Einstellung im Rüsselsheimer Flughafenprozess

Einstellung im Rüsselsheimer Flughafenprozess

Rüsselsheim: Strafprozess um Flughafenausbau, Öffentlicher Druck: Fraport zieht Strafantrag zurück, Verfahren eingestellt

Am Dienstag, den 10. Mai fand vor dem Amtsgericht Rüsselsheim ein Prozess gegen die Flughafenausbaugegnerin Franziska statt, der zur Last gelegt wurde im Frühjahr 2009 zweimal Bäume in der Nähe der Rodungsfläche besetzt zu haben und sich während der polizeilichen Räumung des Widerstandsdorfes im Kelsterbacher Wald in einem Baumhaus festgekettet zu haben. Das Verfahren aufgrund des Vorwurfs des dreifachen Hausfriedensbruchs wurde im Verhandlungsverlauf eingestellt nachdem die Fraport AG die Strafanzeigen zurückzog.

 

Die Aktionen, die Franziska angelastet wurden, fanden im Rahmen des Protest gegen Bau der Landebahn Nordwest und konkret anlässlich der damit zusammenhängenden Rodung von 250 ha Wald im Frühjahr 2009 statt. "Ich lebte damals dort im Widerstandsdorf. Als dann im Frühjahr 2009 die Rodungsarbeiten begannen, fand ich: Wir können doch nicht ohne Widerstand zulassen, dass der Flughafen und immer weiter ausgebaut wird. Es grenzte meiner Meinung nach an Wahnsinn zusätzliche Flugbewegungen zu ermöglichen, obwohl die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels weltweit längst bekannt sind und gleichzeitig der zunehmende Fluglärm für die Anwohner_innen immer belastender wird.", so die Aktivistin vor dem Prozesstag.
(GWR-Interview mit Franziska nach der Räumung des Widerstandsdorfes: hier nachlesbar)

 

 

Im Februar 2010 stand sie deshalb erstmals in Rüsselsheim vor Gericht. Nach nur fünf Minuten wurde der Saal komplett geräumt, weil ein Bürger aus der Region sich nicht als Fan der Angeklagten beschimpfen lassen wollte und andere ihren Unmut darüber äußerten, dass ein viel zu kleiner Saal gewählt worden sei. Auch außerhalb des Saales setzten Sympathisant_innen ihren Protest fort, so dass die Verhandlung nach etwa einer Stunde abgebrochen werden musste (Videobericht zu diesem ersten Prozesstag: hier, Indy-Artikel: hier).

 

 

Ende März hätte der Prozess nach über einem Jahr Pause erneut verhandelt werden sollen. Doch das Gericht lud die Angeklagte kurzfristig aus "dienstlichen Gründen" aus und setzte einen neuen Termin für Dienstag, den 10.05.2011 an.

 

 

 

Der Prozess am Dienstag sollte um 9:00 Uhr beginnen. Bereits im Vorfeld bewachte Polizei mit Hundestaffeln das Gerichtsgebäude. Auch vor dem Eingang und im Gebäude hatten sich Beamt_innen postiert. Zusätzlich filmte die Polizei das Gelände vom Dach aus. Im Eingangsbereich waren speziell für diesen Prozesstag Metalldetektoren aufgebaut worden. Die Fahnenmasten auf die die Angeklagte und eine weitere Person beim ersten Prozesstag ein Jahr zuvor geklettert waren, waren Tags zuvor abgeschraubt worden, wie ein Besucher beobachtet hatte. Hier das das Bild des Sockels eines abgeschraubten Fahnenmastens:

 

 

Aufwendige Eingangskontrollen, bei denen die Zuhörer_innen auf Lebensmittel, "gefährliche Gegenstände" und potentielle Wurfgeschosse durchsucht wurden, verzögerten den Beginn der Verhandlung. Begründet wurden die Kontrollen mit einer sitzungspolizeilichen Verfügung, die die Richterin im Vorfeld verhängt hatte (hier nachlesbar). Demnach durften auch Menschen, die ihren Ausweis vergessen hatten, und Personen, auf deren Kleidung politische Aufschriften zu lesen waren, der Verhandlung nicht folgen. Im Falle einer Zuwiderhandlung gegen die Verfügung wurde den knapp 50 Zuhörer_innen Ordnungsgelder bis zu 1000 € bzw. bis zu eine Woche Ordnungshaft angedroht.

 





 

Gleichzeitig hatte das Gericht sich aufgrund eingegangener Solidaritäts-Schreiben, in denen das Hausrecht der Fraport AG auf der Rodungsfläche in Frage gestellt worden war, auch inhaltlich vorbereitet und spontan einige Fraport-Größen geladen. Neben den Prokuristen Thomas Vitzthum und Timo Seibert, die die Strafanträge unterzeichnet hatten, war auch Horst Amman, der zuständige Leiter des Flughafenausbaus vor Ort. Siehe links im Bild: Amman im Gespräch.

