Offener Brief an die Katholische Akademie der Erzdiözese Freiburg

Total extrem!

Wir wen­den uns mit die­sem of­fe­nen Brief an Eure In­sti­tu­ti­on, da Ihr es fer­tig ge­bracht habt, im Rah­men der der­zeit lau­fen­den Ver­an­stal­tungs­rei­he zum Ge­den­ken an die nach Gurs de­por­tier­ten ba­di­schen Juden, eine Ver­an­stal­tung mit dem Po­li­tik­wis­sen­schaft­ler Prof. Dr. Eck­hard Jesse von der TU Chem­nitz zum Thema „Po­li­ti­scher Ex­tre­mis­mus in Deutsch­land – Was ist `har­ter´, was ist `wei­cher´ Ex­tre­mis­mus?“ zu or­ga­ni­sie­ren und die­sen, dem Pro­test eines brei­ten Bünd­nis­ses aus Ge­werk­schafts­glie­de­run­gen, dem Ver­band an­ti­fa­schis­ti­schen Opfer und Wi­der­stands­kämp­fer VVN-​BdA, Stu­die­ren­den­ver­tre­tun­gen und lin­ker Grup­pen zum Trotz – nicht aus­ge­la­den habt.

 

Um den Kern un­se­rer Kri­tik an die­ser Stel­le noch ein­mal zu for­mu­lie­ren – die­ser wurde in der Pres­se im Zu­sam­men­hang mit der Jes­se-​Ver­an­stal­tung ja kon­se­quent ver­schwie­gen – , fol­gen­de Sätze: Jes­ses Vor­trag kommt im Rah­men der Ver­an­stal­tungs­rei­he – die wir vom Grund­satz üb­ri­gens sehr be­grü­ßen – die Funk­ti­on eines grund­le­gen­den Er­klä­rungs­mo­dells zu: So soll die­ses, das den As­pekt des An­ti­se­mi­tis­mus noch nicht ein­mal ein­schließt und das er in die­sem Rah­men vor­zu­stel­len ein­ge­la­den war, doch of­fen­bar er­klä­ren, wie es zur mör­de­ri­schen Rea­li­tät des An­ti­se­mi­tis­mus unter der Herr­schaft der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten kom­men konn­te. Die de­por­tier­ten und er­mor­de­ten Juden wer­den hier für seine un­halt­ba­ren The­sen, nach der eine bür­ger­li­che, de­mo­kra­ti­sche Mitte zwein Ex­tre­men rechts und links ge­gen­über­ste­he, in­stru­men­ta­li­siert – ein un­ge­heu­er­li­cher und ge­schmack­lo­ser Vor­gang, gegen den sich die er­mor­de­ten Juden und auch an­de­re von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ver­folg­te Men­schen nicht mehr weh­ren kön­nen.

 

His­to­risch waren es nicht die „Ex­tre­mis­ten“ von links und rechts, die ge­mein­sam die Wei­ma­rer De­mo­kra­tie zer­stört haben. Die „Links­ex­tre­men“ waren von Be­ginn der Macht­über­tra­gung an die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten deren er­bit­terts­ten Ver­fol­gung aus­ge­setzt. Der KPD-​Vor­sit­zen­de Ernst Thäl­mann wurde nicht Vi­ze­kanz­ler unter Adolf Hit­ler, son­dern im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger er­mor­det. Um­ge­bracht wur­den wäh­rend der fa­schis­ti­schen Herr­schaft auch etwa 20 000 wei­te­re Mit­glie­der die­ser Par­tei, wei­te­re ca. 150 000 in den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern und Haft­an­stal­ten in­ter­niert. Die NSDAP hin­ge­gen wurde 1933 Ko­ali­ti­ons­part­ner der kon­ser­va­ti­ven DNVP, wobei diese die Mehr­zahl der Mi­nis­ter im Ka­bi­nett Hit­ler stell­te. Bür­ger­li­che In­dus­tri­el­len-​ und Ka­pi­tal­ver­bän­de hat­ten Reichs­prä­si­dent Paul von Hin­den­burg zuvor auf­ge­for­dert, Hit­ler zum Reichs­kanz­ler zu er­nen­nen und die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten in die Re­gie­rung ein­zu­bin­den. Die Wäh­ler der NSDAP ström­ten in al­ler­ers­ter Linie von den Par­tei­en der „bür­ger­li­chen Mitte“, ge­ra­de auch den bei­den Par­tei­en des Li­be­ra­lis­mus DVP und DDP, zu ihnen. Auch im an­ti­fa­schis­ti­schen Wi­der­stand las­te­te auf den Schul­tern der Kom­mu­nis­ten die Haupt­last: 75% des po­li­ti­schen Wi­der­stands hatte kom­mu­nis­ti­schen Hin­ter­grund, hin­ge­gen nur 3% christ­lich­bür­ger­li­chen. Auch schon vor 1933 waren es in aller ers­ter Linie die Kom­mu­nis­ten, die der stär­ker wer­den­den fa­schis­ti­schen Be­we­gung auch mi­li­tan­ten Wi­der­stand ent­ge­gen­stellt hat­ten.

