Pforzheims brauner Sumpf

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Seit ein paar Jahren hat sich in Pforzheim eine fast schon rührende Tradition eingebürgert: Am Jahrestag der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg veranstalten Neonazis oben auf dem Wartberg eine Mahnwache mit Fackeln. Dies versuchen regelmäßig mehrere hundert Gegendemonstranten unten im Tale zu verhindern. Dazwischen stehen einige Hundertschaften Polizei und halten beide Seiten getrennt. Dieses Jahr hat sich der Ablauf der Dinge ein kleines bißchen geändert: Die Linken kamen nicht.

 

Gründe hierfür könnten sein, dass die Pforzheimer es ihren linken Chaoten schon immer etwas schwerer gemacht haben. So durften diese in den letzten Jahren Anmeldegebühren im dreistelligen Bereich bezahlen, um Gegendemonstrationen anzumelden, antifaschistische Gruppen wurden von Staatsschutz-Beamten besucht, Treffen und Informationsveranstaltungen aus städtischen Räumlichkeiten verbannt, linke Konzerte verboten. Das alles in einer Stadt, in der in den 1990ern noch die Republikaner im Stadtrat saßen. Deren langjähriger CDU-Kreisvorsitzender Stefan Mappus 2001 eine Ausstellung über Neo-Faschismus in Deutschland aus Räumen der Stadt werfen ließ und der im Zuge der Oettinger-Filbinger-Affäre sich vom zuständigen Landgericht, das seinen Antrag auf eine einstweilige Verfügung abschmetterte, indirekt bescheinigen lassen musste, dass er am rechten Rand fische. In der gerade wieder ein Skandälchen köchelt, nämlich um den Präsidenten der Aktionsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden-Württemberg, der den von den Nazis ermordeten Dietrich Bonhoeffer als “Landesverräter” bezeichnete.

Macht eujern Dreck alleene, mögen sich da wohl die Pforzheimer Linken gedacht haben, bloß um eure Freiheit mit zu verteidigen, stehen wir uns nicht die Beine in den Bauch, lassen uns nicht von alten Damen anspucken, vom Staatsschutz ausspitzeln und von Polizisten rumschubsen. Wenn euch das heimelig-braune Klima in eurer Stadt - in einem Loch, das verzweifelt versucht, seine Einkaufspassagen und Fussgängerzonen zu beleben, dafür aber ein Jugendzentrum nach dem anderen schließt - so gut gefällt: Bitte.

Somit dürfte Pforzheim die einzige Stadt im Bundesgebiet sein, in der es bei einem Neonaziaufmarsch keine Gegendemonstration gibt. Das alles zehn Tage, nachdem in Dresden 12.000 Bürger Flagge gegen Rechts gezeigt haben. Allein eine Gruppe hat sich dem allgemeinen Demo-Boykott nicht angeschlossen: Eine Handvoll DGBler verteilt in der Innenstadt Flugblätter gegen Nazis. Dass diese wohl als Steinewerfer und Chaoten höchst unverdächtigen, rot statt schwarz gewandeten Zeitgenossen (die sich sogar fasnachtlich passend mit bunten Perücken ausstatteten) trotzdem von Passanten angepöbelt werden, wirft ein bezeichnendes Licht auf die Stadt.

Pforzheims Probleme sind derweil anderer Natur. Beim Fasching hat “eine betrunkene Frau” den ordnungsgemäßen Ablauf des Fasnachtsumzugs verhindert. Zitat Pforzheimer Zeitung: “Oberhexenmeister Thomas Häffelin bezeichnete es als „Schweinerei“, dass unvernüftige Zuschauer anderen die Faschingsfreude getrübt hätten.”

Schön, dass nichts anderes dem Pforzheimer seine Heiterkeit trübt.

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Abgesehen davon, dass in dem Artikel falsche Informationen dargelegt werden - die Pepublikaner stellen immernoch 5% der Stadträte - vertritt er auch total schepse Positionen. Es wird kurz angeschnitten, was am 23. Februar diesen Jahres geschah (nichts) um dann darauf zu sprechen zu kommen was an der Stadt Pforzheim doof ist (alles).

Die getroffenen Feststellungen sind weder falsch noch neu mein Problem ist einfach, dass hier niemand auf den Gedanken kommt einmal zu hinterfrage warum es nicht gelingt am 23. Februar Erfolge zu verbuchen. Seit Jahren gab es kleinere und größere Interventionen rund um dieses Datum aber eine Entwicklung beispielsweise in Form einer Proffesionalisierung hat nicht stattgefunden. Stattdessen macht man dieses Jahr einfach: nichts. Ich weiss wirklich nicht warum. Alle in dem Artikel aufgeführten Begründungen sind derartig albern, dass ich sie wirklich nicht der pforzheimer Linken unterstellen möchte.

