"Ich habe täglich berichtet"

Erstveröffentlicht: 
17.01.2011

Einer der jüngst aufgeflogenen britischen Polizei-Spitzel hat laut eigenen Angaben auch deutschen und dänischen Polizeien Informationen geliefert. Das könnte auch das Gerichtsverfahren gegen das Verbot des Sternmarschs beim G8 in Heiligendamm beeinflussen

Der im Oktober enttarnte britische verdeckte Ermittler Mark Kennedy hat offensichtlich aus Geldsorgen seine Story an das Boulevard-Blatt Daily Mail verkauft, das in seiner Sonntagsausgabe ausführlich darüber berichtet. Der Artikel wird garniert mit einer Beschreibung seiner auch sexuellen Affären, die ihm zur Infiltration linker Zusammenhänge und dem Erschleichen von Vertrauen dienlich waren.

 

Kennedy hatte nach eigenen Angaben zusätzlich zu seinem üblichen Gehalt von 60.000 Euro bis zu 240.000 Euro jährlich für seine Spitzeldienste erhalten. Seine auch in den unterwanderten Gruppen auffallende Lebensweise erklärte er mit angeblichem Drogenschmuggel, was auch zu seiner Legende als bereitwilliger Fahrer rund um Protestaktionen passte.

 

Die Daily Mail meldete zuvor, Kennedy habe seine Informationen über Klimaaktivisten auch an den Kraftwerks-Multi E.ON verkauft. Laut übereinstimmenden Presseberichten hatte Kennedy gegen Ende seiner Spitzel-Tätigkeit für die private Sicherheitsfirma "Global Open" gearbeitet und später mit "Tokra" ein entsprechendes eigenes Unternehmen gegründet. E.ON betreibt ein Kraftwerk, das Ziel einer der späteren Einsätze Kennedys wurde, und anscheinend hierfür bei "Global Open" Informationen bestellt. E.ON dementiert die Berichte.

 

Der unter dem Alias-Namen "Mark Stone" auftretende Polizist war angeblich mit einem manipulierten Telefon ausgestattet, über das die für seinen Einsatz verantwortlichen Polizeiführer jederzeit seine Position orten konnten. Kennedy hat seinen Betreuern nach eigenen Angaben "täglich berichtet" und regelmäßig SMS verschickt.

 

Das Mitführen manipulierter Mobiltelefone scheint bei verdeckten Ermittlungen üblich zu sein. In einem Verfahren gegen 13 Tierrechtsaktivisten in Österreich wurde offenkundig, dass die im Hintergrund arbeitenden Betreuer der Spitzel damit Gespräche im Raum abhören. Für den Einsatz seiner Schnüfflerin im Ausland hatte der verantwortliche Polizeiführer zuvor die erforderlichen Genehmigungen beschafft, die dann mit Auflagen versehen positiv beschieden wurden.


Internationaler Einsatz gegen Klimaaktivisten und Gipfeldemonstranten

 

Bereits seit einigen Wochen wird im Internet zusammengetragen, wo Kennedy seit 2003 aktiv war (Agent Provocateur außer Kontrolle). Ergänzt mit Recherchen vor allem der Tageszeitung Guardian und den jetzt – mit Vorsicht zu genießenden – Aussagen Kennedys ergibt sich, dass der Polizist vor allem als heimliche Waffe gegen die wachsende Vernetzung antikapitalistischer Gruppen innerhalb der Europäischen Union aufgebaut wurde und hauptsächlich anlässlich polizeilicher Großlagen Verwendung fand:

 

