Ansprache an die Arbeitenden, Prekären und Arbeitslosen der Länder der EU

Lyon, Autonome 2010

Wir sind Prekäre, ArbeiterInnen, Studierende oder Arbeitslose, die zur Zeit in die Auseinandersetzung gegen die Rentenreform der Sarkozy-Regierung verwickelt sind. Diese Reform sieht eine Erhöhung des Rentenbeitrittsalters und den Anstieg der Anzahl an Einzahlungspflichtigen Arbeitsjahren, um ein Recht auf Rente zu haben, vor. 

Diese Massnahme wird eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der präkarisierten Gesellschaftsschichten mit sich bringen, sowie ein deutliches Voranschreiten der Kapitalisierungs-Logiken. Ganz im geradlinien Sinne einer Thatcher-Politik, wie sie seit vier Jahren von der Sarkozy-Regierung und seit 20 Jahren der neoliberalen-Orthodoxie in den meisten europäischen Staaten praktiziert wird.Diese Politik des sozialen Rückschritts (Privatisierungen, Lohnzurückhaltung, Rückbau der öffentlichen Dienste und der Sozialleistungen) ist um so härter spürbar, als dass die Rezession der Jahre 2008-2009 (und die mit ihr verbundenen Massenentlassungen) alles andere als eine Umkehr der liberalen Dogmen hervorgerufen hat. Anstatt dessen hat sie eine neue Überbietung der Unerbittlichkeiten gegenüber den Unterschichten gerechtfertigt.

 

In zahlreichen Ländern wie Griechenland oder England wird nicht davor zurückgeschreckt brutale Lohn- und Rentenkürzungen anzukündigen, während im gleichen Atemzug die Rettung von Banken für hunderte von Milliarden angekündigt wird.

Überall nehmen die Massnahmen zugunsten der Bourgeoisie zu: "Rettungsschirme", ultraprekäre Verträge ohne Abgaben, Niedriglöhne, Auflockerung des Kündigungsschutzes, Einschränkungen des Streikrechts und Kriminalisierung der sozialen Bewegungen. Überall wird versucht die Wut auf einen Sündenbock abzuleiten: Die Roma, die Araber, die "faulen Arbeitsolsen" - sie werden ausreichend gute Schuldige abgeben.

 

Reihum ist dieses Europa, erbaut auf dem Mythos des institutionell abgesicherten sozialen und kulturellen Fortschritts, dabei, das unerwünschte Proletariat, dessen Assimilierung vollendet zu sein schien, wieder aufzubauen. Der Frieden zwischen den eurpäischen Staaten hat die doppelte Kehrseite, die Konflikte zur optimalen Ressourcensicherung zu exportieren und die Zusammenarbeit aller kleinen Meister der europäischen Wirtschaft gegen alles was ihre Gesetze tangiert, den Widerstand und die soziale Absicherung, auszuhölen. Während sich vor MigrantInnen verbarrikadiert wird, wird weiterhin die Arbeitskraft importiert, die die Menschen "europäischer Herrkunft" nicht mehr erledigen wollen. Derweil wird die Industrie, die in der Lage ist günstiger auszubeuten, exportiert, um den anderen Teil der Arbeitskraft für die Multinationalen Konzerne der Festung Europa "extern" zu binden und zu verpflichten. 

 

Als Antwort auf diese verzweifelte Situation, haben die Ereignisse des vergangenen Frühlings in Griechenland den Weg eines europaweiten Gegenangriffs bereitet. Aber die mehr als zaghafte Strategie der gewerkschaftlichen Zentralen, und der  Stillstand der Revolte, der auf dem Drama der Marfins-Bank folgte, haben bisher die Wideraufnahme des offenen Konfliktes herausgezögert. Wir Untergeordneten des Frankreich-Konzerns, sind seit 2003 (Zeitpunkt der letzten Bewegung gegen eine  andere "Reform" der Renten) SchülerInnen dieser aussichtslosen Strategie zeitlich gebundener  punktueller "Aktionstage".

 

Nach einem Monat der Auseinandersetzungen ist die Basis der Gewerkschaftlichen Zentralen von der Idee eines erneuerbaren  und umfassenden Generalstreiks überzeugt. Laut einer kürzlich erfolgten Umfrage, erhofft sich die Mehrheit der Bevölkerung eine "Radikalisierung" der Bewegung gegenüber einer unflexiblen Regierung. Wir alle erinnern uns an die teilweise erfolgreiche SchülerInnen- und Studierenden-Bewegung gegen den CPE im Frühjahr 2006, bei der sich neben Streiks und Demonstrationen, auch die Widerstandsform der Blockade von Wirtschaftsflüssen durchgesetzt hat.

