nahen Osten haben die Bemühungen zugenommen, die unerwünschten Migrationsbewegungen an der Aussengrenze Europas abzufangen.
Im Rahmen der diversen Frontex Operationen (4) sind deutsche Bullen an den EU Aussengrenzen an der Flüchtlingsjagd beteiligt, u.a. mit Wärmebildkameras und Nachtsichttechnologie ausgerüstet, unterstützen sie die Abschottungsstrategie.
Im Rahmen des "European Union Border Protection System" (5) wird mit EU Geldern an der automatisierten Grenzüberwachung gearbeitet, Roboter sollen mithilfe von Infrarottechnik Flüchtlinge beim illegalen Grenzübertritt aufspüren. Deutschland ist treibende Kraft im Frontex Abschottungsprozess, im Zweifelsfall wird eben dafür gesorgt, dass weitere Gelder nach Italien gepumpt werden, damit die Grenzen dicht bleiben.

Ilkka Laitinen, Leiter von Frontex, war übrigens auch beim Bullenkongress 2011 in Berlin anwesend, und nutzte die Gelegenheit, um gleich mal Vernetzungs- und PR- Arbeit für die wenig später anlaufende Frontex Mission vor der Küste Italiens zum machen.

 

Der diesjährige Bullenkongress in Berlin  widmet sich "Schutz und Sicherheit im digitalen Raum". Schwerpunkte des Kongresses soll  "die Polizei in sozialen Netzwerken, ePolice sowie Ausrüstung und Ausstattung" sein.

Vielleicht dürfte man ja in diesem Zusammenhang auch Interesse für den Ideenreichtum der Firma Trovicor haben, einer mit Siemens und Nokia verbandelten Kommunikationstechnologiefirma, die den Staatorganen u.a. von Bahrain, Ägypten und Syrien dabei half, Oppositionelle und ihren Datenfluss zu überwachen, was für diese  dann im Folterkeller enden kann (6).

 

Wenn am 19. und 20. Februar über 1500 Teilnehmer beim 16. Europäischen Bullenkongress  in Berlin  zusammenkommen, wird jeder zehnte Teilnehmer  aus dem diplomatischen Corps kommen, etliche davon aus den Staaten Nordafrikas und dem Nahen Osten.

 

Um es mit Ramy Essam, der "Stimme des Tahrir Platzes" zu sagen:  ''Irhal!'' – ''Hau' ab!''

 

http://youtu.be/QrNIF4gLkvo

 

 

Demo am 16. Februar 2013- 20:00 Uhr


Berlin Kreuzberg, Mariannenplatz

 

 

recherchegruppe aufstand

 

http://uprising.blogsport.de/

 

 


(1) http://www.zenithonline.de/deutsch/gesellschaft//artikel/nervengas-gegen-aegyptische-zivilisten-002390/

 

(2) http://blog.zeit.de/joerglau/2011/11/24/cr-gas-gegen-demonstranten-arzte-vom-tahrir-platz-erheben-schwere-vorwurfe_5270

 

(3) http://www.sueddeutsche.de/politik/bundespolizei-in-saudi-arabien-hart-an-der-grenze-1.1120387

 

(4) http://www.heise.de/tp/artikel/36/36920/1.html

 

(5) http://www.talos-border.eu/

 

(6) https://netzpolitik.org/2011/bahrain-setzt-bei-der-uberwachung-auf-deutsche-wertarbeit/

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... dass womöglich einer der kollegen der vom NSU erschossenen michèle kiesewetter als ausbilder in libyen unterwegs war. siehe hier: http://www.jungewelt.de/2013/01-09/009.php

 

wirklich guter artikel @recherchegruppe aufstand!