 

 

Unverzüglich nach dem Aufruf zur Sache stellte die Angeklagte einen Befangenheitsantrag (hier nachlesbar) gegen die vorsitzende Richterin Besold. Als Grund gab sie an das Frau Besold Teil desselben staatlich-kapitalistischen Systems sei, dass den Flughafenausbau gegen allen Protest und Widerstand vorantreibe. In einer ausführlichen 16-seitigen Begründung legte Franziska dar, wie der Flughafenausbau viele Menschen und die Natur weltweit und insbesondere auch im Rhein-Main-Gebiet schädige − allerdings wurde das Vorlesen dieser schon nach kürzester Zeit durch das Gericht unterbunden. Das Gericht würde den Antrag sowieso erst kurz vor Ende der Beweisaufnahme entscheiden und die Öffentlichkeit müsse die Antragsbegründung nicht vollständig kennen, so Richterin Andrea Besold.

 

 

Es folgten weitere Anträge, in denen es vor allem um die sitzungspolizeiliche Verfügung ging, die das Gericht im Vorfeld der Verhandlung erlassen hatte. So kritisierte die Angeklagte unter anderem, dass das Verbot vom politischen Parolen auf der Kleidung die Meinungsfreiheit einschränke und auch darüber hinaus in die Rechte der Zuhörer_innen eingreife, da sich in der Wahl der Kleidung auch die Persönlichkeit eines Menschen ausdrücke. Weitere Kritikpunkte waren der Zwang sich auszuweisen, die Beschränkung der Zahl der Zuhörer_innen, sowie das Verbot Getränke und andere Gegenstände mit in den Saal zu nehmen.

 

 

Nach der Feststellung der Personalien, die gegen Mittag erfolgte, beantragte die Angeklagte nach §138 Abs. 2 StPO die Zulassung eines Laienverteidigers aus dem Publikum. Der Antrag wurde unter anderem mit der Ablehnung eines Antrages auf Pflichtverteidigung und mit den Kenntnissen des gewählten Wahlverteidigers, der schon vor mehreren Aktivist_innen verteidigt hatte, begründet. Die Staatsanwaltschaft sprach sich dafür aus, den Antrag abzulehnen, da die Angeklagte selbst ausreichende juristische Kenntnisse besäße. Die angeklagte Ausbaugegnerin verlaß aus der Kommentierung des Paragraphen: "Die Genehmigung darf nicht auf besondere Ausnahmefälle beschränkt werden [...]. Sie muss vielmehr erteilt werden, wenn der Gewählte genügend sachkundig und vertrauenswürdig erscheint und auch sonst keine Bedenken gegen sein Auftreten als Verteidiger bestehen [...]." um darzulegen, dass ausreichende Rechtskenntnisse der Angeklagten kein Ablehnungsgrund sind − dennoch wurde der Antrag genau mit dieser Begründung und somit formal rechtswidrig abgelehnt.

 

Anschließend wurde noch vor der Einlassung zur Sache der Zeuge Horst Amman, der zuständige Leiter des Flughafenausbaus zu einer Stellungnahme in den Saal gerufen. Er gab bekannt, die Fraport AG würde aufgrund des Zeitablaufes ihre Strafanträge zurückziehen. Diese Zurücknahme bliebe aber auf den Einzelfall beschränkt und es solle kein Präzedenzfall geschaffen werden. Daraufhin stellte das Gericht das Verfahren nach § 206a StPO ein, da Hausfriedensbruch nur auf Antrag verfolgt werden darf.

 

 

Dem vorausgegangen waren offensichtlich Gespräche zwischen dem Gericht und Herrn Amman in den Sitzungspausen sowie mehrere Telefonate mit Entscheidungsträger_innen der Fraport. Zuvor hatten mehrere Menschen außerhalb des Saales bei als Zeug_innen geladenen Angestellten der Fraport AG kritisch nachgefragt, weshalb denn überhaupt noch verhandelt werde, es läge doch bereits seit April 2010 ein öffentliches Schreiben der Fraport AG an den Kreistag des Landkreises Groß-Gerau (Brief hier nachlesbar) vor, in dem die Fraport AG erklärte, die Verfahren würden nur noch aufgrund eines öffentlichen Interesses, das die Staatsanwaltschaft sehe, verfolgt. 

 

Der genannten Brief war unter anderem Thomas Vitzthum unterzeichnet worden − also von einem der beiden Fraport-Prokuristen, die auch die Strafanträge gegen Franziska unterzeichnet hatten. "In der Zurücknahme der Strafanzeige ist kein freundliches Entgegenkommen der Fraport zu sehen, sondern diese ist auf politischen Druck hin geschehen.", so ein Unterstützer, "Der Konzern befand sich in Erklärungsnot, als nun bekannt wurde, dass die Fraport immer noch Ausbaugegner_innen verfolgen lässt, obwohl nach außen propagiert wurde die Flughafenbetreiber-AG hätte damit längst nichts mehr zu tun."

