[LG] Frommestraße - Neues zur Schieflage

Menschenfreies Lüneburg

Risse spalten eine Stadt

Geht man durch die Altstadt Lüneburgs, wenige Meter weiter in Richtung Frommestraße, fällt sofort auf, dass es hier etwas anders aussieht. Bunte Transparente und reges Leben rund um diesen Straßenzug; eine Mischung aus alternativer Wohnkultur und einem Hauch „Republik Freies Wendland“ sind der erste Eindruck, der sich den Betrachtenden bietet. Was man glatt übersehen könnte, ist die Tatsache, dass die Häuser hier etwas schief sind. Schließlich zog sich dieser Eindruck durch das gesamte Lüneburger Stadtzentrum. Grund hierfür sind die besonderen sedimentären Bodenverhältnisse, die nicht zuletzt auch auf den Jahrhunderte langen Salzabbau untertage zurückzuführen sind.

 

Für die starke Bodensenkung haben Geolog_innen immer noch keine schlüssige Erklärung finden können. Zu viele verschiedene natürliche und endogene Dynamiken beeinflussen die Bodenerosion. Warum ausgerechnet die Wohnprojekte nun akut einsturzgefährdet sein sollen, ergibt sich den Bewohner_innen und vieler ihrer Symphatisant_innen dort nicht, zumal im Widerspruch zu dieser bereits mehrere neue Bebauungspläne eines Investors vorliegen, der nicht zuletzt Eigentümer eines der Häuser ist.

 

Was jedoch bei genauer Betrachtung offensichtlich wird, ist das die kleine Stadt südlich von Hamburg in den Mittelpunkt vieler Gentrifizierungsvorhaben gerückt ist.

 

Erst Anfang letzter Woche titulierten die örtlichen Zeitungen in Lüneburg: „Schlafplatz, wo bist du?“

 

Hunderte Studierende, Auszubildende, Familien und Arbeiter_innen finden keinen Wohnraum mehr zum Überleben und kampieren in Hausfluren von Freunden oder Übernachten in ihren Autos, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten oder um sich auf ihre Zukünftige Tätigkeit vorbereiten zu können. „Gentrifizierung“ ist schon lange kein kleiner Großstädtischer Kiezkonflikt mehr.

 

Die Mietpreise steigen fast überall unverhältnismäßig zum Einkommen der in Miete wohnenden Menschen, sodass sich für viele von ihnen vorschnell die Frage auftut: „Ist mein Anspruch auf angemessenes Wohnen zu hoch?“ Gleichzeitig verschwindet günstiger Wohnraum geradezu vollständig. Leerstand und Verwahrlosung vieler Häuser.

 

Ohnehin, eine gewaltige Zuspitzung dieser Umstände wird zu erwarten sein. Eine aktuelle Studie des Kölner Instituts für Wirtschaftsforschung prognostiziert, dass Lüneburg bis zum Jahr 2025 den zweit kleinsten Wohnflächenbestand aller 127 untersuchten Städte haben wird. Die einfache Erklärung für Gentrifizierung lautet: Reiche Gesellschaftsschichten entdecken urbanen Wohnraum als neues Lebensgefühl, invasieren subkulturelle Stadtteile und sorgen aufgrund ihrer hohen Zahlungsbereitschaft für eine stetige Steigerung des Mietzinses. Doch diese Erklärung genügt niemals, um das gesamtgesellschaftliche Phänomen „Gentrifizierung“ zu erklären. Das Phantom „Gentrifizierung“ ist nichts anderes, als der letzte Schritt vom Nutzen-Wohnraum zur „Ware-Wohnraum“, ihrer Ganzheitlichen Liberalisierung. 2006 schuf der Staat das Aus für die soziale Wohnraumförderung, in dem er die Zuständigkeit hierfür komplett in die Gesetzgebung der Länder übergab. Statt ihren sozialen Verpflichtungen nachzukommen pumpen die Kommunen horrende Summen in die Förderung von Wirtschaftsräumen, Fußgängerzonen, ihr Marketing und Infrastrukturen für Industriegebiete. Förderbankkredite sind für Arbeitnehmer_innen nur noch zu schlechten Konditionen zu bekommen. Die Mietobergrenzen wurden abgeschafft und öffentliche Aufgaben wurden Privatagenturen überlassen. Mit diesen Maßnahmen wird bezahlbarer Wohnraum systematisch vernichtet und staatliche Transferleistungen können bewusst missbraucht werden. Auf dieser Grundlage begannen sich Immobilienunternehmen und Banken um sämtliche bestehenden Wohnungen zu reißen. Ganze Straßen und Stadtteile sind in der Hand weniger einzelner Unternehmen, die somit wegen der Wohnungsknappheit die Möglichkeit haben, die Preise für Mieten und Grundeigentum in die Höhe zu treiben.

