Darmstadt: Demo gegen Repression am 26. Juni

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Nazis, Bullen – Alles Stuss!

In Darmstadt startet eine Kampagne gegen die zunehmende Repression gegen Linke und Antifaschistische Strukturen. Los geht’s mit einer Demo am 26. Juni, weitere Aktionen sind geplant. Anlass dazu sind vorrangig Strafverfahren und Hausdurchsuchungen bei mehreren AntifaschistInnen, die sich mit rechtsradikalen Fans eines Odenwälder Fußballclubs eine Auseinandersetzung geliefert haben sollen. Ein Statement eines anonymen Antifaschisten gegenüber dem Darmstädter Echo macht den antifaschistischen Hintergrund der Aktion deutlich und verbietet es, dass ganze als unpolitische Fußball-Schlägerei abzutun. Gleichzeitig laufen Verfahren gegen Mitglieder der Gewerkschaftlichen Arbeitslosen Initiative (GALIDA), die im FDP-Büro eine Aktion anlässlich der liberalen Hetze gegen HartzIV-EmpfängerInnen durchgeführt haben. Wir solidarisieren uns ausdrücklich mit den Betroffenen und schließen uns der Forderung nach ihrer Unterstützung und der Einstellung der Strafverfahren an.

 

Doch es geht uns hier nicht darum, konkrete Fallbeispiele von staatlichem oder polizeilichem Vorgehen zu skandalisieren. Es geht uns vielmehr darum, die Funktion des Staates im Kapitalismus, also – ganz knapp gesagt – Gewährleistung und Sicherung der Kapitalakkumulation, zu benennen. Diese Funktion schließt eben auch Repression zwingend mit ein – gerade gegen autonome und emanzipatorische politische Organisierungen. Wir wollen zum einem klar machen, dass konsequenter Antifaschismus sich nicht auf den Staat verlassen kann, andererseits wollen wir zum Ausdruck bringen, dass der Staat durch seine grundlegenden Funktionen immer repressive Tendenzen hat und versucht, seine Möglichkeiten in diesem Bereich weiter auszubauen. Eine Gesellschaft frei von Repression und Überwachung ist dauerhaft nur jenseits von Staat und Kapitalismus denkbar.

 

Antifaschistische Praxis läuft nur ohne den Staat


Auch wenn in Darmstadt kein Naziproblem besteht und der einzige Organisierungsversuch, die „Kameradschaft Darmstadt“, vollkommen lächerlich ist, bleibt antifaschistische Praxis notwendig. Schließlich sieht die Situation in nicht allzu weiter Ferne schon ganz anders aus und es kann keinen Grund geben, Nazideppen irgendwelche Freiheiten zuzugestehen. Auch kleine Nazigrüppchen können in ungünstigen Situationen zu einer Bedrohung werden, zwar nicht in gesellschaftlich relevanten Ausmaßen, aber doch ganz konkret für diejenigen Menschen, die ihnen über den Weg laufen und ihnen aus antisemitischen, nationalistischen, rassistischen oder was auch immer für Motiven nicht in den Kram passen. Sicher werden Nazis in Darmstadt in absehbarer Zukunft keinen großen Einfluss gewinnen, aber antifaschistische Praxis kann nicht erst dann einsetzen, wenn Nazis anfangen, die Oberhand zu gewinnen. Sie muss jederzeit betrieben werden, wenn Nazis sich zeigen oder aktiv werden. Das soll nicht heißen, dass Antifaschismus zum primären Aktionsfeld einer radikalen Linken in dieser Region werden sollte. Vielmehr gilt es, die gegebenen Möglichkeiten zu nutzen, um sich theoretisch und praktisch mit den Zumutungen der kapitalistischen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Trotzdem muss sich selbstverständlich die Mühe gemacht werden dafür zu sorgen, dass Nazistrukturen weiterhin so marginal bleiben – bzw. auch anderswo so marginal werden.

