Tü: "Bürgerschoppen" der Burschis gestört

Tübingen

Der „ArbeitsKreis Tübinger Verbindungen“ (AKTV) hatte für den 15. Mai 11 Uhr vor die Burse eingeladen zum Bürgerschoppen mit „fröhlicher Blasmusik“. Ein buntes Völkchen machte sich auf, um diese Einladung wahrzunehmen.

So füllten sich ab 10.30 Uhr die Bierbänke mit Verbindungsgegnern, teilweise schon in Kostüm aber teilweise auch bewusst unauffällig ausstaffiert. Vor Ort waren nur wenige Verbindungsstudenten und so richtig viele sollten es im Tagesverlauf auch nicht mehr werden. Insgesamt waren es inklusive der Kinder und Frauen nur etwa 150 Personen, die zur Fraktion der Mützen- und Bändelträger gezählt werden durften. Obwohl der AKTV beansprucht die Altherrenschaften von 25 Tübinger Verbindungen zu vereinen, waren kaum mehr als ein dutzend Einzel-Bünde mit mehr als zwei Angehörigen vor Ort anwesend. Damit war auch die zahlenmäßige Beteiligung am Bürgerschoppen wesentlich geringer als im letzten Jahr (etwa 300 Korporierte und Co. versus 40 Gegner). Auch dass Angebot an die nichtkorporierte Stadtbevölkerung mitzuschoppen wurde allem Anschein nach kaum wahrgenommen.

Die Verbindungsgegner stellten mindestens noch einmal 100 Personen und dominierten durch Aussehen und Auftreten eindeutig das Geschehen. Den Anfang machte ein stark rosafarbenes Queerkommando mit dem Namen „Corps Homophobia“, dass noch vor Beginn der Veranstaltung den Schauplatz betrat oder vielmehr stürmte. Die Queers waren während der ganzen Zeit stark aktiv und wuselten immer wieder zwischen den Bankreihen oder beim Mikrofon umher. Ein homophober Bürgerschoppen-Besucher verließ wegen der aufdringlichen Queers sogar vorzeitig und lautstark schimpfend („einfach abartig“) seinen Platz.

Die Runde zwischen den Bierbänken machte auch ein Schnorrer („Kein Bock auf Arbeiten, hamse mal n‘ Euro?“) und Clowns, die sich auf Steckenpferden Holzschwertgefechte lieferten waren ebenfalls vor Ort vertreten. Auch ein Pfarrer hatte noch seinen Auftritt.

Als die Musik des Musikvereins Weilheim einsetzte marschierte ein schwarzgekleideter, zwölfköpfiger Trauerzug „zur Erinnerung an die Opfer verbindungsstudentischer Gewalt“ ein. Ein großes Skelett und einzelne Schilder erinnerten an die einzelnen Bluttaten Tübinger Verbindungsstudenten. Im Anschluss an den Trauerzug postierten sich die Schildträger mit ihrer stillen Anklage auf der Treppe vor der Burse. Aus dem Gebäude selbst wurde zuvor noch ein Transparent („ihr wart gestern schon von vorgestern“) gehängt.

Ein anschließendes Begrüßungswort des AKTV-Vorsitzenden Wilhelm G. Neusel [1] (Tübinger Wingolf, Pressesprecher und Mitglied des Vorstands des Verbandes Alter Wingolfiten) scheiterte an der ihn übertönenden Lautstärke der Gegner, ebenso wie spätere Versuche sich durch das Mikrofon verständlich zu machen.

Mit Spannung erwartet und mit „Wir wolln den Boris sehen!“-Rufen eingefordert war der Auftritt von Tübingens OB Boris Palmer. Doch Palmer ließ sich wegen der Geburt seines Nachwuchses von seinem Vize, Lucke, vertreten. Michael Lucke, der erste Tübinger Bürgermeister, hatte noch im August 2006 in einem Interview mit der Tübinger Straßenzeitung „Lückenbüßer“ zum Thema Burschenschaften/Maisingen verlautbaren lassen: „Unnötig wie’n Kropf!“
Durch Palmers Fehlen enttäuscht stürmte eine Horde fanatischer Palmer-Fans („Boris-Pamer-Jugend“) zu Palmers Ersatzmann und verlangte wütend nach ihrem Idol. Dadurch war es Lucke unmöglich sein Grußwort vorzutragen.

Der nächste Versuch zu sprechen, scheiterte ebenso. Der Uni-Prorektor Herbert Müther konnte sich gegen die Verbindungsgegner einfach nicht behaupten. Da konnte auch der anwesende Ordnungsamtsleiter nicht helfen, der mehrfach versuchte zugunsten der Korporierten und ihres Bürgerschoppens zu intervenieren.
Genauso gingen die Lieder unter, die die Verbindungsstudenten singen wollten obwohl doch auch Liedtexte zur freiwilligen Gesangs-Beteiligung verteilt wurden, in denen es u.a. heißt:
„Wenn Sie mögen, stimmen Sie kräftig mit uns in die drei studentischen Lieder ein, deren Text Sie hier abgedruckt finden. Mit der Hymne an unsere geliebte Universität, der Huldigung unsere Universitätsgründer Graf Eberhard im Barte [2] und dem Bekenntnis zur Gedankenfreiheit.“
Stattdessen trugen die Verbindungsgegner einen Kanon eigener Lieder vor – freilich in sehr schiefer Art und Weise gesungen.

Als das Orchester erneut einsetzte tauchten mehrere Gestalten in rotem Pulli und mit weißen Masken auf, die sich durch Aufdruck als „Die Überflüssigen“ identifizieren ließen. Diese Überflüssigen entrollten ein Transparent mit der Aufschrift „Ihr seid die Elite? Wir sind eure Krise! Kapitalismus wegschmissen.“

Gegen 12 Uhr wurde es den Verbindungsgegnern dann doch zu langweilig und der bunte Haufen zog geschlossen ab. Die Bierbank-Reihen an der Burse wurden dadurch stark gelichtet.
Die aus Richtung der Stiftskirche auftauchenden sechs Polizisten wurden souverän ignoriert.

Anscheinend haben nach dem kollektiven Abzug die Zurückgebliebenen dann versucht ihre Veranstaltung doch noch nachzuholen und es wurden auch noch Reden geschwungen.

ANMERKUNGEN
[1] Die Einwände der Hochschulrektoren gegen Verbindungen nannte Neusel 2009 „martialische Sprüche“, die im „Duktus von Goebbels“ vorgetragen worden seien.
[2] Der gehuldigte Universitätsgründer vertrieb übrigens vor der Universitätsgründung 1477 alle Juden aus Tübingen.

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Großes Lob an den Schreiber diese Artikels, verdammt witzig geschrieben!

Absolut geile Aktion in Tübingen. Meine volle Solidarität!

Das schöne an uns ist ja gerade, dass wir nicht ums verrecken um Niveau und Elitentum kämpfen müssen, um uns gut zu fühlen!

Ich glaube, dass es wirklich nichts sinnvolleres auf der Welt gibt als gegen halbrechte engstirnige sexistische nationalisten Elitewixer zu kämpfen! Toleranz? Wir wären doch als tolerante Menschen nicht ernst zu nehmen, wenn wir intolleranz tollerieren würden, oder? Denk mal drüber nach. In der Zwischezeit ruf ich zu meinen Genossen:

Siempre Antifaschista!

Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!