Leipzig: Für die Zukunft seh`n wir rot

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Nachbereitung des Leipziger Antifa-Bündnisses ROTER OKTOBER zur Mobilisierung gegen die Naziaufmärsche am 16. Oktober 2010

Ursprünglich hatten Neonazis – Kader des „Freien Netzes“ und der „JN Sachsen“ – für den 16. Oktober 2010 vier Aufmärsche durch Leipzig angemeldet. Es handelte sich um eine Wiederholung des „Recht auf Zukunft“-Marsches vom 17. Oktober 2009.
Damals waren knapp 1400 Neonazis nach Leipzig gekommen, trafen sich im Osten der Stadt, am S-Bahnhof Sellerhausen, und kamen dort nicht los: Etwa 3000 Gegendemonstrant_ innen hatten die Route blockiert, hinzu kamen Antifa-Aktionen auf möglichen Alternativstrecken. Schließlich ist die rechte Versammlung von der Polizei schon am Startpunkt wieder beendet worden, nachdem die ungeduldigen Nazis versucht hatten, selbige anzugreifen.
Die Fortsetzung in diesem Jahr, die in einer „nationalen Großdemonstration“ münden sollte, war ein erneuter Fehlschlag für die Neonazis.

 

1.

Dies könnte spiegelbildlich als Erfolg antifaschistischer Initiativen, namentlich des zivilgesellschaftlichen Bündnisses „Leipzig nimmt Platz“ und des Antifa- Bündnisses „Roter Oktober“, gewertet werden. Allerdings ist dieser Erfolg getrübt, denn er ist einer gesellschaftlichen Konstellation geschuldet, in der sich linke und zivilgesellschaftliche Politik mit kommunal- und ordnungspolitischen Interessen verbunden haben. In dieser opportunistischen Konstellation wurden linksradikale und gesellschaftskritische Inhalte sukzessive marginalisiert. Unserem Anliegen, Nazipropaganda zu unterbinden, hat dies nichts an. Selbstverständlich ist es uns jedoch nicht gleichgültig, unter welchen Bedingungen gegen Neonazis vorgegangen wird.
Diese problematische Konstellation ist nicht neu, sondern prägt seit Jahren die Diskussionen über Möglichkeiten und Grenzen antifaschistischer Interventionen – besonders augenfällig im Falle der jährlichen „Gedenkmärsche“ zum 13. Februar Dresden. Eine gesonderte Aufarbeitung des 16. Oktober in Leipzig scheint uns angebracht, weil sich das offenkundige Problem antifaschistischer Bündnispolitik, sich dem öff entlichen Wohlgefallen anzupassen, um überhaupt wahrgenommen zu werden, ständig wiederholt und verschärft. Zudem haben einige Besonderheiten des 16. Oktober
die Handlungsspielräume für antifaschistische Aktionen zusätzlich eingeschränkt:

• Erstmals sind vier Naziaufmärsche angemeldet worden. Die vorgesehenen Routen waren praktisch über das ganze Stadtgebiet verteilt und sollten die Gegenproteste räumlich spalten.

• Ein de-facto-Verbot der Naziaufmärsche der Stadt hat vor Gerichten standgehalten, was für Leipzig ebenfalls ein Novum ist.

• Dieses Verbot galt, mit einer ähnlichen Begründung, auch einer antifaschistischen Demonstration am Vorabend.
• Die Gegenproteste mussten sich einer Spontan-Demo- Strategie anpassen, waren in ihrer Effektivität schwer kalkulierbar und mehr als sonst auf eine „Protestmasse“ angewiesen, die unseren politischen Anliegen im wesentlichen zuwider läuft.


Wir hoffen, dass eine Dokumentation unserer Erfahrungen mit dieser Situation – und auch der Fehler, die wir dabei begangen haben – hilfreich sein wird für das künftige Vorgehen gegen Naziaufmärsche.


2.

Erst Anfang September war bekannt geworden, dass am 16. Oktober Naziaufmärsche stattfinden werden. Die geringe Vorlaufzeit stellte für die Gegenmobilisierung(en) kein Problem dar: Zunächst entstand ad hoc das Bündnis „Roter Oktober“, welches große Teile der aktiven Antifa-Zusammenhänge in Leipzig repräsentiert hat. Kurz darauf trat das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ zusammen, das sich schon im Vorfeld des 17.Oktober 2009 gebildet hatte.

