Interview mit einem Aktivisten aus Griechenland

Diktio

Das folgende Interview mit einem Aktivisten des Netzwerkes für Politische und Soziale Rechte (Diktio) aus Griechenland wurde im Sommer dieses Jahres auf einem Vernetzungscamp der Gruppe geführt. Trotz der zeitlichen Differenz zur Veröffentlichung spricht es nach wie vor aktuelle Themen des Widerstands in Griechenland an.

 

Kannst du zunächst etwas über euer Netzwerk, über eure Positionen und eure politische Praxis erzählen?

 

Diktio ist ein Netzwerk für politische und soziale Rechte. Es wurde 1986 gegründet. Am Anfang war der Name der Organisation „Bewegung für die politischen und sozialen Rechte“. Aber dann im Jahr 1994 wurde die Organisation umbenannt, weil andere Gruppen in das Netzwerk eingestiegen sind. Politisch gehören wir zur undogmatischen internationalen Linken. Wir arbeiten mit politischen Organisationen der Linken und auch mit den Anarchist_innen zusammen. Unsere politischer Schwerpunkt besteht in der Opposition gegen die staatliche Repression und den Terror gegen die sozialen Bewegungen und die Gesellschaft. Außerdem sind wir aktiv in der Unterstützung von politischen Gefangenen. Zudem unterstützen wir solidarisch die Flüchtlinge und Migrant_innen in Griechenland und kämpfen mit ihnen für gleiche Rechte. Der Kampf gegen den Nationalismus und die Unterdrückung von Minderheiten, was in Griechenland zur Zeit ein großes Problem ist, ist auch ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Natürlich ist uns auch die Solidarität für soziale Befreiung mit Bewegungen im Mittelmeerraum, zum Beispiel auch mit Palästina sehr wichtig. Vor allem in den letzten Jahren kämpfen wir gegen die neoliberalen Attacken in Griechenland und gegen die Attacken auf die Arbeiterklasse und die Gesellschaft als Ganzes. Diktio gibt es in ungefähr zehn Städten. Eine Art, wie wir in den Städten politisch arbeiten, besteht meist in dem Aufbau sozialer Zentren oder Orte für Migrant_innen. Wir versuchen horizontal, ohne Hierarchien oder politische Anführer zu arbeiten.

 

Kannst du uns etwas über die rassistischen Übergriffe der letzten Zeit, vor allem in Athen, erzählen?

 

In Griechenland gab es generell seit 1990, als die ersten größere Gruppen von Migrant_innen ins Land kamen, eine große Ausbreitung xenophober Einstellungen. Und seit diesen Jahren haben wir immer wieder rassistische Vorfälle und Attacken auf Migrant_innen erlebt. Dieser Rassismus basiert darauf, dass Griechenland eine geschlossene Gesellschaft ist und die hauptsächliche Politik der Regierung in den Jahren darin bestand, die Migrant_innen als Problem zu bezeichnen. Griechenland liegt an der europäischen Grenze. Und in den letzten Jahren haben wir das Phänomen mit zwei Grenzen konfrontiert zu sein. An der östlichen Seite wird den Leuten verboten nach Griechenland einzureisen, und an der westlichen Grenze werden sie daran gehindert, in die Europäische Union zu gelangen. Griechenland spielt die Rolle der europäischen Security. Seit den frühen neunziger Jahren gibt es in Griechenland eine antirassistische Bewegung, die zusammen mit den Organisationen der Migrant_innen und Flüchtlinge gekämpft hat. Die Zusammenarbeit hatte zum Erfolg, dass einige angekündigte Abschiebungen zurück genommen wurden und Illegalisierte zum Teil die öffentlichen Schulen besuchen konnten. Allerdings haben auch die legal anerkannten Flüchtlinge in Griechenland generell wenig Rechte, und für diejenigen die illegal einreisen ist die Situation natürlich noch schlimmer. Die Wirtschaftskrise von 2009, die in meinen Augen eine Attacke ist, führte zu zwei wichtigen Faktoren, die die Pogrome, nach denen ihr fragt, vielleicht erklären können. Der erste Faktor war, dass in der offiziellen Regierungspolitik Migrant_innen immer mehr als die Bösen, die Schuldigen, für das was mit Griechenland passiert, präsentiert werden. Als die Kriminellen, die Illegalen, die Bösen. Es stimmt zwar, dass es einen Anstieg der Kriminalität in Athen gibt, aber das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und nicht eines der Migrant_innen.

