Ist das Grether-Grundstück in Freiburg eine Vorratsfläche zur Verfügung der Stadtverwaltung? Will die Stadtbau auf das Grethergelände?

Das Grether-Gelände in Freiburg

Offener Brief an die Stadt Freiburg - Gemeinderat und Stadtverwaltung | Sehr geehrte Damen und Herren, mit Erstaunen haben wir einem Brief des Liegenschaftsamtes vom 15.3.2010 entnommen, dass es sich bei dem Erbbaugrundstück von Grether West in der Adlerstraße 12 um eine sogenannte innerstädische Vorratsfläche handeln soll, über die sich die Stadtverwaltung das endgültige Verfügungsrecht vorbehält: „Ihre Kaufanfrage wurde inzwischen verwaltungsintern abgestimmt mit dem Ergebnis, die noch im Eigentum der Stadt befindlichen Innenstadtgrundstücke an der Adlerstraße aus Flächenvorratsgründen nicht zu veräußern.“

 

Ausgerechnet beim Grether-Grundstück scheint sich die Stadtverwaltung auf ein gutes, altes wohnungspolitisches Vorhaben aus den 80er Jahren zu besinnen, die „Aktive Liegenschaftspolitik“: Die Stadt wollte damals Flächen erwerben und auf Vorrat halten, um steuernd in die Stadtentwicklung einzugreifen. Insbesondere sollte so der massiven Verdrängung von ökonomisch benachteiligten Haushalten und kleinen Gewerbebetrieben aus den innerstädtischen Gebieten entgegen gewirkt werden, die durch die städtebaulichen Sanierungsmaßnahmen ausgelöst und beschleunigt werden: Einstieg von Investoren, Abriss-/Neubauvorhaben, Umwandlung in Eigentumswohnungen und generell stark steigende Mieten.

 

Über diesen Verdrängungsprozess ist viel geschrieben worden: Damals in den 80er Jahren, und seit einiger Zeit wieder unter dem soziologischen Schlagwort der „Gentrifizierung“ (Gentrification = „Veredelung“; Paradebeispiel ist der Bezirk Prenzlauer Berg in Berlin). Hingegen still geworden ist es um die „Aktive Liegenschaftspolitik“, die nur noch als Politfloskel auf der Roten Liste aussterbender Wörter ihr kümmerliches Dasein fristet. Denn angesichts des öffentlichen Finanzdebakels wird statt Flächenvorratshaltung der Ausverkauf betrieben.

 

Um so mehr verwundert es, dass die Stadtverwaltung trotz sehr, sehr leerer Kassen auf einmal Flächenvorratspolitik betreiben will: Zufälligerweise auf dem Grundstück, das eines der wenigen Beispiele in Freiburg ist, wo „Aktive Liegenschaftspolitik“ tatsächlich umgesetzt werden konnte. Hier hat keine Verdrängung von ärmeren MieterInnen stattgefunden, im Gegenteil: Seit 1983 entstanden im selbstorganisierten Mietshausprojekt Grether West (früher: Grether Baukooperative für Instandsetzung in Selbsthilfe e.V.) rund 1.650 m² Flächen mit preisgünstigen Wohnungen, und mit Räumen für Initiativen wie Strandcafè, Rasthaus, Radio Dreyeckland, Mietshäuser Syndikat und Kleingewerbe. Hier wurde das Organisationsmodell des Mietshäuser Syndikats mit dem Solidarfonds ausgetüftelt, dem sich deutschlandweit mittlerweile über fünfzig selbstorganisierte, dauerhaft sozialgebundene und solidarisch wirtschaftende Mietshausprojekte angeschlossen haben, die preisgünstigen Wohnraum für MieterInnen bereitstellen. (Davon befinden sich ein gutes Dutzend in Freiburg und Umgebung.)

 

Merkwürdig ist auch, dass die Stadt in Ihrem Brief von Grundstücken in der Mehrzahl schreibt: „...die noch im Eigentum der Stadt befindlichen Innenstadtgrundstücke an der Adlerstraße...nicht zu veräußern...“. Hat die Stadt den Überblick verloren? (Was nach der ahnungslosen Überweisung von knapp 50 Millionen Euro an die insolvente Lehmannbank, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise 2008, nicht wirklich überraschen würde.) Ist der Behörde entfallen, dass sie fast alle dieser ehemaligen Vorratsgrund-stücke schon vor Jahren wieder verkauft hat – bis auf dieses eine Grether-West-Grundstück? Wohl kaum.

 

Die Liste der jetzigen Eigentümer dieser Grundstücke vermittelt einen guten Eindruck davon, was die Stadt mit Vorratsflächen so im Sinn hat:

 

