Wer Antisemit ist, bestimmen wir

Erstveröffentlicht: 
01.08.2003

Identitätslogik als Verfahren der denunziatorischen Zuschreibung

Die paradoxe Identität von Kritik und Affirmation, wie sie die „materialistische Aufklärung“ der antideutschen Bürgervernünftler kennzeichnet, muß angesichts der zeitgenössischen realen Krisenprozesse die Kritik ins Nirwana setzen und die Affirmation beinhart machen bis zur Bejubelung der imperialen Militärmaschine. Das bedeutet, daß jedes Anzeichen praktischen Widerstands, das heißt unterschiedslos jede Regung sozialer Bewegung, per se abzuwehren, anzuschwärzen und ideologisch ins Gegenteil zu verkehren ist. Jeder Ansatz realer Kritik soll madig gemacht und seine Träger in Selbstzweifel gestürzt werden. Die Folie dafür liefern die Erscheinungen der Barbarei des Kapitalismus selbst in Vergangenheit und Gegenwart (NS, Islamismus etc.), die vom Kapitalverhältnis wegpräpariert und den sozialen Kritikbewegungen generell untergeschoben werden, als wären diese an sich die Träger der Barbarei gegen das „zivilisatorische“ Kapital. Dieses Vorgehen muß sich zuspitzen, je mehr sich die kapitalistische Weltkrise verschärft und je deutlicher wird, daß in den Grenzen der Aufklärungsvernunft nicht nur keinerlei emanzipatorischer Gedanke mehr gefaßt werden kann, sondern diese „objektive Vernunft“ unter Einschluß ihrer sämtlichen Nationalformen selber die Barbarei ist. In die Enge ihres eigenen Formprinzips getrieben, treten die Aufklärungsvernünftler die militante Flucht nach vorne an, die offiziellen imperialen Ideologen ebenso wie ihre antideutschen Hiwis.

Zwar versuchen diese Hiwis, um in der Linken ein Alibi vorweisen zu können, sich des Begriffs der Kritik schlechthin zu bemächtigen, indem sie ständig wiederholen, daß einzig ihr Denken „wahre“ Radikalität beanspruchen könne. Aber indem sie die angeblich radikale Kritik an die bürgerliche „objektive Vernunft“ gekettet, zum sekundären Moment degradiert, in einen ahistorischen Raum gesetzt und damit entwirklicht haben, während der „Kairos“ ihres immerwährenden „Jetzt“ nichts als die ordinäre Parteinahme für die imperiale Weltpolizei hervorbringt, vermag diese Scheinkritik am Kapitalverhältnis allein ihnen keinen Einfluß zu verschaffen. Was sie gegen den Kapitalismus noch zu sagen haben (und im selben Atemzug schon zurücknehmen) ist offensichtlich vernachlässigenswert. Wirksamkeit kann die antideutsche Ideologie daher nur gewinnen, indem sie die Kraft der Negation pervertiert, also diese mit der Schläue der begriffshubernden Wesensschau gegen die Unzulänglichkeit der realen Kritik kehrt: nicht um diese zulänglich zu machen, sondern um sie von „links“ abwürgen zu helfen.

Die Vorgehensweise, die sich dafür anbietet, ist die Methode der Denunziation. Dabei changieren die antideutschen Hardliner zwischen den beiden verschiedenen Bedeutungen dieses Begriffs. Denunziation ist bekanntlich einerseits der heimtückische Verrat, die Auslieferung von widerständigen Menschen an die herrschende Macht. In der Übertragung dieses Bedeutungsgehalts auf die bürgerliche Öffentlichkeit ist Denunziation das Anschwärzen von unliebsamen Personen, der Rufmord, das „Anhängen“ von so nie begangenen Verfehlungen durch Lügen, Halbwahrheiten und Verdrehungen. Andererseits kann Denunziation auch in einem ganz anderen, emanzipatorischen Sinne verstanden werden, nämlich als das offene Anprangern der repressiven herrschenden Macht, als Denunziation der schlechten Verhältnisse und ihrer Hüter. In dieser von Marx gelegentlich gebrauchten Bedeutung hat Denunziation etwas Befreiendes, schwärzt sie nicht an, sondern sagt, was ist, auch gegen alle bürgerliche „Klugheit“; macht sie die Schmach der Geducktheit und der affirmativen Heuchelei, wie Marx sagte, „noch schmachvoller“, indem sie diese Schmach publiziert.

Der perverse Charakter der antideutschen Agitation besteht gerade darin, daß sie diese beiden Bedeutungen vermengt und in einer Pose, als würde sie im emanzipatorischen, befreienden Sinne schmachvolle Geducktheit denunzieren, gerade jeden Ansatz praktischer Kritik und ebenso jede kritische Theoriebildung denunziert, die von ihrer paradox auf die bürgerliche (Anti)Vernunft zurückgebundenen Version abweicht; und zwar hemmungslos mit genau jener Perfidie, wie sie rufmörderischen und anschwärzenden denunziantischen Agenten der herrschenden Macht zukommt.

Die Voraussetzungen für diese Vorgehensweise sind eben das Unmittelbarkeitsdenken, das Ausblenden von Empirie und Geschichte und der „ideologiekritische“ Reduktionismus, der selber zutiefst ideologisch ist. Erst vor dem Hintergrund dieser reduktiven und deutsch-ideologischen Voraussetzungen, die zum „theoretischen Gewissen“ der gesamten einschlägigen antideutschen und vom antideutschen Denken kontaminierten linken Szene gemacht worden sind, kann sich die denunziatorische Agitation entfalten. Denn erst dieser systematische Ausblendungsmechanismus ermöglicht eine identitätslogische Gleichsetzung von Ungleichnamigem, um in einer auf ahistorische Ideologie reduzierten Welt alles unliebsame Denken außerhalb des eigenen und alle unliebsame, weil heute schnell an die Grenzen der bürgerlichen Vernunft stoßende soziale Bewegung als angeblichen „Antisemitismus“ und „Nationalsozialismus“ identifizieren zu können.