Die Vorbereitung der Gegenaktivitäten funktionierte weitgehend routiniert. Das Antifa-Bündnis

• veröffentlichte einen Aufruf nebst Kurzversionen in mehreren Sprachen,

• richtete eine Website ein (1610.blogsport.de), die zum

Schluss mehr als eine halbe Million Hits erreichte,

• verbreitete tausendfach Mobilisierungsmaterial, insbesondere Plakate, im ganzen Bundesgebiet,

• führte fast 20 Informationsveranstaltungen in zahlreichen Städten durch,

• betrieb eine aktive Presse- und Öffentlichkeitsarbeit,

• vermittelte über eine Schlafplatzbörse etliche Übernachtungsmöglichkeiten.

 

Offenbar ist es jedoch zu zahlreichen Missverständnissen über Zweck und Funktionsweise der Schlafplatzbörse gekommen. Sie ist zwar erfreulicherweise von mehreren Hundert Menschen genutzt worden. Allerdings zeigte sich ein erschreckend leichtsinniger Umgang mit persönlichen Daten:

Einige Genoss_innen schickten uns ungefragt persönliche Informationen zu (von Links zu ihren „Facebook“-Profilen bis hin zu Personalausweis-Kopien) oder sind davon ausgegangen, dass die Vermittlung eines Schlafplatzes gleichbedeutend sei mit dem Vermitteln von Mitfahrgelegenheiten oder einem eskortierten Stadtrundgang durch Leipzig. Der Hinweis, dass für die Vermittlung von Schlafplätzen nicht mehr nötig ist, als die Angabe der Zahl der anreisenden Personen, wurde nicht ernstgenommen. Von der Möglichkeit, mit uns wenigstens verschlüsselt zu kommunizieren, wurde leider nur selten Gebrauch gemacht. Wir hoff en, dass im Interesse der Sicherheit aller Beteiligten das Kommunikationsverhalten in politischen Kontexten stärker überdacht wird.

Erfreulich war dagegen, dass die gesamte Gegenmobilisierung von Anfang an den Charakter einer zwar kurzfristigen, aber intensiven bundesweiten Mobilisierung hatte. Dies war zunächst kein ausgesprochener Selbstanspruch, sondern eher ein Reflex auf die Planungen der Nazis. Diese hatten beim Ordnungsamt zunächst zwei, dann drei Aufmarschrouten als „Sternmarsch“ angezeigt. Hinzu kam eine vierte Anmeldung, die durch Connewitz führen sollte. Diese Anmeldung war eine offensichtliche Finte, um Antifaschist_innen im Süden Leipzigs zu binden. Das Antifa-Bündnis hat darauf hingewiesen und sprach sich gegen eine lokalpatriotische „Kiezverteidigung“ aus. Zu diesem Zeitpunkt entwickelte die Gegenmobilisierung bereits eine Eigendynamik, zumal sich nun die Zahl der zu erwartenden Neonazis auf 1500 addierte. Intern sprachen Nazis jedoch keinesfalls von einem „Sternmarsch“.

Bei ihren eigenen, klandestin durchgeführten und von der sächsischen NPD unterstützten Informationsveranstaltungen, wiesen sie ihre Kameraden in ein Spontanaufmarsch- Konzept ein, mit dem andeutungsweise auch im Internet geworben wurde. Das Antifa-Bündnis hat daraufhin in einer „Lageeinschätzung“ die Planungen der Nazis öffentlich gemacht: Diese wollten einen Aufmarsch „um jeden Preis“, jedoch „auf keinen Fall“ in einem Polizeikessel landen. Das Kalkül, mehrere Aufmärsche anzumelden, lief darauf hinaus, den tatsächlichen Aufmarschort am Tag des Geschehens je nach Stärke von Gegenprotesten und Polizei zu wählen und letztlich dort zu marschieren, wo eine erfolgreiche Durchführung am wahrscheinlichsten scheint. Falls keiner der Aufmarschrouten funktionieren würde, sollten sich die Kameraden an vorher festgelegten Punkten sammeln und ohne Anmeldung marschieren. Unsere Einschätzung, dass es den Nazis nicht möglich sein würde, mehrere Aufmärsche parallel zu koordinieren, hat sich schließlich bestätigt. Zur Vereitelung eines „Großaufmarsches“ trug die Zivilgesellschaft bei, die dutzende Kundgebungen im gesamten Stadtgebiet angemeldet und damit nicht nur Anlaufpunkte für Antifaschist_innen geschaffen, sondern auch Alternativrouten der Nazis so gut wie unmöglich gemacht hat. Dies haben auch die Nazis eingesehen und schickten zu den behördlichen Kooperationsgesprächen nur einen ihrer Anmelder.