 

AntifaschistInnen dürfen sich hierbei nicht als unbezahlte SozialarbeiterInnen verstehen. Es geht nicht darum, auf diese Leute zuzugehen, am Ende noch ihren persönlichen Weg in die rechte Szene nachzuvollziehen oder dergleichen. Niemand wird gezwungen, Nazi zu werden und bei solch einem menschenverachtenden und irrationalen Weltbild sind Verständnis und vernünftige Diskussion vollkommen fehl am Platz. Antifaschismus muss Nazistrukturen handlungsunfähig machen, ihnen die Möglichkeit zur Agitation nehmen und es einfach unmöglich machen, sich öffentlich als Nazi zu erkennen zu geben. Es geht darum sie zu isolieren und zu verhindern, dass ihre Ideologie verbreitet werden kann, nicht darum sie von irgendwas zu überzeugen.

 

Nicht außer Acht zu lassen sind hierbei gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge. Auch wenn es für ein Individuum keinen zwingenden Weg in die rechte Szene gibt, so gibt es dennoch klare Zusammenhänge zwischen jetzigen Gesellschaftsverhältnissen und Naziideologie. Nationalismus ist beiden evident, hier mal verpackt als Standortlogik, dort als „Blut und Boden“-Ideologie. Von der staatlichen Abschiebepraxis über Ethnopluralismus und letztlich dem „klassischen“ Rassismus – der auch gleichermaßen bei bekennenden Nazis als auch bei so manchen, die sich selbst als demokratisch gefestigte BürgerInnen sehen vorkommt – ist es auch kein allzu weiter Weg. Antisemitismus ist keine alleinige Domäne deutscher Nazis, sondern findet sich strukturell, kodiert oder auch ganz offen in allen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten. Berührungspunkte zwischen bürgerlicher Gesellschaft, Faschismus und Nationalsozialismus gibt es zuhauf.

 

Das ist eigentlich auch schon Grund genug, um sich in Sachen Antifaschismus nicht auf den Staat zu verlassen. Schließlich macht es wenig Sinn, jemanden mit der Lösung eines Problems zu betrauen, dessen Ursache er zum Teil selbst ist oder dessen Bestehen er zumindest garantiert. Zudem ist die Forderung nach einem vehementeren Vorgehen des Staats gegen rechte Strukturen ohnehin aus linksradikaler Perspektive vollkommen inakzeptabel. Schließlich ist dies nichts weiter als ein Appell an den Staat, der schon Aufgrund seiner gesellschaftlichen Funktion kein Freund einer linken Bewegung sein kann. Diese Forderung würde ihm zudem auch die Legitimation bieten, um die repressiven Organe des Staates weiter auszubauen und die – ohnehin begrenzten – bürgerlichen Freiheiten weiter einzuschränken. Das kann’s ja auch nicht sein.

 

Zur Extremismusdebatte


Doch sich über Sinn und Unsinn von staatlichem Antifaschismus auszulassen wird in jüngster Vergangenheit ohnehin zunehmend obsolet, steht doch ein solcher immer weniger zur Debatte. Was stattdessen Hochkonjunktur hat, ist die Bekämpfung des so genannten Extremismus. Unter diesen Begriff wird alles gefasst, was von der Mitte der Gesellschaft – welche auch nicht mehr als ein Ideologisches Konstrukt ist – abweicht und sich irgendwie in einem kritischen Verhältnis zur bürgerlichen Gesellschaft befindet. So werden munter AntifaschistInnen und KommunistInnen mit Nazis oder IslamistInnen in einen Topf geworfen und zum mehr oder weniger gleichen Phänomen erklärt. In dieser Logik macht es dann keinen Unterschied mehr, ob Gewalt von Nazis ausgeübt wird und sich gegen Menschen wegen ihrer Hautfarbe, Religion oder was auch immer richtet und diese bedroht oder vielleicht sogar getötet werden, oder ob versucht wird, sich Nazis bei solchen Angriffen in den Weg zu stellen.

 

Politische Inhalte fallen bei diesem Ansatz unter den Tisch, ebenso wie gesellschaftliche Ursachen rechter Ideologien, wie etwa Antisemitismus und Rassismus in der bürgerlichen Gesellschaft. Diese konstruiert die Extremismusformel als aufgeklärt, demokratisch, gewaltfrei und ohne innere Konflikte, die über die Differenz von SPD und CDU hinausgehen. So werden reale Verhältnisse zumindest verkürzt, wenn nicht komplett falsch wiedergegeben. Reaktionäre Ideologien oder autoritäre Herrschaftsstrukturen finden sich überall, nicht nur in irgendwelchen Randbereichen der Gesellschaft. Ebenso basiert ein Großteil kapitalistischer Vergesellschaftung auf Gewalt und nicht ohne Grund veranschlagt – und nutzt! – der Staat das Monopol auf diese.