 

Wohnungen in Innenstadtnähe, mit guter Verkehrsanbindung in der nähe von Arbeitsplätzen sind für Arbeiter_innen, Schüler_innen Studierende usw. unbezahlbar geworden. Raumplanung und Standortpolitik der Gemeinden lassen die Lage in den attraktiven Gebieten regelrecht eskalieren. -Der „Ware Wohnraum“ sind Bezüglich ihrer Gewinnaussichten keine Grenzen mehr nach oben gesetzt. Die zu erwartende Rentabilität von Immobilien übersteigt die, des allgemeinen Zinsniveaus um ein vielfaches. Also ist es nicht verwunderlich, dass Investitionskapital bei niedrigem Zinsen in Immobilien und deren Teilhaberpapiere fließt. In der Zeitschrift „Capital“ wurde Lüneburgs Innenstadt, zu der auch die Frommestraße zählt, mit einer Miete von sechs bis zehn Euro per Quadratmeter beziffert. In den Toplagen geht das Wirtschaftsmagazin von etwa 500.000€ bis 700.000€ für einfache Einfamilienhäuser aus. Luxuswohnungen und standortbezogene kulturelle Begleitzustände machen die Innenstädte zu den wichtigsten Investitionsobjekten -auch in Zukunft. Doch dass für die neue Stadtmorphologie Menschen samt ihrer Schicksale, die wichtiger sind als das Kapital weichen müssen, wird marginalisiert. Wie und Wo wir heute Leben ist mehr als ein Zufall, dies resultiert aus der historischen Occupation der Erde, der Enteignung der Masse vom Grund und Boden als historische Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise, nicht nach den Bedürfnissen der Individuen, stattdessen nach der Verwendung als Kapital.

 

Exemplarisch für die Gentrifizierung emanzipatorischer Wohnprojekte steht die Frommestraße. Nach dem bereits im Sommer diesen Jahres das Frommehaus Nr. 5 geräumt wurde, soll in der Nacht vom 09. Oktober zum 10. November das Haus Nr. 4 geräumt werden. Immer wieder wird als Begründung dafür die Einsturzgefahr der Häuser angegeben. Ob, die Häuser wirklich akut Einsturzgefährdet sind, konnte der Eigentümer nie Nachweisen, was nun auch gerichtlich bestätigt wurde.

 

Ein Auszug aus der „LG heute“ belegt dies:

 

Räumung der Frommestraße 4 aufgeschoben

Die Hansestadt muss die geplante Räumung des Hauses an der Frommestraße 4 verschieben. Wie die Hansestadt mitteilt, hat der Anwalt einer Bewohnerin beim Oberverwaltungsgericht einen 19-seitigen Schriftsatz eingereicht, in der er die von der Hansestadt beauftragten Gutachten zur Standsicherheit des Hauses angreift - "ohne Alternativen aufzuzeigen oder gar ein Gegengutachten vorzulegen", wie es in der Mitteilung der Stadt heißt. "Aus meiner Sicht ist es aufgrund des Zustandes des Hauses fahrlässig, 48 Stunden vor der Nutzungsuntersagung auf Zeit zu spielen", sagt Lüneburgs Stadtbaurätin Heike Gundermann. Das Gericht habe die Stadt nun dazu aufgefordert, Stellung zu beziehen. "Das schaffen wir nicht in der vorgegebenen Frist von eineinhalb Tagen. Das Gericht hat uns daraufhin eine Fristverlängerung bis Montag, den 5. November, eingeräumt, uns jedoch gleichzeitig gebeten, dann auch die Räumung bis zum 9. November aufzuschieben", erklärt Gundermann. Die von der Stadt beauftragten Statiker hatten dem Haus Frommestraße 4 nur eine Standsicherheit bis Ende Oktober bescheinigt. Die Stadt hatte daraufhin die Mieter aufgefordert, das Gebäude bis zum 1. November zu räumen (siehe linksunten.indymedia.org/node/69804). Wie die Stadt jetzt mit der neuen Situation umgehen will, ob die Bewohner trotz fehlender Standsicherheit trotzdem in dem baufälligen Haus wohnen bleiben können oder ob kurzfristige Sicherungsmaßnahmen getroffen werden müssen, um die Sicherheit der Bewohner zu gewährleisten, konnte bis 17 Uhr bei der Stadt nicht in Erfahrung gebracht werden.