Identitätslogik heißt nichts anderes als das wesentliche Verfahren des Verwertungsprozesses, alle Gegenstände und Beziehungen gleichermaßen negativ identisch zu machen, indem sie unabhängig von ihrer unterschiedlichen Eigenqualität auf gleichnamige Erscheinungsformen der Wertabstraktion reduziert werden. Unter dem Zugriff dieser gesellschaftlichen Realabstraktion verwandeln sich alle Gegenstände in bloße Quantitäten einer einzigen identischen Substanz. A = A heißt in diesem Sinne, daß alles Beliebige immer schon qualitativ gleichermaßen A ist und sein muß, gewissermaßen das Ur-A der Wertform, also nichts als gleich-gültige Materiatur des einen und einzigen substantiellen Wesens Wert. Der destruktive und repressive Charakter dieses unaufhörlichen realabstraktiven Angleichungsprozesses, der die Dinge nach seinem Muster zurechtstutzt ohne Rücksicht auf Verluste, wiederholt sich in der ideellen (ideologischen) Reproduktion dieses Prozesses.

Die antideutsche Ideologie bildet geradezu einen Musterfall dieser Vorgehensweise. Wie das Kapital immer schon jeden „produktiven“ Zugriff unabhängig vom wirklichen Inhalt in die identische Relation der Wertabstraktion setzt (betriebswirtschaftliches Kalkül), und wie auf dem universellen Markt immer schon Äpfel, Hosen und Handgranaten in die identische Form von Wert, Geld und Preis gesetzt werden, so geht der Drang der antideutschen Ideologie dahin, in denunziatorischer Absicht sowohl unterschiedliche Kontexte von Aussagen als auch unterschiedliche Aussagen selbst auf einen identischen, negativen Nenner zu bringen, als scheinbare Allzweckwaffe einer totalen Selbstbehauptung im Distinktionskampf um die Interpretation der kapitalistischen Verhältnisse. Auch hier ist alles identisch „A“, egal ob Attac, Islamismus, Nazis oder „Nürnberger Wertkritik“; in den eigenen Worten der Antideutschen: „...der Nachbar und die Regierung, der Robert Kurz und der Horst Mahler, der Papst und die Imame...“ (Redaktion Bahamas u.a., Gegen die antisemitische Internationale, Aufruf zur antideutschen kommunistischen Konferenz, Juni 2003).

Das identitätslogische Vorgehen als denunziatorisches Zurechnungsverfahren entspricht der kapitalistischen Reproduktionslogik nicht zufällig, denn diese bildet ja, zur „objektiven Vernunft in der Geschichte“ geadelt, den positiven Bedingungsgrund dieses Denkens, das als ideologische Vorwärtsverteidigung des Wertsubjekts in dessen Krise agiert. Den Startschuß für dieses Verfahren gab beim zweiten Golfkrieg 1991 der Publizist Wolfgang Pohrt, als er in der damals zuerst sich linksbellizistisch und proimperial outenden Zeitschrift „Konkret“ folgende, seither von den antideutschen Denunzianten immer wieder neu kolportierte Zuordnung vornahm: „(Wenn) die Autonomen hier nocheinmal unter der Nazi-Parole >Kein Blut für Öl< den Zusammenhang von Militanz und völkischem Bewußtsein demonstrieren - dann vergeht auch mir zur Polemik die Lust...Das Wort vom Linksfaschismus stellt sich als Untertreibung dar, weil man sich die Vorsilbe >Links< sparen kann, und die Regel lautet: Je weiter links einer stand, ein desto engagierterer Nazi ist er nun, alle politischen Gliederungen sind erhalten geblieben, haben aber das Vorzeichen gewechselt, man braucht keine Phantasie mehr, um sich die Antiimpis oder die Autonomen als Volkssturmabteilungen der Hitlerjugend oder als Verbände der Aktion Werwolf vorzustellen“ (Wolfgang Pohrt, Musik in meinen Ohren, in: Konkret 3/1991, S. 14 f.).

Schon diese ursprüngliche Matrix der antideutschen Denunziation trägt alle Züge der falschen identitätslogischen Zuordnung. Die Friedensbewegung wird nicht als Friedensbewegung kritisiert, zum Beispiel wegen ihres bloß moralisierenden Pazifismus, wegen der Elemente eines kulturalistischen Antiamerikanismus, ihrer verkürzten Kapitalismuskritik usw., sondern als unmittelbare Nazi-Bewegung identifiziert und denunziert. Das Mittel dieser identitätslogischen Gleichsetzung ist zum einen natürlich der falsche historische Analogieschluß, wie er überhaupt das Markenzeichen der antideutschen Ideologie geworden ist: Alle Konflikte, egal worum es geht, werden gewaltsam in das Muster des Zweiten Weltkriegs und der Anti-Hitler-Koalition gepreßt. In Wirklichkeit ist natürlich kein einziger der Kriege nach 1945 mit der Konstellation des Zweiten Weltkriegs gleichzusetzen, weil es sich um ganz andere historische und gesellschaftliche Bedingungen handelt.

