Der drohende G20-Gipfel, brennende Polizeiautos und Rechtspopulisten haben eins gemeinsam: Sie legen eine Krise der radikalen wie der intellektuellen Linken offen. Ist sie womöglich gar schuld an Donald Trump?
In der Nacht von Sonntag auf Montag dieser Woche haben in Hamburg mal wieder Polizeiautos gebrannt. Vier Mannschaftswagen sind futsch, zwei wurden beschädigt, genauso wie zwei Zivilfahrzeuge. Eine Wand des angrenzenden Gebäudes bekam so viel Hitze ab, dass jetzt die Statik geprüft werden muss.
In einem tags darauf auf einer linken Internetplattform veröffentlichen Bekennerschreiben heißt es, Polizisten seien "reale Beschützer*innen der herrschenden Ordnung und nicht symbolische", deshalb müsse man sie "mit voller Härte angreifen". Über dem Text steht "Ganz Hamburg hasst die Polizei", die Autoren nennen sich selbst "Smash G20".
Die radikale Linke läuft sich also warm für den G20-Gipfel, der am 7. und 8. Juli in Hamburg stattfinden wird. Dabei unterliegen die Initiatoren solcher Aktionen offenbar einer Reihe kapitaler Fehlschlüsse, angefangen mit der Behauptung, ganz Hamburg, ja "die ganze Welt" hasse die Polizei.
Ich zum Beispiel tue das nicht, im Gegenteil. Ich habe längere Zeit wenige Gehminuten von dem betroffenen Polizeirevier in Eimsbüttel gewohnt. Ich hatte mehrmals mit den Beamten dort zu tun und fand sie immer sehr hilfsbereit und freundlich.
Menschenverachtende Grundhaltung
Der Innenhof mit den abgefackelten Mannschaftswagen liegt mitten in einem Wohngebiet. Ich vermute, dass auch die Anwohner Hunderttausende Euro vom Steuerzahler zu begleichende Kosten und brennende Autowracks in ihrem Hinterhof eher nicht jubelnd als dringend notwendige Strafmaßnahme begrüßt haben. Auch wenn sie, wenn der Gipfel dann kommt, womöglich selbst unter Absperrungen und Personenkontrollen leiden werden.
Noch bemerkenswerter als die sinnlose Tat erscheint mir das Bekennerschreiben: Es unterscheidet sich in seiner menschenverachtenden Grundhaltung nämlich kaum von Pamphleten vom anderen Ende des Extremistenspektrums. Nur sind hier eben Polizisten und nicht Flüchtlinge die vermeintlich legitimen Ziele vermeintlich notwendiger Aggression.
Von links wird gern davor gewarnt, Links- und Rechtsextremismus vergleichen zu wollen, aber wer eine ganze Berufsgruppe pauschal zum Freiwild für Angriffe "mit voller Härte" erklärt, fordert solche Vergleiche selbst heraus.
Mit Trump einer Meinung?
Tatsächlich machen der Gipfel und der heraufdämmernde militante Protest einen in meinen Augen noch tiefer greifenden Zwiespalt der radikalen Linken deutlich: die Frage nämlich, was links sein in Zeiten von Globalisierung und Rechtspopulismus überhaupt noch heißt.
Am leichtesten lässt sich das am berühmtesten und umstrittensten Gipfelteilnehmer festmachen: Donald Trump (ja, schon wieder, sorry).
Der neue US-Präsident ist bekanntlich kein Freund des internationalen Freihandels, das hat er gemeinsam mit vielen, die gegen den G20-Gipfel protestieren oder randalieren werden. Gleichzeitig sehen sich die Polizeiautoanzünder von Hamburg-Eimsbüttel politisch vermutlich eher nicht im gleichen Lager wie Trump.
Tatsächlich scheinen die in diesen Kreisen so verhassten internationalen Konzerne ein vergleichsweise effektives Bollwerk gegen die isolationalistischen, nationalistischen und rassistischen Tendenzen des Präsidenten und seines Teams zu sein. Eine globale Wirtschaft profitiert nämlich von Offenheit und leidet unter Abschottung. Auch Rassismus passt ihr schlecht in den Kram, weil sie sich für Märkte und qualifiziertes Personal interessiert, nicht für Hautfarben oder Religionen.
Wo steht jetzt eigentlich der Gegner?
Soll man als Linksradikaler jetzt also gegen Trump sein, obwohl der doch in einem zentralen Punkt augenscheinlich mit den eigenen Positionen übereinstimmt? Oder gegen die europäischen Regierungschefs, die Trump schon diverse Male gesagt haben, dass sie Rassismus nicht akzeptieren? Gegen die EU, deren explizites Ziel die Überwindung nationalistischer Abschottung ist? Und: Kann man auf Dauer wirklich eine "Bewegung" zusammenhalten, die gegen alles Mögliche, aber gar nicht mehr erkennbar für irgendetwas ist?