  • Beteiligung an teilweise heftigen Protesten gegen den EU-Gipfel in Irland 2004. Kennedy verschaffte sich Bewunderung, als er in der Nähe von Polizeiketten seine Maskierung abnahm.
  • Beim G8-Gipfel in Gleneagles/Schottland 2005 unter anderem als Verantwortlicher für die Organisation eines Transportsystems mit acht Mini-Bussen, die Aktivisten zu Blockaden oder Aktionen brachten. Kennedy erhielt daher den Spitznamen "Transport Mark". Er war selbst einer der Fahrer und informierte die Polizei, wo er Aktivisten absetzte. Die Informationen seien angeblich "direkt auf den Schreibtisch von Tony Blair" weitergereicht worden, der danach seinen Hass gegenüber erfolgreichen Demonstranten ausgedrückt hatte. Für die gelieferten Erkenntnisse hat Kennedy nach eigenen Angaben eine Belobigung erhalten.
  • Begleitung des Beginns der Klimacamp-Bewegung in Island ab 2005, Beteiligung an Blockaden gegen ein Kraftwerk von ALCOA und Workshops zu "Direkter Aktion".
  • Zur Blockade eines Kohlezuges zum Kraftwerk Drax in Yorkshire, der von Greenpeace organisiert wurde und zu dem Kennedy angeblich Demonstranten gefahren hat.
  • Zur Räumung des Autonomen Jugendzentrums Ungdomshuset in Kopenhagen 2007, um im Innern des Hauses über die kurz bevorstehende Räumung aufzuklären. (Gebete statt Punk). Kennedys Rapports wurden der dänischen Polizei übermittelt.
  • Anlässlich des G20-Gipfels in London, 2008, um herauszufinden, welche Pläne Aktivisten hegen. Kennedy sei damals nicht Teil der eigens errichteten polizeilichen Aufklärung gewesen.
  • Im Rahmen des Widerstandes gegen den NATO-Gipfel in Baden-Baden und Strasbourg, wo er an Treffen teilgenommen hatte.
  • 2009 im Rahmen der Blockaden des von E.ON geführten britischen Ratcliffe-on-Soar-Kraftwerks, die schließlich zu seiner Enttarnung führten: Dass das Verfahren gegen Kennedy als einziges von der Justiz fallen gelassen wurde erregte Verdacht.
  • Für die Vorbereitung von Demonstrationen und Aktionen anlässlich des französischen Vorsitzes von G8 und G20 und den deswegen 2011 in Frankreich stattfindenden Gipfeln. Hierfür hatte Kennedy noch sechs Tage vor seiner Enttarnung eine Mail an eine Dissent!-Gruppe in Frankreich geschickt, wo er Informationen nachfragte und sich ins Spiel brachte als jemand mit "viel Erfahrung in Logistik bei Großereignissen und Zugang zu Ausrüstung".

 

Informationen an die "Besondere Aufbauorganisation Kavala"?


Kennedy wurde vor allem innerhalb des antikapitalistischen Dissent!-Netzwerks eingesetzt, das einen erheblichen Anteil an der Mobilisierung zu den G8-Gipfeln 2005 und 2007 sowie dem NATO-Gipfel 2009 hatte. Beim G8 hatte er der deutschen Polizei taktische Informationen geliefert, die nach seinen Angaben einsatzrelevant wurden:

 

At a G8 protest in Germany the riot cops were planning to go in heavy, but I knew the crowd was planning to disperse. I texted that information in, and the charge was called off.

Kennedy in der Mail on Sunday

 

Fraglich ist, auf welche Weise Kennedy in die polizeiliche Handhabung der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm eingebunden war und welcher Stelle er hierzu mehrmals täglich Informationen lieferte. Vermutlich hatte er weiterhin Kontakt zu seinem britischen Betreuer, der wiederum über das Netz internationaler Verbindungsbeamter in die Sicherheitsarchitektur des G8-Gipfels eingebunden gewesen sein könnte. Auf EU-Ebene werden grenzüberschreitende verdeckte Ermittlungen über die "European Cooperation Group on Undercover Activities" (ECG) koordiniert (Grenzüberschreitende Spitzel). Vermutlich waren britische Polizisten aber vor Ort. Womöglich war hierfür eine eigene Arbeitsgruppe zu verdeckten Ermittlungen eingerichtet, die dann bei der damaligen polizeilichen Sonderbehörde Besondere Aufbauorganisation Kavala angesiedelt war.

 

Die Diskussionen um die ausufernde Tätigkeit Kennedys in Deutschland sind vor allem angesichts des nächste Woche stattfinden ersten Verhandlungstages wegen des "Sternmarsches" zum G8-Gipfel 2007 von Bedeutung. Damals wollte Dissent! am letzten Aktionstag gegen den G8-Gipfel mit allen anderen am Protest beteiligten Spektren, darunter auch der Interventionistischen Linke oder Attac, gemeinsam zum Zaun vor Heiligendamm ziehen. Die Polizei hatte dieses Szenario mit allen Mitteln versucht zu verhindern und ein weiträumiges Demonstrationsverbot verhängt, das allerdings erst kurz vorher ausgesprochen wurde, um juristische Schritte zu erschweren. Für das Verbot hatte die "Besondere Aufbauorganisation Kavala" ihre temporäre Versammlungsbehörde bemüht, die praktischerweise ebenfalls der polizeilichen Sonderbehörde angegliedert war. Zur Ausarbeitung der Verbotsverfügung war Christiane Röttgers aus Lüneburg abgeordnet worden, die dort für die jährlichen Demonstrationsverbote beim Castor-Transport ins Wendland verantwortlich ist.

