Freisprüche für J.A.I.B. in Wien rechtskräftig

Repression

Nach über zwei Jahren Ermittlungen, Hausdurchsuchungen, Observationen, Telefonüberwachungen und Verhören durch den Staatsschutz wurden die vier wegen Brandstiftung angeklagten politischen Aktivist_innen J, A, I und B am 27. Juli 2012 vor dem Wiener Landesgericht freigesprochen.

Die Staatsanwältin legte gegen drei der vier Freisprüche Berufung ein. Der Freispruch des Erstangeklagten A war bereits direkt nach dem 2. Prozesstag gültig, die Freisprüche für J und I und B sind es seit Ende Oktober.

 

Aussageverweigerung

Seit ihrer Verhaftung haben J, A, I und B von ihrem Recht auf Aussageverweigerung gebrauch gemacht. In U-Haft, bei Polizeiverhören und im Gerichtssaal. Damit haben sie nicht nur der Polizei verunmöglicht an weitere Informationen in einem illegitimen Ermittlungsverfahren zu gelangen, sondern auch zu verstehen gegeben, dass eine Kooperation mit Polizei und Justiz, die täglich Menschen aufgrund ihrer sozialen Lage wegsperren oder abschieben, keine Option darstellt.

J. dazu in ihrer Prozesserklärung am 13. März 2012, dem ersten Verhandlungstag:
“Ich werde keine Aussage zu den mir zu Last gelegten Taten machen, weil ich die Justiz und das Gericht nicht als (neutrale) Institution betrachte. Die Aufklärung von sog. Straftaten ist oftmals nicht von Interesse, sondern das Aufrechterhalten von menschenverachtenden Verhältnissen. Hierunter fällt unter anderem etwa die Kriminalisierung von Flüchtlingen und Migrant_innen oder den Schutz des Kapitals vor dem Schutz des Menschenlebens und dessen Selbstbestimmung zu stellen. Jede Aussage hier vor diesem Gericht ist eine Kooperation mit diesen Verhältnissen.”

 

Ein abgekartetes Spiel

Die manchmal selbst- und fremdbezeichnete #unibrennt-Bewegung stand von Anbeginn im Oktober 2009 unter (geheim)polizeilicher Beobachtung. Der Staatsschutz versuchte die aufkeimenden Proteste an den Universitäten mit verschiedensten Mitteln einzuschüchtern bzw. zu “befrieden”. Spitzel wurden eingeschleust, über sogenannte “Vertrauenspersonen” wurde versucht, Informationen zu sammeln, Demonstrationen wurde überwacht und gefilmt und die Rufdaten zahlreicher Handys wurden erfasst (Rufdatenrückerfassung). Es gab aber auch monatelange Observierungen von Objekten bzw. Personen durch das Wiener Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT). Ein Großteil dieser Observationen fand an der Akademie der bildenden Künste Wien statt, jener Universität, an der die Besetzungen an österreichischen Hochschulen starteten.

 

Informationsquelle unbekannt

Die Intensivierung der Schnüffeleien ab Mitte Mai 2010 basierte auf einem dubiosen Vorwand: Um den personellen und finanziellen Aufwand zu rechtfertigen, schwadronierte Hofrat Mag. Erich Zwettler, der Chef des Wiener LVT, in seinem “Anlassbericht” über die mögliche Gefährdung von in- und ausländischen Institutionen durch Brandanschläge. Die Ermittlungen gegen die Protestbewegung gegen eine Bildungspolitik einer sich in Krise befindende Regierung richteten sich plötzlich gegen eine vermeintliche terroristische Bedrohung und mit der Anwendung des Schnüffelparagraphen 278b konnte das LVT ab nun eine weitere Ausweitung der Überwachung formal rechtfertigen. Zu den herauf beschworenen Anschlägen, deren Ziel es laut Behörden gewesen sei, die Regierung zu einer anderen Bildungspolitik zu nötigen, kam es nicht. Doch wurde mittlerweile einen vermeintlicher Täter_innenkreis ausgemacht. Als im Juni 2010 vor einem AMS Gebäude zwei Mistkübel brannten, gerieten diese Personen ins Visier der Polizei.

Am 6. Juli 2010 wurden drei Personen von einem Sondereinsatzkommando der Wiener Polizei (WEGA) in ihren Wohnungen überfallen. Sie wurden verhaftet, ihre Wohnungen wurden auf wüste Weise durchsucht und Gegenstände beschlagnahmt. Am selben Tag gab es einen Einbruch in ein selbstverwaltetes Vereinslokal – dort wurde ebenfalls alles abfotografiert und verschiedenstes von den Verfolgungsbehörden mitgenommen. Zwei Wochen später wurde eine vierte Person verhaftet.

