Saarbrücker Burschenschaft Ghibellinia zu Prag in mörderischer Tradition - Verstrickungen der Landesregierung und Unileitung

Studentenleben in Saarbrücken-Scheidt in vollem Wichs

In mörderischer Tradition - Wieso hofiert der Universitätspräsident eine schlagende Verbindung in Saarbrücken?

An prominenten Fürsprechern fehlt es ihnen wahrlich nicht: der saarländische Noch-Ministerpräsident Peter Müller dankte ihnen ganz herzlich für „ihr Engagement zur Wahrung gesellschaftlicher, demokratischer und freiheitlicher Werte“, und Universitätspräsident Prof. Dr. Volker Linneweber sieht in ihnen gar die „Vorreiter der künftigen akademischen Ausbildung“. Wem so hohes Lob zuteil wird, der – so könnte man meinen – muss Beachtliches geleistet haben, ganz im Sinne der Ziele einer Universität, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre internationale Ausrichtung, ihre Lage im Herzen Europas, und ihre traditionell guten Verbindungen ins benachbarte Frankreich kolportiert.


Doch die warmen Worte, gesprochen bzw. vorgetragen am 14. Mai 2010 im großen Saal des Saarbrücker Schlosses, gelten einer Organisation, die in ihrer nunmehr 130jährigen Geschichte für so einiges stand, ganz bestimmt aber nicht für demokratische Werte. Die Saarbrücker Burschenschaft Ghibellinia zu Prag, anlässlich deren 130. Stiftungsfests der Ministerpräsident die Schirmherrschaft übernommen hatte und der Universitätspräsident die Festrede hielt, hat eine militant völkische Geschichte.

 

Braunes Nest…


Gegründet wurde die Ghibellinia an der Deutschen Karls-Universität in Prag im Jahre 1880, neben anderen von dem radikalen Antisemiten und Tschechen-Hasser Karl Hermann Wolf. Seine demokratischen Überzeugungen demonstrierte der heute noch von den Ghibellinen als unvergessener Vater der Gründung hoch verehrte Wolf, als er im Jahre 1897 den tschechischen Abgeordneten im Reichsrat drohte: „Wir kommen wieder und schießen euch wie Hunde nieder“. Seine Anschauungen hatten Vorbildcharakter für den Prager Reichsprotektoren und Nazi-Kriegsverbrecher Karl Hermann Frank, wie der Historiker René Küpper deutlich macht1.


Eine Vorreiterrolle übernahmen die deutschen Burschenschaften denn auch auf einem anderen Aktionsfeld, allerdings nicht in dem Sinne, wie es der Universitätspräsident gerne hätte: schon 1920, also ganze 15 Jahre vor den Nürnberger Rassegesetzen, machte der Verfassungsausschuss des Dachverbandes Deutsche Burschenschaft (DB) den Rassenantisemitismus zur Regel: „Die Burschenschaft steht auf dem Rassestandpunkt, deshalb dürfen nur deutsche Studenten arischer Abstammung, die sich offen zum Deutschtum bekennen, in die Burschenschaft aufgenommen werden. […] Der Burschentag verpflichtet die einzelnen Burschenschaften, ihre Mitglieder so zu erziehen, dass eine Heirat mit einem jüdischen oder farbigem Weib ausgeschlossen ist, oder dass bei einer solchen Heirat der Betreffende ausscheidet“. Für die Ghibellinia war die „Judenfrage“ damals schon lange kein Thema mehr, denn, wie der „liebe Bundesbruder Lutz Paulmann“ anlässlich des 125jährigen Bestehens der Burschenschaft 2005 euphemistisch zu berichten weiß, kam es bei den deutschen Volkstumskämpfern in Prag bereits 1887 zum „Auszug der Israeliten“2.

 

Die deutsche Karls-Universität Prag, die Heimatuniversität der Ghibellinia, wurde seit der Gründung der tschechoslowakischen Republik im Jahre 1918 zu einem wachsenden Zentrum antisemitischer und nationalistischer Agitation. Im Wintersemester 1922/23 hetzt die Studentenschaft gegen die Wahl des jüdischen Professors Samuel Steinherz zum Rektor der Universität und organisiert einen Vorlesungsboykott und antisemitische Kundgebungen3. Die deutsche Studentenschaft in Prag, ihnen voran die radikalen Studentengruppen und Burschenschaften, wird zu einer Kaderschmiede der radikalen nationalistischen Bewegungen und Kampfverbände. Einer der Hauptaktivisten: Karl Hermann Wolf, Mitbegründer der Ghibellinia.