 

Die Sternmarsch-Anmelder hatten im Eilverfahren gegen die Versagung des Demonstrationsrechts geklagt und zunächst teilweise Recht bekommen. Einen Tag vor der geplanten Grossdemonstration am Stahlzaun hatte dann das Bundesverfassungsgericht das Verbot bestätigt und sich dabei auf die zuvor von der Polizei lancierten Falschmeldungen berufen (Versammlungsverbote verfassungswidrig, aber notwendig?). Die Rede war von 500 teils schwer verletzten Polizisten bei der Auftaktdemonstration in Rostock, von denen nach journalistischen Recherchen nur wenige Leichtverletzte übrig blieben (Opferzahlen der Randale in Rostock weit übertrieben?). Ebenfalls widerlegt wurden die vor Gericht vorgetragenen Behauptungen steinewerfender Demonstranten am Zaun vor Heiligendamm. Die Polizei verfügte nach eigenen Angaben über nicht näher spezifizierte Informationsquellen aus den Camps mit jeweils mehreren Tausend Aktivisten, die von obskuren Waffen berichteten. Diese "mit Nägeln gespickten Kartoffeln" oder "mit Steinen gefüllte Fahrradschläuche" zum Verhauen von Polizisten hat beim G8 allerdings niemand zu Gesicht bekommen.

 

Bislang weigert sich die Bundesregierung, zur Verwendung von britischen Undercover-Polizisten in Deutschland Stellung zu beziehen. Eine Kleine Anfrage blieb hinsichtlich Kennedy wegen "einsatztaktischer Erwägungen" unbeantwortet. Der Abgeordnete Andrej Hunko hatte deshalb letzte Woche eine neuerliche Frage an die Regierung gerichtet, in der diese sich zur Rechtssicherheit für die Ausgeforschten positionieren soll: "Die Bundesregierung muss lückenlos offenlegen, in welchen Zusammenhängen Kennedy in Deutschland eingesetzt war, welche Aktionen er initiierte und welche Informationen er über AktivistInnen lieferte. Nur so können fragwürdige Strafverfolgungsmaßnahmen im Nachhinein überprüft werden."

 

In Großbritannien hatte die Infiltration von Klimaaktivisten durch Kennedy nach deren Bekanntwerden zur sofortigen Einstellung des Verfahrens geführt. Der Spiegel meldet, dass sich nun auch der Abgeordnete Christian Ströbele eingeschaltet hätte und ebenfalls eine Frage an die Regierung richtete. Beide parlamentarischen Initiativen müssen Mittwoch beantwortet werden. Auch das Sternmarsch-Verfahren beginnt Mittwoch als Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht Schwerin. Wenn Kennedy wie in Großbritannien als Agent Provocateur Aktionen inszenierte oder über mehrere Tage falsche Informationen lieferte, die dann für die Verbotsbegründung herangezogen wurden, könnte das G8-Verfahren eine ungeahnte Wendung nehmen.

 

Weitere Outings auch in Kanada, USA und Deutschland


In Großbritannien scheint seit der Herausgabe eines entsprechenden Handbuchs 2009 und einer Handlungsempfehlung für Outings auf Indymedia Bewegung in die Enthüllung von Polizei-Spitzeln gekommen zu sein. Nachdem letzte Woche Fotos der bereits im Oktober enttarnten Ermittlerin "Lynn Watson" veröffentlicht wurden, ist mit "Marco Jacobs" ein weiterer Polizist öffentlich gemacht worden. "Jacobs" war anscheinend mit Kennedy befreundet. Laut Kommentaren auf der britischen Indymedia-Plattform war "Marco Jacobs" Mitglied der lokalen Dissent!-Gruppe in Brighton und verfügte über ein griechisches Handy. Er beteiligte sich an den Protesten gegen den NATO-Gipfel 2009 und blieb mehrere Tage im Freiburger Autonomen Zentrum KTS, das als sogenanntes "Convergence Center" als Medienzentrum und Schlafplatzbörse diente.

 

In Indymedia-Kommentarspalten und einem eigens hierfür eingerichteten Blog wird von weiteren britischen Enthüllungen in den nächsten Tagen orakelt.

 

Auch in Nordamerika wurden in jüngster Zeit Polizeispitzel aufgedeckt. In den USA ist mit Karen Sullivan letzte Woche eine verdeckte Ermittlerin des FBI in antimilitaristischen Zusammenhängen aufgeflogen. Vor dem G20-Gipfel in Toronto im Herbst 2010 sollte Brenda Dougherty die kanadischen anarchistischen Zusammenhänge ausforschen.

 

In Deutschland gelang es einer "AG Nachermittlungen", sich Zugang zum beim LKA Baden-Württemberg geführten verdeckten Ermittler Simon Bromma zu verschaffen. Bromma war beim jüngsten No Border-Camp in Brüssel mindestens einmal grenzüberschreitend eingesetzt. Nach aufwändigen Recherchen konnte die Gruppe sogar Namen der betreuenden Staatsschutzbeamte, den Wohnort Brommas und sogar ein peinliches Karnevals-Foto des Spitzels ermitteln. Damit dürfte Bromma wie seine internationalen Kollegen das unter falschem Vorwand erschlichene Vertrauen mit der lebenslangen eigenen Unsicherheit bezahlen.