Zum andern wird ein bestimmtes Merkmal, etwa antiamerikanische Töne, herausgefiltert und fürs Ganze genommen, um die identitätslogische Gleichung scheinbar aufgehen zu lassen: Die Nazis waren antiamerikanisch, die Friedensbewegung ist antiamerikanisch, also ist die Friedensbewegung eine Nazi-Bewegung. Das ist ein klassischer logischer Fehler, ein Fehler im Syllogismus, etwa nach dem Beispiel zahlloser Logik-Lehrbücher: Sokrates ist sterblich, Ochsen sind sterblich, also ist Sokrates ein Ochse. Beliebige einzelne Merkmale können nicht zur Conclusio des Syllogismus kombiniert werden. In Bezug auf den Krieg ist es zum Beispiel ein wesentlicher Unterschied zwischen Nazis und Friedensbewegung, daß letztere eben einem moralischen grundsätzlichen Pazifismus folgt, was man von den Nazis beim besten Willen nicht behaupten konnte.

In gewisser Weise ist es genau das, was die realgesellschaftliche Identitätslogik des Werts macht: Ungleichnamiges gleich setzen nicht nach tatsächlichen qualitativen Eigenschaften, ohne den qualitativen Unterschied zu ignorieren, sondern eine brutale Identifizierung nach einem transzendentalen Wesensbegriff, der die qualitativen Unterschiede willkürlich einebnet. Insofern könnte man die gesellschaftliche Realabstraktion des Werts gewissermaßen als einen weltzerstörenden logischen Fehler betrachten, der allerdings nicht zufällig bei einzelnen Bestimmungen auftritt, sondern universellen Charakter hat.

Drittens wird dieser logisch falsche Schluß durch rein assoziative Zuordnungen gestützt. Ist etwa das Element eines kulturalistischen Antiamerikanismus noch eine reale Schnittmenge von Friedensbewegung und Nazi-Ideologie, die zwar Kritik, aber keinesfalls einen Schluß im Sinne des Syllogismus rechtfertigt, so folgt die Nazi-Zuordnung der Parole „Kein Blut für Öl“ einer völlig gewaltsamen Assoziation, die allein mit dem Reizgehalt des Wortes „Blut“ spielt. Daß diese Parole vulgärmaterialistisch den Krieg auf das Ölinteresse reduziert, wäre als typische Verkürzung des traditionellen marxistischen Antiimperialismus zu kritisieren; aber das gäbe keine Nazi-Zuordnung her, und deshalb muß die antideutsche Denunziation das „Blut“ assoziativ aufladen. Der pazifistischen Verwendung des Wortes „Blut“, die mit der Assoziation von Tod und Verstümmelung bei militärischen Auseinandersetzungen operiert, wird eine Assoziation von „Blut“ untergeschoben, wie sie etwa in der Nazi-Parole „Blut und Boden“ erscheint. Damit ist die identitätslogische Setzung natürlich bei der blanken Willkür angelangt, denn mit demselben Recht könnte man ganz beliebige Begriffe und sogar sprachliche Funktionen entsprechend zuordnen, etwa nach dem Muster: Die Nazis verwenden Adverbia, die Friedensbewegung verwendet Adverbia, also ist die Friedensbewegung eine Nazi-Bewegung. Oder noch besser: Die Nazis sprachen deutsch, die Antideutschen sprechen deutsch, also sind die Antideutschen Nazis. Wie wäre es damit?

Dabei bezieht sich der falsche Syllogismus nicht bloß auf tatsächliche Aussagen und willkürliche assoziative Zuordnungen, sondern auch auf unterschiedliche historische, soziale oder politische Kontexte und „Sprechorte“. Zieht die postmoderne Ideologie aus der tatsächlichen Relativität der „Aussageorte“ die falsche Schlußfolgerung eines wahrheitslosen unvermittelten Nebeneinander beliebiger Standpunkte, so eliminiert die antideutsche Ideologie diese tatsächliche Relativität zugunsten ebenso unvermittelter identitätslogischer Setzungen. Was erkenntnistheoretisch im einen Fall die Auflösung in einen paradoxen „absoluten Relativismus“ bedeutet, ist im anderen Fall die Versteinerung zu einer ebenso paradoxen „absoluten Identität“, die in Wahrheit willkürlich hergestellt, bloß äußerlich und denunziatorisch gemacht ist. In gewisser Weise reproduziert sich hier die Verkehrung im Verhältnis von postmoderner und antideutscher Ahistorizität: Wie sich das postmoderne Denken auf eine ahistorische Phänomenologie bezieht und das antideutsche Denken auf ein ebenso ahistorisches „Wesen“, so haben wir es nun mit einem entsprechenden Verhältnis von Zuordnungs-Beliebigkeit und Zuordnungs-Absolutismus zu tun.

Sowohl das Relativum als auch das Absolutum sind aber vermittelt, und zwar negativ durch die Wertform. Die einzelnen Waren sind stofflich qualitativ verschieden, also insofern bloß relativ vergleichbar durch das Tertium der sie negativ gesellschaftlich vermittelnden Wertabstraktion; diese aber setzt sich im Kapital absolut als das „Wesen“ der unterschiedlichen Qualitäten, mit denen sie sich dennoch ihrerseits vermitteln muß. Der eine verkürzende Blick sieht nur die falsche Vielfalt der beliebig nebeneinander stehenden Waren, der andere nur ihre falsche Wesensidentität als Werte.