 

In der Geschichte der Burschenschaft Ghibellinia, die von“ Lutz Paulmann zum Jubiläum 2005 verfasst wurde und die bis vor kurzem noch auf der Internetseite der Burschenschaft nachzulesen war, taucht von all dem nichts auf. Stattdessen wird der Einmarsch der Nazi-Wehrmacht in Prag 1939 und die Zerschlagung der tschechoslowakischen Republik als Akt der Befreiung glorifiziert: „Der Einmarsch der deutschen Truppen befreite die Deutschen von einer ungeheueren Bedrückung“, so Paulmann. Vor lauter Dankbarkeit stimmten die Ghibellinen dann auch einer Auflösung ihrer Burschenhaft zu, um als gleichgeschaltete „Kameradschaft Peter Parler“ weiterbestehen zu können.


Erwähnung findet auch ein „Überfall von Tschechen“ auf den „Bundesbruder Hugo Jury“, der „durch Messerstiche erheblich verletzt“ wurde. Über Jury heißt es weiter, er „sollte später großen politischen Einfluss gewinnen“. Über die Details der politischen Karriere Hugo Jurys schweigt sich Paulmann jedoch wohlwissend aus: Hugo Jury wurde bereits 1931 Mitglied der NSDAP, von 1936 bis 1938 war er stellvertretender Landesleiter der illegalen NSDAP in Österreich. Im Mai 1938 wurde er Gauleiter des Reichsgaues Niederdonau, ab 1940 zusätzlich Reichsstatthalter und ab 1942 auch Reichsverteidigungskommissar für dieses Gebiet. Im selben Jahr wurde Jury zum SS-Obergruppenführer ernannt. Am Tag der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands, am 8. Mai 1945, entzog sich Hugo Jury einer juristischen Verfolgung seiner Taten – darunter die Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Reichsgau Niederdonau in die Vernichtungslager und die Mitverantwortung für die Ermordung von 61 politischen Häftlingen durch die SS am 7. April 1945 in Hadersdorf am Kamp – durch Selbstmord. Ein konsequenter Abgang, denn „der zweite Weltkrieg [hatte] alle Wünsche und Hoffnungen zerstör[t]“, wie Paulmann voller Wehmut über das Ende des „Tausendjährigen Reichs“ berichtet.

 

…am Schmittenberg in Scheidt.


Heute ist die pflichtschlagende und farbentragende Burschenschaft Ghibellinia, von deren Aktivitäten man an der Universität wohl vor allem ihre Zimmerangebote und Flyer für Cocktail-Partys (auf denen dann auch ausdrücklich „Damen“ erlaubt sind!) wahrnimmt, Mitglied im Dachverband „Deutsche Burschenschaft“ (DB) und im „Ostdeutschen Bund“. Bis 2008 war sie außerdem Mitglied der „Burschenschaftlichen Gemeinschaft“ (BG), die als extrem rechter Flügel der DB gilt.

 

Auf ihrem Verbindungshaus in Saarbrücken-Scheidt veranstaltet die Ghibellinia unter dem Slogan „Scheidter Runde“ regelmäßig Vorträge zu gesellschaftlichen und politischen Themen. Unter den Referenten der letzten Jahre waren diverse rechte Politiker wie etwa Rolf Schlierer (Die Republikaner), Lutz Weinzinger (FPÖ) und der Mitbegründer der rassistischen „Bürgerbewegung Pro Köln“, Markus Beisicht. Außerdem durfte der ehemalige General und Kommandeur des „Kommando Spezialkräfte“ (KSK) der Bundeswehr, Reinhard Günzel, auf dem Ghibellinen-Haus sprechen. Günzel wurde im November 2003 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, weil er dem wegen einer antisemitischen Rede aus der CDU ausgeschlossenen Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann einen Solidaritätsbrief geschrieben hatte. Seine Affinität zum Nationalsozialismus bewies Günzel mehrfach: so sagte er 1995, er „erwarte von [s]einer Truppe Disziplin wie bei den Spartanern, den Römern oder bei der Waffen-SS“; 2007 sorgte er erneut für Aufsehen, als er in seinem Buch „Geheime Krieger“ eine Verbindung von der Sondereinheit „Brandenburg“ der Wehrmacht zum KSK zog. Ebenfalls beehrten die Ghibellinia mit ihrer Anwesenheit der Präsident des saarländischen Verfassungsschutzes, Helmut Albert, sowie der ehemalige SPD-Minister Reinhard Klimmt – trotz eines Unvereinbarkeitsbeschlusses des SPD-Vorstandes von 2006 im Bezug auf die Mitgliedsburschenschaften in der BG, die der Bundesvorstand der Jusos zu Recht als „rechtsextreme[n] Kampfverband“ diagnostizierte4.

