Agrogentechnik: Die Lage im Frühjahr 2012

Pressebericht in der Ostseezeitung zur Attacke auf das hoch gesicherte AgroBioTechnikum im Juli 2011

Es könnte eine der wenigen politischen Auseinandersetzungen sein, in denen die bunte Mischung von Demonstrationen, Basisarbeit und militanten Aktionen einen ganzen Industriezweig vertreibt: Die Agrogentechnik steht kurz vor dem Aus - zumindest in Deutschland (was nicht reicht), zumindest im Freiland (was ebenfalls nicht reicht) und zumindest bei diesem speziellen Thema (was ...). Der Grund: Die Mischung macht's - mit einem wirkungsvollen und kreativen militanten Element, nämlich die Feldbesetzungen, Feldbefreiungen und Attacken auf die Infrastruktur der Firmen und Institutionen. Nun beginnt wieder eine Vegetationsperiode - und an den Versuchsstandorten regen sich die Firmen, um wieder aktiv zu werden ...

http://www.gentech-weg.de.vu

 

Rückblick: Das Jahr 2011 … und die Folgen für 2012

Anfang 2011 fand erstmals die Demo „Wir haben es satt“ mit 20.000 Menschen in Berlin statt. Im Juni folgte die Bauernsternfahrt unter gleichem Motto. Dadurch wurde sichtbar, dass bislang getrennte Protestbewegungen (Naturschutz, LandwirtInnen, Verbraucherschutz) an einem Strang zu ziehen begannen. Hinsichtlich der Gentechnikfelder brachte die Atomkatastrophe von Fukushima zwar einen Rückzug der auf Medien- und Spendenanteile ausgerichteten Online-Kampagnen und NGOs aus dem Thema Gentechnik – aber umso erfolgreiche verliefen militante Aktionen. Denn bis auf drei Felder waren alle Anpflanzungen mit gentechnik veränderten Organismen (GVO) auf zwei Orte zusammengefasst. Die waren hochbewacht – von Wachschützern, technischen Einrichtungen und einer im Hintergrund mit erheblichem Aufwand bereitstehenden Polizeiarmada. Doch unbekannte AktivistInnen zeigten im Juli 2012 eindrucksvoll, dass Bewachung, Sicherungsanlagen und Kumpanei mit den staatlichen Truppen allein nicht schützen. Sowohl die Versuchsanlagen am AgroBioTechnikum (am Dorf Sagerheide östlich Rostock) als auch im Schaugarten Üplingen (Börde) wurden böse erwischt.

 

Das Jahr 2012 bis heute

Im Januar gab es wieder eine große Demo in Berlin – sogar mit etwas mehr Leuten diesmal. Doch die Masse kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die immer professionelleren Protestmanagementfirmen wie Campact und andere zwar solche Events, aber kaum konkrete Aktionen hinkriegen. Somit stehen die 364 weitgehend protestfreien Tage in einem seltsamen Gegensatz zum Demotag im Januar.
Neue Felderanmeldungen gab es bislang nur eine: An Tabak soll herumgefummelt werden – Felder sind auf den beiden gesicherten Standorten neben Sagerheide und Üplingen geplant (Übersicht, was beantragt wurde). Das dann später zu füllende Standortregister gibt hingegen zur Zeit noch wenig her - außer Propagandaeintragungen von MON810 ist da nichts drin. Nach Lage der Dinge wird sich die Konzentration auf die AgroBioTechnikum und Schaugarten noch verstärken – mit einer Tendenz zur Verlagerung nach Üplingen. Das hat viele Gründe: Zum einen ist der örtliche Widerstand in und um Sagerheide, seit Jahren in freundschaftlicher Verbindung mit den unabhängigen AktivistInnen, recht deutlich. NachbarInnen, Gemeinderat usw. machen es Prof. Inge Broer und weiteren sogenannten ForscherInnen der Uni Rostock und den Kleinfirmen um Kerstin Schmidt schwer. Außerdem gibt es Gebäudeschäden und die Regelung, dass das AgroBioTechnikum ein Gründerzentrum ist und Firmen dort nur fünf Jahre hausen dürfen. Da ist Kerstin Schmidt mit ihren Firmen schon drüber … zieht es sie auch deshalb nach Üplingen?
Üplingen (Ortsteil von Ausleben, auf aktuellen Satellitenbildern ist der Schaugarten inzwischen zu erkennen) mit dem dortigen Streichelzoo für gv-Pflanzen (Biotechfarm, Schaugarten) verfügt weder über Labore noch über Fachpersonen. Die Felder dienen ausschließlich der Propaganda und sind überwiegend Doppel von Flächen anderswo, vor allem AgroBioTechnikum/Uni Rostock, BASF und KWS. Die Flächen gehören der Stiftung Braunschweiger Kulturbesitz (SBK), die in der Gentechniklobby auch direkt mitmischt und freundlicherweise auch noch Gebäude als Treffpunkt der Gentechnikseilschaften ausbaut. Die SBK ist von Stadt Braunschweig, Land Niedersachsen und der Kirche dominiert.
Anfang 2012 überraschten dann zwei Konzernaussagen. Erst verkündete die BASF, in Deutschland keine Felder mehr anlegen und Teile der Entwicklungszentren neuer Pflanzen ins Ausland verlagern zu wollen. Danach folgte die KWS: Sie wolle nur noch ein Feld belassen – das für Propagandazwecke im Schaugarten Üplingen. Die Online-Kampagnen und einige NGOs verbuchten den Abgang als ihren Erfolg und zeigten mal wieder Label und Kontonummer – obwohl sie im konkreten Widerstand vor Ort (mit Ausnahme des BUND in Mecklenburg-Vorpommern) bislang total versagten. Vor allem aber zeigten sie eine bemerkenswerte Gutgläubigkeit großen Konzernen gegenüber. Denn zumindest von BASF-Seite war alles nichts als Lüge. Im April gab der Konzern bekannt, doch Felder in D-Land anlegen zu wollen - mit dem Nachfolgemodell der Amflora (heißt: Modena). Den genauen Ort verrieten sie noch nicht, nannten aber Sachsen-Anhalt. Unglaublich schwer, jetzt den Ort zu erraten …