Diese doppelte, seitenverkehrte Verkürzung reproduziert sich im Verhältnis zur Ideologiebildung. Der eine läßt das gemeinsame Bezugssystem der Wertform/Denkform gänzlich verschwinden, der andere verabsolutiert es und schließt es kurz mit dem Antisemitismus. Der eine sieht den Antisemitismus als eine beliebige Denkware neben beliebigen anderen, der andere sieht in allen Denkwaren (außer der „vermittlungslosen“ eigenen) nur noch lauter Antisemitismus. Der eine tut so, als gäbe es den identitätslogischen Formzwang gar nicht, als hätten wir es mit einer „offenen“ Gesellschaft zu tun, die bloß von totalitären „Großtheorien“ bedroht sei, ohne selber in ihrer Fetischform bereits real totalitär zu sein; der andere reproduziert den totalitären Formzwang als willkürliche identitätslogische Setzung. Der eine sieht nur noch unterschiedliche „Aussageorte“, ohne sich Rechenschaft über das gemeinsame Bezugssystem der gesellschaftlichen Form abzulegen; der andere verwandelt diese Form in eine absolute denunziatorische Zuordnung, ohne sich Rechenschaft über die unterschiedlichen „Aussageorte“ etc. innerhalb des gemeinsamen Bezugssystems abzulegen. Der eine sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht; der andere sieht keine Bäume mehr, sondern nur noch Wald.

Die postmoderne Ideologie neigt also zwangsläufig dazu, den Antisemitismus und überhaupt die ideologischen Identitäten zu verharmlosen, die antideutsche umgekehrt dazu, sie in beliebige Aussagen identitätslogisch hineinzuinterpretieren. Ein Klischee, das vielleicht antisemitisch konnotiert sein kann, aber keineswegs eindeutig sein muß (z.B. ein antiintellektueller Affekt) wird so immer und überall identitätslogisch als „Beweis“ für Antisemitismus genommen, allein daraufhin angegriffen und mit expliziten Nazi-Aussagen gleichgesetzt. Und zwar egal, von wem, unter welchen Umständen und vor dem Hintergrund welcher Geschichte ein Klischee benutzt wird. Mit anderen Worten: Das Klischee wird nicht als solches in seinem wirklichen Kontext kritisiert, was immer berechtigt ist, sondern dient lediglich als Mittelglied des falschen Syllogismus. Und das gilt nicht nur für tatsächliche Klischees, sondern überhaupt für alle Aussagen, die den antideutschen Ideologen nicht passen. Ihr Motto lautet: Wer Antisemit ist, bestimmen wir. Die zunehmend willkürliche identitätslogische Setzung hängt schließlich gar nicht mehr vom Inhalt der Aussage ab, sondern allein davon, ob eine Person, Gruppe, Zeitschrift etc. die antideutsche Ideologie gläubig akzeptiert oder nicht. Wer gesinnungslogisch „auf Linie“ ist, wird in Ruhe gelassen, sogar wenn er selber völkische, antisemitismus-kompatible und rassistische Klischees in anderem Kontext benutzt (etwa gegenüber der albanischen Bevölkerung des Kosovo, den PKK-Kurden, den Tschetschenen, Arabern usw.); wer davon abweicht, wird als Nazi und Antisemit definiert und diffamiert.

Der Gipfel der denunziatorischen Perfidie ist es, daß völlig skrupellos auch jüdische Menschen mit der identitätslogischen Zurechnung belegt werden, sobald sie nicht den antideutschen Vorstellungen davon entsprechen, was „richtige Juden“ denken sollten. Seit mittlerweile schon einigen Jahren läuft so eine beispiellose Hetze gegen Moshe Zuckermann, den Direktor des Instituts für deutsche Geschichte an der Universität Tel-Aviv, einen jüdischen Denker in der Tradition der Kritischen Theorie Adornos, der jedoch in den Augen der antideutschen Ideologen das unverzeihliche Verbrechen begeht, ihre kontrafaktischen Interpretationen der Weltlage und insbesondere der israelischen Politik unter der rechtsgerichteten Likud-Regierung nicht zu teilen. Somit verfällt er nach derselben absurden Logik der Einordnung in die „antisemitische Internationale“ wie rechtspopulistische deutsche Politiker und deren „israelkritisches“ Gerede: „Man sei nicht gegen die Juden, man nehme nur sein Recht in Anspruch, auch Israel kritisieren zu dürfen, ganz wie der Mölle- oder der Zuckermann (!), die NPD oder die PDS...“ (Redaktion Bahamas u.a., Kommunismus statt Antikapitalismus, Flugschrift, München 2003).

Eine größere Geschmacklosigkeit als diese widerwärtige Gleichsetzung des völkisch-neoliberalen Populisten Möllemann, der als Stimmenfänger auf der Klaviatur antisemitischer Ressentiments spielen wollte, und des jüdisch-israelischen kritischen Intellektuellen Zuckermann, ist kaum noch vorstellbar, wobei mit der primitiven Denunziationstechnik der assoziativen Parallelisierung von gleichlautenden Endungen des Nachnamens operiert wird. Es sind die Methoden eines Hetzjournalismus nach dem Muster des „Stürmer“, deren sich die Antideutschen mit einer außerhalb der NS-Propaganda beispiellosen Hemmungslosigkeit bedienen.

Das identitätslogische Zurechnungsverfahren setzt sich fort in der Form des logisch und inhaltlich ebenso falschen Umkehrschlusses. „Wenn 87 % der Deutschen einer Meinung sind, dann muß man dagegen sein“ (Redaktion Bahamas, Nennen wir die Halunken ruhig beim Namen, in: Bahamas 41, Berlin 2003, S. 31). Hier wird die Quantität demoskopischer Umfragewerte assoziativ kurzgeschlossen mit dem Negativ-Attribut „deutsch“ und so ein rein formales Kriterium festgelegt, das von jedem Sachgehalt abstrahiert und damit wieder auf einen falschen logischen Schluß hinausläuft: Eine Mehrheit der Deutschen ist gegen den Krieg, was deutsche Mehrheiten denken ist immer abzulehnen, also muß man für den Krieg sein. Das würde dann auch so gehen: Eine Mehrheit der Deutschen ist gegen die Todesstrafe, deutsche Mehrheiten liegen stets schwer daneben, also müssen gute Antideutsche für die Todesstrafe sein. Und das paßt sogar, denn bekanntlich ist das Mutterland von freedom and democracy in die Todesstrafe geradezu verliebt, und welcher Antideutsche wollte diesem Aspekt der „Vernunft in der Geschichte“ bei solch ehrenwerter Protektion widersprechen?