 



 

Noch am selben Abend fand eine Filmvorführung mit anschließender Diskussion über die Perspektiven des Widerstandes statt. "Gerade jetzt müssen wir am Thema dran bleiben.", findet Franziska, "Die nächste Hauptversammlung der Fraport AG in Höchst steht vor der Tür. Im Juni plant der Konzern unter dem Namen Happy-Landings ein riesiges Einweihungsfest auf der neuen Landebahn Nordwest und im Oktober sollen mit Beginn des Winterflugplanes 2011/2012 die ersten Flugzeuge dort landen. Und wir können sicher sein: die Pläne für die nächste Flughafenerweiterung liegen längst fertig geschrieben in der Schublade. Unser Protest und Widerstand bleibt also notwendig!"

 

In einem anderen Fall vor etwa einem Jahr hatte die Fraport die Strafanträge nicht zurückgezogen. Trotz entlastender Ergebnisse der Beweisaufnahme war eine Aktivistin zu einer Geldstrafe in Höhe von 15 Tagessätzen verurteilt worden. Der Wortlaut ihrer Verfassungsbeschwerde ist hier nachlesbar.

Darüber hinaus verweisen die Ausbaugegner_innen auf ein noch laufendes Verfahren gegen zwei Aktivist_innen, die im Mai 2009 mit einer Kletteraktion gegen offiziellen Baubeginn zum Bau der Landebahn Nordwest protestiert hatten. Gegen beide soll im August 2011 ebenfalls vor dem Amtsgericht Rüsselsheim verhandelt werden. Mehr Infos: hier
Ein Verfahren in selber Sache war kürzlich vor dem Landgericht Mainz eingestellt worden ... mehr dazu und zu anderen beendeten Verfahren hier

 

 

Einen weiteren Flughafen-Prozess gibt es demnächst in Braunschweig, wo ebenfalls ein Flughafen ausgebaut wird. Einem Aktivisten, der dort gegen die Rodung des Querumer Forstes und gegen den Ausbau aktiv war und ist, wird vorgeworfen dort im November 2010 den Baustellenbereich betreten zu haben. Deshalb wird am 08.06.2011 um 9 Uhr vor dem Amtsgericht Braunschweig (Martinikirche 8, Raum E 06) gegen ihn verhandelt.

 

Kleiner Pressespiegel:

07.05.2011 − Main-Spitze − Baumbesetzer: Protest gegen Prozess
08.05.2011 − Frankfurter Rundschau − Der Wald ist weg
10.05.2011 − Junge Welt − Ich würde bevorzugen, wenn es keine Tumulte gibt
10.05.2011 − Radio Dreyeckland − Prozess gegen Waldbesetzerin
10.05.2011 − Main-Spitze − Fraport zieht Strafantrag zurück
10.05.2011 − Frankfurter Neue Presse − Angeklagte kam straffrei davon
10.05.2011 − Nassauische Neue Presse − Flughafenausbau-Gegnerin: Verfahren eingestellt
10.05.2011 − Echo-online − Verfahren gegen Flughafenausbau-Gegnerin eingestellt
11.05.2011 − Junge Welt − Blockieren erlaubt
11.05.2011 − Radio-FFH − Rüsselsheim: Verfahren gegen Flughafenausbau-Gegnerin eingestellt
11.05.2011 − Frankfurter Neue Presse − Fraport zog Anzeige zurück
11.05.2011 − Leserbrief in der Main-Spitze − Frank Wolf (BI Umweltschutz Eddersheim): Franziska gegen Goliath

 

Kontakt: waldbesetzung[aed]riseup[dohd]net

http://waldbesetzung.blogsport.de

 

 

 

 

 

 

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Die vor einem Jahr in teilsweise der selben Sache angeklagten Aktivistin Cecile stand am Dienstag paralell zu Franziskas Verfahren in Rüsselsheim wegen eines anderen Vorwurfs in Stuttgart vor Gericht. Dort wird ihr und einem anderen Aktivisten vorgeworfen, mit der Besetzung eines Abrissbaggers gegen das umstrittene Projekt Stuttgart 21 protestiert zu haben. Der Prozess in Stuttgart wird am 24. Mai fortgesetzt. Weitere Informationen dazu sind hier zu finden: http://blog.eichhoernchen.fr.

 

In Rüsselsheim wurde am Dienstag mit einem Transparent Spolidarität für das Anliegen und die Aktionen der S21-Besetzer_innen bekundet: