Berlin: Erste Prozesse wegen 1. Mai 2010

Anti Repression 1. Mai Berlin

 

In Berlin beginnen zur Zeit die ersten Prozesse wegen dem 1. Mai 2010. Wie jedes Jahr ist zu beobachten, dass die notwendige Antirepressionsarbeit zu diesem "traditionellen Event" lückenhaft bzw. teilweise nicht vorhanden ist. Am 13. Juli 2010 wurde in Berlin eine geständige Person zu 18 Monaten auf Bewährung verurteilt. Weitere Prozesse stehen an.

Er wohnte in der Köpi und kann sich Autoritäten nicht unterordnen, meinte der Angeklagte im Gerichtssaal. Auch gab er zu, dass er am 1. Mai 2010 in Berlin Steine auf Polizisten geworfen hat. Sein Anwalt äusserte schliesslich: "Wer Steine auf Menschen wirft, gehört bestraft!" - Die Aussagen und das Verhalten im Prozess am 13. Juli 2010 im Amtsgericht Berlin waren Sinnbild für die kaum vorhandene, vor Repression kriechenden "Antirepressionsarbeit".

 

Nur wenige Personen beobachteten den Prozess gegen den geständigen Punker, der am Ende zu 18 Monaten auf 3 Jahre Bewährung verurteilt wurde. Und durch die defensive Taktik der Verteidigung kamen nur wenige Details der Festnahme und des weiteren Prozesses ans Tageslicht. Da es anscheinend keine organisierte Prozessbeobachtung gab, konnte auch nicht beobachtet werden wer sich noch so für den Prozess interessierte. Neben der rechten Zeitung "Junge Freiheit" und Anti-Antifas (Neonazis, die Daten über Personen aus den antifaschistischen Spektrum sammeln) beobachteten in der Vergangenheit auch Angehörige der Repressionsorgane (aus unterschiedlichen Behörden und aus unterschiedlichen Motiven) die Ersten-Mai-Prozesse.

 

Vor dem Gerichtssaal warteten schon zwei Polizisten und eine Polizistin, bekleidet mit polizeitypischen Overrolls, die, so stellte sich später heraus Zeugen und Zeugin in dem Prozess waren. Im Gerichtssaal dann etwa 10 Journalisten und Journalistinnen. Die Staatsanwältin verlas sodann die Anklageschrift: Der Angeklagte habe in der Nacht vom 1. auf den 2. Mai 2010 in der Reichenberger Strasse / Höhe Ohlauer Strasse zwei Kleinpflastersteine auf ein Polizeiauto geworfen. Ebenso hätte der zur Tatzeit vermummte Angeklagte einen Stein auf eine Bushaltestelle und einen vierten Stein in eine 10er-Gruppe vorbeilaufender Polizisten geworfen. Dabei habe er das Bein eines Polizisten getroffen.

 

Nach der Verlesung der Anklageschrift folgte die Einlassung des Angeklagten. Es stellte sich dabei heraus, dass der Angeklagte starke Ausdrucks- und Lernprobleme hatte. Ebenso gab es schon früh Probleme im Elternhaus des Angeklagten, offenbarte sein Anwalt. Der Angeklagte lebte in seiner Jugend in sozialen Projekten und war auch eine Weile obdachlos. Er kam ursprünglich nicht aus Berlin, hatte in seinen früheren Wohnort grosse Konflikte mit Neonazis, wobei diese auch zu Strafverfahren führten. Mit Autoritäten habe der Angeklagte u.a. ein Problem, weil er von Polizisten zusammengeschlagen wurde. In seiner Einlassung gab der Angeklagte schliesslich zu eine halbvolle Coladose auf eine Bushaltestelle und Steine auf Polizisten geworfen zu haben. Der Angeklagte meinte jedoch, dass er keinen der Steine gezielt auf einen Polizisten warf. In der Einlassung stritt der Angeklagte aber ab, dass er Steine ausgebuddelt und an andere Menschen verteilt hatte. Er habe jedoch Steine aus dem aufgewühlten Strassenpflaster genommen und Steine zur Seite gerollt. Verteilt habe eine andere Person neben ihm.