Dasselbe formale Kriterium des logisch falschen Umkehrschlusses, mit dem die Lage und Tendenz des Weltkapitals nach bundesdeutschen demoskopischen Werten beurteilt wird, führt natürlich zur ebenso automatischen Parteinahme für die letzte Weltmacht des Kapitals, weil eben „der Feind meines Feindes auch mein Freund sein kann“ (Redaktion Bahamas, Nennen wir die Halunken ruhig beim Namen, a.a.O., S. 31). Auch hier ist der formale Schluß logisch unausgewiesen und abstrahiert von der Sachlage: Das Saddam-Regime ist böse, die USA greifen dieses Regime an, also sind die USA gut und ihr Überfall auf den Irak ebenso. Daß es sich hier nur um zwei verschiedene Übel handelt und das US-Besatzungsregime für die Iraker keinerlei Verbesserung bedeutet, wie sich mit jedem Tag deutlicher zeigt, fällt beim falschen formalen Umkehrschluß notwendigerweise unter den Tisch. Auch dafür hatte Pohrt in „Konkret“ schon 1991 die Matrix geliefert mit seiner Feststellung: „Verglichen mit der PDS ist der CIA eine hochmoralische Anstalt“ (Wolfgang Pohrt, Musik in meinen Ohren, a.a.O., S. 15).

Die falschen antideutschen Syllogismen und Umkehrschlüsse lassen sich beliebig erweitern, etwa auf die sogenannten ökologischen Fragen: Weil die völkischen Neonazis sich an die Kritik der ökonomischen Zerstörung von Naturgrundlagen, an die Einpunkt-Bewegungen gegen Atomkraft, gegen Flughafenausbau usw. anzuhängen und diese mit ihren Begriffen zu infiltrieren suchen, gilt dem antideutschen Bewußtsein der betriebswirtschaftliche Zerstörungs- und Verpestungsprozeß, der wie alles andere in „Ideologie“ und diese wieder in NS/Antisemitismus aufgelöst wird, fast schon als ein Prozeß antifaschistischer Vernunft; jedenfalls kann die Kritik daran, statt sie zur Kritik der abstrakten Arbeit zu erweitern, umstandslos dem völkischen Mob zugeordnet werden.

In ihrer erstaunlichen Primitivität und Durchsichtigkeit sind die antideutschen logischen Fehlschlüsse einem ideologischen Willen geschuldet, der, eben weil er sich dem Selbsterhaltungstrieb des Wertsubjekts in seiner finalen Krise verdankt, nicht mehr viel nach Logik und Sachhaltigkeit fragt. Es geht einzig und allein darum, die bürgerliche Warenseele zu retten, und zwar in einer diffusen Verbindung des kapitalistischen Aufklärungssubjekts und des „caput mortuum“ gefallener arbeiterbewegungs-marxistischer Identität, verschmolzen zur paradoxen Affirmation der Wertform des warenproduzierenden Systems als der einzig denkbaren Form gesellschaftlichen Lebens.

Indem die Reduktion auf „Ideologie“ eine willkürliche, ahistorische Zuordnung nach einzelnen Aussage-Merkmalen unabhängig von der realen gesellschaftlichen Situation, unabhängig von historischen Bedingungen und unabhängig von jedem Kontext zuläßt, wird das denunziatorisch-identitätslogische Konstrukt in doppelter Weise mobilisiert. Zum einen als das Konstrukt einer mittels falscher Syllogismen rein aus ideologischen Versatzstücken zusammengeleimten Schein-Objektivität der Weltlage nach dem Muster des Zweiten Weltkriegs, wobei wahlweise der Islamismus bzw. die arabischen Länder oder die heutige BRD oder beide zusammen den Nazi-Part und die USA allein bzw. zusammen mit Großbritannien die Anti-Hitler-Koalition spielen (also die USA auch ein wenig „Sowjetunion“ sein müssen). Dieses mehr als wacklige Konstrukt ist so lächerlich dumm und kontrafaktisch, seine Begründungen derart an den Haaren herbeigezogen, daß dieser Teil der identitätslogischen Zuordnung allein dem antideutschen Denken ebensowenig Einfluß verschaffen könnte wie seine schwache, zurückgebundene und irrealisierte Kapitalismuskritik.

Zum andern aber wird auf diese falsche Konstruktion der objektiven Weltlage aus Elementen willkürlich identitätslogisch verbundener ideologischer Aussagen dann in einem zweiten Schritt eine ebenso identitätslogische „Ideologiekritik“ an den sozialen Bewegungen und der weltweiten Linken bezogen. Mit anderen Worten: Das Verhältnis von Realanalyse und Ideologiekritik verwandelt sich in ein „innerideologisches“ Verhältnis, da es angeblich sowieso nur Ideologie gibt bzw. diese unvermittelt identisch mit dem objektivierten gesellschaftlichen Verhältnis und dessen historischer Entwicklung sein soll. Statt die Ideologie in ihrem Verhältnis zur kapitalistischen Entwicklung zu dechiffrieren und zu kritisieren, wird sie in der Form einer Tautologie aus sich selbst erklärt und auf sich selbst bezogen: gewissermaßen als Ideologie in flüssiger Form auf Ideologie in einer zur Weltlage geronnenen Form. Tautologisch wird damit auch die negative ideologische Zuordnung der Linken und der sozialen Bewegungen, weil diese sich nicht an das phantasmatische Drehbuch der Antideutschen halten. „Ideologiekritik“ bedeutet somit nichts mehr weiter, als die Abweichungen der Häretiker vom eigenen ideologischen Konstrukt zu konstatieren.