 

Wer im Rah­men einer Ge­den­k­rei­he an die von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten er­mor­de­ten Men­schen einen Vor­trag or­ga­ni­siert, der die Par­tei Die Linke – einer Par­tei, die über Zwi­schen­sta­tio­nen her­vor­ging aus KPD und SPD, also den Par­tei­en, die den Bä­ren­an­teil des an­ti­fa­schis­ti­schen Wi­der­stan­des tru­gen und deren Mit­glie­der seit Be­ginn der Macht­über­tra­gung am er­bit­terts­ten ver­folgt wur­den – als Ver­tre­te­rin eines po­li­ti­schen „Ex­tre­mis­mus“ be­nennt, der macht Opfer zu Tä­tern – und schweigt ganz ne­ben­bei von den tat­säch­li­chen Ver­ant­wort­li­chen, deren Kreis weit grö­ßer ist als der Kreis von Mit­glie­dern und Wäh­lern der NSDAP oder deren SA-​Ban­den.

 

Dass Ihr eine sol­che Theo­rie in die­sem Rah­men plat­ziert habt, ist schon an sich eine Un­ge­heu­er­lich­keit, ein Akt des Ge­schichts­re­vi­sio­nis­mus al­ler­ers­ter Ka­jü­te, der sich – will man denn beide Augen zu­drü­cken – viel­leicht noch durch völ­li­ge his­to­ri­sche Un­wis­sen­heit er­klä­ren ließe. Doch noch nicht mal bei eurem Re­fe­ren­ten habt Ihr genau hin­ge­schaut: Jesse – um es noch ein­mal zu be­to­nen – sprach im Rah­men einer Ver­an­stal­tungs­rei­he im Ge­den­ken an die ver­folg­ten, de­por­tier­ten und er­mor­de­ten ba­di­schen Juden. Von einem sol­chen Re­fe­ren­ten soll­te man er­war­ten, dass er in der Ver­gan­gen­heit nicht schon mehr­fach durch Äu­ße­run­gen auf­ge­fal­len ist, die den An­ti­se­mi­tis­mus ver­harm­lo­sen, wenn man das zu­rück­hal­tend aus­drü­cken will. Etwa be­haup­te­te er mit Be­zug­nah­me auf den da­ma­li­gen Vor­sit­zen­den des Zen­tral­rats der Juden Heinz Ga­l­in­ski, das Ver­hal­ten füh­ren­der Re­prä­sen­tan­ten des deut­schen Ju­den­tums würde auf Dauer Ju­den­feind­lich­keit in der Be­völ­ke­rung aus­lö­sen. Die An­ti­se­mi­tis­mus­for­schung kenn­zeich­net sol­che Aus­sprü­che, nach denen Juden an ihrer ei­ge­nen Ver­fol­gung Schuld seien, als se­kun­dä­ren An­ti­se­mi­tis­mus. Doch damit nicht genug. Wei­ter be­dürf­ten, so Jesse, die jü­di­schen Ge­mein­den des An­ti­se­mi­tis­mus um po­li­tisch Gehör zu fin­den.1 Und das Me­dien­echo, das sei­ner­zeit der Bür­ger­meis­ter von Kor­schen­broich Wil­de­rich Frei­herr von Mir­bach Graf von Spee (CDU) aus­lös­te, als die­ser for­der­te, ein paar „rei­che Juden tot­zu­schla­gen“ um den Stadt­haus­halt zu fi­nan­zie­ren, fand Jesse hys­te­risch.2 Um es kurz zu fas­sen: Ihr ladet zum Ge­den­ken an die er­mor­de­ten Juden einen Re­fe­ren­ten, der Opfer zu Tä­tern um­lügt und sich dar­über hin­aus wie­der­holt der­art un­sen­si­bel ge­äu­ßert hat. Wenn Jesse diese Punk­te noch nicht hät­ten end­gül­tig dis­qua­li­fi­zie­ren sol­len, so an die­ser Stel­le noch der Ver­weis auf Jes­ses Mit­ar­beit in der Zeit­schrift „Mut“, die bis heute von einem, in­zwi­schen aus­ge­tre­te­nen, Ak­ti­vis­ten und ehe­ma­li­gen Bun­des­tags­kan­di­da­ten der fa­schis­ti­schen NPD her­aus­ge­ge­ben wird, einer Zeit­schrift von ehe­mals mi­li­tan­ten Fa­schis­ten, der es in­zwi­schen ge­lun­gen ist, be­kann­te bür­ger­li­che Per­sön­lich­kei­ten für sich zu ge­win­nen, die neben füh­ren­den Ver­tre­tern der Neuen Rech­ten, zu Wort kom­men – ein Schelm der Böses dabei denkt, denn schon in der Zwi­schen­kriegs­zeit sind in ganz Eu­ro­pa Bür­ger­li­che und Fa­schis­ten ein ver­hee­ren­des Bünd­nis ein­ge­gan­gen.

