"Wenn das Volk eines Tages das Leben einfordert, dann muss das Schicksal das gewähren"

Graffiti Beirut

so lautet die bekannten Zeilen des tunesischen Poeten Abu al-Qasim asch-Schabbi. Auf einer Mauer in Beirut tauchte dann Ende letzten Jahres das Graffiti "2011 forderte das Volk das Leben ein, 2012 wird das Schicksal das gewähren" auf.

Während sowohl die Aufständischen als auch die Regierungstruppen weitere Verstärkungen nach Aleppo entsandt haben und die mainstream Medien sich fast völlig auf "Berichte von der Front" beschränken, wolle wir die Aufmerksamkeit auf all jene richten, die ungeachtet der diversen geopolitischen Akteure, die mittlerweile in Syrien mitmischen, auf ihren Forderungen nach einer anderen, pluralistischen Gesellschaft beharren, während ihre Wohnviertel von schweren Geschützen und  von Kampfhubschraubern aus beschossen und mittlerweile auch aus der Luft bombadiert werden.

Von hier aus mag es unglaublich erscheinen, aber mitten im militarisierten Konflikt finden auch heute an hunderten Orten Demonstrationen statt. Selbst in den Vorten von Damaskus, die unter schweren Feuer stehen, selbst in Aleppo, der Stadt, aus der die Menschen in Scharen fliehen und aus der mittlerweile sogar das Rote Kreuz seine Mitarbeiter evakuiert.
Medienaktivisten dokumentieren und sammeln die Informationen über diese Proteste, die Lokalen Koordinierungskomitees verbreiten sie weltweit im Netz.

Wenn das Regime gefallen sein wird, und daran dürfte außer den Getreuen von Assad II kaum jemand noch zweifeln, wird der Weg, den die syrische Gesellschaft einschlagen wird, auch wesentlich davon abhängen, wie die zahlreiche Basisgruppen- und Netzwerke sich behaupten und Einfluss auf den Transformationsprozeß nehmen können.

Im Gegensatz zu einem Teil der bewaffneten Gruppen, Teilen des Syrischen Nationalkongresses, sowie "islamistischen Kämpfern" (die bei weitem nicht in dem Maße präsent sind, wie hier und in den mainstream Medien ihnen Beachtung geschenkt wird), bekommen diese Basisorganisierungsprozesse keine Unterstützung von externen Staaten. Sie sind auf die Unterstutzung vor Ort und Sammlungen wie von adopt a revolution angewiesen.

Von Anfang an haben sich viele StudentInnen dem syrischen Aufstand angeschlossen, in Aleppo zum Beispiel waren sie fast ein ganzes Jahr lang fast die einzigen, die es wagten, immer wieder auf die Strasse zu gehen. Immer wieder wurden ihre Wohnheime gestürmt, StudentInnen verschleppt, gefoltert, etliche ermordert. Ihr Mut und ihre Entschlossenheit wurde belohnt.
Als im Mai dieses Jahres erstmalig Massendemos in Aleppo stattfanden, läuteten diese das Ende des Regimes ein. adopt a revolution hat jetzt ein Interview mit Vertretern der StudentInnenkomitees auf deutsch veröffentlicht, in der sie über ihre Situation und ihren Blick in die Zukunft berichten.

“Wir bereiten uns für die Übergangsphase nach Assad vor”

Die Studentenkomitees sind seit Beginn der syrischen Revolution im März 2011 wichtiger Teil der Pro-Demokratie-Bewegung. Schon in den ersten Tagen der Anti-Regime-Proteste begannen die Studenten innerhalb der Universitäten Demonstrationen zu organisieren. In Aleppo war der Studenten-Protest Ausgangspunkt einer Revolte in der ganzen Stadt. Ende des Sommersemesters 2012 organisierten die Studentenkomitees einen landesweiten Examensboykott. Adopt a Revolution hat diesen Boykott unterstützt.

Jawad Al Khateeb, ein Sprecher der Studentenkomitees, sprach jetzt mit Adopt a Revolution über den Erfolg des Boykotts und die aktuelle Situation in Syrien. Al Khateeb gehörte dem Studentenkomitees der Universität Damaskus an, floh aber vor fünf Monaten nach Istanbul, um seiner Verhaftung zu entgehen. Von dort koordiniert er die Arbeit der Komitees, macht Öffentlichkeitsarbeit und versucht Geld für ihre Arbeit zu organisieren.