Für ungeübtes linkes Denken (und das Denken der gesamten „Szene“, in der sich die antideutsche Ideologie breit gemacht hat, ist ungeübt, aus kruder Politpraxis stammend und identitätspolitisch ausgerichtet) kann dieses tautologische Konstrukt deswegen plausibel erscheinen und Einfluß gewinnen, weil es eine tatsächliche Aufgabe kritischer Theoriebildung sozusagen parodiert und mit dieser verwechselt wird. Es steht ja in der Tat eine Transformation der Linken an vom obsolet gewordenen Paradigma des Arbeiterbewegungsmarxismus zum Paradigma der Wertkritik. Und es steht ja tatsächlich eine Ideologiekritik an in mehrfacher Hinsicht, nämlich an der offiziellen demokratisch-krisenimperialen Ideologie ebenso wie an den ethno-religiösen, antisemitischen und rassistischen Verarbeitungsformen der Krise und am „verkürzten Antikapitalismus“ der sozialen Bewegungen. Letztere Verkürzung kann nicht mehr am arbeiterbewegungsmarxistischen Verständnis und dessen Statements gemessen werden, sondern ist im Kontext der Herausbildung des neuen wertkritischen Paradigmas zu leisten.

Es geht also um eine äußerst komplexe Aufgabe. Der negative Begriff des gesellschaftlichen Verhältnisses selbst muß neu bestimmt werden, die Realanalyse der historischen und aktuellen Entwicklung ist daraufhin neu zu formulieren, und die Ideologiekritik bedarf daher ebenfalls eines neuen Bezugs auf ihren Gegenstand. Nicht nur die spontane Verkürzung der üblichen Bewegungs-Ideologie ist zu kritisieren, sondern auch der bisherige Standpunkt, von dem aus traditionell solche Verkürzungen kritisiert wurden, als ein selber verkürzter. Da jedoch diese traditionelle, im Marxismus geronnene Verkürzung keine gesellschaftliche Grundlage in objektivierten Entwicklungsschüben des Kapitals mehr hat, ist sie nicht nur als verkürzte zu erkennen und zu kritisieren, sondern auch in ihren Verfallsformen zu analysieren.

In den Verwesungsprodukten des systemimmanenten „Klassenkampfs“ und seiner Ideologie (zu denen auch die antideutsche Version selber zählt) erscheinen tatsächlich Konvergenzen von traditionell „linken“ und traditionell „rechten“ Positionen, aus denen sich auch die neonazistische „Querfront“-Strategie speist; die in der Vergangenheit verborgenen, vom unversöhnlichen Kampf der Gegensätze überdeckten gemeinsamen Formen und ideologischen Schnittmengen treten ans Tageslicht und müssen kritisch analysiert werden, ohne in identitätslogische denunziatorische Gleichsetzungen zu verfallen und damit den Querfront-Nazis und Völkertümlern auch noch ungewollt Berechtigung zu verleihen.

Genau das jedoch geschieht in der antideutschen Ideologie, die sich der Komplexität der Aufgabe nicht stellen kann, weil sie den Arbeiterbewegungsmarxismus nicht wertkritisch überwindet, sondern vielmehr seine historische Paralyse in Gestalt einer mystifizierenden Regression in die bürgerliche Aufklärungsvernunft mimetisch darstellt. Das Resultat ist eine gewaltsame Simplifizierung und Reduktion des Problems auf jene doppelte identitätslogische Setzung. Daß darin die USA als Hort der „objektiven Vernunft“ und der Islam/die arabischen Länder/die BRD als der neue NS jenseits dieser Vernunft gesetzt werden, bildet nur die Folie für eine rein denunziatorische Bestimmung der sozialen Bewegungen und der gesamten Linken in der Welt, um die es eigentlich geht - zur Freude der rechten Querfront-Strategen.

Weil sie nicht der antideutschen Interpretation der Weltlage folgen, werden die sozialen Bewegungen und die Linke insgesamt genauso unmittelbar als Nazis und Antisemiten identifiziert wie „Deutschland“ und „der Islam“. Statt die Verkürzungen und ideologischen Verfallsformen des traditionellen Linksradikalismus, sozialen Reformismus, des Bewegungsdenkens etc. historisch aufzuarbeiten und ihre nunmehr ans Licht tretenden gemeinsamen Momente mit dem bürgerlich-demokratischen, aber auch dem völkischen Denken kritisch und unnachsichtig zu benennen, werden sie identitätslogisch-denunziatorisch unvermittelt dem schlechthin „Bösen“ zugeschlagen und alle Differenzen in Vergangenheit und Gegenwart gleichermaßen zugeschüttet und eingeebnet.

Was die Parteinahme für die imperiale Macht und deren Weltordnungskriege äußerlich verlangt, aber aus der inneren Dynamik der antideutschen Antinomien seine Logik bezieht, wird so praktisch und in der „theoretischen“ Argumentation manifest: Der „Hauptfeind“ ist weder das Kapital noch „Deutschland“, weder der Islamismus noch das Neonazi-Potential; der „Hauptfeind“ sind vielmehr einzig und allein die Linken und die sozialen Bewegungen. Nicht um deren wertkritische Transformation geht es, sondern um ihre Liquidation zugunsten der „Vernunft“ des Wertsubjekts. Und deswegen müssen die Linken und sozialen Bewegungen die eigentlichen Nazis und Antisemiten und das eigentliche Objekt des denunziatorischen Angriffs sein.

