Extremistische Mitte: Protest gegen Jesse-Vortrag wird von Bereitschaftspolizei unterbunden

Polizei in der Uni Freiburg

Am Mitt­woch, den 10. No­vem­ber 2010, soll­te der „Ex­tre­mis­mus-​For­scher“ Eck­hard Jesse in der Uni­ver­si­tät Frei­burg zum Thema „Po­li­ti­scher Ex­tre­mis­mus in Deutsch­land – Was ist „har­ter“, was ist „wei­cher“ Ex­tre­mis­mus?“ spre­chen. Das Stu­di­um ge­ne­ra­le der Uni und die Ka­tho­li­sche Aka­de­mie luden dazu ein. Im Vor­feld pro­tes­tier­ten zwölf linke Frei­bur­ger Grup­pen gegen diese Ver­an­stal­tung und reg­ten damit eine mehr oder we­ni­ger frucht­ba­re Dis­kus­si­on in der Öf­fent­lich­keit an. Sie war­fen den Or­ga­ni­sa­to­ren vor, mit der Ein­la­dung Jes­ses ge­schichts­re­vi­sio­nis­ti­sche Po­si­tio­nen in die Uni zu tra­gen. Als be­son­ders skan­da­lös wurde die Ein­bet­tung die­ses Vor­trags in eine Ge­den­k­rei­he an die de­por­tier­ten und er­mor­de­ten ba­di­schen Juden emp­fun­den.

 

Schon vor Be­ginn der Ver­an­stal­tung wurde den Be­su­chern klar, dass po­li­ti­scher Pro­test gegen Eck­hard Jesse und seine ab­stru­sen Theo­ri­en auf Wi­der­stand sto­ßen wird. Nicht von Sei­ten ge­brech­li­cher Alt­na­zis und Kon­ser­va­ti­ver, son­dern von Sei­ten der Po­li­zei, die mit be­waff­ne­ten Be­reit­schafts­po­li­zis­ten in der Uni und auch im Au­ßen­be­reich mit Hel­men und Knüp­peln be­reit­stand. Dazu kamen noch Per­so­nen­schüt­zer, ein pri­va­ter Si­cher­heits­dienst und zahl­rei­che Po­li­zis­ten in Zivil, u.a. von der po­li­ti­schen Po­li­zei.

 

Trotz­dem oder ge­ra­de auch des­halb pro­tes­tier­ten 25 Per­so­nen laut­stark ver­bal gegen die Ver­an­stal­tung. Nach 15 Mi­nu­ten „fre­ne­ti­schen Bei­falls“ für Jesse wurde auf An­wei­sung des Vi­ze-​Rek­tors der Uni Frei­burg, Prof. Dr. Hei­ner Schanz, der Pro­test unter An­dro­hung von Ge­walt un­ter­bun­den. Die miss­lie­bi­gen Per­so­nen wur­den durch Be­reit­schaft­po­li­zei aus dem Hör­saal ent­fernt, etwa ge­nau­so­vie­le Be­su­cher ver­lie­ßen dar­auf­hin so­li­da­risch eben­so die Räume. Die Be­trof­fe­nen muss­ten in einem se­pe­ra­ten zweck­ent­frem­de­ten Raum der Uni­ver­si­tät ihre Per­so­na­li­en ab­ge­ben und sich von Po­li­zei­be­am­ten er­ken­nungs­dienst­lich be­han­deln las­sen. Nach der Aus­spra­che eines Haus­ver­bo­tes bis Mit­ter­nacht für das ge­sam­te Uni-​Ge­län­de konn­ten sie ab­zie­hen. Er­wäh­nes­wert ist zudem, dass ei­ni­ge der Pro­tes­tie­ren­den von Jes­se-​An­hän­gern be­lei­digt und tät­lich an­ge­grif­fen wur­den, auch wenn dabei kein gro­ßer Per­so­nen­scha­den ent­stand. Die Ver­an­stal­tung wurde durch­ge­führt und Eck­hard Jesse ver­deut­lich­te an man­cher Stel­le sei­nes Re­fe­rats, wes­sen Geis­tes Kind er ist. So sei es bspw. eine Schan­de, dass die Links­par­tei eine Stif­tung nach Rosa Lu­xem­burg be­nannt hat, weil Rosa Lu­xem­burg zur Ent­wick­lung der Wei­ma­rer Re­pu­blik un­säg­lich bei­ge­tra­gen hat, so Jesse. Wie zu er­war­ten wich Eck­hard Jesse kri­ti­schen Fra­gen im An­schluss ge­schickt aus, ant­wor­te­te gar nicht oder nur teil­wei­se. Eine Dis­kus­si­on sieht an­ders aus und das war von An­fang an klar.