Adopt a Revolution: Ihr habt Ende dieses Semesters einen landesweiten Examensboykott organisiert. Wie lief das ab?

Jawad Al Khateeb: Der Boykott läuft immer noch. Wir haben in Syrien während des Sommers noch eine Reihe Prüfungen. Die Studenten gehen noch zur Universität, aber nicht um Klausuren zu schreiben, sondern um zu demonstrieren und an anderen Pro-Demokratie-Aktionen teilzunehmen. Es ist großartig: 90 Prozent nehmen am Examensboykott teil. Die Universität von Aleppo hat die Prüfungen offiziell verschoben, weil niemand gekommen ist.

Wenn Du sagst 90 Prozent: Sind das 90 Prozent der Universitäten oder 90 Prozent der Studenten?

90 Prozent der Studenten. Das heißt, z.B. von 200 Studenten, die eine bestimmte Prüfung haben, kommen nur 15.

Aber die 15 kommen. Das heißt, ihr hindert niemanden daran, seine Prüfung abzulegen?

Nein. Unsere Bewegung übt keinen Zwang aus. Wir veröffentlichen in unseren Medien alle Standpunkte und wir blockieren auch nicht die Universitätseingänge, wenn jemand hinein will. Vielleicht sind das Assad-Unterstützer, aber für manche Studenten ist es auch deshalb nicht möglich die Prüfungen zu boykottieren, weil sie Verwandte oder Freunde im Gefängnis haben, die sie nicht gefährden wollen oder weil sie selbst Angst haben. Aber in Aleppo ist z.B. niemand zu den Prüfungen gekommen.

Plant Ihr weitere große Aktionen?

Die Situation verändert sich momentan rasant. Deshalb haben wir angefangen, uns auf die Übergangsphase nach Assad vorzubereiten. Der Fall des Regimes kann morgen sein oder in einem Monat.
Wir befürchten, dass es zu Chaos kommen könnte, Kämpfe ausbrechen. Wir dürfen uns nichts vormachen: Es könnte auch zu einem Bürgerkrieg kommen. Daher tun wir alles, um die Universitäten aus jeder Gewalt rauszuhalten. Wir arbeiten derzeit 24 Stunden am Tag daran, Aktivisten in allen Universitäten vorzubereiten und zu schulen. An jeder Fakultät sollen rund 30 respektierte Aktivistinnen und Aktivisten die Kontrolle übernehmen, sobald das Regime fällt. Das sind pro Universität mehrere hundert, in Damaskus z.B. an die 500.

Was genau sollen die dann machen?

Sie übernehmen alle Aspekte der Fakultätsverwaltung. Die Angestellten in der Verwaltung sind in der Regel Mitglieder der Baath-Partei. Daher muss sichergestellt werden, dass die Studenten nach anderthalb Jahren Revolution wieder ihre Studien aufnehmen können, Kurse belegen können. Außerdem muss die Sicherheit gewährleistet werden. Wir brauchen möglicherweise Sicherheitskontrollen an den Toren. Es muss den Studenten, die im Gefängnis waren, geholfen werden, zurück in ihr Leben zu finden.

Was ist euer Verhältnis zu anderen Oppositionsgruppen?

Wir organisieren uns als Teil der Lokalen Koordinierungskomitees (LCC). Mit dem Syrian National Council (SNC) koordinieren wir uns, sind aber nicht Teil davon. Außerdem koordinieren wir uns auch mit Adopt a Revolution. Sie sind die einzige Organisation die uns in dieser wichtigen Phase geholfen haben. Wir hätten den Boykott gar nicht so durchführen können, ohne die Unterstützung von Adopt a Revolution.

Wie steht ihr zu der Erklärung des Syrian National Council (SNC), eine Übergangsregierung unter Führung von Regime-Personal zu akzeptieren?

