Praktizierte „Israelkritik“. Zum Brandanschlag auf die Wormser Synagoge.

Wormser Synagoge nach dem Brandanschlag

Ungefähr zur gleichen Zeit, als Deutschland wegen Michael Ballacks Sprunggelenk zu trauern begann, versuchten Unbekannte in Worms, eine Synagoge niederzubrennen. Obwohl die Täter mit neun gleichzeitig entfachten Bränden nichts dem Zufall überließen, konnte die örtliche Feuerwehr durch ihren rechtzeitigen Einsatz die Zerstörung abwenden. „Sobald ihr nicht den Palästinensern Ruhe gibt, geben wir euch keine Ruhe“, hieß es in holprigem Deutsch zur Begründung für die Attacke auf einigen Zetteln, die unweit des Tatorts ausgelegt worden waren.

 

Die offiziellen Reaktionen auf den Anschlag fielen politisch korrekt aus. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck etwa sprach artig von einer „verabscheuungswürdigen Tat“ und ließ 10.000 Euro Kopfgeld ausloben; schließlich hätten die Täter eine „Grenzüberschreitung“ begangen. Die Polizei ermittelt. Und die Öffentlichkeit verlor das Interesse am Vorfall, bevor es wirklich aufkam.

 

Judenhass früher

Schon beim Ersten Kreuzzug 1096, als die Deutschen zur Eroberung Jerusalems aufgerufen waren, erfüllten sie ihre Christenpflicht durch ein heimatliches Judenpogrom, das auch die Wormser Synagoge in Mitleidenschaft zog. Fünfzig Jahre und einen Kreuzzug später wiederholte sich die Mordbrennerei. Bis zur rechtlichen Gleichstellung der Juden, die 1792 durch die Angliederung Worms’ an die französische Republik vollzogen wurde, erlebte die jüdische Gemeinde in der Stadt zwei weitere Exzesse des judenfeindlichen Mobs.

Ihre begründete Hoffnung, dass die bürgerlichen Verkehrsverhältnisse endlich zur Beseitigung des Judenhasses führen oder zumindest den Wahn privatisieren würden, zerschlug sich im Nationalsozialismus. Während der Novemberpogrome 1938 brannte die Synagoge, und die „Lutherstadt“ wurde bis 1942 „judenrein“. Nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands bauten die Wormser Überlebenden der Shoa ihr Gebetshaus wieder auf. Als es 1961 erneut eröffnet wurde, hatte sich der militante Antisemitismus bereits knapp zwei Jahre zuvor mit der Parole „Deutsche fordern: Juden raus“ an der Kölner Synagoge zurückgemeldet (Quelle: Tribüne, 1/2010, S. 13ff.).

 

Antisemitismus heute

Wer in der Bundesrepublik heutzutage den Juden die Ausmerzung aus dem deutschen Volkskörper an den Hals wünscht, befindet sich in der Regel außerhalb des polizeilich Erlaubten. Die Wormser Kriminalpolizisten möchten in den Anschlag trotzdem nicht zu viel Antisemitismus hineininterpretieren, denn „ob und inwieweit tatsächliche palästinensische Interessen betroffen sind, lässt sich derzeit nicht sagen“. Wahrscheinlich handelt es sich um eine unglückliche Formulierung eines arglosen Kriminalbeamten; in der Pressemitteilung wird jedoch zumindest erkannt, dass antijüdische Aktionen etwas sind, das nicht nur den Neonazis, sondern auch dem Palästinensertum angelegen ist.

 

Ministerpräsident Beck dagegen weiß, wenn er auch sonst nichts weiß, was ein Deutscher mit historischer Verantwortung ist. Er macht aus seinem Herzen keine Mördergrube, empört sich aufrichtig über die Tat und erkennt, dass Brandstiftung gegen jüdische Gotteshäuser eine „Grenzüberschreitung“ ist. Wo aber eine Grenze überschreitbar ist, gibt es auch Toleranz. Beck, der noch vor Obama den Popanz der „gemäßigten Taliban“ konstruierte, weiß, dass es für viele sehr ärgerlich ist, die saubere Grenze zwischen der „Israelkritik“ und dem mörderischen Antisemitismus verwischt zu sehen. Aus ihm spricht, dass die brandgefährliche Palästinasolidarität eine Barriere durchbrochen hat, wie auch die standortgefährdende Peinlichkeit, dass die praktizierte „Israelkritik“ über die Stränge schlagen und Juden in Deutschland in Lebensgefahr bringen kann.

 

Im Gegensatz zum armen Ballack und zur Zukunft des deutschen Fußball-WM-Teams brachte es die Brandstiftung in Worms nur zu einer Randnotiz in den Medien. Es blieb der Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, vorbehalten, den ausgebliebenen Skandal einer Brandstiftung in der „Nibelungenstadt“ zu kritisieren.

 

Der „Jude unter den Staaten“

Da Deutsch denken und Deutsch können bekanntlich zweierlei sind, ist es schwer zu sagen, ob die Täter dem islamischen, dem neonazistischen oder überhaupt einem einschlägigen Milieu entstammen. Hierzulande überall populär und zeitgemäß ist jedenfalls die in schlechter Sprache geäußerte Motivation. Weil der Staat Israel den Juden erlaubt, sich nicht nur als wehrloses Objekt der Weltgeschichte begreifen zu müssen, fixiert sich der globale Antisemitismus mittlerweile auf die Projektionsfläche namens „Palästinenser“ und den Blut saufenden „Kindermörder Israel“, präziser: den „Juden unter den Staaten“ (León Poliakov).

