Baskenland: Demonstration für Bürgerrechte

Die Demonstration in Bilbo wird gross und vielfältig (GARA, 2.10.2010)

Die für heute nachmittag im baskischen Bilbo (span: Bilbao) angekündigte Demonstration gegen die spanische Politik der Verbote, für Bürgerrechte und politische Rechte hat die Unterstützung der grossen Mehrheit der Parteien und Gewerkschaften im Baskenland.

 
«Nein zum Verbot von Demonstrationen. Weder Zwang, noch Gewalt. Ja zu Menschenrechten, zu Bürgerrechten und zu politischen Rechten»

 

40 Organisationen mobilisieren im Baskenland gemeinsam für eine Grossdemonstration, die am heutigen Samstag, den 2. Oktober 2010, um 17.00 in Bilbo stattfindet. Unter den aufrufenden Organisationen sind die Unterzeichner des Abkommens "FÜR EIN FRIEDENSSZENARIO UND FÜR EINE DEMOKRATISCHE LÖSUNG” vom vergangenen Sonntag, wie z.B. die Abertzale Linke, die sozialdemokratische EA und die linke Gewerkschaft LAB. Zusätzlich unterstützen als weitere Organisationen auch die grösste baskische Gewerkschaft ELA und Etxerat, die Organisation der Angehörigen der politischen Gefangenen. Die Demonstration steht unter dem Motto: «Nein zum Verbot von Demonstrationen. Weder Zwang, noch Gewalt. Ja zu Menschenrechten, zu Bürgerrechten und zu politischen Rechten».

Selbst die konservative baskische PNV, die grösste Partei im Baskenland, und Ezker Batua, der baskische Regionalverband der spanischen Vereinigten Linken (Izquierda Unida) unterstützen die Demonstration und haben die Teilnahme angekündigt.

Konflikt schüren statt lösen?

Die Empörung im Baskenland ist gross. Auf die Friedensinitiatve der Abertzalen Linken (der linken pro-Unabhängigkeitsbewegung), die dadurch ermöglichte Waffenruhe der ETA (Euskadi Ta Askatasuna, Baskenland und Freiheit) und die neue demokratische Aufbruchstimmung im Baskenland reagierte die spanische Regierung bisher mit Demonstrationsverboten und Verhaftungen politischer Aktivistinnen und Aktivisten. Die spanische Regierung schürt damit den  Konflikt, anstelle das ihre zu seiner friedlichen Lösung beizutragen. Will die spanische Regierung lieber den Konflikt, weil sie Angst vor einem Szenario hat, in dem politische Ansichten sich in demokratischer Auseinandersetzung bewähren müssen? Die PSE, die baskische Regionalgruppe der Regierungspartei PSOE würde im Baskenland nicht die Regierung stellen, wäre die abertzale Linke nicht illegalisiert.

In der vergangenen Woche hatte die repressive spanische Politik der Massenverhaftung politischer Akteure wegen angeblicher ETA Zugehörigkeit und damit "terroristischer Aktivitäten", einen weiteren traurigen Höhepunkt. Denn "Terroristische Aktivität" ist in Spanien mittlerweile ein dehnbarer Begriff. Wie dehnbar, mussten fünf der sieben am Dienstag inhaftierten Aktivistinnen und Aktivisten der Internationalismus-Organisation Askapena erfahren. Fünf von ihnen wurden in "präventive Haft" genommen und befinden sich im Gefängnis in Madrid. Bis zu vier Jahre Haft ist im "Terrorismusverdachtsfall" möglich. In der offiziellen Begründung dieser  "Präventivhaft"  nannte die Staatsanwaltschaft des spanischen Sondergerichts Audiencia Nacional die Verbreitung des Dokuments "Zutik Euskal Herria - Steh auf Baskenland". Dieses Dokument findet sich auch in deutscher Übersetzung auf Info Baskenland, weil es das zentrale Dokument der Friedensinitiative der abertzalen Linken ist. In ihm findet sich das unilaterale Bekenntnis zu ausschliesslich friedlichen und demokratischen Mitteln für die eigene Politik. Die Verbreitung dieses Dokumentes ... ein terroristischer Akt?

UN-Beobachter kritisiert "Ausweitung des Terrorismusbegriffs"

Als ob es Zufall wäre, tagte gerade in dieser Woche die 15. Sitzung der  Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen. Auf ihrer Agenda hatte sie den Bericht des UN-Beobachters für "Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus", Martin Scheinin, zur Menschenrechtssituation in Spanien. Thema des Berichts sind  Menschenrechte im  spanisch-baskischen Konflikt und im Kampf der spanischen Regierung gegen die bewaffnete baskische Organisation ETA. Martin Scheinin kritisiert die Ausweitung der Definition des Terrorismus auf Tatbestände, die nichts mit Terrorismus zu tun haben. Er empfiehlt eine Schliessung des Sondergerichts Audiencia Nacional und eine Abschaffung der Incommunicado-Isolationshaft, die Folter und Misshandlungen ermöglicht.      

