Grün-rote Landesregierung bricht Wahlversprechen - Baden-Württemberg hält an Experimenten mit Primaten fest

Dr. Cornelie Jäger

Die erste Landesbeauftragte für Tierschutz in Baden-Württemberg ist eine Tübingerin, Dr. Cornelie Jäger. Sie wird ihr Amt am 1. April antreten. Der Ministerrat habe der Besetzung des Postens mit Cornelie Jäger zugestimmt, teilte Verbraucher- und Tierschutzminister Alexander Bonde (Grüne) am Sonntag mit. Damit werde ein bedeutendes Anliegen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt: "Mit dem Amt schafft die Landesregierung eine funktionsfähige sowie nachhaltige Einrichtung für die Belange des Tierschutzes". Die Tierschutzbeauftragte soll in Zukunft, so das Ministerium, "eine wichtige Ansprechpartnerin für Tierschutzverbände und -vereine sowie für Organisationen und Einrichtungen, die sich mit dem Tierschutz und der Tierhaltung beschäftigen", sein. - Diese können sich gleich einmal mit der Frage an sie wenden, weshalb die Regierung, von der sie gestern als neue Tierschutzbeauftragte eingesetzt worden ist, ihre Wahlversprechen bricht und die Primatenversuche in Tübingen nicht beendet.

 

Vor fast genau einem Jahr ist in Baden-Württemberg der neue Landtag gewählt worden. Bündnis 90/Die Grünen, die seither Regierungspartei sind, hatten in ihrem Wahlprogramm auch Tierrechte als Leitidee verankert. Grundsätzlich wurde ein respektvoller und ethisch verantwortbarer Umgang mit Tieren gefordert. In Bezug auf Tierversuche forderte die Partei: Wo immer möglich eine Abschaffung und den Einsatz alternativer Methoden; die Versuche an Primaten, die an drei Instituten in Tübingen durchgeführt werden, sollten innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens ganz beendet werden. Auch die SPD hatte wichtige Ziele zur Stärkung der tierversuchsfreien Forschung in ihrem Wahlprogramm festgeschrieben. Im Koalitionsvertrag der beiden Parteien heißt es: „Wir wollen die Zahl der Tierversuche im Land weiter verringern und die Entwicklung von Alternativmethoden besser fördern.“

Von einer „weiteren“ Verringerung konnte allerdings gar nicht die Rede sein. Die Zahl der Tierversuche ist seit dem Jahr 2000 in Deutschland um 56 Prozent gestiegen – und Baden Württemberg ist führend: Dort werden rund 20 Prozent aller deutschen Versuchstiere „verbraucht“.

Nun ist klar: Das Bundesland hält auch an den Tübinger Tierversuchen mit Primaten fest – wie die bundesweite Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche e.V. vermutet, in erster Linie aus elitären Interessen: Die Regierungsparteien wollten die Bestrebungen der Universität im Rahmen der Exzellenzinitiative nicht gefährden. An deren Medizinischer Fakultät ist eines von bundesweit 20 Exzellenzclustern etabliert, das Zentrum für Integrative Neurowissenschaften (CIN), das von internen und externen Partnern getragen wird, u.a. vom Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik und vom Hertie-Institut für Klinische Hirnforschung – jenen Instituten, an welchen die Affenversuche durchgeführt werden, die Kritiker für sinnlos halten. - Auf der Website des CIN wird die „Grundlagenforschung mit nichthumanen Primaten“ verteidigt; zwar wird zugegeben: „Grundlagenforschung beschäftigt sich mit Phänomenen und Fragestellungen, für die es bislang keine Erklärungen gibt, daher ist ihre spätere Anwendung nicht planbar“ – dennoch stellen laut CIN „die Experimente mit Rhesusaffen, einen wichtigen Pfeiler der biomedizinischen Forschung dar.“

 