 

Im großteil der Städte, in denen Universitäten wochenlang bestreikt, blockiert und besetzt wurden und Großdemonstrationen regelmäßig in Auseinandersetzungen endeten, blockierten Streikende Hauptverkehrsstraßen, Einkaufszentren, Bahnhöfe und Flughäfen, oder auch Briefzentren und Busdepots.

Am Ende bettelte die MEDEF ("Bewegung der Unternehmen Frankreichs") eine andere "unflexible" Regierung an, Lockerheit zu beweisen, um die normale ökonomische Aktivität wieder herzustellen. Der CPE wurde zurück gezogen (aber nicht das Gesetz, von dem er nur einen Artikel ausmachte).

 

Heute ist es kein Zufall, wenn die verwegenen Trümpfe der Bewegung von 2006, als hauptsächlicher Ausdruck des Widerstandes gegen das gegenwärtige Regierungsprojekt daherkommen.

In Rennes werden bei jeder Demonstration Einkaufszentren angegriffen. Die entschlossensten Streiks betreffen unter anderem die Raffinerien und Treibstoffdepots; die Streikenden von Marseille, als wahrhaftige Avant-Garde der Bewegung, lähmen den Hafen und flössen ihrer Stadt die Schwingungen der Bewegung ein. Die EisenbahnerInnen sind auch ganz Vorne mit dabei und die Fernfahrer mobilisieren. Wir wissen: Je mehr wir Vertrauen in unserer Kraft haben, desto kommunikativer wird unsere fröhliche Entschlossenheit. Die Bilder der Streikposten aus Barcelona, die es am Tag des Generalstreiks im September geschafft haben, sämtliche Läden zu schliessen, haben sicherlich zum Willen unser Praxis zu systematisieren, beigetragen.

 

Wir wissen, dass die Einzige Möglichkeit zu gewinnen von der Kapazität abhängt,der gegenwärtigen Regierungsstrategie der Zerschlagung und Einschüchterung entgegenzutreten. Diese Strategie zeigt sich unter anderem im nutzen von Polizeigewalt: zahlreiche schwerverletzte Jugendliche, hunderte Verhaftungen und irrsinnige Verurteilungen (zum Beispiel geschlossener Knast für ein Mülltonnenfeuer), die Normalisierung des Einsatzes von Schlagstöcken und Tränengas zur Auflösung einer Straßensperre. Diese Gewalt wird von einem ad absurdum geführten Streikrecht begleitet, (Arbeitszwang für ArbeiterInnen in der Petrochemie-Branche, schwerwiegende Androhungen hoher Urteile bei Ablehnung).

 

Wir sind der Meinung, dass die Zeit der massiven Nutzung der Waffe der Wirtschaftsblockage gekommen ist. Mit diesem Mittel können Arbeitslose und von Prekarität Betroffene, die keinen Zugang zu einem sicheren Arbeitsplatz haben, gemeinsam mit den "traditionellen" Streikenden, Druck auf die Führungsabteilungen ausüben.

 

Das Blockieren der Wirtschaft, als Taktik der Streikerhärtung, ist zumindest allen zugänglich. Wenn der Streik (von Angestellten, Studierenden, SchülerInnen, der Streik der gezwungenen Insertion Prekärer und Arbeitsloser) die Zeit frei macht und ihre Aufmerksamkeit auf die Unterwerfung vor Wirtschaftsflüssen lenkt. Wenn die Wirtschaftsblockage es ermöglicht, diese Zeit voll und ganz zur Störung dieser Flüsse der Mächte die wir bekämpfen, zu nutzen. Es geschafft wird sie deutlich mehr zu stören, als mit der Latschdemo, die sie selbstredent nicht tangiert (Erwähnen wir hier das Beispiel der Spitzenaktionen der Restaurant-Belegschaften während den "Aktionstagen").

 

Die Wirtschaftsblockage ermöglicht es so, die in einer integrierten und in Kapitalflüssen verworrenen Ökonomie von Information und Wahren, die Wirkung der bisher auf einige Bereiche beschränkten Streiks zu verbreiten. Sie kann auch Begegnungen von Streikenden und weiteren Angestellten der gleichen Produktionsstätte generieren, die durch die Aktionen ermutigt werden der Bewegung beizutreten. Der Streik selbst, kann auch direkt als eine Wirtschaftsblockage anvisiert sein, was der Bewegung Ausdauer verleiht. Dies muss nicht zwangsläufig einen andauernden , bereichsumfassenden Streik bedeuten, der für die Angestellten sehr schwer zu halten ist: geperlte Streiks, Wechselstreiks, Streiks die bestimmte Bereiche behindern, oder "Schlüsselposten", die von anderen finanziell unterstützt werden können.

 

Der Sieg der Bewegung, und sei er nur symbolisch und teilweise, kann sicher nur daher kommen, dass sich jedes Widerstandskollektiv, jede lokale Gewerkschaft, jede formelle oder informelle Gruppe von AktivistInnen, Freunde, Kollegen, Eltern während sie sich mit anderen koordinieren, selbst das Recht herausnehmen, den eigenen Streikposten zu erstellen. 