Stadt, Ordnungsamt und Polizei hüllten sich zur selben Zeit in Schweigen: Erst wenige Tage vor dem Aufmarsch wurde bekannt gemacht, dass die Route durch Connewitz verboten und die restlichen Aufmärsche zu einer stationären Kundgebung am Hauptbahnhof reduziert werden. Als Grund hierfür hielt eine allgemein gehaltene Gefahrenprognose her sowie die Erklärung der Polizei, nicht genügend Einsatzkräfte beordern zu können. Die rechten Anmelder klagten gegen diese Beauflagung vor dem Leipziger Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht Bautzen, scheiterten jedoch mit einer vorgeschlagenen Alternativroute. Auch ein Eilantrag beim Bundesverfassungsgericht brachte keinen Erfolg.

 

3.

Juristisch gesehen handelte es sich nicht um ein Verbot, sondern um restriktive Auflagen, die in ihrer Wirkung jedoch einem Verbot gleichkamen. Das Antifa Bündnis kritisiert dieses Vorgehen, weil es zum einen keine Auseinandersetzung mit Neonazis darstellt, sondern eine Betätigung staatlicher Macht. Zum anderen wurde mit praktisch demselben Argument der polizeilichen Unfähigkeit – untermauert mit einem off enbar zusammengegoogleten Dossier des sächsischen Verfassungsschutz – eine antifaschistische Demonstration am Vorabend untersagt und ebenfalls auf eine stationäre Kundgebung beschränkt.

Auf deren Durchführung wurde letztlich verzichtet: Erstens sollte die ursprüngliche Route am „Nationalen Zentrum“ vorbeiführen, um auf die zentrale Infrastruktur der regionalen Naziszene hinzuweisen. Dies war nach der Beaufl agung, die erst wenige Stunden vor dem Beginn übermittelt worden ist, nicht mehr möglich. Zweitens hätte die Beschränkung auf eine Kundgebung dem Vorhaben einer Nachttanzdemo widersprochen. Drittens wäre es der Polizei ermöglicht worden, sämtliche Teilnehmer_innen zu erfassen oder diese auf dem Rückweg – der dann nicht mehr durch eine Demonstrationsroute abgedeckt gewesen wäre – abzugreifen und in Unterbindungsgewahrsam zu nehmen.

Die Behauptung der Polizei, nicht genügend Einsatzkräfte zusammenziehen zu können, war im übrigen vorgetäuscht:

Im Vorfeld war von 21 verfügbaren Hundertschaften die Rede, zum Schluss sind jedoch mehr als 4000 Polizist_innen – und zusätzlich die „Drohne“ (Microcopter) – im Einsatz gewesen. Die Veranstalter_innen der Vorabenddemo haben bereits erklärt, Rechtsmittel gegen die fadenscheinigen Verbotsgründe der Nachttanzdemo einzulegen.

Die Nazis wiederum haben sich auf die Verbotslage durch völliges Umschwenken auf das Konzept der „Spontanaufmärsche“ eingestellt. Diese sind auch zustande gekommen – waren jedoch keineswegs erfolgreich: Teilweise wurden die Nazis schon an ihren Treff punkten von der Polizei umstellt und aus der Stadt eskortiert (Schönefeld/Sellerhausen), sie ergriff en die Flucht (Grünau) oder verschanzten sich im „Nationalen Zentrum“ in der Odermannstraße, die mehrere Stunden blockiert wurde. Dadurch konnten weitere Spontanaktionen wirksam verhindert werden.

An der genehmigten Kundgebung am Hauptbahnhof versammelten sich letztlich nur 250 Nazis, eine Blockade von mehreren hundert Menschen im Hauptbahnhof hielt weitere Nazis davon fern. Bereits deren Anreise verlief erschwert, weil Signalanlagen der Bahn beschädigt worden waren. Am Vormittag randalierten deswegen 250–300 Nazis, die sich am Bahnhof in Halle/S. getroff en hatten, auf dem Bahnhofsvorplatz. In Geithain deklarierten 80 Nazis, die ebenfalls keinen Zug bekommen hatten, ihre Wartezeit in einen „Spontanaufmarsch“ um.

