Landesweite Riots in Tunesien - Ein erschossener Demonstrant

Landesweite Riots in Tunesien - Ein erschossener Demonstrant

In Tunesien ist es am Montag und Dienstag zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Bullen/ Militär gekommen. Die Unruhen erstreckten sich auf mehrere grössere und kleinere Städte Tunesien, am heftigsten waren die Auseinandersetzungen in der Hauptstadt Tunis. Im Zuge der Kämpfe setzten die "Sicherheitskräfte" massiv Tränengas ein, warfen mit Steinen, mehrmals wurde auch scharf auf die Demonstranten geschossen. Wurde zuerst behauptet,  es wären nur "Warnschüsse" in die Luft abgegeben worden, wird inzwischen von einem erschossenen Demonstarnten berichtet.


Es wurde mittlerweile eine nächtliche Ausgangssperre für Tunis und sechs andere  Regionen verhängt. Der noch aus der Ben Ali Ära stammende "Ausnahmezustand" war erst kürzlich bis Ende Juli verlängert worden. 
 
Auslöser der Auseinandersetzungen waren Proteste von Gruppen aus den salafistischen Spektrum gegen eine Kunstausstellung  in einem Vorort von Tunis.
Sie sahen durch die ausgestellten Kunstwerke (u.a. ein weiblicher Akt und die Darstellung Allahs durch eine Armee von Ameisen) den Islam beleidigt.
Nachdem es am Sonntag zu ersten Rangeleien zwischen religiösen Fundamentalisten und den Künstlern und ihren Unterstützern gekommen war, griffen die Bullen ein. In der Nacht zu Montag kehrte dann ein grösserer fundamentalistischer Mob zurück, brach in das Gebäude ein und zerstörte zahlreiche Kunstwerke.
 
Unklar ist der genaue Fortgang der Geschehnisse am Montag. Im Laufe des Tages kam es jedenfalls in Tunis zu Auseinandersetzungen zwischen salafistischen Gruppen und den Bullen, die sich schnell ausweiteten.
Entgegen den gebräuchlichen Darstellungen in den mainstream Medien handelte es sich dabei mitnichten nur um eine Auseinandersetzung zwischen den radikalislamistischen  Gruppen und den Sicherheitskräfte. Nachdem die Meldungen von den Auseinandersetzungen die Runde machten, brachen in verschiedenen (vorwiegend ärmeren) Vierteln von Tunis Unruhen aus, die sich schnell über Teile des Landes ausbreiteten.
 
Mehrere  tunesische blogger berichten von jugendlichen "troblemaker", die sich mit Steinen und Mototowcocktails bewaffnet in Richtung zahlreicher Bullenreviere aufmachten, einige davon niederbrannten. 
Sie berichten auch, dass sich unter den Kämpfenden nur kleinere Gruppen von "Fundamentalisten" befunden hätten, vereinzelt hätten Gruppen von Jugendlichen auch "Gott ist gross" gerufen, im Wesentlichen seien die Atmosphäre und die Protagonisten der Kämpfe aber ähnlich wie während des Aufstandes gegen Ben Ali gewesen.
 
Die neuen Auseinandersetzungen in Tunesien spielen sich vor dem Hintergrund diverser Machtkämpfe und einer desaströsen wirtschaftlichen Situation ab.
Das Bündnis aus alter Elite und den gemässigten Islamisten der Ennahdha hat sich gegen eine stärkere Verankerung des Islam im gesellschaftlichen Leben positioniert, den Machtkampf um die Aufnahme explizieter islamischer Normen in die Verfassung haben die Salafisten verloren.
In der Folge radikalisieren sich Teile der Salafisten, Al Kaida nahe Strömungen haben sich etabliert, treten offensiv und militant auf.
So kam es z.B. in der Stadt Jenduba im Mai zu militanten Angriffen von hunderten Salfisten auf Geschäfte, die Alkohol verkaufen, sowie auf eine Bullenwache.
In Tunis selber kommt es seit Monaten immer wieder zu handfesten Auseinandersetzungen zwischen linken und säkularen Gruppen und fundamentalistischen Gruppierungen.
 
Die anhaltend trostlose wirschaftliche Situation führt zu zahlreichen Kämpfen. In der ehemaligen ( und immer noch mit Abstand am grössten) Einheitsgewerkschaft haben sich zahllose kämpferischen Untergruppen gebildet, von lokal begrenzten Arbeitskämpfen bis zu dreitägigen "Generalstreiks" erstreckt sich das Repertoir, gegen die auch mit angeheuerten Schlägerbanden und Anschlägen auf Gewerkschaftsgebäuden vorgegangen wird. Immer wieder kommt es zu lokal begrenzten Aufständen, im südtunesichen  Medine konnte ein solcher nach drei Tagen erst durch einrückende Militäreinheiten beendet werden. In den Gefängnissen und Bullenwachen sind Folterungen nach wie vor an der Tagesordnung.  
 