 

Nun habt Ihr trotz des Pro­tes­tes unter an­de­rem der VVN, die 1947 als erste große Or­ga­ni­sa­ti­on deutsch­land­weit von Op­fern des und Kämp­fern gegen den deut­schen Fa­schis­mus ge­grün­det wurde, vom UStA der PH Frei­burg, an­ti­fa­schis­ti­schen und lin­ken Grup­pen sowie Par­tei-​ und Ge­werk­schafts­glie­de­run­gen daran fest­ge­hal­ten, die Ver­an­stal­tung durch­zu­füh­ren. Und durch­ge­führt wurde sie unter einem Po­li­zei­schutz, den die Al­bert-​Lud­wigs-​Uni­ver­si­tät Frei­burg schon lange nicht mehr er­lebt haben dürf­te. Dabei wur­den Men­schen, die gegen die von euch zu ver­ant­wor­ten­de Ge­schmack­lo­sig­keit pro­tes­tier­ten, in (!) der Uni­ver­si­tät er­ken­nungs­dienst­lich be­han­delt. Die­sen dro­hen jetzt ju­ris­ti­sche Kon­se­quen­zen. Es wäre eine Sache des An­stands, sich öf­fent­lich vor diese zu stel­len. Auch wäre es eine Sache des An­stan­des, sich bei den noch we­ni­gen Über­le­ben­den des fa­schis­ti­schen Ter­rors öf­fent­lich für die Ver­an­stal­tung zu ent­schul­di­gen.

 

Damit Ihr ver­spiel­te mo­ra­li­sche In­te­gri­tät zu­rücker­lan­gen könnt, bie­ten wir Euch aber auch gerne un­se­re Zu­sam­men­ar­beit an: Lasst uns ge­mein­sam eine Ver­an­stal­tung über die Ko­ope­ra­ti­on des Va­ti­k­ans sowie der deut­schen ka­tho­li­schen Kir­che mit dem fa­schis­ti­schen Deutsch­land or­ga­ni­sie­ren! An­ders als So­zia­lis­ten und Kom­mu­nis­ten näm­lich, wie es Jes­ses Vor­trag na­he­legt, ist die ka­tho­li­sche Kir­che tat­säch­lich eine In­sti­tu­ti­on, die ab 1933 um­fang­reich mit den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten zu­sam­men­ge­ar­bei­tet hat, eine Ko­ope­ra­ti­on, die so lange an­dau­er­te und eng war, dass selbst nach der Be­frei­ung Eu­ro­pas vom Fa­schis­mus mit maß­geb­li­cher Hilfe des Va­ti­k­ans füh­ren­de Na­tio­nal­so­zia­lis­ten mit fal­schem Namen un­ter­tau­chen konn­ten.

 

An­ti­fa­schis­ti­sche Linke Frei­burg (ALFR), 6. De­zember 2010


Dos­sier: To­ta­li­ta­ris­mus­theo­rie und Ex­tre­mis­mus­an­satz

  1. Prantl, He­ri­bert, NPD-​Ver­bot: Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt macht Bock zum Gärt­ner. Die vom Karls­ru­her Ge­richt be­stell­ten Gut­ach­ter sind durch Ba­ga­tel­li­sie­rung rechts­ex­tre­mer Um­trie­be auf­ge­fal­en, in: SZ 58, 06.​02.​2002 (http://​www.​sueddeutsche.​de/​politik/​ npd-verbot-bundesverfassungsgericht-macht-bock-zum-gaertner-1.​423365).
  2. Köh­ler, Otto, Rechts­au­ßen­be­ra­ter. Mass­nah­men gegen die NPD. Die CDU Sach­sens lässt sich von einem Mann mit Schat­ten be­leh­ren, in: Frei­tag. Die Ost-​West-​Wo­chen­zei­tung 16.6, 11.​02.​2005, S. 4, (http://​www.​freitag.​de/​2005/​06/​05060402.​php).
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Ein bisschen KPD-lastig, aber ansonsten ein guter Artikel.