 

Patzer in Üplingen: AgrogentechnikerInnen haben kurze Beine …

Schon die Sanierung des für den Schaugarten verwendeten Hofgutes wurde vom Land im Zuge der Dorferneuerung mit 137.000 Euro bezuschusst. Im Jahr 2011 flossen noch einmal 152.000 Euro an die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz, der das Gut gehört. Verwendungszweck: „Umbau und Umnutzung des ehemaligen Maischraumes der Brennerei zum dörflichen Begegnungszentrum“. Auch das EU-Regionalentwicklungsprogramm Leader förderte den Umbau. In diesem dörflichen Begegnungszentrum traf sich die Gentechnik-Lobby im September 2011 zu ihrem deutschlandweiten InnoPlanta-Forum. In ihrer Antwort auf eine Anfrage der Landtagsgrünen schrieb die sachsen-anhaltinische Landesregierung: „Die Begegnungsstätte gehört nicht zum Schaugarten oder zur Bio-TechFarm, ist aber öffentlich und kann somit für verschiedene Veranstaltungen angemietet werden.“ Die Bio-TechFarm GmbH ist die Betreiberin des Schaugartens. Daraufhin versuchten gentechnikkritische Gruppen für den 21. April 2012 einen Raum im Begegnungszentrum für eine Podiumsdiskussion anzumieten. Die Ablehnung erfolgte auf Briefpapier der Bio-TechFarm. Die Gentech-Firma wies zudem darauf hin, dass das ganze Gelände privat und das Betreten und Befahren für Unbefugte verboten sei.
Die Podiumsdiskussion wird jetzt am Samstag den 21. April in einer Kirche in der Nähe stattfinden, verbunden mit Spaziergängen rund um den Schaugarten. (Quelle)

 

Aktionen im Sommerhalbjahr 2012?

Noch ist nicht viel passiert. Aber einige Sachen schon angekündigt. Los geht's mit zwei Auftakt-Wochenenden an den beiden Hauptstandorten.

20./21.4. in Schöningen und Üplingen: Veranstaltungen zur Gentechnikkritik (Infoflyer):

  • Freitag, 20.4. um 20 Uhr in Schöningen (Herzoginnensaal im Schloss): Ton-Bilder-Schau "Monsanto auf Deutsch - Seilschaften zwischen Behörden, Forschung und Gentechnikkonzernen"
  • Samstag, 21.4. ab 15 Uhr und ab 17 durchs Dorf Üplingen (Treffpunkt: Parkplatz am Friedhof Üplingen, nördlicher Ortsausgang Badelebener Straße): Gentechnikkritischer Spaziergang mit Blicken auf Schaugarten und Hofgut, Informationen und Gesprächen
  • Samstag, 21.4. ab 19 Uhr in der Kirche von Warsleben: (Nutzung des Dorfgemeinschaftshauses wurde verboten!): Podiumsgesprächs zur Gentechnikkritik (geplant: Infos durch und Fragemöglichkeit an LandwirtInnen, ImkerInnen, GentechnikkritikerInnen)

Sonntag, 13.5.: Kritische Spaziergänge und mehr am AgroBioTechnikum

Genauer Ort: 15km östlich von Rostock an den Versuchsfelder des AgroBioTechnikums (nahe Sagerheide, nördlich der B110, ca. 2,5km vom Bahnhaltepunkt Groß Lüsewitz):

  • 15 Uhr: Kritischer Rundgang (Inspektion) an den Feldern in Sagerheide (Treffpunkt Birkenallee 10/11, d.h. am Ortseingang von der B110 aus)
  • Anschließend Kaffee, Kuchen und Zeit für Fragen/Diskussion auf dem Nachbargrundstück
  • 17 Uhr auf dem Grundstück Birkenallee 10/11 (bei schlechtem Wetter im Haus): Vortrag und Diskussion "Den Kopf entlasten - Kritik anti-emanzipatorischer Positionen in politischen Bewegungen"