Weitere Spontanaufmärsche im Leipziger Stadtgebiet haben sich zeitnah als freie Erfindung herausgestellt. Die Nazis versuchten, den Eindruck vieler erfolgreicher Spontanaufmärsche zu wahren, indem sie die Kundgebung am Hauptbahnhof in eine „Abschlusskundgebung“ umdeklarierten und am selben Ort noch eine zweite Kundgebung abhielten, die fälschlich als „Schweigemarsch durch die Innenstadt“ firmierte. Insgesamt waren am 16. Oktober 500 bis maximal 600 Nazis in Leipzig, die Hälfte davon am Hauptbahnhof. Ihnen gegenüber standen insgesamt rund 5000 Gegendemonstrierende, von denen zwischen 1500 bis 2000 vom Antifa-Bündnis mobilisiert worden sind. Diese Masse ermöglichte es, auch die Odermannstraße zu blockieren, wo 130 Nazis über mehrere Stunden festsaßen.

Die Eigendarstellung der Veranstalter, wonach „1200 Volkstreue“ ihr „Recht auf Zukunft in der Messestadt flächendeckend“ eingefordert hätten, ist freilich nichts als Zweckoptimismus in Form einer Durchhalteparole, um die eigene – bereits geschrumpfte – Gefolgschaft bei der Stange zu halten. Der Verweis auf einige Spontandemos soll aus der organisatorischen Not eine propagandistische Tugend machen. Allerdings setzten sich diese rechten Spontandemos zumeist aus denselben Personengruppen zusammen. Die Zahlenspiele der Nazis sind demnach Unfug. Im Übrigen ist es auch keine neue Erscheinung, dass es im Umfeld von Naziaufmärschen zu unangemeldeten Aufzügen kommt – und gerade dann, wenn sie viele Kilometer vom eigentlichen Geschehen entfernt stattfinden, sind sie kaum vorhersehbar bzw. verhinderbar, allerdings auch für Außenstehende so gut wie nicht wahrnehmbar. Den angekündigten „Großaufmarsch“ ersetzen jene Kleinst-Demos in ihrer Außenwirkung ohnehin nicht.

 

4.

Hinsichtlich des Polizeieinsatzes wollen wir hier lediglich einen, dafür aber bemerkenswerten Vorfall dokumentieren, der den Versuch einer Polizeiprovokation gegen Antifaschist_innen betrifft. Offenbar war die Polizei unzufrieden damit, dass es am 16.10. keine „Ausschreitungen“ und damit keinen Grund zum Eingreifen gab.

Folglich sollte eine Gewaltsituation geschaffen werden, um darauf gewaltsam reagieren zu können. Und das sollte so passieren: Gegen 17.20 Uhr hatten sich östlich des Hauptbahnhofs, im Bereich Brandenburger, Hans- Poeche- und Rosa-Luxemburg-Straße, etwa 150 bis 200 Antifaschist_ innen gesammelt. Kurz zuvor war hier bereits die „Drohne“ zum Einsatz bekommen, daraufhin wurden Polizeieinheiten vorverlagert. Außerdem hatte die Nazikundgebung, die sich in der Brandenburger Straße befand, eine „Marschordnung“ eingenommen und verbreitet, dass ein „Aufmarsch“ unmittelbar bevorstehe. Das allerdings stimmte nicht – zur selben Zeit war nämlich bereits durch die Polizei beschlossen worden, die Blockade im Hauptbahnhof durch „Anwendung einfacher Gewalt“ zu räumen, sofern sie sich nicht selbst auflösen würde, und die angereisten Nazis, deren Kundgebung ohnehin zuende gegangen war, in die nächsten Züge zu setzen. Kein Wunder also:

In dem Gebiet, in dem sich 150 bis 200 Antifaschist_innen gesammelt hatten, passierte – gar nichts. Allerdings wollte die Polizei trotzdem keine Linken im Osten der Stadt sehen, zumal für den Bereich Odermannstraße und Lindenauer Markt, also den Westen der Stadt, ständig Verstärkung angefordert werden musste. Die Polizei hat daraufhin vereinbart, einen einzelnen Streifenwagen so oft durch die linken Grüppchen in diesen genannten Straßen fahren zu lassen, bis irgendwer einen Stein dagegen schmeißen und damit ein Grund zum „Zugriff “ für die in der Brandenburger Straße bereitstehende Polizei entstehen lassen würde. Mit anderen Worten sollten Ausschreitungen provoziert werden, um Gewahrsamnahmen vornehmen zu können.

