Nach tödlicher Messerattacke protestieren 500 Menschen gegen Gewalt

hdh-ultras mit OB Ilg
Erstveröffentlicht: 
09.09.2012

Der gewaltsame Tod eines jungen Mannes bewegt viele Heidenheimer. Sichtbaren Ausdruck fand das von Betroffenheit, Unverständnis, auch von Wut und Zorn durchsetzte Mitgefühl jetzt bei einem Trauerzug, der von Freunden des vor einer Woche erstochenen Stefan Erdt organisiert worden ist.


Samstag, kurz vor 18 Uhr. Die Spätsommersonne wirft erste lange Schatten über die Stadt. Auch auf den Platz vor jenem Schnellimbiss an der Ecke Olga-/Marienstraße, von wo aus Stefan zusammen mit seiner Freundin und einem weiteren Begleiter nach einem Disput mit drei jungen Männern vor einer Woche den Weg in Richtung Bergstraße genommen hatte, die dann so unvermittelt zum Tatort geworden ist. Für die Angehörigen, Bekannten und viele Freunde ist die Sonne bereits an diesem schicksalschweren Tag untergegangen. „Keiner weiß, wie es weitergehen soll,“ sagt Stefans Schwester, und auch viele der sich auf diesem Platz versammelnden Menschen wirken ratlos– aber vereint in der Absicht, des Opfers des Verbrechens in ganz besonderer Weise zu gedenken und gleichzeitig einöffentliches Zeichen gegen Gewalt zu setzen.

Ein Zeichen, das nicht unbeachtet bleibt. Es zieht viele der auf Gehsteigen und vor Ampeln stehende Passanten in ihren Bann, als sich just am Beginn der langen Einkaufsnacht ein aus nahezu 500 Teilnehmern bestehender Trauerzug formiert. Vorneweg ein Trommler, dessen dumpfe Schläge der plötzlich über der Innenstadt liegenden Stille einen beklemmenden Rhythmus verleihen. Die große Fahne der „Hellenstein-Ultras“ markiert das Umfeld Stefans, das ihmüber den Tod hinaus Heimat bleibt. Der 21-Jährige war fest integriert in diesem FCH-Fan-Club, in dem „einer für alle und alle für einen“ stehen.

So sind sie denn auch alle gekommen, dominieren mit ihrenüberwiegend jungen Gesichtern das Bild des langen, von vielen Fackelträgern durchsetzten Zuges, der sich langsam durch die gesperrte Wilhelmstraße in Richtung Bergstraße bewegt. Dazwischen aber auch Menschen, die Stefan nicht kannten, trotzdem Anteilnahme teilen und Gewaltlosigkeit demonstrierenwollen. Ein, zwei Stadträte sind zu sehen, und auch Oberbürgermeister Bernhard Ilg läuft mit, hat sich der etwas anderen Trauerkultur gestellt. Als er auf die Straße tritt, fällt ihm eine Bierflasche vor die Füße, und da niemand die Scherben beiseite räumt, tut er es.

Am Tatort, der längst zur mit Kerzen und Blumen geschmückten Gedenkstätte geworden ist, läuft „Wonderwall“ von Oasis, einem Song, in dem es um Wege voller Kurven geht. Geradeheraus spricht OB Ilg ins Mikrofon, was ihm an diesem Tag am Herzen liegt: Der Familie und den Angehörigen die Anteilnahme auszudrücken, ohne dabei eine Wirklichkeit auszublenden, die längst auch die nur scheinbar kleine heile Welt abseits der Ballungszentren erreicht hat. „Kein Samstag vergeht, an dem nicht von Schlägereien und Sachbeschädigungen berichtet wird,“ bekennt der Rathaus-Chef, dem es aber auch wichtig zu sagen ist, dass diese Polizeiberichte in jeder Stadt gleichlautend sind.

Seine zentrale Botschaft jedoch, die an diesem Abend von diesem Platz ausgeht, ist eine andere. Ilg spricht von von der hässlichen und zerstörerischen Fratze der Gewalt, deren Spirale sich schon zu drehen beginnt, wenn aus Nicklichkeiten und Anmache Pöbelei und Aggression wird. Und er fügt an, dass wir alle es selbst in der Hand haben, was zu Hause, in der Schule, auf dem Fußballplatz oder nachts in der Stadt geschieht: „Ob provoziert wird oder nicht, skandiert wird oder nicht, oder ob Alkohol in der Absicht konsumiert wird, Hemmungen loszuwerden.“ Und er offenbart einer aufmerksamen zuhörenden Trauergesellschaft seinen Herzenswunsch: „Dass Gewalt und Veranstaltungen wie diese keine Wiederholung finden.“

Auch Ralf Willeck ist von den Initiatoren eben dieser Veranstaltung um einige Worte gebeten worden. Der Erste Bevollmächtigter der IG Metall, die in den nächsten Tagen an dieser direkt am Tatort gelegenen Stelle mit dem Bau eines neuen Gewerkschaftshauses beginnen wird, spricht in diesem Zusammenhang nicht nur von jener Gewaltfreiheit, die sich die Gewerkschaften nicht zuletzt aufgrund ihrer eigenen leidvollen Geschichte zu einem Grundprinzip gemacht haben. Er erzählt von seinen sehr persönlichen Gefühlen als Familienvater angesichts des Todes eines jungen Menschen, den er persönlich nicht gekannt hat, dessen Schicksal ihm an diesem Ort aber sichtlich nahe geht. Willeck zeigt sich überzeugt, dass die Täter ihre Strafe bekommen werden, weiß aber nicht, ob es für den Tod eines Menschen eine gerechte Strafe gibt. Das spiegelt sich auch in den Worten von Kevin Barth mit, der den Trauerzug und die Kundgebung auch in der Hoffnung organisiert hat, zusammen mit allen anderen anfangen zu können, Abschied zu nehmen– und darüber hinaus nur noch darauf bauen kann, „dass unser Rechtsstaat ein in Anführungszeichen gerechtes Urteil fällen wird.“

„Feiert das Leben, das Leben ist wertvoll,“ ruft Gewerkschaftsmann Willeck den jungen Leuten zu und rät ihnen, lieber einmal mehr beiseite zu gehen als einen Konflikt bis zum Ende auszutragen. „Da bleibt am Ende nur Kummer und Zerstörung.“ Ein solches Zeichen der zerstörerischen Kraft findet sich an einem Gebäude in der Schnaitheimer Straße, an dem viele der Trauerzug-Teilnehmer auf dem Rückweg in die Stadt vorbeikommen. Die kleine Tafel erinnert an Tobias Meletzki, der mit 16 Jahren starb, als er Gewalt unter Jugendlichen schlichten wollte. Das ist gerade mal sieben Jahre her.

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die vorderen reihen machen einen besonders sympathischen eindruck...

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zum klientel:

 

https://linksunten.indymedia.org/de/node/62683

 

der getötete ist auf diesem bild im vordergrund mit kappe, bomberjacke und armee-hosen zu sehen:

https://linksunten.indymedia.org/de/node/62685