Adlerstr. 2

Das Eckhaus an der Belfortstraße (mit Kyosk, gegenüber dem „Geier“) hat die Stadt Freiburg vor vier Jahren an die Freiburger Stadtbau verkauft. Hätte der Bürgerentscheid von 2006 nicht den geplanten Verkauf der Stadtbau gestoppt, würde das Gebäude jetzt vermutlich einem weltweit agierenden Finanzinvestor gehören, wie etwa dem Hedgefonds Fortress, der sich mit als Erster öffentlich für die Ausschreibung beworben hatte. Fortress (Anlagekapital ca. 40 Milliarden Dollar) bzw. seine europäische Immobilien-Tochtergesellschaft Gagfah mit Sitz in Luxemburg besitzt 165.000 Wohnungen in Deutschland. („Gagfah“ meinte ursprünglich „Gemeinnützige Aktien-Gesellschaft für Angestellten-Heimstätten“, bis zum Verkauf der Gagfah mit 81.000 Wohnungen durch die bundeseigene BfA 2004.) Was ein solcher Eigentumswechsel bedeutet hätte, ist an 720 ehemaligen Stadtbau-Wohnungen zu besichtigen, die kurz noch vor dem Bürger-entscheid 2006 an die Gagfah/Fortress verkauft wurden. Sie werden seitdem nicht instand gesetzt, dafür aber mit Mieterhöhungen überzogen, z.B. im Auggener Weg, was von Zeit zu Zeit mit Empörung von der Presse registriert wird (siehe BZ vom 24.3.2010). Da seit November 2009 der dreijährige Verkaufsstop des Bürgerentscheides abgelaufen ist, sind wir überzeugt, dass die Stadtbau für die kaum instand gehaltene, aber Top gelegene Innenstadtimmobilie Adlerstr. 2 eine mustergültige wirtschaftliche Lösung austüfteln wird, die todsicher eines zum Ziel hat: Die Umwandlung der Miet- in Eigentumswohnungen.


Adlerstr. 6-8

Das Grundstück wurde vor über 20 Jahren von der Stadt Freiburg an die Freiburger Stadtbau verkauft, die es mit einem großen Wohn- und Gewerbeblock und in der zweiten Reihe mit hübschen kleinen Stadthäusern bebaut und in kleinen Portionen als Eigentumswohnungen weiter verkauft hat.


Adlerstr. 10 (ehemalige Villa Grether)

Das Grundstück wurde vor 10 Jahren von der Stadt Freiburg nicht an die Freiburger Stadtbau verkauft, sondern meistbietend an eine ganz gewöhnliche Maklerfirma, die das Haus in Eigentumswohnungen aufgeteilt und weiter verkauft hat.

 

Adlerstr. 12 (Grether West und Grether Ost)

Das Grethergelände fällt nur scheinbar aus der Reihe. Denn auch hier wären nach Totalabriss Eigentumswohnanlagen wie auf allen benachbarten Neubauwohngrundstücken errichtet worden, wäre der ursprüngliche Bebauungsplan für das Sanierungs-gebiet Im Grün verwirklicht worden. Nur durch langwierige Auseinandersetzungen mit der Stadtverwaltung über einen Zeitraum von 15 Jahren konnte die jetzige Nutzung der alten Fabrikgebäude durch Ausbau zu preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen erstritten werden.

 

Allerdings konnte nur beim gegenüberliegenden Grundstück des Schwesterprojekts Grether Ost (Adlerstr. 12 + 14) das Eigentum erworben werden (für „1 Grether-Mark“ durch Verrechnung des Grundstückswertes mit den Kosten der Altlastensanierung). Beim Projekt Grether West steht das Grundstück nach wie vor im Eigentum der Stadt, nur das Gebäude gehört der Grether West GmbH auf der Grundlage eines Erbbaurechts. Dessen Vertrag endet am 31.12.2063, an diesem Datum würde um 24.00 Uhr das Gebäude in das Eigentum der Stadt Freiburg zurückfallen. Allerdings könnte die Grundstückseigentümerin bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Grether West GmbH vorzeitig das „Heimfallrecht“ geltend machen. Sollte die Stadtverwaltung darauf spekulieren? Warum verkauft die Stadtverwaltung sonst ihre Grundstücke, um die Kassen aufzufüllen, ausgerechnet aber im Falle Grether West nicht? Wir wissen es nicht genau. Eines aber wissen wir – dass es nicht so bleiben soll, wie es ist: Nach dem Schreiben der Stadtverwaltung wird die dauerhafte Fortführung des erfolgreichen selbstorganisierten Mietshausprojekts Grether West in Frage gestellt und gefährdet.

 

Gerade deshalb wollen wir das Grundstück jetzt erwerben; nicht nur um das Gebäude mit seinen preisgünstigen und sozial gebundenen Mietwohnungen und Gewerberäumen dauerhaft zu sichern, sondern auch die Selbstorganisation der MieterInnen und den Verbund mit dem Mietshäuser Syndikat und seinem Solidarfonds. - Wir ersuchen den Gemeinderat, die Haltung der Stadtverwaltung zu überprüfen und Kaufverhandlungen zuzustimmen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Grether West

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Unglaublich: erst die Freiburger Stadtbau (FSB) verkaufen wollen, Wohnungnen  abreißen und nun auch noch die selbstverwaltet Projekte (Grether / Wohnhalde) angreifen.

Langsam wird es heiß! Ein "Recht auf Stadt" auch in Freiburg!!!

 

* Wonnhalde 1a: Stadtverwaltung und Gemeinderat gehen an Liquidierung

* Adieu Wonnhalde 1 a? - Eine Kontroverse

 

Ja, ich bin auch für ein Bündnis "Recht auf Stadt" in Freiburg.
http://quartieren.org/R09_0005.mp3

Und: fangen wir mal als erstes an das Unternehmen Stadtbau zu übernehmen und die Satzung zu besetzen: http://www.aktionsperrminoritaet.de/
http://www.rdl.de/images/stories/audio_mp3/20100507-keinverkauf-08936.mp3