Vor allem in Athen, wo 300 000 Flüchtlinge leben, die eigentlich weiter reisen wollen und nur auf der Durchreise sind, sieht man sehr viele Flüchtlinge in den Straßen, das unterstützt natürlich die rassistischen Stereotype, dass es in Griechenland eine „Flüchtlingsinvasion“ gäbe. Der Staat kümmert sich natürlich nicht darum, den Leuten die Möglichkeit zu geben, in der griechischen Gesellschaft anzukommen und ihren Platz zu finden. Sie werden auch nicht durch soziale Strukturen unterstützt. Die einzige offizielle Reaktion ist zu behaupten: hier haben wir eine „Invasion von Flüchtlingen“.

Der zweite Faktor ist, dass es innerhalb der Dynamik der Wirtschaftskrise und mit der Ablehnung der etablierten politischen Parteien, einen Aufschwung des Faschismus als politisches Phänomen gibt. Aber so wie der Faschismus aus der Wirtschaftskrise Gewinn zieht, gehen auch die Linke und die sozialen Bewegungen gestärkt aus der Krise hervor. In den letzten zwei Jahren gab es in Griechenland viele soziale Kämpfe und viele junge Leute haben sich in den sozialen Bewegungen organisiert. Zum Beispiel hat bei den letzten Wahlen eine Linke Partei – Syriza – 27 % der Stimmen bekommen. Sie war die wichtigste politische Partei für die Armen und die Jugend. Aber in der gleichen Gruppe, der armen, jungen und arbeitslosen Bevölkerung, konnte Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung), die faschistische Partei, sieben Prozent der Stimmen gewinnen. Chrysi Avgi genießt die volle Unterstützung der Polizei. Das passiert jedesmal mit faschistischen Gruppen in Griechenland. Dabei ist es das einzige Land in Europa, wo 40 Prozent der Polizei eine faschistische Partei wählt.

Bezüglich der Pogrome, nach denen ihr fragt, ist es wichtig zu sagen, dass es während der Pogrome, die während der rassistischen Polizeioperation mit dem Namen Xenio Zeus (gastfreundlicher Zeus) im Sommer diesen Jahres stattfanden, einen Anstieg von rassistischen Straftaten, von Angriffen und Morden an Migrant_innen gab. Wir waren in einer schwierigen Position, weil die Attacken von der Goldenen Morgendämmerung und den anderen Faschist_innen in einem großen Gebiet von Athen stattfanden. Es ist nicht nur für Diktio, die eine eher kleine Organisation ist, sondern auch für die anarchistische Bewegung schwierig, in solch einem großen Gebiet Schutz vor faschistischen Attacken zu organisieren. Und natürlich, wenn es eine Antwort aus der Bewegung gibt, um auf die faschistischen Attacken zu reagieren, werden wir von der Polizei attackiert. Wir haben in der letzten Zeit viele antifaschistische Initiativen und Gruppen aufgebaut. Vor allem in Athen, wo die Faschist_innen sehr aktiv sind. Wir haben einige Faschist_innen verprügelt, aber der Widerstand gegen sie ist sehr schwierig.

 

Du sagtest, in den 1990er Jahren, als viele Migrant_innen nach Griechenland kamen, gab es einen Anstieg von Xenophobie im Land. Würdest du sagen, dass es seit der Krise 2009 eine qualitative Veränderung des Rassismus in Griechenland gibt?

 

Die ersten Jahre gab es viel Xenophobie, die sich zum Teil in aggressivem Rassismus äußerte. Aber es war hauptsächlich xenophober Nationalismus. In den letzten Jahren haben die Leute im Vergleich zu den 90iger Jahren weniger Angst, da sie sich an die neue Situation gewöhnt haben. Die Migrant_innen haben eine sehr starke Rolle in den wirtschaftlichen Sektoren gespielt, z.B. in der Landwirtschaft, der Hausarbeit, im Bauhandwerk. Aber es gibt die verbreitete Meinung, dass die Migrant_innen weniger wert seien und dass das auch so bleiben sollte. Also aus dieser Sicht gibt es jetzt mehr aggressiven Rassismus, als zuvor. Auf der anderen Seite gibt es jetzt auch mehr antirassistische und antifaschistische Gruppen.

 

Gibt es jetzt in der radikalen Linken und der anarchistischen Bewegung die Einschätzung, dass es wichtig ist, gegen den stärker werdenden Faschismus zusammen zu arbeiten?

 

Eine Sache in Griechenland ist, dass es hier die kämpferischste Linke in Europa gibt und es gibt auch die kämpferischste anarchistische Bewegung. Und gleichzeitig haben wir die größte dogmatische, stalinistische Linke Europas. Es gibt Teile der radikalen Linken, die bereit sind mit der anarchistischen Bewegung zusammen zuarbeiten und sich nicht über die Taktiken der radikalen Bewegung streiten wollen. Und es gibt anarchistische Gruppen, die zusammen mit der Linken eine soziale Infrastruktur aufbauen. Und auch auf Demonstrationen kämpfen Anarchist_innen und Teile der Linken oft zusammen. Diktio steht gewissermaßen in der Mitte und hat sehr gute Beziehungen mit der radikalen Linken und mit den Anarchist_innen. Gleichzeitig werfen viele Anarchist_innen Diktio vor, eine reformistische Organisation zu sein. Und die linken Parteien werfen uns vor Freunde der Terroristen zu sein. Wir versuchen die Widersprüche in der Bewegung auszuhalten.

 

Kannst du genauer erklären, was du meinst, wenn du von der Linken sprichst?

 

Dazu gehören kleine kommunistische Parteien, maoistische und trotzkistische Gruppen. Auch Teile des jetzigen Bündnis Syriza gehören zur Linken. Dazu kommen noch viele unabhängige linke Aktivist_innen. Die kommunistische Partei Griechenlands (KKE) war nie ein Teil davon, hat sich nie an den Aktionen der Linken beteiligt.

 

Wisst ihr etwas mehr über die soziale Zusammensetzung der Sympathiesant_innen der faschistischen Bewegung? Ihr habt ja bereits gesagt, dass viele Bullen und Soldaten die Goldene Morgendämmerung gewählt haben.

 

Die Untersuchungen nach den letzten zwei Wahlen haben gezeigt, dass die soziale Struktur der Faschist_innen und deren Sympathiesant_innen ähnlich ist, wie auch in den anderen Ländern Europas. Es gibt hauptsächlich drei Kategorien. Erstens die traditionellen und konservativen älteren Rechten, die zum Beispiel schon den König und die griechische Junta unterstützten. Die zweite ist die größte Kategorie. Das sind ist die Mittelklasse der alten Stadtcenter der großen Städte. Sie haben Angst vor der wirtschaftlichen Depression und dem sozialen Abstieg. In der dritten Kategorie finden sich Teile der Jugend mit geringer Bildung, die das politische System hassen. Sie haben keine Ahnung was Faschismus wirklich heißt. Eine vierte aber kleine Kategorie sind wirklich prekarisierte Leute, die sich von der brutalen nonkonformistischen Haltung der Goldenen Morgendämmerung überzeugen lassen.

 

Mich würde interessieren wie sich eure politische Arbeit in den letzten Jahren während der Krise verändert hat, da du meintest, dass ihr verstärkt gegen die neoliberalen Angriffe kämpft?

 

In den letzten Jahre sind im Bezug auf die politischen Taktiken von Diktio zwei Dinge wichtig geworden. Zum einen, als wir in den letzten Jahren die Rechte von Migrant_innen, politischen Gefangenen und Gefangenen im allgemeinen verteidigten, konnten wir in die Öffentlichkeit gehen und diese unterstützen. Nun versuchen wir verstärkt diese Kämpfe zu organisieren um ihnen feste Strukturen zu schaffen. Wir versuchen diese unterschiedlichen Kämpfe zusammenzuführen und als gemeinsamen Kampf darzustellen. Zum anderen arbeiten wir mittlerweile nicht mehr nur mit politischen Gruppen zusammen, sondern auch mit diffuseren Bewegungen wie den Indignados. Unsere grundsätzliche politische Überzeugung ist, dass die verschiedenen Kämpfe durch Solidarität zusammengebracht werden müssen. Solidarität war immer der Grundsatz von Diktios Politik, das bekommt jetzt noch eine andere Bedeutung durch den Widerstand gegen die neoliberalen Angriffe. Es gibt überall in Griechenland Gruppen die solidarisch kochen für Leute, die sich das Essen sonst nicht leisten können und eine solidarische Gesundheitsversorgung organisieren, denn die staatliche Gesundheitsversorgung wird in Griechenland gerade abgebaut.