 

Hatten die Nazis früher noch verkündet, das „wurzellose“ Judentum werde niemals in der Lage sein, einen eigenen Staat hervorzubringen, hassen die heutigen deutschen Ideologen – ob ihr Lamento nun islamisch, völkisch oder menschenrechtlich daherkommt – den jüdischen Staat für seine wehrhafte Existenz. Die „Israelkritik“ muss verdrängen, dass die Geschichte des Holocaust und der Nahostkonflikt nicht voneinander zu trennen sind. Dass das arabische Palästina 1948 vom islamischen Judenmörder und SS-Gruppenführer a.D., Mohammed Amin al-Husseini, ausgerufen wurde, ist zwar überall zu erfahren, nur will man es anscheinend nicht wissen.

 

Der ehrbare Antisemitismus namens „Israelkritik“ ist wie der geächtete ein gegen jede widersprüchliche Erfahrung abgedichtetes Wahnsystem, das für die toten Juden zwar viel kostenloses Mitleid übrig hat, den lebendigen und verteidigungsfähigen Juden aber misstraut. Die Shoa ist praktisch ebenso wenig vom (heiligen) Krieg gegen Israel zu trennen wie der heutige Antisemitismus vom Antizionismus. Ging es früher um die Vernichtung der mosaischen Weltverschwörung gegen die verwurzelten Völker der Erde, muss nunmehr ein von der Israel-Lobby und ihren Bütteln am Leben erhaltenes, jüdischer Staat gewordenes Verbrechen gegen das Völker- und Menschenrecht vom Erdboden getilgt werden. Mit beiden landläufigen Halluzinationen werden dann ganz real Juden um ihr Leben gebracht.

 

Die Grenzen des deutschen Rechtsstaats

In diesem Klima verstört der jüngste Anschlag außer den betroffenen Juden kaum jemanden. Auch wenn sich im 82.000-Seelen-Ort am jüdischen Gebetshaus umgehend eine hundertköpfige Mahnwache bildete, gibt es keinen Grund zur Beruhigung. Die palästinenserfreundliche Gewalttat gegen die Wormser Synagoge ist offensichtlich nicht geeignet, anders als bei geringeren Anlässen, eine überregionale antifaschistische Protestwelle loszutreten. Für eine routinierte Volksfront gegen Rechts fehlen Hakenkreuze, ertappte Nazischweine oder ähnlich Greifbares. Übrig bleibt nur merkwürdiges, beredtes Schweigen.

 

In Deutschland wäre es – in Ermangelung einer nicht-jüdischen, kritischen Öffentlichkeit gegen Antizionismus und für Israel – allenfalls der Rechtsstaat, der die Raserei gegen Juden effektiv eindämmen könnte. Doch diese Barriere bröckelt zusehends. Als Israels Krieg gegen die Hamas im Januar 2009 zum Anlass für die größten antisemitischen Manifestationen in Europa seit 1945 wurde, verneigte sich die Duisburger Polizei bei einem „israelkritischen“ Aufmarsch vor dem radikal islamischen Mob, indem sie in eine Privatwohnung einbrach, um eine am Fenster befestigte israelische Fahne zu entfernen. Als ein Palästinenser wenige Tage später Sicherheitsleute der Berliner Synagoge mit einer Eisenstange attackierte, lautete die Einschätzung der Berliner Polizei, dieser haben „offenbar seinen Unmut über das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen zum Ausdruck bringen“ wollen. Und im Februar dieses Jahres hat die Kölner Staatsanwaltschaft der antiisraelischen „Kölner Klagemauer“ bescheinigt, dass ein Palästinenserkinder fressender Jude – Verzeihung: Israeli – keine antisemitische Karikatur, sondern wegen der fehlenden Hakennase eine legitime Israelkritik darstellt.

 

Man kann derzeit nur spekulieren, ob die Täter von Worms aus dem jüngst gegründeten NPD-Lokalverein stammen, die antisemitische Hetze der ortsansässigen Millî-Görüş- oder Ahmadiyya-Gemeinde Früchte getragen hat oder vielleicht einige Leser antizionistischer Blätter das ersehnte Weltgericht gegen den „Juden unter den Staaten“ nicht mehr abwarten konnten. Fest steht, dass das „israelkritische“ Kesseltreiben in diversen Milieus weiteren Boden gut macht und den Juden in Deutschland schon längst keine Ruhe mehr gibt.

 

Die Anzeichen sind unübersehbar, dass Israelkritik die allgemein anerkannte Währung geworden ist, um den Antisemitismus in der Bundesrepublik moralisch sanieren und wieder unbelastet gegen alles Jüdische losschlagen zu können. Und der öffentlich weitgehend unbeachtete Anschlag von Worms signalisiert den militanten „Israelkritikern“ allerorten, ob rot, grün oder braun, dass es damit weitergehen kann.

 

 


 

Die autonome antifa worms plant für Ende Juni eine Diskussionsveranstaltung mit dem Autor in Worms. Interessent_innen sind herzlich eingeladen, sich im Vorfeld per Mail oder Kontaktformular an uns zu wenden.

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der artikel ist die gewohnt arrogante und engstirnige antideutsche, ähm ideologiekritische instrumentalisierung eines antisemitischen verbrechens, um gegen alle anti-imperialist _innen zu hetzen und sie mit neonazis und klerikalfaschisten in einen topf zu werfen.

sicher auch kein zufall, dass der artikel hier kurz nach dem verbrecherischeren ermordung internationaler friedensaktivist_innen durch die israelische armee erscheint.

Herausragender Artikel, doch warum wird die Diskussionsveranstaltung im Hinterzimmer geführt?

Aber wer sagt denn, dass wir die VA im Hinterzimmer machen? Die öffentliche Einladung folgt, sobald die Raumfrage geklärt ist. Die ist nämlich in Worms immer ein Problem, vor allem wenn es um Antifa-Arbeit geht.