DUS: Interview mit zwei Aktivistinnen der Kampagne „Nulltarif sofort!“

Nulltartif Düsseldorf

Int.: Ihr seid beide für die Kampagne „Nulltarif sofort!“ in Düsseldorf aktiv. Vielleicht solltet ihr zunächst kurz erläutern, um was für eine Kampagne es sich dabei handelt?

 

Theo: Die Kampagne „Nulltarif sofort!“ nimmt die erneute Preiserhöhung des „Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr“ am 1. Januar 2011 zum Anlass, um offensiv mit einer sozialrevolutionären Forderung, wie der Aufhebung des Warencharakters von Personennahverkehr in die Öffentlichkeit zu treten.

 

Aus verschiedenen Gründen ist eine solche Forderung für sehr viele Menschen gut nachvollziehbar: Da vor allem Menschen mit wenig Geld auf Bus und Bahn angewiesen sind, ist die soziale Dimension der Forderung für alle offensichtlich. Außerdem zeigen die Beispiele einzelner Orte, wo Nulltarif erfolgreich praktiziert wird, dass die Leute dort zunehmend ihren Privat-PKW stehen lassen, weshalb der ökologische Aspekt zusätzliche Überzeugungskraft besitzt.

Auf die Frage warum beispielsweise Straßen oder Parkplätze für die kostenlose Nutzung durch den Autoverkehr mit Steuergeldern finanziert werden, während in öffentlichen Verkehrsmitteln Fahrpreise erhoben werden, gibt es jedenfalls keine gute Antwort!

 

Leyla: Wichtig erscheint mir noch, dass die Tariferhöhung des „Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr“ zum 1. Januar 2011 alles andere, als alleine da steht. Seit über zehn Jahren erhöht der „VRR“ mit schöner Regelmäßigkeit – zumeist im Jahrestakt – die Tarife um durchschnittlich vier bis fünf Prozent, so dass es seit 1998 zu einer Verdoppelung der Fahrpreise gekommen ist. Auslöser dieser Preisexplosion ist die drastische Herabminderung der Landeszuschüsse und der kommunalen Subventionen für den öffentlichen Nahverkehr. Darüber sind die Menschen zu Recht ganz schön wütend!

Besonders hart getroffen werden bei jeder Preiserhöhung stets die Bezieherinnen von Hartz IV und Grundsicherung, also Rentner und chronisch Kranke, die mit dem ihnen zugestandenen Fahrtkosten-Budget von 11,23 Euro gerade noch drei Einzelfahrscheine der „Preisstufe A“ oder ein Viererticket lösen können. Damit sind die erforderlichen Behördengänge, Arztbesuche oder Fahrten zu Hilfs- und Beratungseinrichtungen in der Regel nicht machbar – ganz zu schweigen von Besuchen bei Freundinnen oder von Veranstaltungen. Das hat zur Folge, dass immer mehr Menschen schwarzfahren, weil sie das nötige Kleingeld entweder nicht haben oder auch, weil sie nicht mehr bereit sind, immer größere Teile ihrer schrumpfenden Einkommen auf die Verwirklichung ihres Rechtes auf Mobilität zu verschwenden.

So geht etwa der „Verband Deutscher Verkehrsunternehmen“ davon aus, dass sich die Zahl der Umsonstfahrerinnen in den letzten Jahren auf durchschnittlich fünf Prozent verdoppelt hat. Genau da wollen wir anknüpfen und individuelle Überlebensstrategien aufgreifen und zu solidarischem Handeln ermutigen. Das soll sich auch in unserem Logo und der Parole „Nulltarif sofort!“ wieder spiegeln: Umsonstfahren ist nicht nur politische Forderung, sondern zugleich politische Praxis!

 

Int.: Welche Ziele ihr mit der Kampagne verfolgt dürfte damit klar geworden sein – nicht aber, wie die Kampagne im Einzelnen angelegt und organisiert ist?

 

Leyla: Den Startschuss für die Kampagne hat Ende November ein Kollektiv gegeben, dass mit der online-Bereitstellung von Material auf „nulltarif.blogsport.de“ den Anstoß für die Verbreitung im Tarifgebiet des „Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr“ gegeben hat. Auf „nulltarif.blogsport.de“ sind eine Vorlage für ein gefalztes Din-A-5 Flugblatt mit einem längeren Aufruf eingestellt, der an Orten eingesetzt werden soll, wo Leute mehr Zeit zum lesen haben, also den üblichen Treffpunkten, aber auch beispielsweise Waschsalons, Imbiss-Stuben oder Kiosque. Auf einer weiteren Vorlage für einen Flyer im Din-A-5 Format ist dieser Aufruf auf der einen Seite in gekürzter Form und auf der anderen Seite werden Tipps und Tricks bei Fahrausweiskontrollen für Leute mit und ohne Fahrschein gegeben. Ebenfalls online ist das Logo der Kampagne „Nulltarif sofort!“ als fertige Vorlage für Sprühschablonen. Als vierte Vorlage ist eine Druckvorlage für rechteckige Aufkleber mit der Aufschrift „Außer Betrieb“ online, die selbstverständlich nur dazu dienen sollen Mitbewohnerinnen auf defekte Haushaltsgeräte aufmerksam zu machen, keinesfalls aber um etwa Fahrkartenautomaten oder Ticketentwerter außer Gefecht zu setzen. (Gelächter)