Der Streifenwagen kam tatsächlich, allerdings passierte nichts, d.h. die Antifaschist_innen ließen sich nicht von der Polizei anstiften. Zwischenzeitlich war deren Plan am Infotelefon sowie mittels WAP-Ticker und den Twitter-Channel bereits bekannt gemacht worden. Zur außerordentlich großen Reichweite insbesondere des Twitter-Channels hat auch beigetragen, dass sich Medien wie die LVZ ausgiebig auf dort verbreitete Informationen bezogen und den vom Bündnis eingeführten „Tag“ #L1610 kurzerhand übernommen haben.

 

Künftig muss unser Augenmerk darauf liegen, ähnliche Fälle akkurat zu dokumentieren und genau über solche Kanäle zeitnah publik zu machen. Provokationen gegen Antifaschist_innen sind mittlerweile nämlich einkalkulierter Bestandteil der Polizeitaktik bei Demonstrationen. Schon am Vorabend, am 15.10., wurde auf der Wolfgang-Heinze- Straße (Connewitz) ein dementsprechendes Vorgehen der Polizei beobachtet.

 

5.

Die mediale Berichterstattung ist deutlich umfangreicher als im vergangenen Jahr ausgefallen. Während die Leipziger Internetzeitung (L-IZ) ihren Leser_innen verschwiegen hat, dass überhaupt ein Antifa- Bündnis existiert, hat die Leipziger Volkszeitung (LVZ) die Vorbereitung der Gegenaktivitäten für ihre Verhältnisse recht ausführlich dargestellt. Allerdings war die Weise der Darstellung insofern verzerrt, als dass versucht wurde, das Bündnis als „extremistisch“ und gewalttätig abzuwerten, um mithin auch seine politischen Positionen zu desavouieren.
Ein Beispiel. Das Antifa-Bündnis hatte am 9. Oktober in einer Pressemitteilung wörtlich erklärt: „Gewalt ist indes nicht das Ziel des Protests: ‚Wir vertreten inhaltliche Positionen, die wir an diesem Tag stark machen wollen. Nicht nur auf der Straße, sondern womöglich auch bei Veranstaltungen wie dem gleichzeitig stattfindenden Opernball.’“ Am 12.10. gab die LVZ dieses Statement noch sinngemäß richtig wieder: „Die Antifa will ihre Positionen nicht nur auf der Straße vertreten, sondern ‚womöglich auch bei dem gleichzeitig stattfindenden Opernball‘.“ Durch diese Passage wurde aus einer beiläufigen Bemerkung in einer Pressemitteilung des Antifa-Bündnisses ein fieser Plan anonymer, mutmaßlich auswärtiger „Extremisten“.
Nur zwei Tage später kam die LVZ darauf zurück, indem sie den Polizeichef Horst Wawrzynski indirekt zitiert:
„Außerdem hätten linksextreme Kräft e aus anderen Städten den Opernball in den Fokus genommen.“ Die BILD-Regionalausgabe für Leipzig hatte noch gründlicher „recherchiert“ und wusste am selben Tag zu berichten:
„Gestern hatten Autonome sogar angekündigt, das Opernhaus zu besetzen!“ Wenn es in der BILD steht, muss es stimmen – dachte man sich in der LVZ-Redaktion und fragte am 15.10. auf Seite 1 unter der Schlagzeile „Linksextreme haben Opernball im Fokus“, was passieren würde, wenn zu wenig Polizei käme: „Die Großveranstaltungen wären dann schutzlos. Gerade für den Opernball wäre dies fatal. ‚Linksextreme Kräfte aus anderen Städten haben den Opernball im Fokus‘, warnte [Leipzigs Polizeipräsident] Wawrzynski. Ein Bündnis ‚Roter Oktober‘ kündigte im Internet bereits diverse Aktionen an.“
Großes Aufatmen in der Online-Ausgabe der LVZ am Sonntag danach: „angekündigte Störversuche eines Aktionsbündnisses“ gegen „Leipzigs feine Gesellschaft “ seien ausgeblieben. „Es wäre auch traurig bestellt um die innere Sicherheit, wenn Veranstaltungen wie Opernball […] und Mario-Barth-Show abgesagt worden wären“, meinte der Leitartikler am 18.10. Was nichts anderes heißt als: Am 16.10. wurde die innere Sicherheit in Leipzig erfolgreich gegen Extremist_innen verteidigt.
In der Schreib- und Lesart der LVZ hat das Antifa- Bündnis also letztlich dazu beigetragen, eine extremistische Bedrohung – und damit sich selbst – abzuwehren. Das ist der LVZ sympathisch, weil ihre Antipathien gegen Neonazis („Rechtsextremisten“) keinen politischen Überlegungen geschuldet sind, sondern einer prinzipiellen Parteinahme für staatliche Ordnungspolitik, der die LVZ auch die Extremismus-Vokabel entleiht. Dasselbe gilt auch für die ebenso anti-extremistische und bürgerbewegte L-IZ, die als erstes Resümee des 16. Oktobers eine lange Pressemitteilung des Polizeipräsidenten wiedergegeben hat.
Politisch bedrückend ist auch ein Blick auf einige im Kontext der Anti-Nazi-Proteste am 16.10. tatsächlich artikulierte Positionen. Es gab:
• Gegenkundgebungen unter Beteiligung der CDU und FDP. Letztere hatte sich das Motto „Freie Märkte statt freie Kameraden“ ausgetüftelt,
• andere wählten gleich unpolitische Mottos wie „Stricken gegen rechts“,
• oder hissten Europa- und BRD-Fahnen, wobei auf letzterer das durchgestrichene Wort „Nazitum“ stand,
• oder sagten als Sprecher_in der Zivilgesellschaft dem Neuen Deutschland (12.10.) auf die Frage nach „möglichen Zwischenfällen von Seiten linker Autonomer“ Folgendes: „Wir wollen keine Gewalt“, daher seien „Mitglieder des Aktionsnetzwerkes […] vor Ort und würden versuchen, ‚ordnend und deeskalierend zu wirken’“.
• Daneben gab es Menschen, die den Protestaufruf der Zivilgesellschaft weiterverbreiten, ihn allerdings abschließen mit der Parole „für ein nazifreies Deutschland“,
• und die sich nach dem 16.10. bei Twitter für die Proteste bedanken mit den Worten „Ein sehr guter Tag für das freie u. andere Deutschland“.