 

Ritualisierung und Vereinnahmung von Protesten


Dass – eben auch ganz im Sinne der Extremismusformel – jede politische Praxis jenseits von Parteien, Staat und Zivilgesellschaft sogleich mit dem kritischen Blick des Verfassungsschutzes rechnen muss, liegt auch im Anspruch des Staates begründet, der alleinige Garant für Recht und Ordnung zu sein. Ebenso haben in diesem Anspruch die Prozesse der parlamentarischen Demokratie als die einzig gangbare Weise zum Austragen Gesellschaftlicher Konflikte zu gelten. Selbstverständlich akzeptiert die bürgerliche Gesellschaft einen gewissen Meinungspluralismus ebenso wie die Tatsache, dass verschiedene Gruppen im Widerstreit zueinander stehen und Versuchen, ihre Interessen gegeneinander durchzusetzen. Wichtig ist nur, dass diese Konflikte im Rahmen der staatlichen Institutionen und der Rechtsform gemäß ablaufen. Dabei sind staatliche Institutionen nicht nur als die im engen Sinne staatlichen, wie z.B. Parlament und Gericht zu verstehen, sondern im weiteren Sinne auch alle staatstragenden Einrichtungen, die zwar nicht direkt mit ihm verbunden sind, sich in ihrer Form und Praxis aber nahtlos in die bürgerliche Ordnung einfügen. Beispiele hierfür sind Gewerkschaften, Petitionsgruppen, Bürgerinitiativen, NGOs usw. Wichtig ist, dass Protest und Diskurs in der Gesellschaft in festgelegten Formen verlaufen, die sie Berechenbar machen und es ihnen verunmöglichen, über den gesellschaftlichen Status quo hinauszugehen.

 

So werden die Strukturmerkmale der kapitalistischen Gesellschaft nicht in Frage gestellt und gesellschaftliche Auseinandersetzungen sind halbwegs planbar und nur von begrenzter Reichweite – die Gesellschaft bleibt in ihren Grundzügen einigermaßen stabil. Das ist für den Staat sehr wichtig, weil es für sein Funktionieren als Wirtschaftsstandort von fundamentaler Bedeutung ist. Niemand investiert gerne in unsicheren Gebieten und wenn Arbeitskämpfe nur noch in ritualisierten Tarifverhandlungen und mit gesetzlich reglementierten Streiks ablaufen, ist das zumindest für die Kapitalverwertung etwas Gutes – für Emanzipationsbemühungen ist es eine Bankrotterklärung.

 

Von dieser Annahme ausgehend ist es dann auch nicht weiter verwunderlich, dass der Staat versucht, politische Praxis auf diesen Rahmen zu begrenzen. Dies kann auf Basis von ideologischer Delegitimation basieren, wie etwa bei besagter Verdammung eines jeglichen Extremismus. Oder eben, indem Staat und Polizei einfach mal ordentlich auf den Tisch hauen und repressiv gegen „extremistische Bewegungen“ vorgehen. Klar: Der moderne kapitalistische Staat ist ein Rechtsstaat und muss sich – zumindest weitgehend – an seine eigene Rechtsgrundlage halten. Doch auch durch die ideologisch herbeihalluzinierte Gleichsetzung von Extremismus und Gewalt ist es ohnehin nicht allzu schwer, im Zweifelsfall repressiv gegen unliebsame Bewegungen vorzugehen. Repression fängt eben nicht erst da an, wo Linke und AntifaschistInnen im Knast landen. Auch Verfahren, die am Ende eingestellt werden und die damit verbunden Kosten können Strukturen schwächen und Menschen einschüchtern oder einschränken. Kontrollen, Hausdurchsuchungen, Prügelorgien auf Demos, Ingewahrsamnahmen, Observierungen, Vorladungen, Abhörmaßnahmen usw. können und werden dazu benutzt, soziale Bewegungen zu kriminalisieren und anzugreifen – und das alles ohne das auch nur eine Person durch ein Gericht schuldig gesprochen werden muss. Rechtsstaatlichkeit verlangt einem repressiven Staat zwar mehr Kreativität ab, macht ihn aber bei weitem nicht unmöglich.