Besonders tief sitzt der Frust unter den Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Tunesien. Selbst  mit einem Hochschulabschluss sitzen viele von ihnen auf der Strasse, hangeln sich von einem präkären Job zum anderen.
Einige haben sich im traditionell eher westlich orientierten Tunesien den radikalislamistischen Gruppen angeschlossen, die meisten von ihnen verharren aber, enttäuscht von den Ergebnissen der tunesischen "Revolution", in einer grundsätzlichen, unspezifischen systemkritischen  Haltung. Sie dürften bei den Kämpfen der vergangenen Tage die  Hauptprotagonisten gewesen sein. Ob es den Radikalislamisten gelingen wird, unter ihnen weitere Mitstreiter zu rekrutieren, oder sich der Frust andere Wege sucht, bleibt die offene Frage...

 

recherchegruppe aufstand

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In diesem Artikel wird vollkommen verworren vermischt, was sich nicht verträgt.

Die derzeitigen Riots in Tunesien sind nahezu ausschließlich salafistische. Oder waren es die unterpriviligierten Jugendlichen, die im ganzen Land Gewerkschaftsbüros angezündet haben?

Wenn den Schreibenden daran gelegen ist ein differneziertes Bild der Situation in Tunesien zu zeichnen, dann wäre es angebracht ökonomische Kämpfe und die salafistischen Riots nicht derart verworren in einem Artikel zu bearbeiten. So entsteht ein Bild, dass darauf hiausläuft, dass Salafisten und Linke/Gewerkschaftler irgendwie beide gegen die derzeitige "Situation" zusammen rebellieren. Die Gewerkschaften und Linke/Säkulare sind sich allerdings sehr bewußt, dass mit den Salafisten zusammen kein Blumentopf zu gewinnen ist.

Im Gegenteil ist es eher so, dass die Salafisten ihre Vorstellung von Gesellschaft und Recht und Ordnung mit Gewalt auf der Straße durchsetzen wollen, viele Linke/Säkulare im Gegensatz dazu aber sehr genau wissen für was sie gekämpft haben. Nämlich einen demokratischen Staat. Und diese Errungenschaft sehen auch diese akut bedroht durch die umhermarodierenden Salafisten.

 

Nächstes mal lieber einen Artikel über die ökonomischen Kämpfe der Überflüssigen schreiben und einen über die Reaktion in Form von Salafisten, die einen Gottesstaat errichten wollen, gegen den Ben Alis Diktatur der reinste Sommerurlaub war. Oder beides im Text sauber trennen.

 

So ist der Artikel keinen Pfifferling wert...

Tunesien.: Unruhe nun auch in den Küstenstädten

Große Koalition gegen neuerliche Aufstände

 

Seit dem 12.06.2012 haben die Unruhen, die seit eineinhalb Jahren das Landesinnere Tunesiens prägen, vollends die Küstenregion erreicht. In allen grossen Küstenstädten wird nachts demonstriert. Polizei- und Gendarmiewachen wie auch Gerichtsgebäude wurden angegriffen. Einige davon wurden abgebrannt. Das Innenministerium wertet diese Attacken als “terroristische Angriffe auf souveräne Institutionen” und hat eine nächtliche Ausgangssperre verhängt.

 Anders als die langanhaltenden Riots im Landesinneren, bei denen manche Demonstanten im letzen Jahr von der Polizei erschossen wurden, die oftmals unter anhaltender nächtlicher Ausgangssperre stattfanden und auf offene Sympathie der Bevölkerung und der Gewerkschaftsbasis stießen – und die international nicht gross wahrgenommen wurden, rücken die derzeitigen Unruhen in den Küstenstädten in die weltweite Medienöffentlichkeit. Sie werden als salafistischer, drogendealerischer und Ben-Ali-gesteuerter Aufstand diffamiert.

 

In der Tat hatten die Aktionen von 50 bis 100 Salafisten eine Initialzündung bewirkt. Gewiss mischen sich wie stets in die Unruhen auch verkappte Polizisten aus alten und heutigen Zeiten. Aber die Wut hat sich verselbständigt und in zwei, drei Nächten die Züge einer Sozialrevolte der grossen tunesischen Vorstädte angenommen.

Die Gewerkschaft UGTT und die oppositionellen linksliberalen Parteien, die seit einem halben Jahr offen zum Sturz der Regierung aufgerufen haben, sind nun mit der Regierung eine informelle grosse Koalition eingegangen und beraten derzeit gemeinsam über anstehende Repressionen. In einigen Städten laufen bereits Razzien.

Hintergrund ist, dass sich weder die Regierung, noch die linksliberalen und gewerkschaftlichen Machtzentren mit der  wachsenden Armut im Lande auseinandersetzen.

Bei den laufenden Unruhen wurden bereits zwei Demonstanten erschossen.

Helmut Dietrich

 

auf der Seite der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration:

 

http://ffm-online.org/