 

"Tatbeobachternummer" für Angehörige von Einsatzhundertschaft

 

Neu in den Prozessen um den 1. Mai war eine soganannte "Tatbeobachternummer" für alle Zeugen und Zeuginnen der Polizei. Zwar hatte es in der Vergangenheit immer wieder codierte Polizeiangehörige gegeben, doch diese waren zumeist Angehörige von Spezialeinheiten oder in ziviler Kleidung ermittelnde Polizisten und Polizistinnen. Diesmal gab es Nummern für alle Polizisten und Polizistinnen.

 

Die erste codierte Tatbeobachterin ist Berliner Polizeiangehörige. Sie sah in der Reichenberger Strasse / Höhe Ohlauer Strasse den sich vermummenden Angeklagten, wie er zu einer Wurfbewegung ausholte und daraufhin splitterndes Glas an der Bushaltestelle. Schliesslich soll der Angeklagte zwei Steine auf ein vorbeifahrendes Polizeiauto geworfen haben. Danach soll der Angeklagte Steine ausgegraben und an andere vermummte Menschen verteilt haben. Der Angeklagte habe sich in einer zum Teil vermummten Gruppe aus ca. 30 Personen befunden. Schliesslich soll der Angeklagte einen Bauzaun zum Barrikadenbau auf die Strasse gezogen haben und dann aus der Gruppe heraus einen Stein auf eine vorbeiziehenden gepanzerten Polizeigruppe der 14. Ehu (4. Einsatzhundertschaft der 1. Berliner Bereitschaftspolizeiabteilung) geworfen haben. Dabei habe er einen Polizisten am Bein getroffen.

 

Sie habe den Angeklagten so gut beobachten können, da er einen markanten Rucksack mit zwei orangen Streifen getragen hat. Später habe sie dann "die blonden Rastazöpfe des Täters" wiedererkannt.

 

Die beiden anderen Zeugen brauchten dann nicht mehr vernommen werden, einigten sich Richter, Staatsanwältin und Rechtsanwalt. Die beiden Zeugen und die Zeugin setzten sich anschliessend dreist in die Beobachtungsränge. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass die drei dort zu viert sassen - Aber da kann ich mich auch irren, denn bei den ganzen Verkleidungsspielen der Polizei sieht doch niemand mehr durch.

 

Die Staatsanwältin forderte aus generalpräventiven Gründen (Abschreckung für andere Menschen) zwei Jahre Haft ohne Bewährung gegen den Angeklagten. Zuvor versuchte sie den Angeklagten und seinen Rechtsanwalt mit anderen offenen Strafverfahren (u.a. Flaschenwurf beim 1. Mai 2008 und eine Auseinandersetzung mit Neonazis) zu konfrontieren und für andere Verfahren Aussagen zu entlocken. Dies konnte von rechtsanwältlicher Seite abgeblockt werden. Trotz unterschriftsreifen Ausbildungsvertrags behauptete die Staatsanwältin keine positive Sozialprognose.

 

Der Rechtsanwalt beantragte danach 10 Monate Haft auf 3 Jahren Bewährung. Der Haftbefehl gegen den Angeklagten sei aufzuheben. Die Tat wurde gestanden, was selten sei, und der Angeklagte könne sofort zu arbeiten anfangen. Auch hätte sich die Verteidigung nicht gegen die Codierung der Zeugen und der Zeugin gewährt, das müsse belohnt werden. Der Angeklagte hätte ADHS und hätte in seiner Kindheit Ritalin einnehmen müssen. Anschliessen sagte der Angeklagte: "Ich habe Fehler gemacht, es tut mir leid!"

 

Kurze Zeit später verurteilte der Amtsrichter den Angeklagten zu 18 Monaten auf 3 Jahren Bewährung. Der Angeklagte habe einen schweren Landfriedensbruch und Sachbeschädigung begangen. Ausserdem habe er gegen das Vermummungsverbot verstossen, jemanden verletzt und wichtige Arbeitsmittel der Polizei beschädigt. Trotzdem hob er den Haftbefehl gegen den Verurteilten auf.