Stolz behaupten die Hardcore-Antideutschen, „zwischen den Mühlsteinen der Kritik in der BAHAMAS“ sei das „Kollektivsubjekt die >Linke< zu braunem Schrot zermahlen“ (Redaktion Bahamas, Zur Verteidigung der Zivilisation, Erklärung vom 31.10.2001) worden; es sei „nicht nur die deutsche Nachkriegsordnung, sondern auch und gerade (!) ihre Linke als legitime Erbin des Faschismus (zu denunzieren), insofern ihr Dasein darin besteht, dieses Erbe kompetent und zukunftsträchtig weiterzubewirtschaften“ (Redaktion Bahamas, Stein des Anstoßes, Erklärung Ende Juli 2003). Einerseits gibt es auf der Welt überhaupt nur noch Nazis und Antisemiten mit den „vermittlungslosen“ Ausnahmen der Antideutschen, der neokonservativen Hardliner-Administration der USA und der israelischen Rechten; andererseits verdichten sich die Zuschreibungen des Nazismus und Antisemitismus auf das „Nahobjekt“ der linken Sozialkritik.

Schon 1968 hatte Habermas als negativer Querfront-Ideologe mit seinem ausgekotzten denunziatorischen Begriff des „Linksfaschismus“ die (bei ihm wenigstens noch offen und ehrlich formulierte) Selbstaffirmation des westlich-demokratischen warenproduzierenden Wesens gegen mögliche Gefährdungen durch Sozialrevolten und durch eine tiefergehende Kritik, die drohte, an das Problem der modernen Fetischform heranzukommen, mit äußerster Aggressivität vorgetragen. Es war kein Zufall, daß Pohrt diesen Begriff 1991 wieder ausgrub und noch zu überbieten suchte. Ebensowenig zufällig überbieten die Antideutschen in dieser Hinsicht heute Pohrt bei weitem in der Maßlosigkeit ihrer identitätslogischen Denunziation.

Denn die schärfste Waffe der prokapitalistischen Apologetik ist es seit dem Menschheitsverbrechen der Nazis, die wie immer unausgegorene, in vielfältigen Mischungsverhältnissen mit Ideologie befindliche Sozialkritik als mögliche Trägerwelle radikaler Formkritik gerade dadurch stillzustellen, daß sie als nazistisch und antisemitisch denunziert, damit an der Wurzel ihres emanzipatorischen Selbstverständnisses getroffen, irritiert und paralysiert wird. Mit der heuchlerischen Formel, daß „solches nie wieder geschehe“ (was in Wahrheit aus dem Kapitalismus selbst und einzig aus ihm hervorgegangen war), legitimieren sich nicht nur die Weltordnungs- und Menschenrechtskriege des Krisenkapitalismus in Ex-Jugoslawien, im Irak und anderswo, sondern auch die liquidatorischen Angriffe der imperialen Administrationen und ihrer antideutschen Hiwis auf die unsicheren sozialen Bewegungen und auf die in einem schwierigen theoretischen Transformationsprozeß begriffene Linke.

Die Aufgabe einer kritisch vermittelnden Analyse wäre es, von der neuen wertkritischen Position aus das gemeinsame fetischistische Bezugssystem der historischen Bewegungen und der sich in der Reaktion auf diese selber transformierenden Macht ebenso wie die heutigen ideologischen (auch länderspezifischen) Verfalls- und Zersetzungsprodukte dieser Geschichte in den Blick zu nehmen, um von da aus die verborgenen Affinitäten und untergründigen Verbindungen der kämpfenden Parteien aufzudecken, also auch die Schwächen, die regressiven Momente und die selbstzerstörerische falsche Immanenz des emanzipatorischen Verlangens, ohne dieses aber als immer schon identisch mit seinen Schlächtern zu denunzieren.

Die negativen historischen und aktuellen Identitäten müssen kenntlich gemacht werden im Interesse einer Transformation der emanzipatorischen Kritik, ohne deswegen aufzuhören, die Differenzen ernst zu nehmen. So stand etwa die affirmative Ontologie der „Arbeit“ und der Nation bei den Sozialisten und Kommunisten in einer gespenstischen Affinität zum positiven Arbeitsbegriff („Arbeit macht frei“) und dem völkischen Nationsbegriff der Nazis, was in einer neuen kategorialen Kapitalismus- und damit Arbeits- wie Nationskritik mit aller Schärfe herauszustellen ist; erst recht gespenstisch wäre es jedoch, mittels der Aufdeckung dieser Affinität wiederum den falschen syllogistischen Schluß zu ziehen, daß die Sozialisten und Kommunisten alle Nazis waren.

Die antideutsche Ideologie tendiert, getrieben von ihrer Eigendynamik, genau dazu, Vergangenheit und Gegenwart der Kapitalismuskritik unterschiedslos in ihre identitätslogische denunziatorische Zuordnung aufzulösen. Den entsprechenden Zugriff auf die Vergangenheit darf ein frisch angelernter und ideologisch aufgepäppelter Adept wagen: „...>Massenbewegungen< sind zugleich die authentische Verlaufsform der >faschistischen<, institutionalisierten >Revolutionen< und Adressat und Wunschbild der offiziellen kommunistischen Bewegungen seit den 20er Jahren. >Linke< und >rechte Massenmobilisierung< lassen sich voneinander kaum unterscheiden...Noch in den gutwilligsten Bekundungen der KPD...geistert noch >das Volk<...“ (Sören Pünjer, Vom Anti-Faschismus zum Anti-Globalismus, in: Bahamas 41, Berlin 2003, S. 50 f.). In der kurzschlüssigen Rückkoppelung auf die heutige Situation bedeutet dies, „...daß Linke wie Nazis argumentieren, es also in der Hauptsache keinen Unterschied gibt und hüben wie drüben ein und derselbe antiimperialistische und befreiungsnationalistische Impuls zur Antiglobalisierungsbewegung drängt“ (Sören Pünjer, a.a.O., S. 51, Hervorheb. Pünjer).