 

Theo: Es ist auf jeden Fall so, dass es ein kleiner Schritt ist, einen Aufkleber zu kleben, hier aber zugleich die Bereitschaft zu aktiver Sabotage enthalten ist …..

 

Leyla: Wir sollten vielleicht erstmal die Frage zu Ende beantworten! Es dürfte sich bereits angedeutet haben, dass hier zwei Prinzipien zur Anwendung kommen: Baukasten- und Schneeballprinzip. Das heißt, dass die auf „nulltarif.blogsport.de“ eingestellten Materialien nach Belieben genutzt und ergänzt werden können, solange die Grundaussagen unverändert bleiben. Bewusst sind sie möglichst einfach gestaltet, damit sie auch mit möglichst einfachen Mitteln reproduziert werden können. Das vorgeschlagene Logo und die Parole „Nulltarif sofort!“ dienen als gemeinsame Klammer der Kampagne, um den Ausdruck und die Außenwirkung zu verstärken.

 

Theo: Vielleicht ein wenig konkreter: Wir gehen davon aus, dass zumindest in allen größeren Orten des VRR-Tarifgebietes ausreichend Zugriffsmöglichkeiten auf Fotokopierer existieren, um möglichst kostengünstig und dezentral Flugblätter und Flyer herzustellen. Auch dürften eigentlich genügend Ressourcen vorhanden sein, um auch die dezentrale Produktion der Aufkleber in ausreichender Menge zu gewährleisten. Von Sprühschablonen brauchen wir hoffentlich nicht zu reden.

 

Leyla: Ganz klar: Es gibt keine „Orga“ oder Führung. Gefordert ist hier, dass Einzelne selber Verantwortung übernehmen und aktiv werden!

Die Kampagne „Nulltarif sofort!“ setzt auf ein aktivierendes Konzept, mit dem die Trennung von Organisation und Aktion so weit wie möglich aufgehoben wird. Letztlich soll damit also auch versucht werden den Schritt in eine kontinuierliche politische Praxis zu ebnen.

 

Int.: In mehreren Städten des VRR-Tarifgebietes, unter anderem auch in Düsseldorf, hat es große Bündnisse mit der Forderung nach einem „Sozialticket“ für Hartz-IV-Bezieherinnen gegeben. Wie steht ihr zur Forderung nach einem „Sozialticket“?

 

Theo: Ein wenig provokativ formuliert: Wir werden ganz sicher nicht neue Kundensegmente für den „Verkehrsverbundes Rein-Ruhr“ erschließen.

 

Leyla: Außerdem hat der VRR zynischerweise die Einführung eines „Sozialtickets“ für 22,50 Euro zum 1. Juni 2011 angekündigt, obwohl die Anspruchsberechtigten lediglich 11,23 Euro für Fahrtkosten zur Verfügung haben und sich dieses Ticket also gar nicht leisten können. Inwieweit die Forderung nach einem wirklichen „Sozialticket“ da noch vermittelbar sein wird, wird sich zeigen.

 

Theo: Problematisch an der Sozialticket-Kampagne finden wir insbesondere ihre Bezugnahme auf die aktuelle Höhe der Hartz-IV-Sätze, mit denen ein würdiges Leben schlicht unmöglich ist. Es kann doch wohl nicht darum gehen „Härten“ abzumildern, wo es ganz klar um Grundsätzliches gehen muss. Schon jetzt wird gerne von den Argen auf die karitativen Suppenküchen und Kleiderkammern verwiesen, um legitime Forderungen abzuwehren. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner besonderen Phantasie, um sich vorzustellen, inwieweit ein „Sozialticket“ sogar geeignet ist, als Instrument für schikanöse Anordnungen der Argen missbraucht zu werden.

 

Leyla: Wir verstehen uns mit „Nulltarif sofort!“ trotzdem nicht als Konkurrenz zur „Sozialticket-Kampagne“, von der wir sogar einzelne Elemente wie z.B. den roten Button übernommen haben. Die Erfahrung zeigt aber, dass selbst kleine Zugeständnisse in der Regel nur auf wirksam vorgetragene Maximalforderungen erfolgen und nicht auf kniefälliges Bitten hin.