Die Affen werden durch Durst gezwungen, stundenlang mit angeschraubtem Kopf Aufgaben am Bildschirm zu erfüllen. Über ein Bohrloch im Schädel werden dabei Elektroden ins Gehirn eingeführt. Der Tierarzt für Versuchstierkunde Dr. Franz Gruber kam beim Betrachten von Videoaufnahmen, die das ZDF von den Versuchen gemacht hatte, zu dem Schluss, schon alleine das Fixieren im sog. „Primatenstuhl“ bedeute für einen Laboraffen erhebliches Leid: „Ich weiß es von Versuchspersonen, denen man den Kopf festgeschraubt hat, die haben alle nach 20 Minuten gesagt: Ich will hier raus!“ Nach ihrer Kopfoperation sind die Affen in den Tübinger Instituten 14 Tage lang Tag und Nacht derart fixiert.

Prof. Nikos Logothetis, Direktor des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik, rechtfertigte gegenüber dem ZDF-Magazin „Frontal 21“ die Gewalt, mit der die Affen zur Teilnahme an den Versuchen gezwungen werden, mit der Aussage, „wir“ würden ja auch gegenüber Heimtieren und Kindern Zwang ausüben. „Frontal 21“ kam zu dem Schluss: „Es geht um viel Geld, wissenschaftliches Prestige und Karrieren. Für die Affen und all die anderen Tiere um ein ganzes Leben unter Qualen – für die zweckfreie Forschung!“

 

Vor drei Jahren hat die Antispeziesistische Aktion Tübingen in Kooperation mit Ärzte gegen Tierversuche e.V. eine Kampagne gegen die Primatenversuche initiiert. 2009 und 2010 wurden jeweils Großdemonstrationen in Tübingen zum Thema veranstaltet. Am 18. Oktober 2011 übergab die Ärztevereinigung dem Stuttgarter Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz stellvertretend für alle Unterstützer der Kampagne gegen die Affenversuche 60.000 Unterschriften, verbunden mit der Aufforderung, dem Beispiel anderer Bundesländer zu folgen und der Hirnforschung an Affen in Baden-Württemberg die rote Karte zu zeigen. Reinhold Pix, tierschutzpolitischer Sprecher der grünen Regierungspartei, war bei der Übergabe der Unterschriften zugegen gewesen und meinte: „In unserem Wahlprogramm hatten wir uns klar zu einem Ende der Affenversuche innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens ausgesprochen sowie möglichst für eine Abschaffung der Tierversuche generell, zumindest aber eine jährliche Reduzierung um zehn Prozent. Unseren Bürgern und Wählern gegenüber sind wir hierzu nun verpflichtet und müssen diesen Regierungsauftrag umgehend erfüllen.“

Inzwischen aber wollen die Regierungsparteien davon nichts mehr wissen. Es ist sogar eine Ausweitung der Forschung zu befürchten, da derzeit an der Universität Tübingen die Räumlichkeiten für die Haltung von Affen ausgebaut werden. Diplom-Biologin Silke Bitz, Sprecherin von Ärzte gegen Tierversuche e.V., urteilt deshalb nun: „Offensichtlich beugt sich die Landesregierung lieber der mächtigen Experimentatorenlobby, anstatt sich ihren selbst gesetzten Zielen zu widmen. Ein trauriges Bild, das die Politik abgibt, der Wähler nicht zuletzt aufgrund des Vorhabens, Affenversuche auslaufen zu lassen, ihr Vertrauen geschenkt haben.“

 

ANTISPEZIESISTISCHE AKTION TÜBINGEN

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

weiss wer ob in baden würtemberg sonst noch wo "tiere" getestet werden????

BW ist "führend", was Tierversuche angeht:

http://www.taz.de/Das-Laenderranking-der-Tierversuche/!87273/

Es gibt eine Datenbank Tierversuche der Ärzte gegen Tierversuche e. V., aus der hervorgeht, dass zum Beispiel auch in Heidelberg und Freiburg Hochburgen sind.