Ich finde durchaus, dass Alerta, Resistance, Solid, BKA und wie sie alle heissen einmal darlegen sollten, warum Sie keine Proteste gegen einen der größten und wichtigsten Nazievents in BaWü organisiert haben, ich hoffe da kommt mehr als "in Pforzheim geht an Fasching eh nichts"

ich persönich sehe die Handlungsweise der linkspolitischen Gruppen für Richtig, da die Stadt Pforzheim jeden antifaschistischen Protest bis auf´s kleinste unterdrückt hat und aus meiner Sicht die Bewohner Pforzheims nach dieser jahrelangen Depate begreifen sollten, dass nicht nur die Antifas sondern auch die Bürger sich klar gegen die Nazis positionieren sollten. Die "Nicht" Proteste sehe ich eher als ein Mittel, um die Stadt wach zu rütteln und zu hoffen, dass sie einsieht, keine Nazis in der Stadt haben zu wollen. Ob sie dies tut, ist noch mal was anderes.

Ich kann nur hoffen, dass die Stadt Pforzheim sich für nächstes Jahr was einfallen lässt, denn so kann es einfach nicht weiter gehen. Auch nicht aus bürgerlicher Sicht.

 

Wie traurig, dass hier versucht wird ein Totalausfall nachträglich als Boykott zu verkaufen. Antifaschismus darf niemals von der Nettigkeit von Staat und Bevölkerung abhängen. Wir AntifaschistInnen gehen auf die Straße, weil freilaufende Nazis verdammt gefährlich sind und das keine Normalität sein darf. Im Umfeld von Nazi-Ansammlungen kommt es fast schon automatisch immer wieder zu Übergriffen. Wenn die örtliche Antifa ihren Boykott durchzieht, dann können Nazis sich unbehindert bewegen und beispielsweise Menschen mit Migrationshintergrund angreifen.

Dass das Konzept „Nazis wegignorieren“ sinnfrei und nutzlos ist, müssen aktive Antifas immer wieder gegenüber Verwandtschaft, Bekanntschaft und den Normal-Bürgern betonen. Nun hat es eine linke Gruppe auch noch zum Prinzip erhoben.

Es muss uns vollkommen egal sein, wie oft wir angespuckt und bespitzelt werden. Antifa heißt nun einmal auch gegen den Strom zu schwimmen.

Im Übrigen lebt ein Boykott von seinen negativen Auswirkungen. Was kümmert es denn bitte die Stadt, wenn Linke nicht auftauchen? Die freut sich nur, weil es sie weniger kostet.

Der obenstehende Artikel erschien vor ein paar Tagen in meinem Blog und war nicht als News für Indymedia gedacht, sondern sollte die Pforzheimer Verhältnisse auch anderen Leuten vermitteln, die sie nicht schon von Indymedia her kennen. Ihn hierher zu stellen war nicht meine Idee, ich bin auch nur durch die Referer-Angaben von Wordpress darauf aufmerksam geworden, dass er hier und auf einer Ludwigsburger Seite veröffentlicht wurde. Ich habe aber nichts dagegen, dass er hier steht, wenn er eine solche Diskussion anzustoßen geholfen hat (wobei klar sein sollte, dass es ein Blogeintrag und kein Bericht oder eine Pressenotiz ist).


Den obenstehenden Beiträgen will ich gar nicht widersprechen, eher einiges hinzufügen. Dass auf eine Gegendemonstration in Pforzheim verzichtet wurde, kann ich als früherer Pforzheimer gut nachvollziehen: Mitunter muss in Aktivistenkreisen in den letzten Jahren das Gefühl aufgekommen sein, dass die üblichen Aktionen nicht wirklich etwas gebracht haben. Eine vernünftige Pressearbeit, die die Geschehnisse außerhalb Pforzheims bekannt gemacht hätte, selbst eine Pressemitteilung an die PZ mit einer Stellungnahme verschiedener Gruppen hat leider gefehlt - ansonsten hätte der offen propagierte Verzicht auf die Demonstration durchaus Sinn gemacht.

 

Leider scheint der antifaschistische Widerstand am 23. Februar in Pforzheim in einer Sackgasse angekommen zu sein - über geschwenkte britische Fahnen und die Richtigkeit der Parole "Bomber Harris did the right thing" lässt sich wohl an anderer Stelle streiten, aber auf jeden Fall hat die Stoßrichtung der letzten Jahre weg von den aktuellen Neonazis, hin zu einer Debatte über die "Richtigkeit" der Bombardierung Pforzheims den Dialog mit Stadt und verschiedenen früheren Bündnispartnern wie den Gewerkschaften, der SPD, den Grünen und dem Bündnis gegen Rechts (BgR) zerbrechen lassen. Natürlich hängt dies auch mit einer oft bemängelten revisionistischen Stimmung in Pforzheim zusammen, die soweit geht, dass selbst Veranstaltungen der Gewerkschaften und des BgR oft die Neonazis auf dem Wartberg komplett unter den Tisch fallen lassen und sich inhaltlich dann oft nur noch um das Gedenken an die Bombardierung drehen. Für die Pforzheimer Gruppen bedeutet das aberr, dass sie im Moment ziemlich allein dastehen und von allen Seiten Schelte kassieren. Ein Satz wie "Antifaschismus ist nun mal keine Wohlfühl-Veranstaltung" suggeriert, dass man auf dem richtigen Weg ist und sich nur etwas mehr anstrengen müsste/nicht so wehleidig sein sollte, damit das mit dem Widerstand wieder hinhaut. Vielleicht müssen in Pforzheim aber wirklich neue Mittel und Wege gefunden werden, damit wieder ein breites Bündnis gegen Rechts entstehen kann, das den Namen auch verdient.