 

Int.: Welche Aktivitäten hat „Nulltarif sofort!“ bereits durchgeführt? Sind noch weitere geplant?

 

Theo: Da die Kampagne wie gesagt erst Ende November angelaufen ist, können wir Genaueres nur über Düsseldorf berichten, auch wenn wir wissen, dass es Aktivitäten der Kampagne etwa in Städten in der Nähe der Landeshauptstadt oder im Ruhrgebiet gibt.

In Düsseldorf haben wir im ersten Monat der Kampagne bereits mehrere tausend Flugblätter mit dem ausführlicheren Text und Flyer mit dem Kurztext und den Tips bei Fahrausweiskontrollen verbreitet. Daneben sind in den Arbeiter-Bezirken erste Schablonen-Grafitti aufgetaucht und es werden laufend mehr.

Überraschend schnell haben sich die „Außer Betrieb“-Aufkleber verbreitet, von denen schon in den ersten Tagen dreitausend Stück verteilt waren.

 

Leyla: Es dürfte klar sein, dass die Kampagne keine Eintagsfliege ist, die mit der Preiserhöhung am 1. Januar 2011 wieder einschläft. Im Gegenteil: In Kürze sollen neue, auf den Zeitpunkt nach der Preiserhöhung hin aktualisierte Flugblätter und Flyer auf „nulltarif.blogsport.de“ verfügbar sein und für den 8. Januar 2011 ist ein VRR-weiter Aktionstag mit Flugblattverteilung und kollektivem Schwarzfahren vorgesehen, zu dem wir schon an dieser Stelle aufrufen wollen. Achtet auf Ankündigungen!

 

Int.: Leyla, Theo, ich danke Euch für dieses Gespräch.

 

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Ich bin jeden Tag in Düsseldorf im Nahverkehr unterwegs, aber diese Aktion ist mir gänzlich unbekannt.Hab auch noch keine "Außer Betrieb" Aufkleber gesehen.

VxQpYM

Hallo, habe einen Flyer " Nulltarif Sofort " in die Hände bekommen und mich köstlich amüsiert...

Die dort angegebenen Tricks und Tipps sind eigentlich nicht das Papier wert, auf dem sie gedruckt sind. Abgesehen davon teilweise

rechtlich eher zweifelhaft. Mit dem Kauf eines Tickets geht der Kunde einen rechtsgültigen Vertrag mit dem Beförderungsunternehmen ein und somit stimmt er den Bestimmungen zu. Das " Bescheissen " der Bahn trägt übrigens mit zu den Preiserhöhungen bei, eine nicht gerade kluge Taktik. Aufkleber auf die Automaten kleben verärgert auch die " Nichtrebellen ", die für eine Leistung ehrlich bezahlen wollen. Den Kontrollettis das Leben schwer machen ist ebenfalls engstirnig und meist völlig erfolglos, da wie geschrieben steht, die Kontrollettis nicht alleine auftauchen. Und die Aussage das die Straßen kostenlos genutzt werden können stimmt nicht ganz. Wärend der motorisierte Nutzer artig hohe Spritpreise und Steuern zahlt, nutzen nur Radfahrer und Fußgänger die Straßen kostenlos. Denn die möchten auch nicht querfeldein zum Ziel kommen. Die Fahrzeuge des öffentlichen Verkehr werden auch nicht von den Heinzelmännchen gewartet, repariert und gereinigt. Oder warum muß ich sonst Geld für`s Taxifahren geben ? Vielleicht gibt es ja da den Tipp mit kopierten Geldscheinen zu bezahlen ? Die Mitfahrmöglichkeit ( Ticket 1000, Ticket 2000, Semesterticket usw ) ist völlig legal und von den Unternehmen so angeboten. Wenn die Leute das nicht nutzen, ist es deren Problem. Alles andere auf dem Flyer ist eher geistiger Dünnschiss ! Die Fahrpreise sind zum Teil schon hoch, keine Frage. Aber wer hätte vor dem "Teuro" eine Mark für ein trockenes Brötchen beim Bäcker, oder vier Mark für einen Becher Kaffee am Kiosk bezahlt ? Demnach müßte man diese Läden ebenfalls tyrannisieren ( Ware nur mit Centstücke bezahlen, Verkäufer nach dem Gesundheitszeugnis fragen, " Geschlossen "-Schilder an die Türe hängen, usw ). Oder meint Ihr, wenn man Sitze aufschlitzt, Inventar zerschlägt  und Scheiben " scratcht "  werden die Waren billiger ? Also Leute, gebt mal weniger Geld für Alkohol oder ähnlichem aus, dann klappt das auch mit dem Denken besser.