 

Der Verurteilte konnte trotzdem nicht gehen. Zwei Monate Untersuchungshaft waren nicht genug, denn die Staatsanwältin hatte zwischenzeitlich zwei weitere Haftbefehle erwirkt. Einmal wegen dem 1. Mai 2008 und dann noch wegen dem Vorfall mit Neonazis, der ausserhalb Berlins stattfand. Hier ist anzumerken, dass die dortige Behörde es nicht für nötig hielt dafür einen Haftbefehl zu beantragen. Wahrscheinlich war das nicht nötig. Die Staatsanwältin in Berlin hielt das aber für richtig.

 

Fazit

 

Dem Verurteilten kann und sollte niemand einen Vorwurf machen. Er will da raus. Die Verteidigung war wenig glaubwürdig und, durch die weiter bestehende Haft, ein Desaster. Repression, wie z.B. die neue Art der Codierung, wurden nicht in der Hauptverhandlung thematsiert und somit nicht für andere Aktivisten und Aktivistinnen erfahrbar gemacht. Viel schlimmer noch: Die Repression wurde durch die Verteidigung bekräftigt.

 

Immer wieder erlebe ich, dass Anwälte und Anwältinnen sich bei Ersten-Mai-Prozessen fast vor dem Richter oder der Richterin verbeugen. Das geschieht oft, wie in diesem Fall auch, bei Personen die in keinen politischen Zusammenhängen sind, angetrunken waren und dann bei einer Ausschreitung mitgemacht haben. Hier muss mehr Verantwortungsbewusstsein entwickelt werden!

 

Die lückenhafte bzw. teilweise nicht vorhandene Antirepressionsarbeit ist erschreckend. In diesem Prozess waren kaum beobachtende Personen anwesend. Und auch einen Tag zuvor fanden zwei Prozesse wegen dem 1. Mai 2010 statt. Allen Anschein nach gab es dort auch keine Prozessbeobachtung. (Ein Prozess war gegen einen Neonazi, der mit anderen Neonazis am 1. Mai 2010 auf dem Kurfürstendamm demonstrierte, der andere Prozess betraf eine Person, die an Ausschreitungen in Kreuzberg beteiligt gewesen sein soll.)

 

Weitere interessante Prozesse

 

Mo., 19.07.10, 9:30, Saal D703, Moabiter Kriminalgericht, Turmstr. 91, Amtgericht (Jugendschöffengericht)
"Prozess gegen zwei junge Männer die im Dezember 2009 einen Zivilpolizisten im Dienst angegriffen haben sollen. Der Beamte, der zunächst durch einen Fußtritt ins Gesicht zu Boden getreten wurde und nach potentiellem Diebesgut durchsucht wurde, zog seine Dienstwaffe und schoss nach einem fruchtlos gebliebenen Warnschuss einem der jugendlichen Angreifer in den Unterschenkel, so die Anklage." (Ich weiss nicht, ob der Prozess öffentlich ist, aber es lohnt sich auf jeden Fall vorbeizuschauen!) Siehe: http://www.berlinonline.de/berliner-kurier/archiv/.bin/dump.fcgi/2009/1207/berlinbrandenburg/0006/index.html

 

Mi., 21.07.10, 13:00, Saal B228, Moabiter Kriminalgericht, Turmstr. 91, Amtsgericht (Abt. 276)
Glasflaschenwurf auf Polizisten am 1. Mai 2010.

 

Kommerzielle Medienberichte

 

http://www.taz.de/1/berlin/artikel/1/bewaehrung-fuer-mai-randalierer/

http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/article1346799/Bewaehrungsstrafe-fuer-Steinwuerfe-auf-Polizisten.html

http://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/randalierer-bleibt-trotz-bewaehrungsstrafe-in-haft/1882516.html

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Nach dem Prozess verschwanden (Herr Gerner, Frau Mertens und Herr Marquats - keine Garantie für die Namen und die Schreibweise) übrigens in einem "Umkleideraum" im Gerichtsgebäude, der extra von der Justiz für die Zeugen und der Zeugin bereitgestellt wurde.

;p

was genau darf mensch eiegtnlich unter einer codierung (im zusammenhang mit bullen) verstehen?