 

Nun wirft uns die Uni­ver­si­tät Frei­burg, der kon­ser­va­ti­ve Pöbel und auch die bür­ger­li­che Pres­se vor, „Stö­ren­frie­de“ zu sein und dass wir uns einer Dis­kus­si­on nicht stel­len woll­ten. Das ent­spricht nicht den Tat­sa­chen. Wir haben in­halt­lich klar­ge­macht, um was für eine Per­son es sich bei Jesse han­delt und warum wir ihn ge­ra­de auch in einer Ge­den­k­rei­he an den Ho­lo­caust für un­trag­bar hal­ten. Jesse fiel in der Ver­gan­gen­heit durch an­ti­se­mi­ti­sche Äu­ße­run­gen auf, ver­harm­lost die fa­schis­ti­sche NPD und den or­ga­ni­sier­ten Neo­na­zis­mus und seine von vie­len Sei­ten kri­ti­sier­te „Ex­tre­mis­mus-​Theo­rie“ ent­larvt ihn zudem als einen rechts-​kon­ser­va­ti­ven Het­zer. Selbst­ver­ständ­lich wird Jesse auf den frei­heit­lich-​de­mo­kra­ti­schen So­ckel ge­hievt, ar­bei­tet er ja höchst­per­sön­lich dem Ver­fas­sung­s­chutz zu und lie­fert ihm einen Theo­rie­un­ter­bau. Mit un­se­rer Auf­klä­rungs­ar­beit haben wir ver­sucht, Jesse und seine Pseu­do­wis­sen­schaft ins Wan­ken zu brin­gen.

 

Prak­tisch haben zwölf Frei­bur­ger Grup­pen in einer ge­mein­sa­men Er­klä­rung die Aus­la­dung Jes­ses ge­for­dert und die Grün­de dafür ge­lie­fert. Ein Ge­sprächs-​ und Dis­kus­si­ons­an­ge­bot von Radio Drey­eck­land an den Spre­cher der ALFR, Nils Born­stedt, und den Or­ga­ni­sa­tor vom Stu­di­um ge­ne­ra­le der Uni­ver­si­tät, Jens Awe, wurde von Sei­ten der Uni ab­ge­lehnt. Awe be­grün­de­te dies u.a. damit, dass er nicht mit der An­ti­fa­schis­ti­schen Lin­ken Frei­burg spre­chen möch­te, da sie ihm nicht mo­de­rat genug sei. Pein­lich, aber auch er­hel­lend fin­den wir daher, dass die Ver­an­stal­te­rin­nen in der wirk­li­chen De­bat­te knei­fen, in der Ba­di­schen Zei­tung aber genau diese for­dern, um damit ihrem „Sau­ber­man­ni­mage“ einer Eli­te­uni­ver­si­tät ge­recht zu wer­den. Warum also lenk­ten die Ver­antal­te­rin­nen nicht ein und sag­ten nach all den Vor­feld­in­ter­ven­tio­nen den Jes­se-​Vor­trag ab?

 

Wie dem auch sei, was sich am Abend des Jes­se-​Vor­trags in der Uni Frei­burg ab­ge­spielt hat, ist ein Bei­spiel für die ver­kann­te ex­tre­mis­ti­sche Mitte un­se­rer Ge­sell­schaft. Be­waff­ne­te Po­li­zei wurde im Auf­trag der Uni­ver­si­tät ein­ge­setzt, um einen zwei­fel­haf­ten Vor­trag not­falls mit Ge­walt durch­zu­set­zen. Jesse bekam eine Bühne für die Ver­kün­dung sei­ner „Weis­hei­ten“ und als Zu­schau­er kam alles, was Frei­burgs kon­ser­va­ti­ve Rech­te auf­zu­bie­ten hat. Nach­dem die Pro­test­ler be­sei­tigt wur­den, hatte die Ver­an­stal­tung einen Rah­men, den man auch gut und gerne in einer Bur­schen­vil­la hätte her­rich­ten kön­nen. Die Uni be­hält sich vor, Straf­an­zei­ge zu stel­len, die Po­li­zei hat es be­reits ver­laut­ba­ren las­sen. Be­mer­kens­wert ist die Be­ob­ach­tung, dass der Ein­satz­lei­ter, Po­li­zei­haupt­kom­mis­sar Mar­tin Sarau, vom Vi­ze­rek­tor der Uni am sel­ben Abend noch Kon­se­quen­zen für die Stö­rer for­der­te. Wir sind ge­spannt und wer­den uns von die­ser Re­pres­si­on nicht ein­schüch­tern las­sen. Weg­schau­en ist nicht!