 

Der Festkommers zum 130jährigen Gründungsjubiläum am 14.Mai 2010 im Saarbrücker Schloss klang dann auch so aus, wie es sich die Kameraden aus alten Kampfzeiten sicherlich gewünscht hätten: gemeinsam sang man das „saarländische Heimatlied“ „Deutsch ist die Saar“. Das Lied, das Anfang der 1920er Jahre von dem Lehrer und späteren NS-Beamten Hanns Maria Lux auf die Melodie der Bergmannshymne „Glück auf, der Steiger kommt“ (auch „Steigerlied“) getextet wurde, ist stramm antifranzösisch und völkisch aufgeladen. Die musikalische Kampfansage an das Völkerbund-Mandat, das das Saargebiet nach dem 1. Weltkrieg unter französische Verwaltung stellte, wurde dann auch von den Nationalsozialisten gerne im Abstimmungskampf 1935 übernommen. So schmetterten Zehntausende die Zeilen „Deutsch ist die Saar… deutsch immerdar…Deutsch bis zum Grab, Mägdlein und Knab…Ihr Himmel, hört! Jung Saarvolk schwört…Wir wollen niemals Knechte sein; wir wollen ewig Deutsche sein!“ etwa bei einer „Saartreuekundgebung“ am 27. August 1933 bei Rüdesheim. In den folgenden Jahren wurde „Deutsch ist die Saar“ als Vermächtnis der ‚Kampfzeit‘ in zahlreiche NS-Liederbücher aufgenommen5. Auch bei der Abstimmung über den Anschluss des Saargebietes an die Bundesrepublik 1955 wurde „Deutsch ist die Saar“, vor allem von den Anhängern der FDP-Vorgängerin „Demokratischen Partei Saar“ (DPS) unter Vorsitz des hochrangigen NS-Funktionärs Heinrich Schneider, wieder gerne gesungen. Dass das Lied heutzutage auch zum festen Repertoire des Nazi-Barden Frank Rennicke gehört, dürfte wohl niemanden verwundern.


Es bleibt wohl das Geheimnis des Universitätspräsidenten Prof. Dr. Volker Linneweber, warum er, der einer Universität vorsteht, die so viel Wert auf ihre vorgebliche Frankophilie und die guten akademischen Verbindungen ins Nachbarland legt, einer Veranstaltung seine Aufwartung macht, die mit einem stramm völkisch-deutschnationalen, antifranzösischen Hasslied beendet wird.

 

So what?


Von den im Grußwort des Ministerpräsidenten behaupteten Grundwerten „Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Solidarität, und Kollegialität“, denen sich die deutschen Burschenschaften angeblich seit ihrer Gründung im 19. Jahrhundert verpflichtet fühlten, bleibt – außer Kameradschaft in ihrem negativsten Sinne – nicht viel übrig. Die Gründungsburschen in Prag einte vor allem der Hass auf Juden und Tschechen und der Drang, die nichtdeutsche Bevölkerung zu unterwerfen. Eine kritische Beschäftigung mit der eigenen Geschichte findet bei den Ghibellinen indes nicht statt. Das wäre vielleicht halb so wild, würde man sie bloß als das bezeichnen und behandeln, was sie sind: ein antidemokratischer, reaktionärer und frauenfeindlicher Männerbund, dem eine aufgeklärte, moderne Gesellschaft selbstverständlich die Teilhabe am zivilen Miteinander zu verweigern hat. Doch das Gegenteil ist der Fall: die Ghibellinia wird hofiert von der Führungsriege der saarländischen Landespolitik, sie erhält finanzielle Zuschüsse von der CDU-Fraktion im Landtag, und der Universitätspräsident entblödet sich nicht, diesen reaktionär-völkischen Haufen als Vorbild für die Studierenden des 21. Jahrhunderts hinzustellen.