 

In den letzten Jahren gab es sehr große Mobilisierungen mit vielen Menschen auf den Straßen. Wie denkt ihr wird sich der Winter und das kommenden Jahr entwickeln? Glaubt ihr, dass sich die Mobilisierung vergrößern wird oder dass sich Menschen enttäuscht zurück ziehen?

 

Was ich sagen kann ist, dass die letzten Regierungen von dem Druck der Straße abgesetzt wurden. Dass das möglich war hat damit zu tun, dass wir es in Griechenland mit den größten Angriffen auf die sozialen Rechte der Menschen seit dem zweiten Weltkrieg zu tun haben. In kurzer Zeit haben wir die Rechte verloren, für die Jahrhunderte gekämpft worden ist. Es gab Einschnitte bei den Gehältern, im Gesundheits- und Bildungsbereich, eigentlich im gesamten sozialen Bereich. Aber außerdem haben wir in den letzten Jahren die größten und stärksten Proteste seit dem Ende der Militärjunta im Jahr 1974 gehabt. Leider hat sich in diesem Sommer gezeigt, dass die neue Regierung genauso neoliberal und aggressiv ist wie die vorherige. Jetzt im Sommer ist es schwierig vorherzusehen, wie sich die Proteste entwickeln werden. Ich bin mir allerdings sicher, dass sich die Selbstorganisierung der Leute verstärken wird. Ich denke auch, dass es wieder zu großen Demonstrationen und zu direkten Aktionen wie Besetzungen kommen wird. Die großen Gewerkschaften haben, trotz ihres reformistischen Charakters, bisher eine ganz gute Rolle gespielt. Aber jetzt wo wir eine Regierungskoalition von drei Parteien haben und es eine Stimmung gibt, zusammen raus aus der Krise zu kommen, gibt es die Gefahr, dass sich die Gewerkschaften dieser Ideologie anschließen werden.

Innerhalb der Gewerkschaften und in der Arbeiterklasse gibt es sowohl große Institutionen, als auch selbstorganisierte Projekte und Gruppen von Arbeiter_innen. Es gibt also beide Tendenzen. Sehr flexible politische Strukturen und Gewerkschaften. Es gibt eine Meinung in der radikalen Linken, dass die neue Regierung innerhalb von drei Monat gestürzt werden wird. Ich glaube dass nicht.

Natürlich wünsche ich mir auch, dass die neue Regierung gestürzt wird, aber man sollte aufpassen, seine Wünsche nicht mit der Realität zu verwechseln. Es gibt sehr viele Menschen, die die Schnauze voll haben von dieser Politik. Aber die Menschen sehen bisher auch keine wirkliche Alternative. Und das setzt dem Widerstand gewisse Grenzen. Also die Frage, ob es einen anderen Weg gibt in Würde zu leben, oder ob es diesen nicht gibt. Anstatt dass im Zentrum der Diskussion die Frage nach dem Kapitalismus steht, heißt es: „Sollen wir in der EU bleiben oder nicht.“ Das gibt der Diskussion natürlich eine ganz andere Richtung, eine ganz andere Ebene. In diesem Dilemma würden wir sagen, wir sollten in der EU bleiben, aber wenn wir diese ganzen sozialen Angriffe dafür ertragen müssen sagen wir, verpiss dich EU! Die mediale Propaganda stellt die Frage nach dem EU-Austritt oder nicht, in den Mittelpunkt der Diskussion, und verdrängt die eigentliche Frage nach dem Kapitalismus aus der öffentlichen Meinung. Die Medien in Griechenland zur Zeit erinnern an die Politik des „Spiegel“ in Deutschland in den 70ern und 80ern in Deutschland.