 

In nächs­ter Zeit or­ga­ni­sie­ren wir eine In­for­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung, in der wir mit ge­eig­ne­ten Re­fe­ren­ten die „Ex­tre­mis­mus­theo­rie“ von Jesse und Co aus­ein­an­der­neh­men wer­den. Dabei wird es auch einen wirk­li­chen Dis­kus­si­ons­rah­men geben.

 

Ab­schlie­ßend wer­fen wir noch ein Zitat des Po­li­tik­wis­sen­schaft­lers Prof. Dr. Chris­toph But­ter­weg­ge in den Raum, wel­ches un­se­rer Mei­nung nach so ste­hen­ge­las­sen wer­den kann.

 

„Letzt­lich ka­schie­ren Ex­tre­mis­mus-​ und To­ta­li­ta­ris­mus­theo­ri­en, dass die par­la­men­ta­ri­sche De­mo­kra­tie we­ni­ger von den po­li­ti­schen Rän­dern als von den Eli­ten selbst be­droht wird, die ihre Pri­vi­le­gi­en durch Mas­sen­pro­tes­te ge­fähr­det sehen und ihre Geg­ner als „Ex­tre­mis­ten“ brand­mar­ken, um sie bei un­ent­schie­de­nen Drit­ten in Miss­kre­dit zu brin­gen.“


Mehr lesen:
Ge­mein­sa­me Er­klä­rung Frei­bur­ger Grup­pen
Ar­ti­kel der An­ti­fa­schis­ti­schen Lin­ken Frei­burg

 

Ra­dio­bei­trä­ge:
Radio Drey­eck­land-​Be­richt vom 11.​11.​2010
Radio Drey­eck­land-​In­ter­view vom 10.​11.​2010

 

Pres­se:
Ba­di­sche Zei­tung vom 11.​11.​2010
Junge Welt vom 06.​11.​2010
Ba­di­sche Zei­tung vom 05.​11.​2010

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in kaltland

hoffentlich wachen damit uvm noch einige unentschiedene dritte auf

Wie soll denn eine Debatte funktionieren, bei der nach Ansicht einer Seite das Ergebnis (Ausladung von Jesse) von Beginn an fest steht? Und wie demokratisch ist es, einen Andersdenkenden mit Lärm zum Schweigen zu bringen?

 

Man stelle sich das einfach einmal anders herum vor: Eine linke Ikone kündigt einen Vortrag an, die Rechte fordert kompromisslos dessen Unterbindung, die sie ggfs. auch selbst erzwingen will.

Hier geht es nicht um Demokratie. Hier geht es um die Art und Weise. Jesse sprach im Rahmen einer Holocaust-Gedenkreihe und analysierte dabei die NPD und die Partei Die Linke. Was hat das bitte mit dem Holocaust zu tun? Das ist einfach nur geschmacklos. In einer wehrhaften Demokratie müssen halt auch mal die Ränder gegen die extremistische Mitte vorgehen, wenn sie übertreibt.

Darüber hinaus bestand die Möglichkeit einer Deabtte im Vorfeld. Dieser wurde sich von Seiten der Veranstalter nicht gstellt. Einen Frontal-Vortrag mit nchließender Fragerunde kann man ja wohl nicht als Form der Debatte verstehen. Also: Nicht rumheulen. Die Demokratie ist nachwievor durch die extreme Mitte gefährdet, die Sozialleistungen kürzt, AKW-Laufzeiten verläbngert, S21 durchprügelt und das Volk überwachen lässt.