Projekt Sicherheitsbahnhof

Berliner Bahnhof Südkreuz mit Stehlampe
Erstveröffentlicht: 
12.04.2017

„Intelligente“ Videoüberwachung soll ab Herbst im Berliner Bahnhof Südkreuz getestet werden, Gesichts- und Verhaltenserkennung inklusive. Das folgt einem Trend zu immer weitreichenderer Überwachung des öffentlichen Raumes, sowohl gesetzlich als auch praktisch. Datenschützer haben massive Bedenken.

 

Gesichter, Verhalten und unbegleitete Objekte erkennen: Das soll in einem Pilotprojekt zu „intelligenter Videoanalyse“ am Bahnhof Südkreuz in Berlin erprobt werden. Das Bundesinnenministerium (BMI) gab bekannt, dass Tests schon im Herbst beginnen sollen. Das BMI arbeitet beim sogenannten „Projekt Sicherheitsbahnhof“ mit Deutscher Bahn, BKA und Bundespolizei zusammen.

 

Die Sicherheitsbehörden versprechen sich davon die Erkennung auffälliger Szenarien – beispielsweise unbegleitete Gepäckstücke oder auffällige Personen. Damit werden Kameras zu Verhaltensscannern. Hinzu kommt automatische Gesichtserkennung, die Bahnhofsbesucher identifizieren soll. Während der Testphase soll das zunächst an freiwilligen Personen erprobt werden, die ihre Passbilder oder Fotos zur Verfügung stellen. Auf welche Datenbanken die Systeme bei einem späteren Regelbetrieb zurückgreifen sollen, ist derzeit nicht entschieden.

 

Wer die Technik für das Projekt liefern soll, ist noch nicht entschieden. Bei einem ähnlichen Projekt des BKA zur Gesichtserkennung kommt Software der Firma Cognitech aus Dresden zum Einsatz, ein vorheriges Projekt des BMI zur „videobasierten Personenwiedererkennung“ an Flughäfen wurde von der Firma L-1 Identity Solutions aus Bochum geleitet. Die Hersteller für die Implementierung am Bahnhof Südkreuz sollen laut BMI „zeitnah ausgewählt werden“. Während des Tests sollen aus Datenschutzgründen „Hinweise auf den Test, leichte Ausweichmöglichkeiten für Bahnreisende und umfassende Löschpflichten“ gelten.

 

Sicherheitsbefinden statt Sicherheit


Innenminister Thomas de Maizière erklärt in der Pressemitteilung des BMI, Videoüberwachung steigere „das Sicherheitsbefinden“ der Menschen und trage dazu bei, Straftaten besser aufklären zu können. Darin offenbart sich bereits eines der Probleme von Videoüberwachung: Straftaten wirksam verhindern kann sie nicht, mehr menschliches Personal würde hier bessere Dienste leisten.

 

Datenschützer kritisieren die Pläne des BMI. Die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk warnte Anfang März vor den Risiken. Gerade die Gesichtserkennung sei „mit erheblichen Risiken verbunden und nur in engen Ausnahmefällen zulässig“.

 

Neben den datenschutzrechtlichen Bedenken steht Skepsis bezüglich der rechtlichen Grundlagen einer mit maschineller Intelligenz ausgestatteten Videoüberwachung. Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags zweifeln an, ob die bisherigen Rechtsgrundlagen zu Videoüberwachung durch die Bundespolizei das erlaubt.

 

Das bekräftigen Berichte der Berliner Morgenpost, denen zufolge die Verhaltenserkennung am Südkreuz auch zur Graffiti-Bekämpfung eingesetzt werden soll. Dass Graffiti-Sprüher eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, die einen so tiefen Eingriff in die Privatsphäre aller rechtfertigt, ist abwegig.

 

In einem Interview mit netzpolitik.org erläuterte der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, dass die EU-Datenschutzgrundverordnung biometrische Daten zu den „besonders sensiblen Daten zählt, deren Verarbeitung nur unter sehr restriktiven Bedingungen zulässig ist“. Die Verordnung tritt ab Mai 2018 in Kraft. Das BMI nehme derzeit eine Interessenabwägung zu Lasten von Grundrechten vor.

 

Ausweitung von Videoüberwachung wird zum Trend

 

Das Projekt am Bahnhof Südkreuz folgt einem aktuellen Trend zum erheblichen Ausbau von Videoüberwachung, sowohl auf gesetzlicher als auch praktischer Ebene:

Im März hat der Bundestag das sogenannte Videoüberwachungsverbesserungsgesetz beschlossen. Es erleichtert unter anderem die Einrichtung von Videoüberwachung in privaten Einrichtungen und wertet die Interessen von Personen ab, sich unbeobachtet in der Öffentlichkeit bewegen zu können. Die Konferenz der Datenschutzbehörden von Bund und Ländern forderte, das Gesetz zurückzuziehen.

 

Gegenüber netzpolitik.org prangerte die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an, das Gesetz werde keine Gefahren verringern:

Dieses Gesetz wird insbesondere keinen zur Tat entschlossenen Terroristen abhalten. Ganz im Gegenteil: Terroristen suchen vielmehr die Aufmerksamkeit, um ihre Botschaften möglichst weit zu verbreiten.

 

Anonymes Bewegen in der Öffentlichkeit wird immer schwerer

 

Videoüberwachung findet bei der S-Bahn Berlin in den letzten Jahren zunehmende Verbreitung. Während die bisherigen S-Bahnen, die zu der Deutschen Bahn gehören, noch nicht mit Videokameras ausgestattet wurden, enthalten die Ausschreibungen für neue Züge entsprechende Vorgaben. Auf knapp der Hälfte aller S-Bahnhöfe in Berlin werden seit Juli 2016 die Bilder von bereits existierenden Kameras, die bisher lediglich zur Zugabfertigung genutzt wurden, gespeichert. Bei Bedarf soll damit die Bundespolizei „unterstützt“ werden. Weitere Bahnhöfe sollen erstmalig mit Kameras ausgestattet werden.

 

Die Berliner Verkehrsbetriebe, zu denen auch die U-Bahnen gehören, haben bereits alle Bahnhöfe und Bahnen mit Kameras ausgestattet. Durchschnittlich sind es 30 Kameras pro Bahnhof. Sie werden dennoch weiter ausgebaut – mit schwenk- und zoombaren Kameras mit höherer Auflösung.

 

Der Bahnhof Südkreuz, der sowohl von S-Bahnen, Regional- als auch Fernverkehr angefahren wird, stellt im Rahmen dieser Entwicklung einen weiteren, bedenklichen Höhepunkt dar. Wenn das Pilotprojekt im Sinne von BMI und Sicherheitsbehörden erfolgreich verläuft, wird es auf weitere Bahnhöfe und Bereiche des öffentlichen Lebens ausgedehnt werden. Dann könnte in Zukunft schon das hektische Hin- und Herlaufen im Bahnhof dazu führen, von einem Computersystem als potentiell gefährlich markiert zu werden. Durch den Abgleich mit Bilddatenbanken würde es unmöglich, sich anonym in der Öffentlichkeit zu bewegen. Dadurch werden das eigene Verhalten und die Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Für alle, auch wenn sie nichts Böses im Schilde führen.

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Das können wir uns nicht gefallen lassen

 

Hiermit rufe ich dazu auf die Stasi-Repression am Bahnhof Berlin Südkreuz radikal zu sabotieren!
Tragen wir Masken, werfen wir Rauchbomben und machen wir Lärm!

 

VIVA LA RESISTANCE!

Offenbar trackt netzpolitik Ort seine User. Das war im Artikel:

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