Laufend: Vorträge zu den Gentechnik-Seilschaften in Deutschland

Ca. einmal im Monat findet in einer Region eine Veranstaltungswoche mit der Ton-Bilder-Schau "Monsanto auf Deutsch - Seilschaften zwischen Behörden, Forschung und Gentechnikkonzernen" statt. Die nächsten Termine:

  • Montag, 16.4. um 19 Uhr in Schwarzenberg (im GRÜNEN-Bürgerbüro, Schwarzenberg, Markt 14)
  • Dienstag, 17.4. um 19 Uhr in Limbach-Oberfrohna (Gasthof Rußdorf/Sittner, Waldenburger Straße 150)
  • Freitag, 20.4. um 20 Uhr in Schöningen (Herzoginnensaal im Schloss)
  • Samstag, 5.5. um 20 Uhr in der Bar der ver.di Bildungsstätte "Haus Naumburg" (Unter den Linden 28-30, 34311 Naumburg)
  • Sonntag, 3.6. auf dem Bienenfest der Schlossimkerei Tonndorf (südlich Erfurt/Weimar)

Weitere Termine rund um das Thema

  • Freitag, 27. April, ab 8.30 Uhr in der Messe Köln-Deutz (Eingang Nord, Messehalle 7, Deutz-Mülheimer-Straße 111): BAYER-Hauptversammlung mit Gegenreden, -anträgen und (hoffentlich) -aktionen
  • Zum Umgang mit den Folgen bei direkten Aktionen:
    27.4. bis 1.5. in der Projektwerkstatt Saasen: Gerichtete Gerichte und jubelnde Justiz? ++ Flyer
    Austausch-Treffen zu Erfahrungen vor Gericht und hinter dessen Kulissen. Eingeladen sind alle Menschen mit Gerichtserfahrungen, die ihre Ideen und Wissen weitergeben sowie von Anderen Tricks, Kniffe und Probleme erfahren wollen. Gestaltet als Open Space, eingeladen vom Laienverteidigungsnetzwerk!
  • 5. bis 28. Mai rund um den größten Schlachthof Europas in Wietze bei Celle: Critical Mast Fahrradtour! Protest gegen Tierhaltung und Agrarindustrie ... mit Aktionstrainings und Workshops zu Umweltthemen und mehr

Symbolische „Rote Karte“? Das InnoPlanta-Forum 2012

Jeden ersten Montag/Dienstag im September lädt der Lobbyverband InnoPlanta zum größten Gentechnik-Seilschaftentreffen nach Üplingen ein – in den vom der SBK als „dörfliche Begegnungsstätte“ erbauten Raum. Jedes Jahr gab es schon Aktionen, aber bisher fehlte immer eine ausreichende Menge, um mehr zu sein, als eine lautstarke Störung (siehe Berichte 2010 und 2011). Es wäre aber mal ein beeindruckender symbolischer Akt, wenn denen, die ihr Profitinteresse und ihren Fördermittelbetrug weiter durchziehen, deutlich die "Rote Karte" gezeigt wird: Ihr könnt nach Hause gehen! Es haben sich schon deutlich über 100 InteressentInnen eingetragen für diesen Tag - und das sollten noch mehr werden: Mit Fahrgemeinschaften, Bussen oder Zügen kann es dann vor Ort gehen - und Üplingen hat nur eine einzige Straße. Da müssen alle GentechniklobbyistInnen und Firmenleute durch! Voraussichtlicher Termin also: 3./4.9. - aber das legt die andere Seite fest ... Wer Interesse anmelden und weitere Infos in der Vorbereitungsphase haben will, kann sich auf diesem Formular zurückmelden.

 

Mehr Infos

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Die Mischung aus Militanz, direkten Aktionen, kreativer Öffentlichkeitsarbeit und Bohren in den Institutionen hat in Mecklenburg-Vorpommern offenbar die Chance eröffnet, tatsächlich zu "gewinnen": Am 14.4.2012 erschien als Leitartikel auf der Titelseite der Ostseezeitung, und damit der wichtigsten Tageszeitung in und um Rostock, ein Artikel mit dem Titel: "Filz und Mauschelei in der Gentechnik?" (siehe Ostseezeitung vom 14.4.2012). Darin stand klip und klar: "Schmidt gab auf OZ-Anfrage zu: "Die Grüne Gentechnik im MV ist tot." Gemeinsam mit Broer baut sie zurzeit in Sachsen-Anhalt einen neuen BioPartk auf ... Absetzbewegung ..."
Filz und Mauschelei werden sich also nun auf Üplingen konzentrieren - es sei denn, der Widerstand in der Börde macht es auch hier endlich unmöglich ...