Die spanische Regierung hat in Genf wütend protestiert. Die Kriminalisierung politischer Aktivität im Baskenland, die Illegalisierung der baskischen pro-Unabhängigkeitspartei  Batasuna und weiterer Parteien, sowie die Möglichkeit, durch die Anwendung Anti-Terroristischer Sondergesetze Grundrechte in fast beliebiger Vielfalt ausser Kraft zu setzen, sind seit Jahren zum unverzichtbaren Bestandteil spanischer Politik im Baskenland geworden. Hier einzuordnen ist auch der Massenprozess gegen Udalbiltza, die baskische Versammlung gewählter kommunaler RepräsentantInnen.  Vor dem spanischen Sondergericht in Madrid stehen 22 gewählte KommunalpolitikerInnen und einige ihrer Mitarbeiter. Letzte Woche wurden Zeugen der Anklage gehört. Indizien für eine Steuerung von Udalbiltza durch ETA konnten sie nicht benennen. Trotzdem sehen sich gewählte Bürgermeister und Gemeinderäte für ihre Baskenland-weite Kooperation von Gemeinden mit dem Vorwurf konfrontiert, Mitglieder von ETA zu sein.

Diese repressive Politik macht selbst vor Anwälten nicht hat. In einer Pressekonferenz erinnerten gestern Anwälte daran, dass einige ihrer Kollegen und Kolleginnen sich seit April dieses Jahres ebenfalls in  "präventiver Haft" befinden. Die damalige Razzia hatte von Anfang an prinzipielle Grundrechte verletzt und Rechte von Anwälten grob missachtet. Anzeigen der verhafteten Anwälte gegen die Polizei wegen Misshandlungen in der Incommunicado-Isolationshaft ignorierte der Richter des Sondergerichts Audiencia Nacional.

"Wir benötigen einen Zustand ohne Gewalt"

"Das Baskenland hat die Möglichkeit, den politischen Konflikt und die gewaltsame Auseinandersetzung zu überwinden und ein Friedensszenario und demokratische Lösungen zu erreichen", heisst es in dem Abkommen, das am vergangenen Sonntag von 30 baskischen Organisationen unterzeichnet wurde. "Um in diese Richtung voranzukommen, benötigen wir einen Zustand ohne Gewalt, ...  Ein Ende jeder Art von Drohung, Druck, Verfolgung, Verhaftungen und Folter gegen Personen auf Grund ihrer politischen Aktivität oder Ideologie ."

Es wird eine grosse Demonstration werden am heutigen Samstag Nachmittag in Bilbao.

 


Begriffserläuterung "Abertzale Linke": die Bedeutung des Begriffs „abertzale“ in „abertzale Linke” ist eng verknüpft mit der speziellen Ausprägung der baskischen Unabhängigkeitsbewegung als progressive und internationalistische Bewegung. Als solche umfasst sie ein breites Spektrum von Organisationen, wie zum Beispiel politische Parteien, Gewerkschaften und kulturelle Organisationen, sowie bedeutende Teile der Frauen-, Umwelt- und Internationalismusbewegungen, die das gemeinsame Ziel der Befreiung des Baskenlandes haben. So wie Republikanismus eine besondere Bedeutung im irischen Kontext besitzt, kann der Begriff „abertzale“ nicht nur einfach als Unabhängigkeitsbewegung übersetzt werden, ohne seine progressive Bedeutung zu betonen.




Weitere Informationen:

Siehe unsere Schwerpunktseiten Menschenrechte und Konfliktlösung.

 

Insbesondere:

Baskische Organisationen schliessen Abkommen zur friedlichen Konfliktlösung (26.9.2010)

Der Weg und die Schritte (April 2010): die abertzale Linke erläutert ihre Initiative, mit Link zur deutschen Übersetzung von "Zutik euskal Herria - Steh auf, Baskenland"

EHL-Stellungnahme zur Verhaftung von sieben Askapena Mitgliedern

 

"In Spanien gibt es Institutionen, die keinen Platz in einer Demokratie haben" (Interview der Zeitung Berria mit UN-Beobachter Martin Scheinin, April 2009)

Polizeidokument beweist Existenz illegaler Verhöre (Juni 2010)

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46.000 Demonstranten zählte die baskische Zeitung GARA gestern nachmittag, als sich eine Flut von Menschen durch die baskische Stadt Bilbo (span: Bilbao) ergoss. Mehrere Kilomenter lang ist der Zug der Menschen, die unter dem Motto «Nein zum Verbot von Demonstrationen. Weder Zwang, noch Gewalt. Ja zu Menschenrechten, zu Bürgerrechten und zu politischen Rechten» an diesem 2. Oktober auf die Strasse gehen. Frauen verschiedener Organisationen, die in der Bürgerrechtsbewegung Aderazi EH! (Äußere Dich, Baskenland!) mitarbeiten, führten die Demonstration an. Die von ihnen für den 11. September geplante Demonstration war vom spanischen Sondergericht Audiencia Nacional als Unterstützung für ETA verboten worden. Aus Sicht vieler Menschen im Baskenland ist eine demokratische Lösung des Konflikts in greifbare Nähe gerückt und und so wächst der Druck auf die baskische Regionalregierung und die spanische Regierung, endlich das ihre zu einem friedlichen Szenario beizutragen.

Marina Bernadó war jahrelang politische Aktivistin der sozialen Bewegungen in Barcelona. Im Jahr 2001 kam es zu einer Repressionswelle gegen Hausbesetzer und Antifaschisten wegen Unterstützung der baskischen Organisation ETA. Zahlreiche Personen wurden festgenommen und zum Teil zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Marina konnte sich der Festnahme entziehen, bis sie im Herbst 2006 in Frankreich festgenommen wurde.

 

Info: http://marina.blogsport.de