• Oder man ist Vereinspräsident des FC Lokomotive Leipzig und beweist mit der Ankündigung eines „multikulturellen Fußballturniers“ (das letztendlich gar nicht stattgefunden hat) am 16.10., dass man Migrant_innen mag, jedenfalls solche, die Fußball spielen können, aber auch nur dann, wenn das gerade imagefördernd ist. – Und so weiter.


Die Mobilisierung gegen Naziaufmärsche ruft Leute auf den Plan, die zwar etwas gegen Nazis haben, aber dafür nur schlechte Gründe wissen – Leute, die mithin selbst nationalistisch sind und die starke Hand des Staates für Ruhe, Ordnung, Sauberkeit herbeirufen. Es mag sogar so sein, dass Antifaschist_innen, die an einer emanzipatorischen linken Politik interessiert sind, die Minderheit in der Protestmasse stellen. Nicht verwunderlich ist somit das Resümee der LVZ zum Tag: „Tausende Gegendemonstranten und eine gut aufgestellte Polizei sorgten dafür, dass von den groß angekündigten Neonazi-Aufmärschen […] nicht viel übrig blieb.“ Dieses Bündnis – gemeint ist das von Stadt, Polizei und Demonstrierenden – sei „bundesweit einmalig und ging nur auf, weil alles Trennende diesem Tag und der Gewaltfreiheit untergeordnet wurde.“ (18.10.)

 

6.