Dass die Geschichte der Ghibellinia in der saarländischen Landesregierung und im Universitätspräsidium nicht bekannt ist, dürfte kaum möglich sein. So räumte Prof. Linneweber gegenüber dem Journalisten Wilfried Voigt dann auch ein „„dass einzelne Studenten oder auch ‚alte Herren‘ dem rechtsextremen Umfeld zuzuordnen sind“, hält es aber dennoch für „unangemessen“, damit „generell die Tätigkeit der Burschenschaften zu verteufeln“6.

 

Wieso ist es möglich, dass Ministerpräsident Peter Müller, der aktuell darauf spekuliert, Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu werden, einer antidemokratischen militanten Vereinigung durch die Schirmherrschaft über ihr Stiftungsfest das demokratische Feigenblatt mimt, und das niemanden im Saarland zu stören scheint? Warum hofiert der Universitätspräsident dennoch eine Organisation wie die Burschenschaft Ghibellinia, die ihre Verstrickung in den NS-Terror im besetzten Prag bis heute verschweigt und sich wahrheitswidrig als dessen Opfer geriert? Warum ist es im Saarland unwidersprochen möglich, dass die Landesregierung eine solche Gruppierung nicht nur ideell, sondern auch finanziell unterstützt und sie durch Fürsprecher von höchster Regierungsebene hoffähig macht?

 

Wir fordern von der Universität des Saarlandes:


- keine Unterstützung der „Burschenschaft Ghibellinia zu Prag“, weder finanziell noch ideell; keine Räume, keine Schaukästen, keine positive Würdigung auf den Uni-Webseiten


- eine Erklärung des Universitätspräsidenten Prof. Dr. Volker Linneweber, wie es zu seinem Auftritt bei dem Stiftungsfest der Ghibellinia im Mai 2010 kommen konnte


- eine historische Aufarbeitung der Geschichte der Saarbrücker Burschenschaften und ihrer Mitglieder, insbesondere in der Zeit des Nationalsozialismus, und eine Veröffentlichung der Ergebnisse durch die Universität!

 

Literatur:


Ein Großteil der Informationen in diesem Text stammt aus den folgenden beiden Monographien, sowie von der Internetseite der Burschenschaft (www.ghibellinia-prag.de) selbst.


- Voigt, Wilfried. Die Jamaika Clique. Machtspiele an der Saar. Saarbrücken, 2011.
- Später, Erich. Villa Waigner. Hanns Martin Schleyer und die deutsche Vernichtungselite in Prag 1939 – 1945. Hamburg, 2009.

Kontakt:
Antifa Saar / Projekt AK

www.antifa-saar.org
antifasaar@yahoo.de
März 2011

 

Fußnoten:

  1. s. Küpper, René: Karl Hermann Frank (1898-1946). Politische Biographie eines sudetendeutschen Nationalsozialisten. München, 2010 [zurück]
  2. s. Paulmann, Lutz. Burschenschaft Ghibellinia zu Prag in Saarbrücken. Geschichte der Burschenschaft Ghibellinia, anlässlich des 125. Jubiläums 2005 verfasst. Der Text stand bis vor Kurzem sowohl auf den Internetseiten der Burschenschaft Ghibellinia www.ghibellinia-prag.de sowie auf der Seite www.tradition-mit-zukunft.de , wurde aber mittlerweile entfernt. Er ist jedoch unter www.antifa-saar.org dokumentiert und nachzulesen [zurück]
  3. Vgl. Später, Erich: Villa Waigner. Hamburg, 2009. S.48f [zurück]
  4. Leffers, Jochen. „Entweder Sozialdemokrat oder Burschenschafter.“ in: SPIEGEL online, 28.03.2006. http://www.spiegel.de/unispiegel/studium/0,1518,408440,00.html [zurück]
  5. Vgl. Voigt, Wilfried. Die Jamaika-Clique. S.156ff [zurück]
  6. Ebenda, S.162 [zurück]
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macht euch total lächerlich.

Den Forderungen wird niemand nachkommen.

... ist hier lediglich und ausschließlich dein Kommentar. 

 

Sämtliche Forderungen sind ja wohl gerechtfertigt und es ist ja wohl wirklich nicht zuviel verlangt, ein bisschen Reflexion des eigenen Handeln zu erwarten - speziell seitens einer Universitätsleitung, noch in höherem Maße (sollte man meinen!) von einem Landesvater. 

 

Vielen Dank für den post, sieht sehr gut recherchiert aus. Niemals aufgeben!