Der diesjährige 1. Mai in Berlin

1st_may

Die schlechte Nachricht zuerst: Kreuzberg wird dieses Jahr Weißer! Das liegt u.a. an dem auf indymedia und facebook angekündigten Stand von dem sogenannten „Kreuzberger Soli-Komitee für Israel“. An vielen Stellen wurde schon auf die problematische Rolle des Myfests hingewiesen. Das MyFest ist Teil der Befriedungspolitik für Kreuzberg am 1. Mai, mitorganisiert und mitfinanziert durch die Polizei und dem Senat. Eine Zusammenfassung und Kritik daran gibt es hier: Myfest in Kreuzberg abgesagt

 

Die oft formulierte Kritik beinhaltet auch den Vorwurf, dass der Arbeiterkampftag zu einer Kommerzveranstaltung verkommt.

Nun hat der Stand des KSKI politische Inhalte. Aber um welche Inhalte handelt es sich dabei?

Schauen wir uns die Argumentation näher an.

 

Missbrauch des Begriffs der Internationalen Solidarität und des antifaschistischen Selbstverständnisses

 

Immer wieder wird eine Lanze für das „Existenzrecht Israels“ gebrochen. Dieser Begriff löst viel Unverständnis aus.

 

Zunächst widerspricht es jeglicher anti-autoritärer Logik einem Nationalstaat ein Existenzrecht zuzusprechen. Auch völkerrechtlich gibt es so etwas wie das Existenzrecht irgendeines Staates nicht, allenfalls das Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Das Existenzrecht Israels wird zudem immer dann bedient, wenn es gilt, Kriege und Besatzung in den besetzten palästinensischen Gebieten, Libanon, Syrien, Jordanien, Ägypten – also sämtlichen angrenzenden Ländern – zu rechtfertigen. Andere Kriegsmächte, u.a. die USA und Länder der EU, nutzen diese Rhetorik auch um (Neo-)Kolonialismus und Kriege zu begründen: Es geht vordergründig nicht nur um den Export von Demokratie und „westlichen“ Werten (als gäbe es in den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens gar keine demokratische Kultur), sondern immer auch um die Verteidigung des Existenzrechts Israels.

 

 

Das Existenzrecht Israels bedeutet nichts anderes als die Existenz einer militaristischen und (neo-)kolonialistischen Politik im Nahen und Mittleren Osten. Das Existenzrecht Israels bedeutet für die Menschen der gesamten Region Krieg und Besatzung, verursacht(e) mehrere Millionen palästinensische und libanesische Flüchtlinge, Landraub und alle Auswirkungen, die Kolonialismus mit sich bringen: die politische und soziale Beherrschung der indigenen Bevölkerung durch ihre rassistische Diskriminierung, die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft und der Ressourcen ihres Landes.

Denn Zionismus – die ideologische Basis für das Existenzrecht Israels – ist nichts anderes, als eine siedlerkolonialistische Bewegung europäischer Jüd_innen, geboren im nationalistischen Zeitgeist des 19. Jahrhunderts.

Die oft zitierte „historische Notwendigkeit“ Israels, die auf die unbestrittene Notwendigkeit des Schutzes und der Verteidigung der jüdischen Bevölkerung vor Antisemitismus anspielt, der aufgrund des Holocausts neue Dimensionen erhielt, hat im Grunde genommen wenig mit dem Holocaust zu tun, hat allenfalls an Aktualität gewonnen.

Auf ahistorische Art und Weise wird versucht die Staatsgründung Israels als die einzige Möglichkeit zu sehen, Schutz für die Jüd_innen vor Antisemitismus zu bieten.

 

Um es nochmal klarer auszudrücken: es gibt keine politische, historische oder rechtliche Grundlage für das Existenzrecht Israels. Jede politische Gruppierung die meint, sie könne durch die Verteidigung des Existenzrecht Israels auch ihre Solidarität mit Jüd_innen ausdrücken, liegt falsch, denn sie verteidigen nichts anderes als eine politische Ideologie, die Krieg und Kolonialismus bedeutet. Wer Solidarität mit Jüd_innen ausdrücken will, kann sich doch genauso gut mit antizionistischen Jüd_innen solidarisieren, die ebenfalls von Antisemitismus betroffen sind. Eine Einordnung in das zionistische Lager bedeutet nicht Solidarität mit von Antisemitismus Betroffenen.

 

Damit erledigt sich auch die geheuchelte Sorge, die Menschen in Israel wollen doch auch nur in Frieden und Sicherheit leben, werden aber permanent von Terrorgruppen bombardiert.

Wer will denn nicht in Frieden und Sicherheit leben? Frieden und Sicherheit sind aber nur leere Worthülsen, wenn sie von Zionist_innen so gelesen werden, dass sie nur durch die Unterwerfung der indigenen Bevölkerung und die Etablierung eines Apartheid-Systems verwirklicht werden können.

 

Auch die unreflektierte Verwendung bestimmter Terminologien des KSKI verursacht Unverständnis.

Nicht nur, dass der Begriff des „Terrors“ immer ein ideologisch gefärbter Begriff war, und für sicherheitspolitische Zwecke missbraucht wird. Das kennen nicht nur Linke allzu gut.

Nein, auch wird völlig an der Realität vorbei argumentiert, wenn die Rede davon ist, Israel wird fast täglich bombardiert. Wenn wir davon ausgehen, dass wir alle zwar Antimilitarist_innen sind, jedoch keine Pazifist_innen, und Militanz ein legitimes Mittel der Politik ist, dann ist der Widerstand gegen Krieg und Besatzung ebenfalls legitim, ja selbst völkerrechtlich so erlaubt. Und auch wenn Linke niemals Menschenleben gegen Menschenleben aufwiegen sollten, sollten wir doch einen Blick auf die völlige Unverhältnismäßigkeit israelischer Kriegs- und Besatzungspolitik wagen, während durch sogenannte Kassam-Raketen nur selten Menschenleben gefährdet werden.

 

Reiht sich nun der KSKI in dieselbe Riege ein, wie militaristische und (neo-)kolonialistische Kräfte in den USA, EU und Israel?

Wenn ja, was hat diese Politik am 1.Mai in Berlin-Kreuzberg zu suchen?

Diskutiert wird u.a., es handele sich bei dem KSKI Stand um eine Provokation. Der Vorwurf einer bloßen Provo-Aktion verharmlost aber die gezielte Verbreitung einer reaktionären Ideologie. Es ist auch gut möglich, dass das KSKI auf Reaktionen einiger Kreuzberger_innen hofft, die sich später instrumentalisieren lassen können. Ist es denn so unverständlich, dass Kreuzberger_innen mit „nahöstlichen“ Background mit Wut und Intoleranz reagieren werden? Wie ein Kommentar auf indymedia formuliert: „wenn nicht, dann viel spaß bei eurem versuch, menschen die aus den besetzten gebieten stammen oder deren angehörigen von denen der ein oder andere verschleppt oder ermordet wurde bzw unter 60 jahren nakba zu leiden hat mit eurem stand einen arschtritt zu verpassen“.

 

Es wäre leider nicht das erste Mal, dass pro-zionistische „Linke“ auch gerne mal mit Rassist_innen Hand in Hand gehen, und islamophobe und neokonservative Politik betreiben. Oben erwähnte Reaktionen ließen sich für diese rassistische Politik gut vermarkten; „antisemitische Muslime/Türken/Araber greifen Israelsolidarische an“ - könnte die perfekte Schlagzeile sein.

 

 

Vor diesem Hintergrund muss man sich fragen, ob es gut ist, dass die revolutionäre 1.Mai Demo dieses Jahr entgegen der Tradition nicht in Kreuzberg stattfindet.

Man könnte meinen, dass man gerade wegen dieser fragwürdigen Ankündigung des KSKI es besser wäre, wenn man Kreuzberg nicht den Israelfans überlässt, sondern den revolutionären Anspruch und Charakter in Kreuzberg verteidigt.

 

Die Entscheidung, nach Mitte zu demonstrieren ist aber trotzdem zu unterstützen, und sollte nicht ausschließlich aufgrund des Stands der KSKI gekippt werden.

 

Seit Jahren diskutiert die Berliner Linke, warum gerade in Kreuzberg (militant) demonstriert werden muss, liegen doch die Zentren der Macht in anderen Stadtteilen. Zwar ist inzwischen die Gentrifizierung auch in Kreuzberg angekommen, und so finden sich auch hier die ein oder andere Fensterscheibe, die niemand vermissen würde.

Jedoch sollte man die Demonstration nach Mitte als Versuch begrüßen, die jahrelange Debatte um die Demo-Route dingfest zu machen. Ein Versuch ist es wert, zumal ein Bruch mit Traditionen nicht das schlechteste sein kann.

 

Die unsolidarische und kontraproduktive Kritik eines auf indymedia erschienen Artikel einiger „Autonomer“, die u.a. beklagen, sie hätten in Mitte nicht genug Rückzugsraum nach Aktionen erscheint etwas lächerlich wenn man die Aufzählung der „erfolgreichen“ Aktionen der letzten Jahre liest. Einige Angriffe auf Polizist_innen hier und da, ein paar Farbeier auf Gebäude. http://de.indymedia.org/2012/03/327562.shtml

Nicht, dass das militante Potenzial in Mitte automatisch höher sein wird, aber erfolgreiche militante Aktionen am 1.Mai sehen anders aus.

Warum nicht mal eine militante Mobilisierung zum 1. Mai? Dann muss das nicht auf die Demo begrenzt werden. Es wird ohnehin diskutiert, ob die Demos noch der richtige Ort für militante Aktionen sind. Nicht nur die Angst vor polizeilicher Repression ist größer geworden, sondern auch die Gefahr, andere (Nicht-)Beteiligte zu verletzen. Vor diesem Hintergrund erscheint es auch problematisch, wenn die Demo-Route nach Mitte so kritisiert wird, dass kein „Schutz“ in der Menschenmenge mehr gesucht werden kann. Ironischerweise stellt das zu Recht kritisierte MyFest also nun die schützende Masse.

 

Bei der 1.Mai Demo kann es doch nicht nur darum gehen, ein paar Polizist_innen Angst einzujagen. Trotzdem geht es in dem oben erwähnten indy-Artikel um taktische Überlegungen, welche Ecke in Kreuzberg sich besser eignet, als Mitte.

Die 1.Mai Demo kann mit vielen politischen Inhalten gefüllt werden. Diese Möglichkeit sollten wir wahrnehmen!

Der 1.Mai eignet sich auch dazu, viele verschiedene Aktionen und Spontis zu machen. Erinnert sei an die Sponti im letzten Jahr, die unangemeldet am Mariannenplatz stattfand.

Das Potenzial spontaner Demos und Aktionen wird ins lächerliche gezogen, wenn einige meinen, sie können nur unter der Organisation der ARAB etc. demonstrieren. Darunter lässt sich autonome Praxis nicht subsumieren!

Der 1.Mai ist 24 Stunden lang – alles ist möglich!

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Sollte das mit dem "I love Israel" - Stand, denn nichts anderes ist dieser Stand (siehe "I love Israel" im Web) , stimmen, wäre dies ein Novum auf dem Mariannenplatz - Fest (es gibt einen kleinen aber feinen Unterschied zum Myfest). Alle diese Stände waren bis dato Propaganda - Stände für die IDF, die rechte Regierung und Orte des Kriegsgetrommel gegen den Iran. Hat also mit dem eigentlichen Sinn des alten Mariannenplatz - Festes so garnichts zu tun.

 

Deshalb sollten sich all die linken (es gibt auch weniger Linke) Gruppen des Mariannenplatz - Festes äußern, ob sie sich mit einem Ballyhoo zum Krieg gegen den Iran (und Syrien) umgeben wollen.

 

Ist dieser Stand Teil des My - Festes, passt er genau in die strategie eben dieses Festes hinein.

Wow, da hat jemand auf Indymedia gepostet und ein Facebookevent gestartet. Na dann muss ja es stimmen! Gebt mir 10 Minuten, dann gibt es das gleiche für die UFO-Sekte, Scientology und Büso gratis obendrein.

 

Wie verbort muss man denn mittlerweile sein, dass so etwas auch noch als erstes in einem Artikel steht, ganz so, als würde die NPD persönlich aufmarschieren.

der artikel fasst einiges gut zusammen.

nachdem gerd albartus ermordet wurde war die distanz zu den vorgängen in palästina unvermeidlich, das sollte erwähnt werden.

dahingehend würde ich die entwicklung radikale linke/antideutsch verstehen wollen, dass die rückbesinnung auf die kritik des antisemitismus in die zeit der "wiedervereinigung" fällt und zugleich die internationale solidarität vor das problem gestellt wurde sich dazu zu verhalten dass manch emanzipatorischer ansatz hierzulande anderswo nicht nur nicht vorausgesetzt werden kann sondern eben auch schmerzlich erfahrbar unterdrückt wird. und das es eben kein zufall ist dass die antiimperialistische haltung tolerant gegenüber völkischen bestrebungen ist sondern inhaltlich auf leninismus fußt. nichtsdestotrotz geht da anscheinend wirklich einiges schief bei der jugendarbeit, ist der vorwurf der identitären politik (gerade der sich anti-politsch gebenden) eine sache die das ganze wirklich ad absurdum führt weil er stellenweise offensichtlich zutrifft. somit greift auch dort dann der mechanismus des sammelns um sich, um eine gesellschaftliche relevanz zu halluzinieren bzw. zumindest die stärke zu haben sich innerhalb der radikalen linken eigene positionen nicht nehmen lassen zu müssen. dennoch müssen diese konflikte ausgetragen werden, eine inhaltliche bestimmung stattfinden. wobei die (androhung von) gewalt aber doch tatsächlich immer wieder vom antiimperialistischen lager ausgeht und damit einen solidarischen umgang miteinander verunmöglicht. die polarisierung welche stattfindet ist das eigentliche übel. selbstzerfleischung KANN einen revolutionären lernprozeß begünstigen, aber doch nur wenn die inhaltlichkeit nicht über die inhalte selber hinausgeht. die bereitschaft daraus zu lernen ist jeweils zu gering um nicht irgendwann der ständigen rechthaberei überdrüssig zu werden. polemik ist eine waffe die geübt sein will und wie sie vom antideutschen lager an die hand gegeben wird verkommen die anvisierten ziele schnell zur selbstbehauptung, und wenn dann einmal der gegenpart fehlt ist gähnende leere alles was bleibt, dann sucht man ihn eben um ihn zu finden. man muß sich schon die frage stellen ,wenn man sich anschaut was aus früheren leuten der 70er jahre wurde (außen/innen/umweltminister) was wohl aus den heute jüngeren werden wird: sind die dann völlig und total kriegswillig von auschwitz befreit? dass das ganze nach hinten loszugehen droht sollte nicht verschwiegen werden. avantgarde ist nicht elite.

Irgendwie erinnert das voll an die Schwachsinns - Diskussion der Anfang 80er von "Friedens- und Kriegsatomraketen", wahlweise Cruise Misseles, Pershing oder SS20. Heute 200 "Friedensatomraketen" made by Israel und ??? "Kriegsatomraketen" by Iran. Welch ein flachgeistiger Unsinn!

Ignoriert die Trolle und ihren nationalen Popanz, für einen kämpferischen 1.Mai 2012

http://www.youtube.com/watch?v=V5ykPbQ9hik

"Auch völkerrechtlich gibt es so etwas wie das Existenzrecht irgendeines Staates nicht, allenfalls das Selbstbestimmungsrecht der Völker."

 

made my day! xD