Auch an dieser Stelle hat die Extremfigur Trump einen erstaunlich kristallisierenden Effekt, sie lässt Unschärfen und schon längst verrutschte ideologische Konzepte plötzlich klar hervortreten.
Führt eine Linie von Foucault zu "Infowars"?
Interessanterweise bekommt die Debatte über das wahre Wesen der Linken nicht nur auf der Ebene der Steinewerfer, sondern auch unter linken Intellektuellen gerade Schwung - auch wieder Dank Trump, "Infowars" und so weiter. In den vergangenen Monaten sind mehrere interessante Texte erschienen, zum Beispiel in der "Zeit", in denen die Frage aufgeworfen wird, ob die "kulturwissenschaftliche Linke", wie der Zürcher Philosoph Michael Hampe sie nennt, nicht doch irgendwie mitschuldig ist am Aufstieg der Populisten.
Der Text, der mir bislang am besten gefallen hat, stammt von einer britischen Kulturwissenschaftlerin namens Helen Pluckrose. Im Ernst: Wenn Sie noch 20 Minuten Zeit haben und fähig und willens sind, sich auf Englisch mit Foucault und Derrida auseinanderzusetzen, vergessen Sie den Rest dieser Kolumne und lesen Sie diesen Essay.
Zusammengefasst geht die Argumentation von Autoren wie Hampe oder Pluckrose in etwa so: Die postmodernen Denker haben mit ihrer These, dass jegliche Bedeutung "sozial konstruiert" ist, also relativ, einiges kaputtgemacht. Sie haben objektivierbare Fakten und damit auch wissenschaftliche Erkenntnis zu einer Perspektive unter vielen erklärt - und damit allen Tür und Tor geöffnet, die jetzt mit Propaganda und "alternativen Fakten" eine rechtsnationale oder religiöse Agenda vorantreiben. Sie haben Worte mit Gewalttaten - Stichwort: "Mikroaggressionen" - gleichgesetzt und damit ein für viele verwirrendes Sprachregime geschaffen, von dem sich jetzt mancher unterdrückt und eingeschränkt fühlt.
Ob es wirklich einen Kausalzusammenhang zwischen linker Theoriebildung und dem Erstarken des Rechtspopulismus gibt, kann und will ich nicht beurteilen. Sicher ist aus meiner Sicht aber eins: Eine Linke, die nicht daran glaubt, dass es Meinungen und Fakten, Lügen und Wahrheit, verbale und reale Gewalt, falsch und richtig gibt, hat rechten Lügnern, Leugnern und Tätern argumentativ wenig entgegenzusetzen.
Links- und Rechtsextremismus
... Vergleiche werden meiner Meinung nach nicht durch das erklären eines Feindbildes begünstigt. Wenn Menschen sich mit Gewalt gegen die Brutalität von Staat (dazu gehört auch dessen verlängerter Arm, die Cops), Faschismus und Patriarchat zur wehr setzen, sind sie dadurch nicht gleichzusetzen nur weil das Mittel der Handlung die Gewalt ist.
Ich kritisiere aber auch die teils Menschenverachtenden Aussagen inerhalb der Linken, welche den Tod von Faschisten oder Cops verharmlosen oder dazu aufrufen. Aber in diesem Fall der abgefackelten Mannschaftswagen hat es ein Organ des Staats getroffen welches täglich Menschenverachtende Gewalt ausübt (diese Gewalt der Cops wird auch von den Steuern bezahlt). Und verzei mir bitte, aber nur weil du die Beamten hilfsbereit und freundlich fandest sind sie nicht gleich "die richtigen Cops im falschen System". Es wäre naiv dies von einander zu trennen.
Für die BesitzerInnen der beschädigten Zivilfahrzeuge und der eventuellen BewohnerInnen des angrenzenden Gebäudes sind die Schäden natürlich Mist (das hat auch nichts mit Antikapitalismus zu tun).
Ich denke auch das sich die Linke/das wir uns in ihrer/unserer Stuktur und Praxis weiterentwikeln muss/müssen um eine befreite Gesellschaft aufzubauen (interesanter Text dazu https://linksunten.indymedia.org/de/node/208456).
Und so wie Mensch Links- und Rechtsextremismus nicht miteinander vergleichen kann, kann Mensch (radikale Linke) auch nicht für Trump sein nur weil ein Punkt ähnlich betrachtet wird wie der eigene, er bleibt dennoch sexistisch und nationalistisch. Du sagst zwar das du nicht beurteilen kannst und willst ob es einen Kausalzusammenhang zwischen linker Theoriebildung und dem Erstarken des Rechtspopulismus gibt, aber du versuchst bei Trump und der EU anzuknüfen auf Grundlage vereinzelnder Punkte (internationaler Freihandel und Rassismus), aber genau das suchen nach "Gemeinsamkeiten" fördert meiner Meinung nach den Rechtspopulismus, weil du damit den kapitalistischen Kontext ausblendest.