 

Vom Flughafentower zum Handyfunkmasten

Nach den Verhaftungen verschwand der Schnüffelparagraph wieder aus den Anklageschriften, wurde aber später erneut angewendet, um weitere Menschen zu beschuldigen. Als Begründung diente dieses mal eine Videodokumentation einer Abschiebung, die auf einem beschlagnahmten PC gefunden wurde. Die Kiwara wollten diese in ein terroristisches Licht rücken. Mitte Dezember 2010 wurden sieben weitere Personen als Teil der konstruierten terroristischen Vereinigung beschuldigt und vom LVT vorgeladen. Ein Teil ging der Vorladung nicht nach, ein Teil ging zum Verhör, bis auf zwei Personen machten alle keine Aussage.

Der cholerische Reinhard Muik, einer der Chefermittler am LVT, sah eine Terrorgefahr à la §278, weil auf der Abschiebedoku ein Funkmast zu sehen ist. Die Polizisten erkannten darin eine Funkanlage, deren “Manipulation” “unabsehbare Folgen” für den Flughafenbetrieb hätte. In Wirklichkeit handelte es sich bei dem vermeintlichen Flughafentower um einen Handyfunkmasten. Trotz dieser Tatsache hielten die Kiwara bis zuletzt an ihrer Version fest, in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ist davon nichts mehr zu finden.

Die Vorwürfe zur Terroristischen Vereinigung wurden von der Staatsanwaltschaft gegen alle elf Personen fallen gelassen und lediglich Anklage gegen J.A.I.B. wegen Brandstiftung erhoben.

 

Politisch motiviert

In den Akten finden sich haufenweise Hinweise darauf, dass der Verfassungsschutz relativ planlos in der “politisch aktivistischen Szene” in Wien herumermittelte. Zahlreiche politisch aktive Menschen erschienen auf den Radarschirmen des Befriedungskorps der Kiwarei. Beruhigend ist, dass die Staatsschützer*innen meist dilettantisch unterwegs waren.

Da sie keine belastenden Hinweise fanden, stürzten sie sich auf alles, worin sie ihrer Weltvorstellung zufolge eine Bedrohung sahen. Die verantwortlichen Polizisten mussten sich für ihre Ermittlungsmethoden nie rechtfertigen, das Gericht interessierte sich offensichtlich nicht für die Hintergründe. Die von der Verteidigung bzw. den Angeklagten als Zeugen beantragten Ladungen der Ermittler wurden vom Gericht abgewiesen.

 

Freispruch

Der Prozess gegen J.A.I.B. endete am zweiten Verhandlungstag, dem 27. Juli 2012 mit einem Freispruch. Bei drei der Angeklagten, J, I und B, legte die Staatsanwältin Berufung ein, damit sind deren Freisprüche noch nicht rechtskräftig. Dass die Polizei ihre Ermittlungen gegen politische Aktivist_innen deshalb einstellt, ist zu bezweifeln. Nichts desto trotz war die Freude über das Urteil groß und bei einer anschließenden Demonstration durch die Wiener Innenstadt wurden kämpferische Parolen skandiert und dann bis in die frühen Morgenstunden gefeiert.

 

Solidarität

Wichtig war von Anfang an die breite Solidarität mit den Angeklagten, die immer wieder betonten, dass sie zwar unmittelbar betroffen sind, sich die Repression aber willkürlich gegen politisch aktive Menschen richtet. Vom Anfang an wurden Solidemonstrationen organisiert, die Verhafteten in Gefängnis besucht und ihnen zahlreiche Briefe und Postkarten mit Grüßen geschickt. Es gab zahlreiche Soliparties, um Geld für die enormen Verteidigungskosten zu sammeln. Überall in Wien waren Plakate und Graffities zu finden, die die Freiheit der Gefangenen forderten und über die Vorfälle informierten. An den beiden Prozesstagen wurden vor dem Justizgebäude Kundgebungen abgehalten und zahlreiche Leute kamen als unabhängige Prozessbeobachter_innen in den Gerichtssaal.

Vor den Augen einer breiten Öffentlichkeit fällt es den Repressionsbehörden schwerer, Menschen mittels meist konstruierter Straftaten einzuschüchtern und ins Gefängnis zu stecken. Nichts desto trotz erscheint es notwendig, sich vor solchen Ermittlungsmethoden in Acht zu nehmen, ohne sich zu sehr einschüchtern zu lassen. Ein sensibler Umgang mit den persönlichen Daten, seien es die eigenen oder die von anderen, ist empfehlenswert. Die zunehmende, politisch motivierte Überwachung sollte nicht tatenlos hingenommen werden. Und letztendlich sollten wir nicht vergessen: Betroffen sind oft nur wenige, gemeint sind wir alle!

 

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