Wir finden diese Erklärung sehr merkwürdig. Das entspricht nicht der bisherigen Haltung des SNC und anderer Oppositionsgruppen. Wir wissen nicht, wie das zustande gekommen ist, ob es vielleicht eine geheime Vereinbarung mit Russland in der Hinsicht gibt. Wenn das eine Vorgehensweise ist, die auch Russland akzeptieren würde und alle Oppositionsparteien, dann ist das o.k. Wir wollen, dass sich die Dinge bewegen. Allerdings würden wir fordern, dass niemand, der für das Morden verantwortlich ist, an einer solchen Regierung beteiligt wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwelche Regimepolitiker gibt, die sich nicht die Hände schmutzig gemacht haben.

Was haltet Ihr von der Offensive der Free Syrian Army?

Es war gut einige der wichtigsten Führer des Regimes zu treffen. Das hat die Stimmung bei den Menschen sehr gehoben und die Hoffnung gestärkt, dass das Regime bald fallen wird.

Du sprachst vorhin von einem möglichen Bürgerkrieg: Zwischen welchen Fraktionen könnte der ausbrechen?

Ich sage nicht, dass es einen Bürgerkrieg geben wird. Aber wir müssen uns auf jede Möglichkeit vorbereiten. Regime-Anhänger, insbesondere die Schabiha-Milizen könnten weiterkämpfen.

Und Islamisten? Es heißt, Saudi-Arabien und andere hätten radikale Islamisten mit Waffen beliefert.

In Syrien gibt es keine Tradition dafür. Ich habe in zehn Jahren in Damaskus nie jemand mit langem Bart von den Salafisten oder Al Qaida gesehen. Die syrische Gesellschaft ist weit entfernt von jedem Radikalismus. Es gibt jetzt zwar diese radikalen Milizen, aber sie haben in der Gesellschaft keinen Rückhalt.
Im Übrigen glaube ich, dass die Menschen nach über einem Jahr der Kämpfe müde sind. Natürlich wird es wie in jeder Gesellschaft, die von einer Phase in die nächste übergeht, zu ein wenig Chaos kommen. Aber die Menschen wollen sich vorwärts bewegen, eine neue Gesellschaft aufbauen, nicht weiter kämpfen.

Anmerkung adopt a revolution

Leider konnten wir die Kampagne zum Examensboykott nur zu etwa zwei Dritteln finanzieren. 1.000 Euro für Kameras, Laptops, Internetanschlüsse und Aktionsmaterialien sollten für jede der 20 syrischen Hochschulen zur Verfügung stehen. Angesichts der neuen Phase der syrischen Revolution wollen wir jetzt zum Aufbau der Union Freier Syrischer Studierender beitragen. Ziel ist es, jeden Monat 5.000 Euro für die landesweite Vernetzung zu überweisen. Können Sie etwas dazu betragen?

Ein Beitrag von recherchegruppe aufstand für linksunten

http://uprising.blogsport.de/

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Wie üblich ignoriert ihr Kommentare hier

https://linksunten.indymedia.org/de/node/64341 (siehe hier)

 

Und wie üblich habt ihr auf eurem Blog eine sehr lückenhafte Auswahl. Wäre ja auch blöd, wenn ihr alles bringt und diesen Artikel damit konterkarieren würdet. Aber ich bin gerne behilfliich, zumindest einige Lücken zu füllen:

 

Dschihadisten in Syrien - Mit Allah gegen Assad

http://www.spiegel.de/politik/ausland/in-syrien-kaempfen-radikale-islamisten-gegen-das-assad-regime-a-846752.html

Syrien: Türkei soll Waffenstützpunkt für Rebellen eingerichtet haben

http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-tuerkei-soll-rebellen-geheimen-stuetzpunkt-eingerichtet-haben-a-846873.html

 

Eine etwas ältere umfassende Recherche zu den ausländischen Oppositionellen und ihren Verbindungen

http://www.guardian.co.uk/commentisfree/2012/jul/12/syrian-opposition-doing-the-talking

 

 German intelligence: al-Qaeda all over Syria

http://www.atimes.com/atimes/Middle_East/NG24Ak02.html

 

Nur eine kleine Auswahl von Artikel, die die Recherchegruppe ihren Nutzern lieber verschweigt. Warum?