[FR] Aufruf des AK Wohnraumpolitik zum Überregionalen Aktionstag für Autonome Freiräume

Mieten Stoppen

Autonome Freiräume sind die halbe Miete; wir wollen die ganze Stadt. Jede Stadt braucht Räume, die sich so weit wie möglich den kapitalistischen Mechanismen der Immobilienmärkte, der staatlichen Reglementierung und dem gesellschaftlichem Normalitätsdruck entziehen, und die damit zu Laboratorien für ein anderes Zusammenleben und andere politische Verhältnisse werden können.

 

Der AK Wohnraumpolitik unterstützt daher den Aufruf zum Aktionstag Für Autonome Freiräume. Wir sind dafür, dieses Thema radikal anzugehen. Radikal heißt: Die Forderung nach autonomen Freiräumen bis in seine Wurzeln verfolgen. Angefangen zum Beispiel bei der Autonomie. Wirkliche Freiräume müssen sich der Autonomie annähern, um sich nicht zu vielen Zwängen zu unterwerfen. Aber sie dürfen nicht der Illusion verfallen, eine komplette Autonomie sei möglich. Sonst werden sie zu Oasen, die den Bezug zur Gesellschaft – und damit auch die Möglichkeit zur Gesellschaftskritik – verlieren. Wirkliche Freiräume sind mehr als eine Spielwiese, deren Besuch uns darüber hinwegtröstet, dass wir nach dem Plenum wieder an kameraüberwachten Geschäften und Bistrotischbelagerten öffentlichen Plätzen in unsere parzellierten Mietwohnungen zurückkehren, die wir uns hier in Freiburg zum Glück noch leisten können. Wirkliche Freiräume müssen ansteckend sein, um sich über die ganze Stadt ausbreiten zu können – und dafür müssen sie auch Bezug nehmen auf das, was in der restlichen Stadt und im Rest der Gesellschaft passiert. Freiräume ändern die Gesellschaft erst, wenn Freiheit keine lebensphasen- oder milieuspezifische Freizeitbeschäftigung ist, sondern wenn wir die Unfreiheit, die Arbeit, den Konsum so in den Griff kriegen, dass Freiräume für Alle und auf Dauer entstehen.

 

Die entstehen nur, wenn sich einiges von Grund auf ändert, und zwar weit über unsere einzelnen Freiräume hinaus. Der Mietspiegel lässt keine Freiräume, sie müssen dem Markt entzogen werden. Besetzung ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber der Gedanke, dass Häuser denen gehören, die sie brauchen, muss in der Bevölkerung weitere Kreise ziehen, und soll sich zu Praktiken erweitern, die nicht mehr den Charakter des bloßen Aufbäumens gegen die übermächtige Logik der Miete haben, sondern aus denen neue Formen des kollektiven Eigentums und Wirtschaftens erwachsen.

 

Zur radikalen Forderung nach Freiräumen gehört es auch, zu fragen, in welche Richtung die Freiräume wachsen. Das Schöne ist: Die Freiheit kommt nicht immer vor dem Raum. Es braucht nicht erst besondere Leute, um Freiräume zu schaffen, sondern einfach nur Leute wie die Familie nebenan, die Miete nicht mehr zahlen kann, den alten Mann gegenüber, der sich schon lange Nachbarn zum Reden wünscht, den Wohnungslosen vor dem Fenster, dessen Lieblingsbank durch eine Stahl-Sitzschale ersetzt wurde und das Flüchtlingsmädchen von der Schule um die Ecke, das wie seine Klassenkolleg_innen ein Zimmer für sich haben will. In einer Zeit, wo weder die Arbeiterklasse noch der kulturelle Individualismus mehr eine emanzipative Perspektive bieten, gehören Städte und Quartiere zu den wichtigsten Keimzellen des Widerstands gegen Armut und Unterdrückung und der gesellschaftlichen Experimente außerhalb der kapitalistischen Logik. Das kann lange dauern und sehr unspektakulär sein. Aber wo aus der Verteidigung eines Viertels als Wohnraum oder eines Platzes als Aufenthaltsort tatsächlich eine konsequente, gemeinsame Dynamik der Bewohner_innen selbst entsteht, wird die autonome Politik manchmal schon Realität, bevor wir es bemerken. Und der Raum, der schon da war, wird dann ein Freiraum.

 

Lasst uns diese Dynamik gemeinsam entfachen. Kommt zur Demo und bringt eure NachbarInnen mit. Freiräume für Aktionstage.

 

Auf die Plätzchen, fertig, los.

 

Freiburg | Sa 15. Dez 2012 

Spitzeljagd | 16 Uhr | Weihnachtsmarkt

Nachttanzdemo | 18 Uhr | Ecke Bertoldstr./Niemensstr. (hinter KG II)

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Der letzte Absatz  dieses im allgemeinen nicht so dollen Aufrufs ist in meinen Augen schon etwas heikel:

"Das Schöne ist: Die Freiheit kommt nicht immer vor dem Raum. Es braucht nicht erst besondere Leute, um Freiräume zu schaffen, sondern einfach nur Leute wie die Familie nebenan, die Miete nicht mehr zahlen kann, den alten Mann gegenüber, der sich schon lange Nachbarn zum Reden wünscht, den Wohnungslosen vor dem Fenster, dessen Lieblingsbank durch eine Stahl-Sitzschale ersetzt wurde und das Flüchtlingsmädchen von der Schule um die Ecke, das wie seine Klassenkolleg_innen ein Zimmer für sich haben will."

Ihr reiht ein paar Personen stellvertretend für unterpriviligierte Gruppen aneinander und entwickelt daraus eine Perspektive für Freiräume auch ohne das Zutun besonderer Leute (euch, die ihr verelendungstheoretisch etwas "schönes" daran findet, wenn Leute vereinsamen oder ihre Miete nicht mehr blechen können) Wie diese Leute dann zu ihrem Freiraum kommen, könnt ihr besonderen Leute nicht sagen, da das Wort Solidarität in eurem Aufruf nicht vorkommt und auch viel zu sehr den Stallgeruch von Arbeiterklasse mit sich trägt, welcher ihr in einem Atemzug mit dem kulturellen Individualismus die emanzipatorische Perspektive absprecht ohne euch auch nur ein bisschen um eine Begründung für diese These zu bemühen - wobei ich euch in Hinblick auf den kulturellen Individualismus durchaus folgen kann, mich aber fragen muss, was er jemals emanzipatorisches hervorgebracht hat. 

Eure Analyse der Bedeutung von Quartieren als Ort, an dem soziale Kämpfe stattfinden und neue Ausbruchsexperimente geschehen stimmt zwar, aber auch nur ein bisschen, weil ihr so tut, als wenn es in Bezug auf diese kämpfe eine neue plötzlich eingetretene Konjunktur gäbe. Diese Kämpfe sind aber mindestens so alt wie das Eigentum an Wohnraum.  Eurem Aufruf zufolge solle es aber nicht um die Abschaffung desselben gehen, sondern um:

"Räume, die sich so weit wie möglich den kapitalistischen Mechanismen, der Immobilienmärkte, der staatlichen Reglementierung und dem gesellschaftlichem Normalitätsdruck entziehen"

Räume also, in denen ihr euch weiterhin für das halten könnt, was ihr nicht seid: "besondere Leute"