Insofern hat die Erfurter Antifagruppe „AG17“ Recht mit ihrem Text „Wo sind all die Positionen hin?“, der auf die Inhaltsleere unseres Antifa-Aufruf und der anhängenden Mobilisierung hinweist: „Alles läuft immer mehr auf Pop-Krawall hinaus.“ Gerade weil „weite Teile der bürgerlichen Zivilgesellschaft Anti-Nazi Proteste entweder als Standortverteidigung oder als ‚Verfassungsschutz von unten’ verstehen und somit systemimmanent eingemeinden wollen“, sei es nötig, „die Klappe aufzureißen und auch mal anzuecken“. Das Problem sehen wir indes nicht in der Frage der prinzipiellen Abgrenzung von der „bürgerlichen Zivilgesellschaft “, sondern der Art, wie man sich zu ihr konkret verhält. Die Abgrenzung ist schon dadurch gegeben, dass es überhaupt ein separates Antifa-Bündnis gibt, das einen eigenen Aufruf schreibt und eine eigenständige Mobilisierung betreibt. Die kritisierenswerten Inhalte – oder sehr unklaren Akzeptanzschwellen – zivilgesellschaft licher Akteure sind jedoch per se vorhanden, ganz egal, ob es eine Antifa-Mobilisierung gibt oder nicht. Wenn es sie gibt, kann sie aber darauf hinwirken, kritisierenswerte Inhalte zurückzuweisen. Kritisches Handeln gegen Nationalismus etwa wird nicht deswegen hinfällig, weil manche Nationalisten auch etwas gegen Nazis haben und daher Gegenkundgebungen frequentieren. Eine Kundgebung „für freie Märkte“ ist auch dann eine grobe Dummheit, wenn sie Nazis im Wege steht.


Tatsächlich ist hiergegen seitens des Roter-Oktober-Bündnisses nur ungenügend interveniert worden, obwohl das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ schon am 13.10. in einem Online-Artikel der LVZ auf den eigentümlichen Umstand aufmerksam gemacht hat, „dass wir kein ausschließlich linkes Bündnis sind, sondern einen Querschnitt des politischen Spektrums abbilden.“ In diesem Statement kommt – ungewollt – die Gefahr klar zum Ausdruck, in (zumeist informellen) Zweckbündnissen gegen Neonazis die eigenen politischen Positionen zurückzustellen oder sie auf den Anti- Nazi-Konsens zu reduzieren. Der Pragmatismus, mit dem Mobilisierungen dennoch durchgezogen werden müssen, damit sie funktionieren, macht Antifaschismus zum austauschbaren Protestlabel und linksradikale Positionen damit disponibel. Dass unsere Mobilisierung zum 16. Oktober die größte Antifa-Mobilisierung nach Leipzig seit mehreren Jahren gewesen ist, sollte darüber nicht hinwegtäuschen. Auch deswegen werten wir diesen Tag nicht als völligen Erfolg:

 

Letztlich waren wir Bestandteil einer Konstellation, die in dieser Zusammensetzung abzulehnen ist, die aber gerade in dieser Zusammensetzung wirkmächtig und den Nazis äußerst hinderlich gewesen ist.


Es bedarf einer starken linksradikalen Bewegung, um eigene Konstellationen zu schaff en – und es bedarf starker linksradikaler Inhalte, um sie zu behaupten. Das sind Voraussetzungen, die off enbar nicht vorliegen. Deshalb ist Antifaschismus nicht revolutionär; es empfi ehlt sich auch nicht, dies vorzuspielen, indem wir eine „ideologische Reinheit“ für unserer Mobilisierung einfordern oder andere daran messen. Es liegt umgekehrt an uns, vernünft ige Einwände gegen Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und die Zumutungen repressiver Gemeinwesen zu entwickeln und zu vermitteln. Erst auf dieser Grundlage kann eine politische Praxis etabliert werden, die auf die Emanzipation von nationaler Gemeinschaft und kapitalistischer Gesellschaft abzielt.

 

Fuer eine linksradikale Organisierung gegen diese Republik und ihre Nazis!


Nazi sein heisst: ...nichts als Probleme kriegen!