So vollendet sich die negative Querfront-Ideologie der Antideutschen, die der völkischen Querfront-Strategie in die Hände arbeitet. Die Begriffe der „Masse“ und des „Volkes“, die für Identisches wie für Differentes standen, werden als einheitliche unmittelbare NS-Identität gesetzt. Autoritäre Strukturen bei den historischen Kommunisten werden nicht in ihrem Kontext kritisiert, mit dem autoritären Charakter aller Politik als Staatsbezogenheit in Beziehung gesetzt und mit den Formen der Nazi-Mobilisierung in ihren Ähnlichkeiten verglichen, um sie in einem neuen Kontext zu überwinden, sondern sie dienen ebenfalls wieder nur als Mittelglied eines falschen Syllogismus, um die historischen Kommunisten unmittelbar als Nazis zu denunzieren und diese Transposition wiederum unmittelbar an der heutigen Antiglobalisierungsbewegung festzumachen.

In dieser Fall-Linie der identitätslogischen denunziatorischen Gleichsetzungen wird auch ein scheinbares Essential der antideutschen Ideologie mitgerissen, nämlich das Beharren auf der Singularität des Holocaust, und ein weiterer innerer Widerspruch in der antinomischen Denkstruktur entfaltet. Einerseits muß der NS von der Konstitution der kapitalistischen Gesellschaft abgetrennt werden, um die bürgerliche „Vernunft in der Geschichte“ zu retten; und eifersüchtig werden deshalb bestimmte aus der Gesamtgeschichte der Modernisierung hervorgewachsene Formen der Reduktion auf „nacktes Leben“ (Giorgio Agamben) wie das Konzentrationslager kontrafaktisch allein für die NS-Gesellschaft reserviert, obwohl die Herstellung des Zusammenhangs mit der kapitalistischen Durchsetzungsgeschichte in keiner Weise die Singularität von Auschwitz berühren würde. Andererseits zwingt aber die Logik der historischen Analogie und der denunziatorischen Gleichsetzung die Antideutschen dazu, selber diese Singularität preiszugeben, „Deutschland“ im Islamismus wiederzuerkennen, die Selbstmordattentate von New York geschichtsrevisionistisch als eine Art Holocaust im Kleinformat zu definieren, vor allem aber die heutigen Linken und Globalisierungskritiker als die eigentlichen neuen Nazis zu identifizieren, diese absurde Zuordnung auf die Linken der 68er Bewegung, die angeblich „nach 20 Jahren Nachhilfe im Konsumkapitalismus wieder die Mobilmachung probten“ (Redaktion Bahamas, Stein des Anstoßes, Erklärung Ende Juli 2003) und schließlich auf die gesamte alte Arbeiterbewegung und den Staatssozialismus nachholender Modernisierung auszudehnen. Letzteres ist allerdings neu; aber darin zeigt sich nur, daß die einmal entfesselte identitätslogische Denunziation vor nichts mehr Halt macht.

Am Ende entdeckt die „pathische Projektion“ der antideutschen Ideologie, daß sie alle, alle eben doch immer schon ausnahmslos Nazis und Antisemiten waren, sind und sein werden. Haben sie nicht gesungen: „Völker, hört die Signale“? Wenn das nicht Beweis genug ist...Aufgabe einer kritischen Aufarbeitung wäre es, im Kontext eines Durchbruchs zur kategorialen Kritik auch den Begriff des „Volkes“ zu destruieren und seine Konnotationen in der Modernisierungsgeschichte zu untersuchen. Das würde zum Beispiel bedeuten, den komplexen Zusammenhang von westlicher Aufklärung, völkischer deutscher Ideologie und nationalen Befreiungsbewegungen der 3. Welt aufzurollen, die differenten Gehalte des „Volks“-Begriffs in Bezug auf die Wertvergesellschaftung zu analysieren und so diese Begrifflichkeit im emanzipatorischen Denken auf der Höhe des heutigen Krisenprozesses zu überwinden.

Genau diese Untersuchung haben die Antideutschen nie geleistet und werden sie auch nie leisten. Sie müssen die Besetzung dieses Begriffs in unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten und die historischen Zusammenhänge im Gegenteil gerade im Dunkeln lassen. Denn ihnen geht es eben nicht darum, die affirmativen Begriffe des „Volkes“, der Nation und der geschlossenen „Nationalkultur“ in der sozialkritischen Bewegung zu überwinden, um diese zu transformieren, sondern einzig darum, diese unreflektiert aus dem traditionslinken Bestand übernommenen Begriffe assoziativ denunziatorisch auszuschlachten, um die sozialkritische Bewegung im Interesse der Erhaltung kapitalistischer „Vernunft“ zu liquidieren.

 

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Soviel Text und keine Bilder ;-)

Die Analyse über die Antideutsche Kritik und Praxis ist falsch! Der_Die Autor_in stellt verständlich vor richtig. Sie unterstellt in der Analyse die Existenz einer homogenen Antideutschen. Fast alle Annahmen werden den Rezipient_innen schlicht als Belege ausgegeben, dabei sind sie Thesen ohne Beleg und leisten sich den Blick an einer heterogenen antideutschen Bewegung und Kritik vorbei. Die Analyse ist aufgrund ihrer groben Mängel und undifferenzierter Betrachtung abzulehnen.