Solche Formen der Bereitschaft zu kämpfen wären durchaus mit Verlangsamungen zu verbinden, bei denen wir uns die Zeit für materielle Organisierung nehmen, bei denen wir Ideen, Essen, Gesang und Erfahrungen teilen können...

Es geht in Zeiten wie diesen, in denen die Regierung nicht davor Zurückschreckt die Polizei und Haftandrohungen aufzufahren, um mit Gewalt die Streikposten zu beenden und die Wiederaufnahme der Arbeit zu erzwingen, darum, sich zur größten Mobilität zu ermächtigen. Fähig zu sein sich schnellst möglich an einem Ort zu versammeln, um eine unräumbare Masse zu sein, und sich zu versreuen, um die Metropole an zehn Punkten zugleich zu blockieren, ist in unseren Augen die einzig stimmige Methode sich zu "mobilisieren", "die beste Tätigkeit in durch Streik befreite Zeit zu verrichten", um die gewerkschaftliche Formel aufzugreifen.

 

Während wir Schritt für Schritt auf eine Treibstoff-Knappheit zulaufen, scheint die Frage nach den wichtigsten zu blockierenden Zielen bereits geklärt: Raffinerien, Treibstofflager, Verkehrsaxen, Einkaufszentren, Verteilungspunkte... Erwähnen wir ebenfalls das Interesse der Blockaden, die dazu beitragen, die Affäre aus dem "nationalen Ghetto" treten lassen. An den Tourismus der eine der wichtigsten "Wirtschaftslungen" unseres Museums-Kontinents ist: Restaurants und Grand-Hotels, spektakuläre Veranstaltungen, Luxusgüter... 

Denken wir auch daran manche Medien zu ermutigen, die Information zu öffnen und denen eine Stimme zu verleihen, die sonst keine haben. Denken wir an "Geschäftsviertel" in unseren Metropolen, die bis ans Ende der Welt vermitteln könnten, welch schlechten Ruf ihre schlecht kolonisierten "Provinzen" haben...

 

Belgische Bahnangestellte, MetallarbeiterInnen Spaniens, Docker von Marseille, griechische Geschäftsboten, ZeitarbeiterInnen, Prekäre und Unerwünschte, unser Kampf ist der eure. Wir müssen überall, solidarisch und koordiniert, auf jeden Angriff unserer nationalen Oligarchen, die mehr oder minder im Klüngel mit den europäischen BänkerInnen und KommissarInnen sind, antworten.

Für eine Ende der Gegenreformen und Härtefall-Pläne, für die Verbesserung unserer Lebensbedinungen, für eine Politik der Öffnung und der Solidarität gegenüber MigrantInnen und ArbeiterInnen aller Länder. Bilden wir überall Widerstands-Zusammenhänge, Berufsübergreifende Vollversammlungen, Streikposten-Gruppen über Grenzen hinweg (fett gedruckt).

Pour l’arrêt des contre-réformes et des plans de rigueur, pour l’amélioration de nos conditions de vie, pour une politique d’ouverture et de solidarité à l’égard des migrants et des prolétaires de tous les pays, formons partout des comités de lutte, des assemblées générales interprofessionnelles, des brigades de piquets volants coordonnés de proche en proche par delà les frontières (en gras).

 

Blockieren wir das Europa des Kapitals, deblockieren wir die Festung Europa, werden wir die Sarkozys, Merkels, Barrosos, Berlusconis und die anderen endlich los! Andauernder Generalstreik! Wirtschaftsblockage!

 

TeilnehmerInnen der Generalversammlung der StudentInnen von Rennes 2, der Bewegung der prekären Arbeitslosen und der Berufsübergreifenden Vollversammlung von Rennes | 25. Oktober 2010

 

Des participants à l'assemblée générale des étudiants de Rennes 2, au mouvement des chomeurs précaires, et à l'Assemblée générale nterprofessionelle de Rennes, le 25 octobre 2010.

 

 

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FAU-IAA: Streiks und Proteste in Frankreich gegen die Rentenreform

 

Video Dans le Gard... La CNT en action et hors contrôle

Hundertausende demonstrieren auf den Straßen, Ölraffinerien werden blockiert, es gibt heftige Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und demonstrierende Schülerinnen und Schülern. So wird in Frankreich gegen die geplante Rentenreform protestiert. Diese will die ArbeiterInnen und Angestellten zu längerer Lebensarbeitszeit verdammen und ihnen die Sicherung der Rente verstärkt aufhalsen. Zu den Verlaufsformen der Proteste befragten wir Bernhard Schmid, Focus Europa Korrespondent aus Paris.

 

RDL | Sektoren in Bewegung - Streiks & Proteste in Frankreich