Die Kampagne gegen die RAF. Es gibt laut dieser Propaganda nur eine richtige Politik und das ist die der europäischen Union.

 

Du redest über die Propaganda der Medien...

 

ja es gibt eine starke Propaganda in den Medien und auch von der Regierung. Sie tun so als sei die zentrale Frage in Griechenland nicht, ob die Löhne niedriger werden oder nicht und ob es noch soziale Sicherheit gibt, sondern ob wir den Euro wollen oder nicht. Wenn wir das nicht wollen, heißt es, es wäre eine Katastrophe, es gäbe Chaos. Wenn wir ihn wollen, dann müssten wir all diese Opfer bringen. Außerdem kreieren die wichtigsten Medien in Griechenland und auch politische Parteien, die Macht im generellen ein nationalistische antideutsche Stimmung. Es wird eine Gegenüberstellung gemacht von Merkels Politik und Deutschland als imperialistischer Täter, und Griechenland als Opfer. Diese nationalistische Reduktion ist falsch und es wird vom eigentlichen abgelenkt. Es geht dabei darum Schuld zuzuweisen und sich aus der Verantwortung zu ziehen. Zum Beispiel hat die Rosa Luxemburg Stiftung hat ein kleines englischsprachiges Buch herausgegeben, das auf die Lügen der deutschen Medien über Griechenland antwortet. Ein sehr gutes Buch übrigens! Wir haben es übersetzt und verteilen bei unseren Veranstaltungen und Aktionen. Auch um zu zeigen, dass es auch in Deutschland eine Linke gibt, die mit uns solidarisch ist. Aber es ist nicht einfach, das zu transportieren, denn es ist eine Sache was in einem kleinen Buch steht und eine andere, was im Fernsehen gezeigt wird.

 

Kannst du etwas über die derzeitige Repression sagen. Du meintest ihr beschäftigt euch auch mit den Rechten von politischen Gefangenen.

 

Wir haben in Griechenland zwei Kategorien politischer Gefangener. Wir haben politische Gefangene die im Kontext des bewaffneten Kampfs verhaftet wurden. Da gibt es zur Zeit viele Gefangene. Einerseits welche, die den alten kommunistischen Gruppen zugehörig sind die seit dem Fall der Junta aktiv waren und auch welche der neuen bewaffneten Gruppen, die hauptsächlich anarchistisch geprägt sind, wie z.B. der Revolutionäre Kampf und die Conspiracy of the Cells of Fire. Die zweite Kategorie sind Militante und Anarchist_innen, die wegen der Beteiligung an Auseinandersetzungen auf Demonstrationen im Knast sind. Für die Gruppe 17.November, Gefangene der ersten Kategorie, sind die Strafen z.B. zwanzig Jahre bis lebenslängliche Haftstrafen. In der zweiten Kategorie sitzen die Leute erstmal bis zum Prozess in Untersuchungshaft, danach bekommen sie meist Haftstrafen im Bereich von drei bis vier Jahren. Dann gibt es noch eine dritte Kategorie, bei der es sich nicht direkt um politische Gefangene handelt. Es sind Leute die wegen Banküberfällen verhaftet wurden. Die Motive für diese Bankraube waren aber politisch. Als Netzwerk verteidigen wir die Gefangenen von allen drei Kategorien trotz der Unstimmigkeiten, die wir vielleicht mit ihnen haben gegen den Staat. Auf allen Ebenen. Im Gerichtssaal, auf Demonstrationen oder Festivals, so wie wir können. In anderen Fällen von Gefangenen, beteiligen wir uns noch deutlich stärker. Es hängt jeweils davon ab was die Gefangenen selber wollen. Es hängt außerdem davon ab, inwieweit wir als Netzwerk ihre Aktionen verteidigen können. Das betrifft aber nur das persönliche Verhältnis von Diktio und den Gefangenen. Gegen den Staat sind wir natürlich auf ihrer Seite. Im Jahr 2002, als die angeblichen Mitglieder vom 17. November verhaftet wurden, befand sich Griechenland in einem Ausnahmezustand. Sie versuchten aus der Verhaftung noch weitere Vorteile zu ziehen und es kam zu einer großen Attacke, gegen das, was sie die linke oder anarchistische Bewegung nannten. Der Staat hat einen großen Diskurs um den „Terrorismus“ konstruiert. Als Diktio machten wir vor allem drei Statements. Erstens, dass der 17. November ein Teil der revolutionären Linken ist. Zweitens, dass die Verhafteten, ob sie ihre Zugehörigkeit erklärten oder nicht, politische Gefangene sind. Drittens sagten wir, dass kein Gericht die Berechtigung hat, politische Militante zu verurteilen. Alle haben Diktio danach angegriffen. Jeden Tag stand etwas in der Zeitung dazu und Diktio wurde als Sinn Féin Griechenlands bezeichnet. Die Geheimpolizei und die anderen Repressionsorgane waren in dieser Zeit ständig an uns dran. Aber das war ein Kampf, den wir führen mussten. Unter den gegeben Umständen hatte es einen verhältnismäßig guten Ausgang. Es gab Verurteilungen aber auch einige, die nicht ins Gefängnis mussten. Wir versuchten, Einfluss auf das politische Klima auszuüben. Dieser Fall um den 17. November ist auch ein Beispiel für das Verhältnis der Linken und der anarchistischen Bewegung, das wir bereits angesprochen hatten. Es gab Demonstrationen auf der Straße, aber fast nur mit anarchistischer Beteiligung, weil die Linke Angst hatte. Im Gerichtssaal kam die Linke dann. Sie kamen als Zeugen um persönlich die Unschuld Einzelner zu bezeugen. Uns war dagegen wichtig, sowohl diejenigen die ihre Zugehörigkeit bestritten als auch solche die sie erklärten zu verteidigen. Es war trotzdem gut dass die Linken kamen, auch wenn sie nur Einzelne verteidigten, denn es zeigte der Gesellschaft, dass es ein großes Ding war, das weite Teile der Bevölkerung einschloss. Das einzige was wir und die Angeklagten von ihnen verlangten war, nicht die Militanten zu beschuldigen die Verantwortung für die Gruppe des 17. November übernommen hatten. Darüber hatten wir auch starke Auseinandersetzungen.