 

Überwachungsgesellschaft?


Der Staat hat seine Funktion als Bewahrer des Kapitalverhältnisses, also im Schützen des Eigentums (insbesondere an Produktionsmitteln), im Garantieren der Sicherheit von Handel und Verträgen sowie im Befrieden von Klassenkämpfen und sozialen Bewegungen. Dazu wird zunehmend versucht, staatliche und polizeiliche Kompetenzen zu erweitern. Beispielhaft sind die jüngsten Versuche zur Reform des Versammlungsrechts, die Debatten um die Vorratsdatenspeicherung oder Bundeswehreinsätze im Inneren. In die gleiche Kategorie gehören Kameraüberwachung, verbesserte Abhörtechniken, die Militarisierung der Polizei, das Sammeln von genetischen Fingerabdrücken usw. Tatsächlich versucht der Staat, seine eigene Rechtsgrundlage immer weiter zu reformieren, um so weitere polizeistaatliche Maßnahmen möglich zu machen. Von KritikerInnen werden diese Versuche oft mit einem Verweis auf fehlende rechtliche Grundlagen, also mit ihrer angeblichen Illegitimität, kritisiert. Allerdings bewegen sich diese Reformen jedoch tatsächlich im Rahmen von Recht und Gesetz. Sollte diese Kohärenz nicht vorhanden sein – wie bei der Reform des Bayrischen Versammlungsgesetz oder der Vorratsdatenspeicherung – werden die entsprechenden Gesetzentwürfe tatsächlich zurückgezogen oder abgewandelt oder das Gesetz, dass der Realisierung im Wege steht, wird entsprechend angepasst. Der Skandal ist also nicht, dass der Ausbau überwachungsstaatlicher Befugnisse sich nicht mit dem Rechtsstaat vereinbaren ließe, denn das lassen sie sich durchaus. Dabei liegt die Entwicklung zur Polizeistaatlichkeit folgerichtig in der Funktion des Staates im Kapitalismus zu Grunde. Der Skandal ist, dass dieser immer noch existiert.

 

Kapitalismus ist und bleibt das eigentliche Problem


Die bürgerliche kapitalistische Gesellschaft hat – wie gesagt – diverse Schnittpunkte mit Rechter Ideologie. Zur Stabilitätssicherung werden Emanzipationsbestrebungen entweder kriminalisiert oder in die Formen staatlicher Vergesellschaftung mit einbezogen, so dass sie ihren Anspruch verlieren und in Reformismus und Opportunismus enden. Um all das zu gewährleisten, baut der Staat seine Repressionsorgane und die entsprechenden Rechtsgrundlagen immer weiter aus. Das sollte eigentlich schon lange reichen, um den Kapitalismus als eine riesige Zumutung zu begreifen. Vom alltäglichen Elend in der kapitalistischen Gesellschaft ganz zu schweigen.

 

Um sich wenigstens zum Ende hin kurz zu fassen: Der Zwang zu Kapitalakkumulation, Konkurrenz, Lohnarbeit und Leistungszwang sind Grundprinzipien kapitalistischer Gesellschaften und gleichzeitig dem Wohlergehen der meisten Menschen auf diesem Planten entgegengestellt. Wenn Kapitalinteressen menschlichen Bedürfnissen vorgezogen werden (und aufgrund der Gesellschaftsstruktur auch vorgezogen werden müssen), dann sollte das doch Grund genug sein, um endlich auf die sprichwörtlichen Barrikaden zu gehen und „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen sei.“ (Karl Marx, Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie)

 

Auch wenn das heißt, sich mit repressiven Staatsorganen herumärgern zu müssen: Das Projekt einer befreiten Gesellschaft, sprich der Kommunismus, hat – in Angesicht von kapitalistischen Zumutungen und Elend – schon viel zu lange auf seine Realisierung warten müssen.

 

Gegen Nazis, Staat und Polizei!

Kapitalismus abschaffen!

Für den Kommunismus!

 

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