Beobachtungen aus anderen Quellen


16. Oktober:
Bericht der Mitteldeutschen Zeitung Anschlag auf Reisebus - keine Verletzten
VON DIANA DÜNSCHEL
„Auf einen im Einkaufszentrum Nova Eventis in Günthersdorf (Saalekreis) geparkten Reisebus ist Samstagnachmittag ein Anschlag verübt worden. Bislang unbekannte Täter bewarfen das Fahrzeug kurz vor 13 Uhr mit Pflastersteinen und zerstörten oder beschädigten mehrere Fenster sowie die Karosserie. Der Bus hatte zuvor laut Informationen der Polizeidirektion Sachsen-Anhalt Süd eine Gruppe von Teilnehmern der Demonstration von Neonazis in Leipzig im benachbarten sächsischen Markranstädt abgesetzt. Im Wagen befanden sich zum Zeitpunkt des Überfalls nur die zwei Fahrer. Sie blieben unverletzt.
Beide erklärten gegenüber der MZ, rund 20 vermummte Personen hätten plötzlich das Fahrzeug angegriffen, das abseits vom Trubel des Centers auf einem abgelegenen und schwer einsehbaren Teil des Parkplatzes abgestellt war. Nach der Steinwurf- Attacke seien sie gefl üchtet. Die Busfahrer schätzten den entstandenen Sachschaden auf rund 20.000 Euro. […]“
http://www.mz-web.de/artikel?id=1287212847842

Foto der Mitteldeutschen Zeitung: Einer der Steine, die auf den Nazibus geworfen wurden

Foto der Mitteldeutschen Zeitung: Einer der Steine, die auf den Nazibus geworfen wurden.

 

17. Oktober: Havarie-Meldung der Nazi-Veranstalter (www.logr.org/infoleipzig)

„Dennoch blieben auch dieses mal Kameraden nicht ganz von kommunistischen Heldentaten verschont, so wurde ein Auto der Ersthelfer sowie ein Bus aus dem Norden Deutschlands völlig zerstört bzw. entglast.“

 

18. Oktober: Erlebnisbericht eines Nazis im
„Thiazi“-Forum (www.thiazi.net)

„Als ich mich mit meiner Reisegruppe am frühen Samstag Morgen auf den Weg Richtung Leipzig gemacht haben wussten wir nicht so richtig was uns an dieses Tage alles erwarten würde. Am Hauptbahnhof Halle angekommen wurde wir schon einigen Kameraden empfangen. […] Als wir die ersten Nachrichten von Entglasten Busen und Brennen Bahnanlagen zugetragen bekommen hatten wussten alle das dieser Tag kein Spaziergang werden sollte. […] Nach dem wir nach langen warten nun einen Sonderzug bekommen hatten konnten wir nun zur guterletzt zur Endkundgebung nach Leipzig fahren. Dort Angekommen mussten wir uns mal wieder in Warten üben da die Polizei ewig lange Kontrollen durchgeführt hatte. Am Kungebungsort angekommen Wurden wir schon von den anderen Kameraden, die unter dem Vordach des Leipziger Bahnhof standen, herzlich mit den FREI, SOZIAL und NATIONAL empfangen.
Danach zogen die Redner ein Resümee über den Gestrigen Tag. Nach dem wir dann wieder einmal ca. 1 - 1 1/2 Stunden dort warten mussten, da die Polizei nicht in der Lange war den Bahnhof zu sichern. Naja Egal irgendwann konnten wir dann wieder in Richtung Heimat Fahren. Fazit: Ein gelungener Tag für den Nationalen Widerstand […]“

 

Foto der Mitteldeutschen Zeitung: Zerstörter Nazibus in Günthersdorf Foto eines Nazis: In Halle zerstörter Pkw des „Braunen Kreuzes“

Foto der Mitteldeutschen Zeitung: Zerstörter Nazibus in Günthersdorf Foto eines Nazis: In Halle zerstörter Pkw des „Braunen Kreuzes“

 

19. Oktober: Bericht der Leipziger Volkszeitung (S. 15):

19. Oktober: Bericht der Leipziger Volkszeitung (S. 15)

 

18. Oktober: Bericht der Leipziger Volkszeitung (S. 17):

18. Oktober: Bericht der Leipziger Volkszeitung (S. 17):


22. Oktober: Bericht der Leipziger Volkszeitung (S. 20):

18. Oktober: Bericht der Leipziger Volkszeitung (S. 17)

 

An dieser Stelle sei auch auf diesen Artikel bei Indymedia verwiesen:

Leipzig: Kamal K. von Nazis ermordet

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Bilder von den Nazis am Hautbahnhof. Viele Ruhrpott-Nazis.
http://recherche-nord.com/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=...