 

Die Bewohner_innen fordern ihre Selbstbestimmung ein und wollen dem Abriss- und Mietenwahn nicht lautlos gegenüberstehen. Schon seit über fünf Jahren setzen sie sich für die Behebung des mangelhaften Status Quos ein. In einer Stellungsnahme vom Dienstag, den 30.10.2012 machen sie ihren Standpunkt deutlich:

 

„Die normative Kraft des Faktischen ist das Mittel, mit dem die Stadt Lüneburg die Bewohner der Frommestraße vor vollendete Tatsachen stellen will“

 

Das dritte Haus der Frommestraße in Lüneburg soll am Donnerstag (1.11.) geräumt werden. Bewohner_innen und Unterstützer_innen der jetzt betroffenen Hausnummer 4 wollen das nicht hinnehmen. Sie haben sich in der Vergangenheit politisch und mit praktischen Aktionen zur Wehr gesetzt, um die Räumung und den Abriss der Häuser zu verhindern - trotzdem wurden die Nr. 2 bereits abgerissen, die Nr. 5 diesen Sommer geräumt. Ab Mittwoch Abend und für Donnerstag sind vielfältige Aktionen geplant, mit denen die Räumung verhindert werden soll. Kreativer Widerstand ist jetzt gefragt! Potential und jede Menge leerstehende Gebäude in Lüneburg sind vorhanden. Die Stadt begründet ihre Abrissverfügung mit „Gefahr für Leib und Leben der Bewohner“. Das ist völliger Unsinn: Hausbesitzer Sallier hat zwar dieses Jahr nur noch Miete kassiert und nichts mehr für das Haus getan - das Haus wurde aber 2004 statisch saniert und das neueste Gutachten bestätigt die Standsicherheit des Hauses noch für die kommenden 11 Jahre. Wenn in der Frommestraße in den nächsten Tagen Menschen verletzt werden, wird nicht die Bausubstanz des Hauses Ursache sein, sondern die „Anwendung unmittelbaren Zwangs“, der den Bewohner_innen von der Stadt in der Abrissverfügung vorsorglich angedroht wird. Schon bei der Räumung der Nr. 2 sorgten hochmotivierte BFE-Einheiten mit ihrem Einsatz für blaue Flecken und selbst in den bürgerlichen Medien für Empörung. Die Bewohner- und Anwohner_innen fordern "das Ende dieser Kette völligen Blödsinns, der uns wütend macht". Für sie steht fest: "Dass Häuser können erhalten bleiben und das fordern wir auch! Die Stadt soll eine ohne jegliche fachliche Grundlage erlassenes Nutzungsverbot für alle Mieter_innen der Nummer 4 sofort wieder zurücknehmen, statt gewaltsam Fakten zu schaffen!" http://de.indymedia.org/2012/10/336920.shtml

 

Gewaltsame Fakten einer eigentümlich zielstrebigen höheren Gewalt und das Fehlen von Ersatzprojekten könnten die Bewohner_innen dieser Straße, wie auch die vieler anderer bereits aus den Stadtzentren verbannen. Zunehmend verlieren Kieze oder Kleinstädte ihre kulturelle Diversität, ihren Charme und ihre Lebensqualität. Jahrelang gewachsene soziale und menschliche Gemeinschaften werden zerschlagen – innerhalb kürzester Zeit vom Stadtplan gefegt, der sich in Augen mancher Funktionäre nur noch in Gewinnzonen aufteilt. Ob dies so in der Frommestraße geschehen wird, entscheidet sich scheinbar in den nächsten Tagen und Wochen.

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Nach der bisher größten Recht-auf-Stadt-Demo in Lüneburg vergangenen Samstag (27.10.2012) mit ca. 250 Teilnehmer_innen formierte sich am Abend des 31.10. eine Sponti mit ca. 30 Sympathisant_innen der Frommestraße.

Eigentlich sollte es der Abend vor der Räumung des Hauses Frommestraße 4 sein. Doch durch eine Klage beim OVG Niedersachsen konnte bereits eine Räumungsverschiebung von über einer Woche erwirkt werden.

Mit Parolen wie "Häuser denen die drin wohnen", "Macht ihr unsere Häuser platt, kommen wir in die Innenstadt" und "Fromme bleibt!", liefen sie als kämpferischer Mob durch die Innenstadt.Damit setzen sie ein weiteres Zeichen im Widerstand gegen den Umgang der Stadt mit der Frommestraße und untermauern die Forderungen der neu gegründeten "Notgemeinschaft für günstigen Wohnraum Lüneburg". Diese sind: Günstiger, innenstädtischer Wohnraum für WGs und Wohnprojekte, Erhalt der Frommestraße 4 und des Umliegenden Quartiers und die sofortige Aufhebung der Nutzungsuntersagung für das Haus.

Das verwaltungsrechtliche Urteil wird voraussichtlich für den 9. November 2012 erwartet.
Haltet Augen und Ohren offen und kommt gerne vorbei! Denn es gibt viel zu tun!

 

 

http://de.indymedia.org/2012/11/337009.shtml

Nach der zeitlichen Aufschiebung für die Räumung des linken Wohnprojekts Haus 4 der Frommestraße in Lüneburg, durch eine Klage der Bewohner_innen, verdichten sich nun die Hinweise, dass das Haus nun doch bereits schon am Mittwochmorgen, den 07. November geräumt werden soll. Gestern reichte die städtische Baubehörde vor dem Oberverwaltungsgericht ihr überarbeitetes Gegengutachten zur Standsicherheit des Hauses ein. Nun deutet der Sachverhalt auf eine schnelle Räumung der Wohnungen am Mittwoch früh hin.