 

Eine letzte Frage: Was denkt ihr über die internationale Solidarität und den Widerstand gegen die Krise?

 

Wir haben sehr gute Erfahrungen mit der Anti-Globalisierungsbewegung gemacht. Während der Mitte der neunziger Jahre, als die Zapatistas auftauchten und die Bewegung wirklich global wurde, sind auch in den sozialen Bewegungen Griechenlands wichtige Dinge geschehen. Große Teile verstanden, dass ein erfolgreicher Kampf international sein muss. Das durchbrach den traditionell nationalen Charakter der griechischen Linken. Aber es hatte großen Einfluss auf uns alle. Wir haben auch weiterhin viele internationale Kontake. Nicht nur in Europa sondern auch im Nahen Osten und weltweit. Bezüglich des internationalen Widerstands denke ich, dass die einzelnen Kämpfe in den verschiedenen Ländern zwar unterschiedlich sind, auch im Süden, wo die sozialen Angriffe am stärksten sind, aber wir sind überzeugt, dass es auch gemeinsame Kämpfe geben muss. Wir denken, dass es an der Zeit wäre für gemeinsame Streiks, gemeinsame Propaganda und Aktionen. Wir schlagen das auch auf internationalen Treffen vor. Es sollte zum Beispiel an bestimmten Tagen in ganz Europa Demonstrationen mit bestimmten ähnlichen Zielen geben. Zum Beispiel die Forderung, dass alle Menschen, egal welchen Pass sie besitzen, einen freien Zugang zur Gesundheitsversorgung bekommen. Oder das die Grenzen um Europa nicht nur für das Kapital und die Armee, sondern für die Menschen geöffnet sein müssen. Da gäbe es viele Forderungen...

Wir versuchen viele Gruppen in Griechenland in so eine Richtung zu bewegen. Auch nach Deutschland haben wir Kontakte. Zum Beispiel waren wir mit 50 Leuten beim G8 Gipfel in Rostock. Wir versuchen im Allgemeinen Verbindungen zu halten und auch Menschen einzuladen.

 

Danke für das Interview

 

Die Homepage von Diktio: http://diktio.org/

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Das griechische Netzwerk für politische und soziale Rechte organisiert Solidarität mit politisch Verfolgten:

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